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Dresdner Nachrichten : 26.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189902263
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990226
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990226
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-26
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 26.02.1899
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Seile 98. Belletristische Sonntags Beilage zu den „Dresdner Nachrichten". .Willst Du wirklich auch gehen, Nell?" fragt Sylvia wenige Minuten fpüter, als alle Anderen fort und die beiden jungen Mädchen mit dem Kranken «mein waren. „Ich habe zu thun I" erklärte Nelly energisch; dann, da sie den Ausdruck in Sylvias Augen gewahrte, setzte sie rasch hiirzu: „Aengstigst Du Dich etwa?" .Es — es ist doch so unnatürlich, daß Tu mich jetzt mit Papa allein lassen willst," entgegnete die Kleine stockend, die direkte Frage umgehend, „er ist doch sehr krank, und wie leicht kann eine Verschlimmerung m seinem Zustand rmtrrten." „Glaube ich nicht! Sowie das Eis da ist, machst Du ihm Umschläge «ms den Kopf, die Weidemann wird Dir auch Gummistoff und Wachstuch herausichicken, und damit fährst Du fort, bis der Arzt da ist." .Ader wenn er nun mit einem Mal die Augen aufschlägt —" „Dann wird ihm Tein Anblick entschieden viel weniger beunruhigend sein, als wenn ich noch mit dabei bin!" „O, mem Gott, Nell, was habt Ihr nur miteinander gehabt, — Tu und Papa?" „Kleine, das kann ich Dir doch jetzt und hier in seinem Beisein nicht «zählen! Vielleicht ist er gar nicht mehr besinnungslos und hört jedes Wort, was wir miteinander reden!" „Du meinst wirklich ?" rief Sylvia erschreckt und neigte sich mit angstvollem Erficht üb« den Kranken. Ich meine nur, es wäre nicht ganz un- doch ungefähr denken können, was es denn die jungen Baronessen einigermaßen zu benehmen, und sprechen sie überhaupt richtig deutsch?" „Ter Alte soll sie ja ohne jeden Unterricht haben anfwachien lassen." Solche und ähnliche Bemerkungen schwirrten dem inngen Arzt durch den Sinn, während er Nelly reden hörte . . . noch mehr sah als hörte! Sein nicht! Du 'Dir weiß es natürlich ^lich! llebrigens wirst Du Dir zwilchen uns gegeben hat!" „Aber wie kam die Pistole —' „Still!" Nelly machte eine gebieterische Geste. Die Thür wurde behut sam geöffnet, und die Haushälterin, allerlei Verbandzeug über dem Arm, trat lrife ein, gefolgt von einem Mädchen, das einen Eimer voller Eisstücke trug. „Stellen Sie dorthin > Frau Weidemann, wollen Sie Barvueß Sylvia zeigen, wie man die Umschläge macht? Nanette, Sie bleiben hier im Zimmer, rch werde rasch eine Zelle an den Doktor schreiben! Ter Wagen muß bald frrtigiein l" Mit zitternden Händen nahm Sylvia den Umschlag, in dem die Eisstückchen leise an einander klirrten, von der Haushälterin entgegen und legte ihn ans das Haupt ihres Vaters. Ein leichtes Zucken ging über sein Gencht. als er die plötzliche Kälte fühlte, sonst blieb er unverändert. Ohne nur^einmal nach ihm zurückznblicken, verließ Nelly das Zimmer. Wenige Stunden ipäter traf Doktor Stamm aus Schloß Wnlfshagen «in. Nelly. die seither unsichtbar gewesen war und sich die ganze Zeit über nicht im Zimmer ihres Vaters hatte blicken lassen, erschien, sobald der Wagen mit dem Arzt vorsuhr. und stellte sich dem jungen Mann, der ein