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fie die Kranken im Dorse unterstützte, denen sic die Leiden mit mancher er quickenden Gabe milderte, während sie die Traurigen mit herzlichen Worten tröstete. Am Fenster des Zimmers aber, der Mutter den Rücken zuwendcnd, stand das einzige Töchterlein, das der Himmel der Frau Elisabeth und ihrem Manne in ihrer langen Ehe geschenkt und das sie in der Taufe Regina genannt hatten, ein hoch und schlank gewachsenes Mädchen von achtzehn bis neunzehn Jahren, das in die Dunkelheit hinausspähtc. Frei lich hatte Regina heut sich geschmückt. Ein Nock aus feinem dunkelbraunen Tuche fiel bis an die Knöchel in reichen Falten hernieder; kunstvoll war er mit seidener Stickerei gesäumt. Ein Mieder von derselben Farbe ließ die weiße Linnenblouse sehen, die züchtig bis zum Halse hinaufreichte, um den eine schwere goldene Kette geschlungen war. Aber das Köstlichste an der ganzen Erscheinung war das goldige Haar, das in zwei langen Zöpfen über den Rücken hinabfiel, und als das Mädchen jetzt ihren Kopf wandte, da leuchteten ein Paar blaue Augen hell zur Mutter hinüber. Ja, sic ward nicht mit Unrecht die schöne Regina in der ganzen Gegend genannt. „Siehst Du noch immer Nichts?" hatte die Mutter eben gefragt. „Gar zu lange bleibt doch heute der Vater aus und sicher hatte er mir versprochen, das Martinsfest wie alljährlich bei uns zu feiern. Ist doch heute der Tag, wo er vor Jahren mich hcimführte als seine Frau. Wenn nur das böse Wetter ihm den Weg nicht verweht hat und er in der Dunkelheit irrt. Den ganzen Tag hat mich die Sorge um ihn nicht verlassen." „Wie Du Dich gleich ängstigst, lieb Mütterchen", entgegnete Regina freundlich und trat zu dem Lehnstuhle heran. „Keiner weiß wohl genauer Weg und Steg meilenweit umher als er, und dazu hat er die beiden Knechte mit und vor allen Dingen Pluto, den treuen Hund, der auch in ärgerem Wetter schon den Weg sicher gefunden. Nein, ich meine, daß dcr Weg wohl wieder so schlecht sein wird, daß die Wagen nur mühsam Schritt für Schritt vorwärts kommen können, und Du weißt ja, daß der Vater Wagen und Pferde den Knechten allein nicht überlassen mag. Zu dem sprach er nicht bei seinem Abschiede von einem wichtigen Geschäfte, das er in Nordhausen bei seiner Rückkehr aus dem Thüringschen abschließcn wolle? Wenn nun dieses ihn länger aufgehaltcn, als er zuvor gemeint?" „Du hast Recht, liebes Kind", meinte Frau Elisabeth. „Es ist thöricht, daß ich mich unnütz mit Sorgen um den Vater abquäle; er steht ja überall in Gottes Hut." Regina kehrte ans Fenster zurück und Stille herrschte im Zimmer wie zuvor. — Plötzlich wandte sich das Mädchen eilends um. Durch die Dämmerung hatte fie eine hohe Gestalt in weitem Mantel die Anhöhe hinanfkommen sehen. „Mutter, er kommt!" so jauchzte sie in Heller Freude, und ehe die Mutter ein Wort entgegnen konnte, war das Mädchen aus der Stube hinaus, hatte den schweren Holzriegel von der Hausthür zurück gezogen und schlang dem Mann, der an der Schwelle stand, die Kapuze gegen das Schneetreiben weit über den Kopf gezogen, beide Arme um den Hals. „Willkommen, Väterchen, daheim! Gelobt sei Gott, daß Du wiedcr bei uns!" rief das fröhliche Mädchen und drückte ihre Lippen gegen dcn Mund des Mannes. Aber in demselben Augenblicke ließ fie dcn Um schlungenen los und hielt beide Hände vor ihre Augen; denn aus dem Munde des Wanderers klang cs dem Mädchen — es hätte vor Scham in die Erde sinken mögen: — „Ihr irrt, Jungfer Regina, ich bin nicht Der, welchen Ihr erwartet!" Auch den Fremden hatte die unerwartete Begrüßung überrascht; c'r bewegte sich nicht von der Stelle. So standen die Beiden stumm einander gegenüber. „Warum kommt Ihr nicht herein?" rief Frau Elisabeth aus dcr Stube. „Lang ist mir die Zeit geworden, mein Peter, seit Du von mir gingest. Peter! Regina!" — Die Worte der Frau gaben dem Fremden in der Hausthür Leben und Sprache wieder. „Vergebt", begann er, „Frau Elisabeth, dem späten Gaste. Von Weitem sah ich das Licht in Eurer Stube glänzen; ich wähnte Herrn Peter von der Reise zurückgckchrt, und ihn heute noch zu begrüßcn trieb es mich hierher." Und während er so sprach, war er, den Schnee von seinen Gewän dern schüttelnd und die Kapuze des Mantels zurückschlagcnd, in die Stube getreten. Voll schien das Licht auf die Züge Günthers, die tief gcröthet waren, vielleicht von der scharfen Luft, die draußen wehte, vielleicht von innerer Bewegung. „Seid mir willkommen, hochwürdiger Herr", grüßte den Eingcirctcncn Frau Elisabeth. „Ihr wißt, die Lähmung meiner Füße bindet mich an den Stuhl, sonst wäre ich Euch entgegen gekommen, die Hand zum Will kommen Euch zu reichen- Und