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Und als endlich der Morgen anbrach, und Friedrich vorgelassen wurde, widerrief er seine ganze Denunciation — allein der Oberst lachte höhnisch und meinte: „Schuldig oder nicht schuldig — es muß ein Excmpel statuirt werden!" Als Friedrich sah, daß sein Widerruf vergebens war, lief er halb von Sinnen nach der Mühle zurück und stürzte sich in den Mühltcich, um den Tod in den Fluthen zu suchen. Der alte Knecht Grcbin's sah es, zog ihn heraus und brachte ihn nach einiger Zeit in's Leben zurück. Der Unglückliche verfiel noch in derselben Nacht in ein hitziges Fieber. Die Müllerin und Lena, welche die Nacht gleicher Weise in Angst und Verzweiflung zugebracht hatten, eilten am folgenden Morgen in aller Frühe ebenfalls zu dem Obersten, und flehten ihn fußfällig um Gnade an, erwirkten jedoch nur so viel daß der Letztere den Ausspruch that: „Wenn ihr mir Denjenigen nennen könnt, welcher unseren nächtlichen Marsch verrathen hat, so soll der Gefangene frei sein." So blieb den Verzweifelten vorläufig nichts Anderes übrig, als heim zugehen und auf Mittel zu sinnen, die Freilassung des schuldlos Verhafteten zu erwirken. —' Da verbreitete sich gegen Abend plötzlich die Nachricht im Dorfe, daß eine starke Abtheilung der Verbündeten in X. eingczogen sei, um die Vortheile des nächtlichen Uebcrsallcs weiter zu verfolgen. Diese Kunde erfüllte Lena mit neuer Hoffnung. Sic beschloß, selber nach X. zu eilen, dem Befehlshaber der dort eingerückten Truppen das Geschick ihres Vaters zu schildern und ihn anzuflehcn, Alles aufzubieten, um den Letzteren zu retten. „Wenn er dem französischen Oberst droht, mit den in seine Hände ge fallenen Franzosen auf gleiche Weise zu verfahren, so kann mein Vater vielleicht gerettet werden", sprach sie bei sich. „Oder vielleicht wird gleich ein Angriff auf die Feinde gemacht, und allen Gefangenen dadurch Gelegenheit gegeben, zu entfliehen!" Es war schon spät, als sie die Mühle verließ: — ihrer Mutter hatte sie nichts von ihrem Vorhaben gesagt, da sie sonst gewiß von ihr zurückgchalten worden wäre. Sic dachte nicht an die Schwierigkeiten, die sich ihrem Plane entgegcnstellten: — sie vergegenwärtigte sich immer nur den entsetzlichen Augen blick, wo man ihren unglücklichen Vater zum Tode führen werde. Als sie im Städtchen ankam, bemerkte sie eine ungewöhnliche Bewegung in dessen Straßen: — Soldaten eilten hin und her — vor den Häusern standen Gruppen, die mit einander sprachen, und auf dem Marktplatze mar- schirtc eine Compagnie nach der andern auf aber Alles geschah mög lichst geräuschlos. AMKMMN Lena war mit ihrem Vater oft im Hause eines Kaufmanns gewesen, von dem sic mancherlei Lebensbedürfnisse bezogen, und da sie hoffte, daselbst die beste Auskunft zu erhalten, so eilte sie dorthin. Zu ihrer unaussprechlichen Freude hörtc sie dort, daß schon in den nächsten Stunden in aller Stille ein Angriff auf die in D. liegenden Franzosen unternommen werden solle. Infolge dieser Nachricht mußte sic es aufgeben, sich mit ihrer Bitte an den Befehlshaber der bereits marschfertigen Truppen zu wenden; sie beschloß daher, ihrer Mutter die erfreuliche Kunde zu bringen und dann mit ihr nach D. zu eilen, um womöglich zur Befreiung ihres Vaters mit zu wirken. Wechselsweise von Angst und Hoffnung bewegt, flog sie über die stillen Felder und die düstere Haide dahin, — nur dann und wann blieb sie stehen, um zu lauschen, ob sie nicht den dumpfen Schritt der nach D. marschircndcn Colonncn vernehmen könne. Anfangs vermochte sie nicht das Geringste zu hören; aber als sie etwa die Mitte des Weges erreicht hatte, trug der Nachtwind von Zeit zu Zeit halb verwehte kriegerische Laute: Säbelgeklirr, Pferdegetrappel und Gerassel der Kanoncnräder auf der Landstraße, zu ihr herüber. Einmal däuchte es ihr auch, als sähe sie einzelne dunkle Reitergestalten zu ihrer Linken durch das Dunkel dahinfliegcn. Ihre Ankunft in der Mühle riß ihre Mutter aus großer Angst, da die von Allen verlassene schon befürchtet hatte, daß Lena sich heimlich wiederum nach D. begeben und zu einem unüberlegten Schritt habe Hinreißen lassen. Die Nach richt von dem bevorstehenden Angriff auf die Franzosen in D. erweckte auch in der Müllerin neue Hoffnung, und Beide machten sich nach Verlauf kurzer Zeit auf den Weg nach D., um in der Nähe der Stadt das Ergcbniß des Kampfes abzuwarten daß dies mit Gefahr verbunden sein könne, kam ihnen kaum in Len Sinn. Nach halbstündiger Wanderung hörten sie einzelne Flintenschüsse in der Ferne fallen, denen in immer kleineren Zwischenräumen bald mehrere folgten. Sie dachten nicht anders, als daß nun in den nächsten Minuten ein hitziger Kampf entbrennen werde allein zu ihrer größten Ucbcrraschung ver stummte das Gewehrfeuer. Da die Truppcnabtheilung, welche Lena in L. gesehen, ziemlich stark war, so