scharf- geschnittenes, ^intelligentes Gesicht hatte, bereits im Treppcnhausc vor. Doktor Stamm iah mit unverhehltcr Bewunderung in das Gesicht der reizenden jungen Dame, die ihm einen völlig sachgemäßen Bericht lieferte. Wie schon >eit einiger Zeit zwischen ihr und ihrem Vater Differenzen privater nnd intimer Natur bestanden hätten, wie leider das heftige, ungezügelte Tem perament des Vaters jede ruhige Auseinandersetzung erschwere, ja unmöglich mache, wie seine Gesundheit schon seit Langem untergraben und keinerlei Vorsicht von ihm beobachtet worden sei. und wie eine Disposition zu schlagartigen Anfällen wohl überhaupt vorhanden wäre, die nun durch unvermeidliche Er regung habe zum Durchbruch kommen müssen. Kein Wort zu viel, keins zu wenig. Ein knapper, anschaulicher Kranken bericht. wie ihn Doktor Stamm nicht oft von den Angehörigen seiner Patienten zu hören bekam. Der junge Mann hatte schon während seines ziemlich kurz bemessenen Aufenthalts in P. von Baron von Wulfen als von einem mehr wie sonderbaren Heiligen gehört, wie er sein ganzes Gut — der Park genügte den Leuten natürlich nicht — mit einer endlosen chinesischen Mauer" umgeben habe, um sich und seine Kinder von leglichem Verkehr ab- zuschließen, wie er zu Niemandem käme. Niemanden bei sich empfinge nnd von hinter Sch log und Riegel halte, damit sie kein Unheil unter oer Männerwelt anrichteren. die Andern batten gehört, es seien völlig nucivilisirte Geschöpfe, die in Männerkleidung auf die Jagd gingen, föchten, ruderten, segelten und kaum die Bildung gewöhnlicher Torsmädchen beiäßen, sich auch keineswegs durch irgend welches ungewöhnliche Aenßere anszeichnetcn. Doktor Stamm, wie die meisten stark beichäskigten Menschen nicht im Geringsten neugierig, hatte diese einander wieoerwrechenden Reden ruhig Mit angehört und bei sich gedacht, es würde wohl bas Eine wie das Andere übertrieben sein. Der Kreisphysikus, der hin und her in s Dorf Wulfshageu kam und ihm vielleicht bessere Auskunft hätte geben können, war von galliger Disposition, überdies von einer maßlosen Eifersucht ans den jüngeren Kollegen besessen, der chm vielfach vorgezogen wurde. Tie beiden Aerzte pflegten gar keinen Umgang mit einander und besprachen bei den seltenen Gelegenheiten, die sie zmammensührte», nur das unbedingt Nothwendigste. Jetzt konnte Doktor Stamm, während er vor Nelly stand und ihr zuhörte, sich nicht ver hehle», daß die Verhältnisse der Wultshagener Herrschaften, die bisher unr eine äußerst mäßige Anlheilnahme in chm erweckt hatten, ihn lebhaft zu intereisiren begannen — zugleich war er sich vollkommen der Thatsache bewusst, fortan in den Augen seiner Mitbürger in P von einem gewissen 'Nimbus umgeben zu sein, da es ihm vergönnt gewesen war. den geweihten Bannkreis der „chinesischen Mauer" zu überschreiten. Er hörte schon einen ganzen Schwall sich überstürzender Fragen im Geist um sich Herwirbeln: „sie waren wirklich in Wulsshagen, Doktor? Wie sieht es dort aus?" „Wohnt denn der alte Oger überhaupt wie ein anderer anständiger Mensch?" „Was ^hlt ihm?" „Hat er Sie vorgelassen ? Ihnen Nedc rmd Antwort gestanden ?" kr hat ja alle Aerzte in 'Acht und Bann gethan!" „Nicht wahr, an der rübmten Schönheit der Tochter ist kein wahres W ggrui konnte. , „Wollen Sie denn die Güte haben, mich zu dem Patienten zu b« gleiten?" schloß Nelly endlich ihren Bericht. „Ich