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der Zeit in die Stirn gekämmt und ein Paar grauer, scharf spähender Augen blitzten unter den Haaren aus dem Antlitze. Auch um Kinn und Lippen floß ihm grau der Bart, und ein spöttischer Zug zuckte um seine Mundwinkel. Er mochte wohl ein Handelsmann sein, der seinen Vorthcil im Geschäfte zu wahren wußte und gewinnsüchtige Rede mit spöttischer Gegenrede beantworten konnte. Aber wer ihn hier im Kreise der Seinen sah, herzliche Worte und Blicke mit Weib und Kind und dem Gaste tauschend, der konnte wohl merken, daß unter der scheinbar rauhen Hülle ein warmes, weiches Herz dem Manne schlug. Fröhlich war das Mahl, das die Vier mit einander feierten. Unter den Scherz- rcden des Wirthcs vergaß Günther die Sorgen, die sein Herz quälten, und konnte herzlich sich freuen an dem silberhellen Lachen Negincns, die ihre ganze Ausgelassenheit wiedergewonnen hatte. Nur wenn zufällig ihre Blicke denen des Mönches begegneten, senkte das Mädchen crröthcnd die Augen und wußte sich viel zu thun zu machen mit der leinenen Decke, die über dem Tische lag. Nie aber, meinte Günther, sei ihm Regina lieblicher erschienen, als in solchem Augenblicke. So schwanden unter fröhlichen Gesprächen rasch die Stunden. Endlich erhob sich Günther von seinem Sessel. „Ihr werdet müde sein, Peter", begann er, „und ich halte Euch von der erwünschten Ruhe ab." Damit erhob er sich und wollte gehen. „Nur einen Augenblick verweilt noch", bat Peter; „bald hätte ich über allem Schwatzen das vergessen, was mitzubringen ich Euch bei meiner Abreise gelobt." Eilends sprang er zur Thür hinaus auf den Vorsaal, wo Kisten und Kasten standen, die die Knechte von den Wagen geladen hatten. Den Deckel eines der Kasten hob er in die Höhe und nahm einen Gegenstand heraus. Fast mochte es scheinen, als ob cs ein Büchlein wäre, das drückte er Günther in die Hand. „Dankt nicht", wehrte er ernst ab, als Günther einige Worte sagen wollte, „prüft erst, ob die Gabe Euch zur Freude oder zum Leide werde!" Die Männer drückten sich stumm die Hand; mit kurzen Worten ver abschiedete sich Günther von den Frauen; dann öffnete ihm der Hausherr selbst die Thür, noch ein „Schlaft wohl" und durch die dunkle Nacht kehrte Günther zum Kloster in sein Gemach. Hastig schritt er auf den Tisch zu, auf dem die sorgcndc Ursula das Wachslicht längst entzündet. Er nahm die Gabe, die ihm Peter gegeben, aus den Falten seines Mantels; scheu blickte er um sich, ob ihn Jemand belausche; dann las er halblaut die Aufschrift des Büchleins, denn ein solches war es wirklich; „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung." „So halte ich endlich in den Händen eine Schrift des Mannes, der jetzt in Aller Munde lebt", fuhr er freudig erregt empor, „und kann nun selbst prüfen, ob jener viclgcschmähte und viclbewunderte Mann Wahrheit redet oder Lüge. Und doch" — dic Hand mit dem Büchlein sank ihm zur Seite nieder — „scheint unwichtig mir jetzt diese Sorge über dcr größeren, die mein Herz in unendlicher Angst zittern macht. Denn nun weiß ich, was mir den Frieden meines Herzens geraubt, was mich so unwiderstehlich immer wieder auf's Neue zu Peters Hause gezogen hat. Ich meinte, cs wären dcr Wittenberger Nachti gall — wie Hans Sachs der Schuster den I)r. Luther nennt — neue Weisen, dic ich dort im