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titelt: „Aus den Erinnerungen eines griechischen Offiziers in dein deutsch- französischen Kriege 1870—1871". Das „Magazin für die Literatur des Auslandes" bringt aus diesen Erinnerungen einige Mittheilungen in deutscher Uebersetzung von Dan. Sanders, der über den jugendlichen Verfasser schreibt: Emil R. Rangabö war am 11./23. Juni 1852 inKcphisio geboren, hatte 1861—1863 die Magdalcnenschule in Orford besucht, war 1867 in die Berliner Cadettenschule eingetreten und gehörte beim Ausbruch des Krieges dort der ersten Classe an. Die Strapazen des Feldzuges legten in ihn den Keim einer Brustkrankheit, deren Folgen er in Alexandrien in der Nacht vom 21. auf den 22. April 1874 erlag. Er war 1870 gerade auf Ur laub in Paris, als Frankreich Preußen den Krieg erklärte; er kehrte von dort in das Berliner Cadcttcnhaus zurück und war Zeuge der herrschenden Begeisterung, die auf den Gipfel stieg bei der Kunde, daß die Zöglinge der obersten Classe mit dem Range eines Fähnrichs in's Feld rücken sollten. In der Antwort auf eine Mahnung seines Vaters, nicht in den fremden Krieg zu ziehen und sich vielmehr Lem Vaterlande zu erhalten, schrieb der junge Grieche: „Ich habe keinen Augenblick geschwankt, ob ich gehen soll oder nicht. Ich glaube, jeder ehrliche wackere Mann, der freiwillig das Heer gewählt hat, in dem er dient, darf cs nun und nimmer beim Ausbruche des Krieges verlassen, so sehr er auch seinem Vaterlandc angchört. Die Ge legenheit ist da, und ich will zeigm, wie Griechen denken und kämpfen, und, wenn ich auf dcni Schlachtfclde bleibe: Gott hat mich auf die Erde gesetzt, Gott nimmt mich wieder . . . Wenn ich falle, so falle ich für Pflicht und Ehre. Weinet nicht um mich. Es sind Bessere da als ich. Wir sind Griechen, und das schönste Ende eines Griechen ist der Tod in der Schlacht." Die ungeduldig erwartete Marschordre kam am 16. Juli 1870 und führte Emil R. Rangabö mit seinem Artillerieregiment nach Hannover ins Cantonnement. Dort sehnt er sich verdrossen ins Feld und muß zu seiner Dcmüthigung von einem höheren Offizier, gegen den er sich beklagt, hören, daß er für den Artilleriedienst „da unten" noch nichts nützen könne. Plötzlich, am 28. August, bietet sich ihm die Gelegenheit, mit ins Feld zu rücken, wenn er in zwei Stunden sich fertig machen kann. Trotz aller Hindernisse wird er fertig und fährt mit den 52 Mann und ihren 105 blos mit einem Halsstrick versehenen Pferden aus der Eisenbahn bis nach Remilly, von wo sie — er als Führer an der Spitze — je ein Pferd reitend und das zweite am Halsstrick führend ihren Weg auf gut Glück weiter suchen müssen. Nach einer dunklen regnerischen Nacht, aus unbe kannten schlimmen Pfaden sich verirrend, erreichten sie endlich mit Verlust von vier Pferden, doch richtig das Bivouak vor Meß. Der folgende Tag war ein Sonntag. Wir hatten Gottesdienst (schreibt Emil R. Rangabs). Die Feier be gann mit der Vertheilung des Eisernen Kreuzes an einige Tapfere die sich in den letzten Schlachten ausgezeichnet. Plötzlich erschallt aus der Ferne ein Kanonenschuß. Der Prediger unterbrach seine Rede und langes, ängstliches Schweigen herrschte. Ein zweiter Kanonenschuß! „Soldaten", Hub der Prediger wieder an, „hört ihr diese Kanonenschüsse? Es sind die letzten Pulse einer großen Nation, die ihre Bande zu zerbrechen und über uns herzufallen sucht. Aber Gott ist mit uns und beschützt uns. Ihm sei der