bitte ergebenst darum, Baronesse!" Mit ihrer natürlichen Anmnth ging das junge Mädchen voran; vorsichtig austretend. g< äugten Beide alsbald in das Krankenzimmer. „Herr Doktor Stamm - meine Schwester Sylvia!" sagte Nelly. als sich , von dem Stuhl neben dem Koviende des Bettes eine weibliche Gestalt erhob. Tie zweite Schönheit, fürwahr! Nicht jo in die Augen fallend, nicht > so verführerisch und blendend, wie dieie graziöse Goldblondine .... aber ! welch' ein seines, süßes Gesichtchen! Welche wundervollen Augen unter den i lang befranzten Lidern. ! „Ich denke, Para athmet seit der letzten Stunde etwas freier!" begann Sylvia hastig, „er hat sich auch ein paar Mal bewegt und leise gestöhnt, sein Gesichtsansdrnck hat sich ebenfalls günstig verändert, nicht wahr. Nanette?" Ties galt dem Mädchen, das zu Sylvias Hilfe im Krankenzimmer zurückgeblieben und das gleichfalls von seinem Sitz am Fußende des Bettes autgestanden war. „Jawohl, gnädiges Fräulein, ganz sicher!" beeilte sich Nanette zu bestätigen. „Äst Baba sehr krank, Herr Doktor? Ist Gefahr da?" fragte Sylvia in angstvollem Ton. Diese zweite Tochter war bei Weitem nicht so ruhig und sachgemäß, wie die Andere. Welch' eine unvernünftige Forderung an den Arzt, sofort, ohne Untersuchung, eine Diagnose stellen zu sollen. . . eine Forderung, die allerdings die meisten Angehörigen der Kranken an ihn zu stellen pflegten, weil sie in ihrer Angst uni den Patienten den Kopf verloren, mit einem Wort: weil sie den Kranken liebten! Tie schone Blondine war iehr objektiv geblieben. „Ich darf mir noch kein Urtheil erlauben, Baroneß, ich muß den Kranken zuerst genügend beobachte», ehe ich eine Meinung ausipreche!" Doktor ! Stamm hatte sich zu Sylvia gewendet und sprach zu ihr in dem begütigenden, ' sonsten Ton, Len er für ängstliche Berwandte seiner Patienten stets in ' Bereitschaft hatte. „Die getroffenen Maßregeln sind sehr gut gewählt, — kühles Zimmer, ! erhöhte Lage des Kopfes, — Eisumschlägc .... es konnte für's Erste durch aus nichts Besseres geschehen!" „Das hak Nell» so angeordnet, meine Schwester Nelly!" rief Sylvia eifrig. „Tie weiß und versteht von Allem und trifft in icder Lebenslage das Richtige, weil sie so klug ist!" „Kleine, übertreib' doch nicht w!" entgegnete Nelly mit einem halben Lächeln, und, zu dem Arzt gewendet, setzte sie hinzu: „Meine kleine Schwester gehört zu de» Naturen, die immer bewundern, immer sich ein Ideal schaffen müssen, und da wir bicr in unserer Einsamkeit keine Auswahl weiter haben, so muß ich natürlich für das Alles auskommen!" ! Doktor Stamm verbeugte sich. „Die Auswahl könnte noch so reichhaltig sein, das gnädige Fräulein winde sicher bei ihrer Ansicht bleiben I' Daß es auch seine Ansicht war. sagte er nicht, doch es war in Blick und Miene deutlich genug zu leie». Nachdem er solcher Art der Galanterie gegen das reizendste Geschöpf, das seine 'Augen seit Langem gesehen. Genüge gethan, war er fortan nur noch Arzt, neigte sich über den Kranken, untersuchte den Puls, belauschte den Herzschlag, maß die Temperatur, suhlte die Füße an und that dazwischen ein paar kurze, sachgemäße Fragen, die ihm von 'Nelly in derselben Weise beantwortet wurden. Sylvia sprach kein Wort, ihre großen Augen hingen niit beredtem 'Ausdruck an den Zügen des 'Arztes- Der Kranke hatte sich während der mir ihm angestellten Untersuchung