64 Es ist unmöglich, den gewaltigen Eindruck zu beschreiben, den der Niagarafall auf die Seele jedes denkenden und fühlenden Beschauers macht. Das steile Felsenufer auf der englischen Seite, die schönen Waldungen, welche den majestätischen Strom umkränzen, die furchtbare Gewalt der herabstürzenden Wassermassen, die sich durch die Macht ihres Falles in wirbelnden Schaum auflösen, der Nebelregen, der die ganze Gegend wie mit einem Schleier umhüllt, und das donnerartige Gebrüll dieser Berge von Wasser, die sich in den Abgrund stürzen und an den Felsen brechen — alles dies betäubt und überwältigt den Be schauer in einem solchen Grade, daß er erst bei wiederholter Betrach tung die ganze Größe des prachtvollen Schauspiels zu empfinden vermag. Um sich von der Größe des Wasserfalls eine Vorstellung zu machen, fasse man einen etwa eine halbe Stunde entfernten Punkt ins Auge, denke sich da einen Thurm von hundertundsechzig Fuß Höhe, und den ganzen Raum in dieser Länge und Höhe von einem einzigen Riesenfall herabstürzenden Wassers ausgefüllt. Darüber denke man sich ein in wilder Brandung auftobendeö Meer, das sich vor dem Sturz zu einer ungeheuren Walze abrundet und dann wie eine schimmernde Schnee wand in den schwindelnden Abgrund hinabsinkt. Unten in der Tiefe wallen die zerstäubten Gewässer laut donnernd empor, und wälzen sich, mit Schaum bedeckt, den Strom entlang, während weiße Dampfsäulen in die Luft emporstcigen und die Gegend weithin in duftigen Nebel hüllen. Zenseit des Wassers steigen jähe Klippen und überhangendc FelSmassen aus der Tiefe empor, deren Gipfel mit schönen, im frische sten Grün prangenden Waldungen und freundlichen Häusern bedeckt sind; mitten im Sturz aber bietet, von schäumenden Wogen umtobt, die schon erwähnte Zris-Jnsel, ein grünes, blühendes Eiland, dem Ab grunde die graue Felscnstirn. Durch sie werden die stürzenden Gewässer in zwei Hauptfällc getheilt, den schmäleren, aus der östlichen oder