Du, Regina" — Erst jetzt merkte sie, daß das Mädchen nicht mit ins Zimmer zurück- gckommen. „Verzeiht ihr", entschuldigte die Frau; „noch jung und unerfahren ist sic und dic Sorgc um dcn Vater hält sie vielleicht noch draußen vor dcr Thür. Legt einstweilen dcn Mantel ab und setzt Euch hier zu mir an dcn Ofen; denn nicht geraden Weges vom Klostcr scheint Ihr zu kommen. Durchnäßt find Euch die Kleider, als ob Ihr weiten Weg in diesem Wetter gethan." „Ihr irrt nicht", entgegnete Günther; „von Trebra komme ich, ein schwer Kranker rief mich heut Nachmittag dorthin, und gewaltige Schnee- massen hat dcr Wind in dem Hohlwege zusammcngefegt, der von hier nach dcr Waldung führt. Doch sorgt nicht meinetwegen; ich bin Solches schon gewohnt." Plötzlich riß Regina hastig die Thür auf: „Sic kommen, Mutter, sie kommen! Deutlich habe ich das Knallen der Peitschen gehört, auch Plutv's Geheul klang dazwischen." Sie war eilig bei diesen Worten ins Zimmer getreten; als sie dcn jungen Mönch erblickte, senkte sic das Köpfchen und verstummte. „Nun Regina!" eiferte Frau Elisabeth, „willst Du dem hochwürdigen Herrn nicht zum Gruße dic Hand geben?" Regina erröthcte. Schweigend trat sie auf Günther zu, aber die Augen suchten dcn Boden, als sie dem Manne die Fingerspitzen reichte; dann war sie flüchtig wiedcr zur Thür hinaus. „Verzeiht dem Kinde", bat die Mutter; „dic Freude um den wieder kehrenden Vater hat ihm heut den Kopf verwirrt. Doch jetzt ineine auch ich Geräusch zu hören. Gelobt sei Gott, daß er dcn Theuern mir wicderbringt." Von der Straße her erschollen wirklich nahende Rufe; das Geräusch dcr Wagcn dämpfte der weiche Schnee. Noch ein Paar Augenblicke und auf dem Vorraum des Hauses ertönten schwere Tritte. Die Stubcnthür ward aufgerissen, ein Mann trat ins Zimmer, beide Arme breitete er nach dcr Frau im Lehnstuhle aus: „Elisabeth, meine Elisabeth! Grüß Gott, mein thcucres Weib!" so klang es in herzlicher Frcude von seinen Lippen. Dann eilte er rasch zum Lehnstuhl und barg das Haupt in dcn Händcn der zitternden Frau. Geräuschlos hatte sich Günther an das Fenster des Gemachs zurück gezogen. Es war ihm unlieb, cin, wie er meinte, störender Zeuge dieser Begrüßung zu sein, und bitteres Weh durchzog seine Brust. Er hatte ja Niemanden daheim, der seiner Rückkehr sehnsüchtig harrte, dcr festlich Haus und Zimmer dem Wicdcrkehrcndcn zum Empfang schmückte. Er hatte bis her nie etwas von dieser Lücke in seinem Leben empfunden; jetzt spürte er sic zum ersten Male. Früh waren ihm beide Eltern gestorben; er konnte sich ihrer kaum noch entsinnen. Entfernte Verwandte hatten dcr beiden zurückgebliebenen Knaben sich angenommen. Doch rauh und unfreundlich waren sie gegen die fremden Kinder, die ihnen die Sorge um das tägliche Brot gemehrt hatten, so daß Günther und sein Bruder die strenge Regel des Convicts, das sie bald aufnahm, als goldene Freiheit begrüßten. Nie hatte dcr fremde Mönch etwas gewußt, ja geahnt von der Macht irdischer Liebe, der Liebe zwischen Mann und Weib; als unrein und sündig war sie ihm in dcn Hörsälcn seiner Lehrer geschildert worden. Nun aber neidete er dcn Mann aus dem Volke, der solche Liebe empfangen und geben durfte, während ihn selbst das strenge Klostcrgclübde band. Peter hatte sich inzwischen erhoben; jetzt erst bemerkte er dcn Vicar, sogleich schritt er auf ihn zu und rief freudig: „Das hätte ich kaum ge glaubt, Günther, daß ich Euch heute noch in meinem Hause grüßen würde. Doch nun bleibt, ich bitte Euch", fuhr er fort, als Günther zum Aufbruche sich rüstete, „heute ist Martinstag, dcn wollen wir fröhlich mit einander feiern, wenn auch der Hausherr die Ladung zum Feste erst spät ergehen läßt. Gelt, Elisabeth, hast Du wohl schon daran gedacht, daß heute unser Hochzeitstag ist?" Dann wandte sich Peter zu Günther, und zu dem Ohre des Mönches sich beugend, flüsterte er ihm zu: „Bleibt, Günther! Ihr stört unsere Freude nicht; schon längst zählen wir Euch zu unseres Hauses besten Freunden. Auch habe ich Euch etwas von der Reise mitgebracht, was des Herzens Ver langen — hoff ich — Euch stillen soll!" Unterdcß war Regina geschäftig gewesen, dcn Tisch mit allerlei zu decken, was dem wegmüden Vater nach der anstrengenden Reise zur Erquickung dienen konnte; auch cin großer Krug schäumenden Bieres fehlte nicht. Dann sprang ic eilig dem Vater zu und war ihm behilflich, die Neisekleider mit dem be quemen Hausrockc zu vertauschen; anstatt dcr hohen Wasserstiefeln aber reichte le ihm warme Hausschuhe, die sie selbst kunstvoll gefertigt. Erst jetzt konnte man Herrn Peters Gestalt und Züge genau erkennen. Hoch und starkknochig war er gebaut; das ergrauende Haar trug er nach Sitte