unruhig bewegt, die Augen anfgeschlagen, auch mit der rechten Hand einige Bewegungen der Abwehr zu machen versucht, die der Doktor mit großer Gelassenheit ignorirte. „Ich werde Einiges aussä,reiben!" sagte er jetzt, sich aufrichtend. mit einem Blick nach dem Nebenzimmer. „Ich finde wohl dort alles dazu Noth- wendige?" Er gab Nanette einen Wink, einstweilen Sylvias Platz am Krankenbett einzunehmen, und forderte die beiden jungen Mädchen mittels einer verbindlichen Handbewegung aus, ihm in das Arbeitszimmer des Barons voranzugehen. „Es ist durchaus keine unmittelbare Gefahr vorhanden!" begann Doktor Stamm in gedämpitem Ton. die Thür zwischen den beiden Zimmern zur Bvrsicht noch fest schließend. „Ihr Herr Vater ist noch kein alter Herr und ersieut sich einer bewunderungswürdigen kraftvollen Konstitution. Diese Schlcigderührung dürfte in wenigen Tagen bei einiger Schonung vollständig überwunden sein, und eine Wiederholung wäre bei vernnnstgemäßem Lebens wandel ebenfalls snr's Erste nicht zu befürchten. 'Nur " der Sprecher hielt zögernd inne. Sein im Zimmer nmherichweifender Blick hatte in einer Ecke des Zimmers einen viereckigen kleinen Tisch, einen sogenannten Bauern tisch. entdeckt, aus welchem eine kleine Kollektion von Weinflaschen stand. Grau, mit den Gewohnheiten seines Gebieters seit Langem vertraut, hatte für die Heimkehr desselben die beliebtesten Sorten, von denen stets großer Borralh da sein mutzte, bereit gestellt, und ein paar benutzte Gläser, sowie zwei halb- oelcerte Flaschen bewiesen, daß der Baron in der kurzen Spanne Zeit, ehe er Frau Starke bei sich empfing, zu seinem gewohnten Mittel gegriffen hatte. > Nelly und Sylvia waren dem Blick des Arztes gefolgt. Elftere zuckte eia ' wenig mit den Schultern, wie um anzudeuten, daß sie dagegen machtlos sei, hilfloser Verlegenheit die Augen. wahres Wort?" „Verstehen sich Sylvia senkte in Beschämung und Belletristische Sonntags-Beilage zu den „Dresdner Nachrichten". Seite VS. „Verzeihen Baroneß dem Arzt" — der Tottor betonte das Wort stark — .eine offene Frage, deren Beantwortung für seine Beurthcilung des Kranken von Wichtigkeit ist! Gehört es zu den täglichen Gewohnheiten Ihres Herrn Bakers, sich einen solchen Tisch in sein Zimmer stellen zu lassen?" Sylvia blieb stumm und ließ das Kövfchen hängen: Nelly. an die sich der Arzt mit seiner Frage gewendet hatte, antwortete ein unnmwnndencs: „Ja — leider!" „Und die jungen Damen könnte» ihn nicht dahin beeinflussen, diese schädliche Gewohnheit bedeutend einzuichräiikcn, sogar für eine Zeit lang im Interesse seiner Gesundheit ganz aufzugeben?" Wieder war cs Nelly, die antwortete, und wieder that sie es mit voll kommener Offenheit. „Wir haben gar keinen Einfluß aus Papa. Wir sehen einander so wenig wie möglich, und unsere Beziehungen sind die losesten. Irgend einer von uns ausgesprochenen Bitte Folge zu geben, würde ihm niemals einfallcn." „'Auch nicht, wenn diese Bitte lediglich ihn selbst und sein eigenes Wohl befinden zum Gegenstand hätte?" „Auch dann nicht!" Doktor Stamm enthielt sich einer Kritik der ihm gewordenen Mittheilnng. Er wandte sich dem Schreibtisch zu, aus welchem Nelly Papier und Schreib- geräth für ihn in Bereitschaft hielt. Die Feder schon in der Hand, hielt er nochmals iime. „Es ist mir gesagt worden — ich kann in keiner Weise dafür die Ver antwortung übernehmen! — daß