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Hunqerik dayn ketsele Mordechai Gebirtig (1877-1942) Arr.: Friedbert Groß (*1937) Schlaf, mein närrisches kleines Mädchen, was hast du heute nur? Hungrig ist auch dein Kätzchen und es macht mir gar keine Vorwürfe. Hör, wie es miaut, es redet zu dir: Mädel, lass Mutter in Ruh! Hungrig bin auch ich, das Kätzchen, und ich weine nicht so wie du. Aj lju lju ... Shlof shoyn, mayn orem kleyn meydele, vayl der shlof lindert di noyt. Hungerik iz oych dayn lyalkele un veynt nisht un mont nisht keyn broyt. Lern zikh kind fun dayn lyalkele, veyst vos zi trakht atsind? - Oy vi batribt iz a mamele, ven hungerik iz ir kind. Schlaf, mein armes kleines Mädchen, denn der Schlaf lindert die Not. Hungrig ist auch dein Püppchen und weint nicht und fordert kein Brot. Lerne, Kind, von deinem Püppchen. Weißt du, was es jetzt denkt? Oh wie betrübt ist eine Mutter, wenn ihr Kind hungrig ist. Aj lju lju ... Oyfn veg shteyt a boym Itzik Manger (1901-1969) Arr.: Fredo Jung (* 1949) Oyfn veg steyt a boym, steyt er ayngeboygn, ale feygl funem boym zaynen zikh tsefloygn. Auf dem Weg steht ein Baum, ganz gekrümmt steht er, alle Vögel sind von dem Baum weggeflogen. Dray keyn mayrev, dray keyn mizrekh un der resht - keyn dorem, un dem boym gelozt aleyn hefker farn shturem. Drei nach Westen, drei nach Osten und der Rest nach Süden, und der Baum steht ganz allein herrenlos im Sturm. Zog ikh tsu mayn mamen: Her, zolst mir nor nit shtern, vel ikh, mame, eyns un tsvey, bald a foygl vern. Ich sag zur Mutter: Höre, wenn du mich lässt, will ich, eins-zwei-drei, bald ein Vogel werden. Ikh vel zitsn oyfn boym un vel im farvign ibern vinter mit a treyst, mit a sheynem nign. Ich will auf dem Baum sitzen und ich will ihn wiegen, ihn über den Winter trösten mit einem schönen Lied. Zogt di mame: Nite, kind! un zi veynt mit trern, vest kholile oyfn boym mir farfroyrn vern. Die Mutter sagt: Tu's nicht, mein Kind, und sie klagt mit Tränen, auf dem Baum wirst - Gott bewahre - du mir doch erfrieren. Zog ikh: Mame, s'iz a shod dayne sheyne oygn, un eyder vos un eyder ven, bin ikh mir a foygl. Ich sag: Mutter, es ist schade um deine schöne Augen, und vor allem Was und Wenn werde ich längst ein Vogel sein. Veynt di mame: Itsik, kroyn, ze, um gotes viln, nem zikh mit a shalikl, kenst zikh nokh farkiln. Die Mutter weint: Itzik, Schatz, um Gottes Willen, nimm dir einen Schal mit, wirst dich sonst verkühlen. Di kaloshn tu zikh on, s'geyt a sharfer vinter, un di kutshme nem oykh mit, vey iz mir un vind mir. Zieh die Stiefel an, der Winter ist kalt, die Pelzmütze nimm auch mit, mir ist bang und weh. Un dos vinterlay bl nem, tu es on, du shoyte, oyb du vilst nit zayn keyn gast tsvishn ale toyte. Und nimm das Winterleibchen, zieh es an, du Dummer, wenn du kein Gast unter den Toten sein willst. Kh’heyb di fligl - s’iz mir shver, tsu fil, tsu fil zakhn hot di mame ongeton ir feygele, dem shvakhn. Ich heb die Flügel - das geht schwer, viel zu viele Sachen hat die Mutter ihrem schwachen Vögelchen angezogen. Kuk ikh troyerik mir arayn in mayn mames oygn, s'hot ir libshaft nit gelozt vern mir a foygl. Ich schaue traurig in meiner Mutter Augen, ihre Liebe hat verhindert, dass ich ein Vogel werde. Oyfn veg steyt a boym, steyt er ayngeboygn, ale feygl funem boym zaynen zikh tsefloygn. Auf dem Weg steht ein Baum, ganz gekrümmt steht er, alle Vögel von dem Baum sind weggeflogen.