Pctcr'schen Hause klingen hörte, dic mich stets auf's Neue dort hin lockten — ach eine andere Nachtigall noch hörte ich dort singen, dic bannte mir, ohne daß ich wußte, Herz und Gedanken durch ihre Zauberwcise. Nun aber weiß ich's. Lieber denn mein eigen Leben ist mir jenes blonde Mädchen geworden. Nicht um die Güter dcr ganzen Welt tauschte ich die Seligkeit, die ich empfand, als sie heut' ihre Arme um mich schlang und ihre Lippen meinen Mund berührten. — Und doch steht sie über mir wie die liebe Sonne über der Erde, unerreichbar, auf immer mir verloren, der ich gebunden bin durch dcr Kirche strenge Regel, dic ich bcschworcn. Einsam muß ich hier wandern meine Bahn, so will cs Gott, so will es seine heilige Kirche, so habe ich cs selbst gewollt!" Er war in tiefer Bewegung an das Fenster getreten und starrte hinaus in das Dunkel dcr Nacht. „Kein freundlicher, tröstender Stern ist am Himmel zu sehen", seufzte er; „so sind auch mir im wilden Treiben der Gedanken dic Hoffnungsstcrnc dcs Lebens alle erloschen. Heilige Jungfrau Maria, Du lichte Himmelskönigin, heile Du gnädig Deines Kindes blutend Herz!" Und im Uebcrmaßc dcs Schmcrzcs sank er in dcn Sessel, der am Fenster stand, das Haupt in beide Hände bergend. Noch lange leuchtete das Licht aus Günthers Stube in die Nacht, und der Wächter, dcr die Mitternacht rief, meinte kopfschüttelnd; „Er wird sich noch krank machen, Ler gute Herr, mit seinem ewigen Forschen nach dcr schädlichen oder heilenden Kraft der Kräuter und doch thut er Alles den Armen und Kranken zu Liebe. Die Heiligen mögen ihn schützen." Aus deni Fenster dcs Obergemaches aber in Peters Hause spähten zwei blaue Mädchenaugen nach dem Lichtschein« im Kloster hinüber, ein heißes Köpfchcndrückte sich an dic runden, kalten Glasscheiben, und verlangend streckten sich zwei weiße Arme gegen das Licht, das vom Kloster herüber leuchtete. Kein Wort entfloh den Lippen des Mädchens; aber Thräne aufThräne fiel aus ihren Augen, bis barmherzig der Schlaf dic vom Weincn müden schloß. Und vom Himmel hernieder rieselte unaufhörlich der Schnee, hier Berge thürmend, dort tiefe Hohlwege ebnend, Alles aber mit weißem Schleier ver hüllend. — 4. In der Capelle. Das Weihnachtsfcst des Jahres 1524 war erschienen. Immer ncucSchncc- masscn hatte der Winter übcr die Erde gebreitet. Fußhoch lagen sic auf den Wegen, die Tannen im Walde bogen sich tief unter ihrer Last, auch manch' junges Bäumlein lag geknickt von ihnen am Boden und hungrig streiften die Thicre des Waldes bis an dic nahen Dörfer, in den Gärten oder Ställen zu suchen, was ihnen das Leben fristen konnte. Ja auch dcr Mensch hatte die wilden Naubthierc zu fürchten. Manch einsamer Wanderer, der mühsam durch den hohen Schnee sich Bahn brach, kehrte nicht wieder zu dcn wartenden Seinen in dic Hcimath; Wölfe und Luchse, deren es damals noch genug in der Gegend gab, hatten den Müden überfallen und zerrissen, sodaß man nur noch zu Zweien oder Dreien, mitAexten oder Beilen wohl bewaffnet, einen Gang über Feld wagte. Aber gefährlicher noch als die Thiere schienen die wilden Gesellen, die in großer Zahl, oft zu vier und fünf, in dcn Dörfern erschienen, unheimliche Menschengestalten in zerrissenen Kleidern, dic Füße oft nur in Lumpen gehüllt, mit wirrem Bart- und Kopfhaare und tiefliegenden Augen, aus denen Hunger