Herr Baron ein liesgewurzeltes Mißtrauen in den ärztlichen Stand setzt und für seine Person nichts mit demselben zu thun haben »rockte ... . darf ich mir erlauben, zu fragen, ob sich dies thalsächlich so verhält?" „'Allerdings!" entgegnete Nelly. „Meinen Barone», Ihr Herr Vater würde Von den von mir verordnetcn Medikamenten keinen Gebrauch machen?" „Ich fürchte — nein!" Eine kleine Weile sann Doktor Stamm nach, dann griff er entschlossen zur Feder. „Ich bin als Arzt verpflichtet, meine Schuldigkeit zu thun — ich darf nichts von dem. was ich für nothmendig halte, unterlassen, gleichviel, ob ich an die Befolgung meiner Vorschriften glaube oder nicht. Etwas von den von mir verichriebenen Medikamenten kann ohne Schaden in den Wein gemischt werden, die Pulver in die kühlende Limonade, die ich ihm hinzusteUen bitte. Im klebrigen Ruhe — keine neuen Aufregungen vorläufig, keine Aus einandersetzungen, auch wenn die Sprache sich überraschend schnell wieder finden sollte. Das Bewußtsein ist bereits jetzt zum Tbeil wiedcrgekehrt. nnd nach meiner Beurthcilung des Falles wird der Patient sehr bald wieder hergestellt sein!" 17. Kapitel. Egon von Pemyczervski saß, den Kopf in die Linke gestützt, am Tisch in seiner Loggia und sann. Zeitungen lagen regellos über die ganze Platte des großen Tisches verstreut, allerlei Zmendungen unter Kreuzband, die die Morgenpvst gebracht hatte, waren mit heftiger, nervcher Hand mechanisch aufgerissen und ungelesen bei Seite geworfen worden. Die Kaffeetasse war bald geleert, der Inhalt erkaltet, das Gebäck unberührt geblieben. Bon der Cigarre, die in der niedcrhängenden Rechten lose zwischen zwei Fingern hing, mochten kaum ein halbes Dutzend Züge geraucht worden sein. — Draußen hatte sich ein ideal schöner Sommermorgen entfaltet. Mild, ohne heiß zu sein, hauchte die Luft, die Sonne strahlte nnd wärmte, aber sie brannte nicht, ein kaum merklicher WindeSbanch strich wie ein scheuer, ver stohlener Kuß über Blumen, Gräser und Gesträuche. Die standen Alle noch, soweit sie un Schatten waren, im funkelndem Perlengeichmeive des stark niedergcsuiikenen Morgenthanes, jetzt zuckte ein Sonnenstrahl über sie hin und entfachte im Nu ein augenblendenScs Feuer, ein buntes Blitzen und Rieseln, so daß dieser ganze Theit des Gartens wie ein Juwelenband erschien, das in allen Farben glitzerte. Schmetterlinge flogen mit weichem, gaukelndem Flügel schlag darüber hin. Bachsteizchen trippelten kokett in den Wegen, ein Paar eilige Schwalben, die nicht zeitig genug unter den Dachfirst in's 'Nest zu ihren ewig hungernden Jungen kamen, streiften mit flinker Schwinge an den Blumen hin. daß ein leuchtender Tropfenfall nmherstob. die hohen Bäume, von der Sonne voll getroffen, ließen sich die Wärme bis in's Herz dringen; die ganze Natur schien langsam nnd wohlig zu athme». Pernyczewski, ein beinahe leidenichasilicher 'Naturfreund und feinsinniger Beobachter jedes Reizes, den sie, „seine beste Freundin", wie er die Natur oft nannte, in ibrer unerschöpflichen Fülle bot, hatte heute keinen Blick für das lachende Bild, das sich vor ihm entrollte. Die Augen trübe gesenkt, die Llirn gefurcht, einen müden, gequälten Zug um die Lippen, sah er aus. als hätten die letztvergangenen Tage ihn um Jahre gealtert. Ein rascher Schritt. der hinter ihm laut wurde, ließ ihn emporfahre», halb erschrocken, beinahe