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2868 — Ein Berliner Korrespondent der „Köln. Ztg." bemerkt am Schluffe einer Betrachtung über den gegenwärtigen Stand der orien talischen Frage: „Rußla ud scheint für den Kriegsfall auf die Unter stützung Rumäniens und Griechenlands zu rechnen. Freilich hat ins besondere Rumänien nicht die geringste Beschwerde über die Türkei zu führen und srüherhin war man in Europa der Meinung, dah man zum Kriege einen rechtsmäßigen Kriegsgrund haben müsse. Die europäischen Staaten hielten sich verbunden, gegen einen bloß von Eroberungslust getriebenen Störenfried gemeinschaftlich aufzutreten. Aber es scheint kein Europa mehr zu geben, und in dieser neuen Aera, wo Ruhland an der Spitze der Civilisation marschirt, muß Jeder befürchten, sich lächerlich zu machen, der noch von Recht und Verträgen redet." — Nach einem Privatlelegramme der „Germania" aus'Lim burg wurde der dortige Bischof vom Ober-Präsidenten zur Nieder legung seines Amtes aufgesordert. — Der „D. Reichsanz." schreibt: „Hiesige Zeitungen enthalten eine aus Frankfurter Blättern entnommene Notiz, wonach dem Grafen v. Arnim mit einer Anklage wegen Veruntreuung gedroht worden sei, weil er bei seinem Fortgange von Paris einen Stuhl habe mit nehmen lassen, auf welchem seine Tochter gestorben war. — Der Her gang, um den es sich hierbei handelt, war folgender: Nachdem der Graf Arnim Paris verlaffen hatte, kam es bei amtlicher Prüfung der Quartalrechnung der Botschaft zur Sprache, daß derselbe ohne Anfrage den größten Theil des zum Inventar seiner bisherigen Dienstwohnung gehörigen Mobiliars eines Zimmers hatte fortschaffen lassen und dafür eine runde Summe von 525 Franken an die Botschaftscaffe eingezahll hatte. Der Ersatz der fehlenden Mobilien verursachte indessen nach Schätzung durch Sachverständige einen Kostenaufwand von 862 Franken, zu deren Erstattung, unter Anrechnung der eingezahlten Summe, der Graf Arnim unter dem Hinzufügen aufgefordert wurde, daß die An eignung von Reichseigenthum ungesetzlich sei und dieserhalb weitere Schritte Vorbehalten blieben. Der Graf Arnim zahlte daraus die Differenz ein, und es wurde ihm von dem Auswärtigen Amt mit- getheilt, daß die Angelegenheit hiermit ihre Erledigung gefunden habe, d. h. eine weitere disciplinariscke Ahndung nicht beabsichtigt werde." — Einem Bericht der „Rh. W. Corr." über den vom 28. Sep tember bis 1. October stattgefundenen Genfer internationalen Congreß für Beobachtung der Sonntagsfeier entnimmt die „N. P. Z." noch Folgendes: Ueber 300 wirkliche Mitglieder und eine Anzahl Gäste nahmen an den Verhandlungen Theil, unter ihnen hochangesehene Männer aus den Ländern Europas und aus Nord- amerika. Specialdelegirter des deutschen Kaisers war Generallieutenant v. Röder, deutscher Gesandter bei der Eidgenossenschaft in Bern. Derselbe erklärte ausdrücklich, daß er im Namen seines erlauchten Kaisers an den Verhandlungen Theil nehme, und sprach die Hoffnung aus, „daß das Beispiel eines großen Monarchen auch über die Grenzen seines Reiches hinaus einen heilsamen Einfluß haben kann". Von Friedrich Wilhelm III. theilte Generallieutenant v. Röder mit: „Als ich jung war, hatte ich die Ehre, unter Friedrich Wilhelm III. zu dienen, und erinnere mich, wie er mit vier Worten zu sagen Pflegte: Der Sonntag macht die Woche." — Die ganzen Verhandlungen gaben den Eindruck, daß die überall empfundene Gefährdung des Sonntags durch die materialistische Zeitströmung den Entschluß energi scher Gegenwirkung zu wecken begonnen hat. — Sicherem Vernehmen nach hat Hofprediger W. Baur, der Vertreter Norddeutschlands in Genf, Behufs eingehender Berichterstattung eine längere Audienz bei dem Kaiser in Baden-Baden gehabt. — 01 Ueber die heute stattgehabten Wahlmännerwahlen wird telegraphisch Folgendes gemeldet: Erfurt: Hier wurden sämmt- liche Candidaten der liberalen Partei einstimmig gewählt. Breslau: Die hiesigen Wahlmännerwahlen sind überwiegend im Sinne der ver einigten liberalen Parteien ausgefallen. Hannover: Nach dem bis herigen Resultat kann in der hiesigen Stadt die Wahl des national- liberalen Candidaten als gesichert angesehen werden. Die Mitglieder der welfischen Partei hatten sich der Wahl enthalten Halle: Von den hier gewählten 228 Wahlmännern gehören 219 der liberalen Partei an. Köln a. Rh. : Nach