ließ sich nicht denken, daß sie unverrichteter Sache umgekehrt sei; es blieb also nur die Annahme übrig, daß die Franzosen sich vor der Ucbermacht zurückgezogen hatten. Diese Vermuthung bestätigte sich auch. Als Mutter und Tochter in D. anlangtcn, fanden sie die Stadt von den Verbündeten besetzt; die Franzosen hatten durch ihre Streifwachcn früh genug Nachricht von dem Anrücken der Feinde erhalten und hatten D. nach einigen Schüssen, welche die Vorposten mit einander gewechselt, so eilig geräumt, daß sie Alles zurückgelassen hatten, was ihnen auf ihrem Rückzug hinderlich sein konnte. Dazu gehörten namentlich die Gefangenen, die von den Verbündeten sogleich auf freien Fuß gesetzt und von den Bewohnern des Städtchens im Triumph nach dem Hauptquartier geleitet wurden, wo man sie mit Speise und Trank erquickte. Die Müllerin und Lena hatten kaum gesagt, wen sie suchten, als sie eben falls mit lautem Hurrah dorthin geleitet und in die Arme des Befreiten geführt wurden. Der Jubel der drei Wiedervercinten läßt sich mit Worten nicht schildern, und es war rührend, zu sehen, wie die versammelte Volksmenge an ihrer Freude Antheil nahm. Als der Müller eben mit Frau und Tochter den Heimweg antreten wollte, drängte sich ein Mann durch die Menge, der laut den Namen desselben rief. Grebin wandte sich um und sah Dobrow vor sich stehen, der ihm mit dem Aus druck der herzlichsten Freude zu seiner Befreiung Glück wünschte und mit be deutsamem Lächeln hinzu fügte: „Jetzt werdet Ihr mich hoffentlich nicht mehr für einen Spion im Dienste der Franzosen halten, lieber Grebin! Und wenn die Leute fragen, welche Be- wandtniß es mit der weißen Gestalt auf dem altenHünengrabc gehabt, so sagt ihnen nur, daß ich den Geist gespielt habe, um unsren Truppen Zeichen zu geben. Ihr seht, daß mein..Kunststückchcn" wohl gelungen ist: die Franzosen haben bei dem nächtlichen Ueberfall eine tüchtige Lection bekommen!" „Ihr also habt unsre Soldaten damals herbeigerufen, Dobrow?" rief Grebin. „Allerdings", versetzte Jener, „und es thut mir sehr weh, daß Ihr statt meiner in Verdacht gekommen und in's Gefängniß geworfen worden seid. Hoffent lich jagt Ihr das schlechte Menschenkind, Euren Friedrich, fort, soweit ihn seine Füße tragen!" „Er ist schon gestraft genug!" erwicdertc der Müller. „Wir können nur Gott danken, daß Alles noch so gnädig abgelaufcn ist!" Dcr Müller ward von den Scinigcn im Jubel nach Hause geleitet und von allen Bewohnern des Dorfes mit Jauchzen und Freudengeschrei bewillkommt, Mehrere Tage hindurch wurde die Mühle nicht leer von theilnehmcnden und neugierigen Besuchern, die dem vom Tode Geretteten Glück wünschen und sich seine Leiden schildern lassen wollten. — Friedrich lag mehrere Wochen krank darnieder, und seine Pflegecltern sowie Lena behandelten ihn mit derselben liebevollen Sorgfalt, als ob nichts geschehen sei. Als er aber endlich wieder hergestellt war, trat er eines Tages zu Grebin und sagte ihm, daß er fest beschlossen habe, nach Amerika zu gehen, denn das Bewußtsein seiner schlechten Handlungsweise mache ihn unsäglich elend. Dieser Erklärung fügte er die Bitte hinzu, ihm als letzte Wohlthat die zur Ueberfahrt nöthige Summe zu geben: — falls er sie nicht erhalte, müsse er sich durch Betteln so viel erwerben denn bleiben werde er unter keiner Bedingung. Grebin suchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen und bethcuerte, daß er ihm vollständig vergeben habe; allein Friedrich beharrte bei seinem Plan und erklärte wiederholt, daß er heimlich davon gehen werde, wenn er dasUeber- fahrtsgeld nicht erhalte. Dem fortwährenden Drängen glaubte der Müller endlich nachgeben zu müssen, und händigte Friedrich eine ansehnliche Summe ein, von der dieser nicht allein die Ueberfahrt nach dcr neuen Welt bestreiten, sondern auch längere Zeit dort leben konnte, falls er nicht gleich eine lohnende Beschäftigung fand. Um dem peinlichen Abschiede zu entgehen, verließ Friedrich eines Morgens vor Tagesanbruch die Mühle. In einem Briefe, den er in's Wohnzimmer ge legt hatte, sagte er allen Lebewohl und dankte ihnen für das Gute, das sie ihm erwiesen. Am Schluß sprach er den Wunsch aus, daß es ihm vergönnt sein möge, einst zurückzukehrcn und Allen zu beweisen, daß er ein besserer Mensch geworden sei. Der junge Musikus, dessen Wunde nach einiger Zeit geheilt war, mußte sich noch ein ganzes Jahr gedulden, bis er seine Lena zum Altäre sühren konnte; dem dcr Müller ließ sich nicht bewegen, die Vermählung des jungen Paares vor Abschluß des Friedens zu gestatten. Als dieser aber erfolgt war, richtete Grebin seiner einzigen Tochter eine Hochzeit aus, wie sie seit Jahren weit und breit nicht erlebt worden war, und alle Gäste dankten Gott, daß die Schüsse, diedenHochzcits- zug nach der Kirche begleiteten, nicht dcm blutigen Kriege, sondern einem Freuden feste galten.