etwas schuldbewußt, halb auch erleichtert, daß er lischt länger aus seine eigenen, traurigen Gedanken angewiesen blieb. Günlyer von Döhlen, kräftiger, frischer, gebräunter als zur Zeit seiner Ankunft in Krossau, trat mit einem frischklingendcn: „Guten Morgen!" an den einsam Dasitzenden heran, wars einen Blick auf das erkaltete Frühstück, die achtlos umvergcstrcntcn Zeitungen, die kaum angerauchre Cigarre, und fügte seiner Begrüßung ein vorwurfsvolles: „Aber, Onkel Egon!" hinzu. Der Getadelte seufzte. „Es schmeckt mir nun mal nicht, ich weiß auch nicht, was ich lese, es inlereisirt mich nicht!" „Aber, lieber Onkel, ist denn das nun vernünftig?" Pernyczewski lächelte schwach. „Gar nicht, lieber Günrher! Ich erhebe gar keinen Anspruch darauf, mich vernünftig zu benehmen." „Wenn das ewige Grübeln Dir nur etwas helfen möchte!" Günther zog die Kaffeekanne zu sich heran, hob den Deckel auf und blickte hinein. „Es ist wohl Alles kalt geworden, Gnnthcrchen I Laß Dir nur stäche» Kaffee kommen, ich hatte vergessen —" „Ach. schadet ja nichts! Wenn Alles so leicht zu redressiren wäre wie das!" beruhigte Günther, indem er zur Thür ging. Hermann I" rief er hinaus, und als der Diener mit einem höflichem Mvrgengruß «schien, setzte der Maler lachend hinzu: „Gleichfalls guten Morgen, Hermann! Sic haben vermnthlich schon gestühstiickt?" Ter Bediente lächelte etwas verlege». „Ich — allerdings — ich bin so frei gewesen, unten, mit den Leuten I" „Wohl bekomm es Ihnen! Aber ich war noch nicht io frei und habe große Lust, es Ihnen nachzuthnn! Nehmen Sie 'mal hier die Kanne, so. und wem, Frau Kunnwsky mir statt des schlechten, kalten Restes, der da drin ist, eine neue heiße 'Auflage durch Sie herauffchickc» möchte, so würde ich ihr zu außerordentlichem Tank vervflichtet fein!" „Sehr wohl, Herr von Dohlen!" Mit einer Verbeugung entfernte sich Hermann, die Kaffeekanne zärtlich im Arm haltend. Günther behielt seinen etwas forcirten Humor bei. als er händereibend zu seinem Onkel an den Frühstückstisch zurückkehrte. sich ihm gegenüber setzte und ein paar lustige Bemerkungen über Frau Kunowsky. die polnische Wirthin. und Hermann, den deutschen Bedienten, zum Best«« gab, — die Beiden, die offenbar eine Art von platonischer Liede für einander hatten. nnd zwar bereits seit Jahren! Tie ganzen letzte» Tage hindurch war Günther krampfhaft bemüht gewesen, fidel und unterhaltend zu sein, was seiner mehr nach Innen gerichteten Natur ziemlich schwer Hel. Aber er hatte Onkel Egon lieb und mußte Alles dazu thun. ihn leinen trübseligen Gedanken zu entreißen. „'Nur ihn nicht allein heiumsitzen und grübeln lassen, das ist Gift für ihn!" sagte er zu sich selbst, nnd er war fast den ganzen Tag um ihn, ritt mit ihm in die Felder nnd zum Dammdurchstich, an dem die Arbeiten rüstig vorwärtsschritten. diese Arbeiten, von denen Günther kein Iota verstand und die er sich doch immer wieder ausführlich erklären ließ, bios. damit der Onkel rede» mußte I Er malte wenig, er las dem Oheim die Zeitungen vor oder ließ ihn leien, er spielte sogar Bezigue mit ihm, m seinen Angen eine schauderhafte Zeitverschwciidnng und Geistesabtödtung. wie überhaupt jedes Kartenspiel . . . handhabte es freilich auch dafür so erbärmlich schlecht, daß Herr von Pernyczewski halb entrüstet, halb lachend «klärt Halle, ihm sei in scinein ganzen Leben noch nie ein