vorläufiger Feststellung sind hier 283 liberale und 214 elericale Wahlmänner gewählt. Dortmund: Von den 229 heut gewählten Wahlmänneru des Stadtkreises Dort mund gehören 186 der liberalen und 37 der ultramontanen Partei an, die Parteistellung der übrigen 6 Wahlmänner ist zweifelhaft. Elberfeld: Nach den bis jetzt vorliegenden Berichten wurden in Elberfeld 160 liberale und 156 freiconservative, in Barmen 206 liberale und 115 freiconservative Wahlmänner gewählt. Posen: Von den hier gewählten Wahlmännern gehören ca. 3 Viertheile der deutschen Partei, 1 Viertheil den Polen an. Die Wahl eines deutschen liberalen Abgeordneten kann demnach als gesichert betrachtet werden. Cassel: Die hier gewählten Wahlmänner gehören fast ausschließlich der national-liberalen Partei an. In Hanau wurden 74 national- liberale und 11 fortschrittliche Wahlmänner gewählt. Wiesbaden: In hiesiger Stadt sind sämmtliche liberale Wahlmänner fast einstimmig gewählt worden. Die aus Nassau hier vorliegenden Nachrichten lauten ebenfalls für die liberale Partei günstig. In Fulda sind 22 liberale und 18 ultramontane Wahlmänner gewählt worden. Crefeld: Hier wurden 122 liberale, 106 ultramontane Wahlmänner gewählt. Altona: Von den hier gewählten 356 Wahlmännern werden 68 der national- liberalen, 288 der Fortschrittspartei zugezählt. Danzig: Hier sind bis jetzt 385 liberale, 27 ultramontane und 10 conservative Wahl männer, in Elbing und Marienburg sind fast lauter liberale Wahl männer gewählt worden. Magdeburg, 19. October. (Ablehnung.) Die „Magdeb. Ztg." meldet: Der Oberbürgermeister Hasselbach hat die inzwischen vom Oberpräsidenten v. Patow genehmigte Dotation (vgl. Nr. 229) nunmehr abgelehnt. Oesterreich. Wien, 19. Oetober. (B.) Der Kaiser wird morgen hier er- wartet. — Die Steuervorlagen haben im Abgeordneten hause einen günstigen Eindruck gemacht, speciell wegen der großen Entlastung der unteren Classen der Bevölkerung. — Der Reichs- Finanzminister Baron Hofmann ist heute nach Buda-Pest abgeretst, um bei seinem Amtsantritte die ungarischen Minister persönlich zu be grüßen. — Im Erforderniß des Budgets des Kultusministeriums für das Jahr 1877 entfällt das außerordentliche Erforderniß zur Unter- stützung der katholischen Seelsorger, wozu sür Heuer 600,000 Gulden bewilligt waren. Statt dessen sind zur provisorischen Aufbesserung der Congrua der katholischen Seelsorgegeistlichkeit 1,137,246 Gulden in das Budget eingestellt, wovon für Böhmen 111,300 Gulden bestimmt sind. — Der „Boh." schreibt ein Wiener Correspondent: ^.Ungleich jenen meiner Kollegen, die durch eine Auswahl von Sensations nachrichten ihre Committenten in die erforderliche Aufregung zu versetzen wissen, bin ich nur in der Lage, Sie dessen zu versichern, daß die Situation zur Stunde keine Veränderung aufweist, es wäre denn die auffallende Kühle, mit der man in diplomatischen Kreisen von dem sechsmonatlichen Waffenstillstands wie von einem unbeweinten Todtenzu sprechen beginnt. Das scheint wohl darauf hin zuweisen, daß man Aussicht hat, den Streit, der sich um diese Frage entspann, gütlich aus dem Wege zu räumen." Dänemark. Kopenhagen, 18. October. (H. N ) Das Folkething hat mit 55 gegen 25 Stimmen den Uebergang des Gesetzes, betreffend Gehaltszulagen für die Schullehrer, zur zweiten Berathung verweigert. Frankreich. Paris, 18. October. Im republicanischen Lager ist man, wie der „K. Z." geschrieben wird, sehr mißtrauisch gegen die äußere Politik der Regierung; man fürchtet kriegerische Ge lüste der Präsidentschaft und will das Budget des Auswärtigen Amtes so spät wie möglich votiren, um den Einfluß der Kammer auf die Haltung des Herzogs Döcazes, so lange es angeht, in der Hand zu behalten. Großbritannien London, 18. October. (K. Z.) Die Mobilisirung eines Armeecorps ist vorbereitet, das für eine etwa nothwendig werdende Besetzung Konstantinopels bestimmt sein soll. Mindestens 150 eng lische Offiziere haben auf der türkischen Botschaft ihre Dienste ange boten; doch wurde ihr Gesuch ausdrücklich aus völkerrechtlichen Be denken abgelehnt. — Eine Cabinetsveränderung steht bevor; Northcote soll Premier-Minister werden. Rußland. Selbst russische Blätter constatiren den ungünstigen Stand der russischen Finanzen. Wie der „St. Petersb. Herold" erfährt, soll das geplante russisch-holländische Anlehen von 125 Mill. Rubes