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WISSENSWERTES Samuel Lampel - Lebensspuren Samuel Lampel wurde 1884 in Berlin geboren. Im dortigen Scheunenviertel, in dem viele jüdische Einwanderer lebten wuchs er bei Pflegeeltern auf. Mit elf Jahren erhielt er einen Platz an der jüdischen Gartenbauschule Hannover-Ahlem, an der er später nach dem entsprechenden Studium selbst zehn Jahre lang als Lehrer wirkte. Leidenschaftlich unterrichtete er, betreute die Schüler in der Freizeit und sorgte für musikalische Angebote, unter anderem in einem Chor. Zugleich spürte er, dass sein Weg auf Dauer ein anderer sein würde. Er wollte Kantor (Chasan, Vorbeter) an einer Synagoge werden. Alfred Rose (1855-1919), der langjährige Chordirektor der Synagoge in Hannover, ermutigte ihn, sich als Komponist synagogaler Musik zu betätigen. 1914 erfüllte sich Lampels Wunsch, als er an der liberalen Gemeindesynagoge in der Leipziger Gottschedstraße, im sogenannten Tempel, eine Anstellung fand, wenn auch zunächst nur als Hilfskantor. Erst 1920 wurde er Hauptkantor, sieben Jahre später Oberkantor. Sein Arbeitsfeld war vielfältig. Er sang als Vorbeter in den Gottesdiensten an Werktagen, zum Schabbat und zu Festtagen. Er gestaltete feierliche Anlässe in der Synagoge und in den Vereinen der jüdischen Gemeinde. Er organisierte Konzerte und Führungen in derSynagoge, konzipierte Rundfunksendungen und schrieb Presseartikel über Synagogenmusik. Lampel schuf zahlreiche liturgische Kompositionen und Bearbeitungen für den Gottesdienst seiner Gemeinde. Den Bemühungen des Rabbiners Felix Goldmann (1882-1934) ist es zu verdanken, dass die Werke veröffentlicht werden konnten: 1928 erschien eine Sammlung von 57 Musiken für die Schabbat- und Festtagsliturgie für Kantor, gemischten Chor und Orgel im Verlag von Moses Wolf Kauffmann in Leipzig mit dem Namen „Kol Sch'muel" - die Stimme Samuels. Eine solche Sammlung konnte nicht am Schreibtisch allein entstehen. Sie lebte von der Unmittelbarkeit der Gottesdienste und Konzerte in der Synagoge. Sie war von seiner eigenen Tätigkeit als Kantor geprägt und nahm den Klang und den Atem des Synagogenchores und der Orgel auf, die ihm hier im Leipziger Tempel zur Verfügung stand: Die 1868 in die Synagoge gebaute Ladegast-Orgel war 1898 durch die Firma Sauer umgebaut worden. Anfangs musste er manche Skepsis unter Besucherinnen und Besuchern der Gottesdienste überwinden. Er brauchte Geduld. Aber die Zeit gab ihm recht. Die Sammlung verbreitete sich auch in anderen jüdischen Gemeinden wie Hamburg, München und Nürnberg. In seiner Rezension in der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung vom März 1928 empfahl der Münchner Kantor Emanuel Kirschner (1857-1938) die Sammlung „jenen Gemeinden und Kantoren, denen die künstlerische Ausgestaltung des jüdischen Gottesdienstes am Herzen liegt". 1939 war im Jüdischen Nachrichtenblatt zu lesen, dass die Sammlung „in jüdischen Gemeinden selbst ferner Länder Eingang und starken Anklang gefunden" habe. Ein Exemplar gelangte sogar an die Hebräische Universität Jerusalem. Im November 1938 musste Lampel erleben, wie seine langjährige Wirkungsstätte, die Synagoge in der Gottschedstraße, zerstört und abgerissen wurde. Wenige Monate später übernahm er in der Synagoge Keilstraße, die wiederhergerichtet worden war, Kantorentätigkeit und Rabbineramt, bis die Synagoge im Juni 1942 geschlossen wurde. Im Juli 1942 wurden Lampel und seine Frau Rosa Richtung Osten deportiert und vermutlich in Auschwitz ermordet. Der gemeinsame Sohn Werner hatte 1939 noch nach London ausreisen können und vergebens versucht, für seine Eltern einen Exilort zu finden. Die horrenden Summen, die dafür nötig gewesen wären, konnten nicht aufgebracht werden. Thomas Schinköth (aus dem CD-Booklet)