Mensch unt so wenig Kartenverstand vorgekvmmen, und Las viel müsse aushören, solle « nicht "eßen — Entenjagd — das Gallenfieber darüber bekommen. Parfvrceritte — Silles, was der ritterliche Oheim mit Wonne und der nnritter- lich 'Neffe mit stillem Abscheu betrieb, nnternahmen sie jetzt gemeinsam, aber den Schlaf seiner 'Nächte konnte Günther dem Onkel nicht ablreten, ebenso wenig war cs ihm möglich. >ede Minute des Tages um ihn zu sei», so daß Pernyczewski doch so manche Gelegenheit fand, herumzusitzen nnd zu grübeln. Eben jetzt war es wieder geschehen, das sah Günther mit einem halbe» Blick, und seine sarkastischen Bemerkungen über das platonische Liebespaar im Souterrain des Krossau« Schlosses entlockten dem Besitzer dieses Schlosses nicht mehr als ein schattenhaftes Lächeln. „Tu hast nichts von deni 'Allen durchgeschen, Onkel Egon ?" Der Maler machte eine Kopfbewegung nach den unihergestteuten Zeimngeu und Druck sachen. „'Nein. — Ich habe Nicolas' Brief wieder gelesen!" „Zum wievielten Mal wohl?" „Weiß ich nicht! Habe ich nicht gezählt." „Daß Tu ihn beständig mit Dir hernmträgst! Wenn ich Dir das corpns äelicti blos konsisziren könnte I Und ihn immer wieder zu leien, hat absolut keinen Sinn für Dich, Tu mußt ihn ja längst auswendig wissen, lang ist er ja nicht!" „'Nein, aber ui» so inhaltreicher!" „Möchtest Tn ihn nur noch einmal zu lesen geben?" „Damit Tu Gelegenheit bekommst, ihn mir zu tonfisziren? Nein, lieber Günther! Ich bin sonst kein Sammler von alten Brieten, durchaus nicht, aber diesen Brief meines Sohnes Nicolas werde ich mir aufvewahren, weil ich mit ziemlicher Bestimmtheit annehme, daß es für lange Zeit der letzte sein wird, den er mir schreibt!" „Onkel Egon, Tu denkst doch nicht im Ernst daran, daß ich Dir de» Brief forlnchmen werde, wenn Tu ihn zu behalten wünschest?" Pernyczewski hatte ein melancholisches Lächeln, das seinem offene», liebenswürdigen Gesicht seltsam stand. 'Wir werden ihn miteinander nochmals lesen!" sagte er beschwichtigend. Er fuhr in seine Bnisltaschc und holte den Brief heraus, der auf elegantem Papier, dick wie Leder, eine charakteristische Handschrift zeigte: lateinische Buchstaben, nachlässig hingewvrsen, aber Schwung und großer Zug darin. „Lieber Vater! Tu bist an Ueberraichniigen mancher Art durch mich im Verlauf lang« Jahre gewöhnt worden. Du hast es auch des Oesleren gegen mich aus gesprochen, Du würdest Dich nicht wundern, wenn ich eines Tages ganz unvermnthet unser Beisammensein abbräche und ans- und davonginge, da feste Lebenspläne und bestimmt vorgezeichnele Bahne» nun einmal mit meinen! ganzen Wesen unvereinbar seien. So wird eS Dich vielleicht nicht sehr überraschen, wenn ich Dir durch dielen Bries sage, daß ich aUecdings gehe, — vermnthlich auf längere Zeit. Wohin — weshalb — mit wem — ich möchte es für's Erste nicht sagen . . vielleicht auch später nicht I Du hast mich zur Selbstständigkeit erzogen. Du hast gewünscht, ich möge mich daran gewöhnen, nur mir allein Rechenschaft über mein Thun nnd Lassen abzulegen ... es ist nach dieser Richtung hin im Lause meiner geistigen Entwickelung wohl nach Deinem Ermessen zuviel geschehen .... jedenfalls, geschehen ist es einmal! Ich kenne eS nicht anders, als ungefragt, unbehelligt und un beeinflußt meine Wege zu gehen, — so auch letzt l"
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