und wilder Trotz leuchtete. Nicht dcmüthig bittend erschienen sie an dcn Thürcn der Kleinen wie auf den Höfen der Großen. Trotzig fordernd klopften sie an, ihren Forderungen oft Nachdruck gebend durch sausende Lufthicbe, die sie mit schweren Eichenstöcken führten, oder durch unmißverständliche Drohungen mit dem feurigen Hahn. Mürrisch und unzufrieden, oft mehr verlangend, nahmen sic die Gabe, die ihnen die geängstigten Dorfbewohner reichten. So zogen sie durch dic Dörfer wie die Sturmvögel, die Vorboten einer viclbewcgten Zeit, dem Thüringer Lande zu, dort solle cs, wie sic sagten, bald Arbeit für ihre Hände geben. Gar mancher Bauersmann, dessen Thür sie begehrend nahten, schlug das Kreuz, wenn er sie kommen sah und athmete froh aus, wenn die trotzigen Gesellen seinen Hof wieder verlassen hatten. Aber so manche Thür öffnete sich auch willig den Fahrenden, und begierig vernahm man aus ihrem Munde die Erzählungen von dcr Noth und dcr Unzufriedenheit dcr Lcute in anderen Gegenden, von der Härte und Grausamkeit dcr adligen und geistlichen Herren, von der Sehnsucht nach Freiheit unter dem geknechteten Volke, von den Vorgängen in Wittenberg; vor Allem aber schenkte man ihnen offenes Ohr, wenn sie von dcr heimlichen Bewegung meldeten, die unter den Bauern und Arbeitern im Thüringschen herrschen sollte. War auch viel Falsches und Er logenes dabei, es wurde gern für richtige Münze genommen, weil man im Stillen dieselben Hoffnungen trug, denen Jene Worte gaben. (Forts, folgt.) Ein Königs-Cartell. In dem erbitterten, aber schließlich glücklichen Kriege, den König Christian I V- von Dänemark am 4. April 1611 in Kopenhagen unter Paukenschlag und Trompetenschall seinem Gegner Carl IX. von Schweden seierlichst ankündigtc, kam Letzterer, nachdem Christian dic Stadt Calmar eingenommen hatte, auf dcn seltsamen Gedanken, dcn Kricg durch ein Ducll mit Jenem zum Austrag zu bringen. „Und traute seinen alten Gliedmassen noch wohl so viel zu, daß Sie einem jungen frischen Könige von Dänemark — Carl war 61, Christian 34 Jahre alt — mit dem Gewehr in der Faust begegnen und gegen Lcn- sclbigen ein Ducll bestehen sollten." Solcher Gestalt, so berichtet der Chronist, forderte dcr alte Leue") den jungen Elcphanten heraus (seynd Worte des Herrn von Rosch) zu einem persönlichen Alleingefechte, durch einen Fehdcbricf in deutscher Sprache also: Wir Karl IX., von Gottes Gnaden der Schweden, Gothen und Wenden rc. rc. König, lassen Euch Christian IV. zu Dennemark wissen: Daß Ihr nicht gehandelt, wie einem ehrlichen Könige zusteht, indem Ihr sonder Ursache gebrochen habt den fürstlichen Frieden und Vertrag, so zu Stettin vor 40 Jahren zwischen den beiden löblichen Königreichen, Schweden und Dennemark, aufgerichtct worden. Ihr seid mit Eurer Krieges Macht vor unsere Festung Calmar geruckt; Habt erst lich die Stadt eingenommen, hernach das Schloß, ingleichen Orland und Borg- Helm, wodurch Ihr ein Blutbad gestistet, das nicht so bald wird zu stillen seyn. Aber wir hoffen, der Allerhöchste Gott soll Euren Uebermuth rächen und straffen. Nachdem wir nun bisher Euch allerhand Christliche Mittel vorgeschlagen, die wir nur haben können erdenken; Ihr aber selbige stets ausgeschlagen, so legen wir *) Schweden führt bekanntlich zwei Löwen im Wappen, Dänemark als Ab zeichen auch einen Elephanten-