Ruhm! Hört und bewundert seine Allmach!:: Als Schwert nahm er unsern König und unser Heer und schlug Frankreich eine fürchterliche Wunde. Mac Mahon mit seinem ganzen Heere von 80,000 Mann und 20,000 Pferden hat sich bei Sedan in unsere Hand gegeben, und der Kaiser der Franzosen, der Neffe des großen Napoleon, ist unser Gefangener. Danket Gott für seine Hilse!" Ich kann die Gefühle dieses Augenblicks und die Begeisterung der Soldaten nicht beschreiben. Die dumpfen Kanonenschüsse der Franzosen zwischen dem unendlichen Hurrah der Unsrigen brachten eine solche allgemeine Rührung hervor, daß auch die ältesten Soldaten ihre Thränen nicht zurückhalten konnten in Gedanken an die Tapferkeit und den jüngsten Erfolg des greisen Helden, ihres Königs." Im Lager vor Metz beginnt das eigentliche Kriegsleben des jungen Griechen. Auch die allbekannten Thatsachen, um die es sich im Ganzen handelt, empfangen in dessen Auffassung und im griechischen Gewände. wie Sanders bemerkt, einen eigenthümlich neuen Reiz. Gewidmet ist das griechische Büchlein „den Offizieren des griechischen Heeres, mit denen gemeinsam zu dienen begehrte, aber nicht erreichte der durch einen vorzeitigen Tod Dahingeraffte." Aus der alten Schule. „Es ist doch recht schade, liebe Kinder", — so lesen wir in einem so eben erschienenen Buche — „daß Ihr meine gute Mutter, Eure Groß mutter, nicht mehr gelärmt habt. Schade für Euch und für sie . . Eure Großmutter machte ihrer Schule Ehre. Ich meine nicht die, in welcher sie -Lesen und Schreiben gelernt hatte, obwohl dieser auch; sondern der Leidensschule, durch welche sic gegangen war. Sic kam als Waise schon zur Welt. Ihr Vater war Pfarrer in Ncckarweihingcn gewesen. Ihr er innert Euch des langgestreckten Dorfes mit seiner Schiffbrücke, das Ihr vom Hartnccker Schlößchen herab so freundlich vor Euch liegen saht. Hinter der Kirche mit dem schiefergedecktcn Thurm liegt das Pfarrhaus, da brachte Eure gute Großmutter ihre ersten Lebensjahre zu. Bald wurde sie ganz verwaist, da nahm ihr mütterlicher Großvater sic in sein Haus: von ihm ging der Geist der Ordnung und des Friedens aus, der darin herrschte. Sie besuchte nun mit anderen Mädchen die Schule: wie vor achtzig Jahren Lie Schulen eines protestantischen deutschen Landstädtchens eben waren. Man lernte Lesen aus dem Spruch- und Gesangbuch und aus der Bibel, deutsch Schreiben und das nöthigste Rechnen auf der Tafel und im Kopfe; an Religionsunterricht fehlte es nicht, und das Gcdächtniß wurde durch Auswendiglernen von Bibelsprüchen und Kirchenliedern bereichert und gestärkt Eure Großmutter, mit ihrem Hellen Geiste, ihrer Freude am Lernen und ihrem eisernen Gedächtniß, war natürlich mit dem, was in dieser Schule gelernt werden konnte, bald am Randc, und oft hat sie mir erzählt, wie lebhaft in jenen Jahren der Wunsch in ihr gewesen, daß ihr doch mehr Stoff zu lernen und ihren Geist zu nähren geboten werden möchte, Und dennoch, jene Stoffarmuth unsrer alten Schulen, wenn sie nur in ihrer Art gut versehen wurden, führte auch wieder ihre eigen- thümlichen Vorzüge mit sich. Man lernte Weniges, aber dieses recht; der enge Kreis, in dem man sich in steter Wiederholung drehte, prägte das Einzelne um so tiefer ein; der geistige Hausrath, den man sich erwarb, bestand aus wenigen Stücken, die aber dafür dauerhaft und desto leichter in Ordnung zu halten waren. Eure Großmutter sprach kein fran zösisch, nicht einmal hochdeutsch, aber von ihrer schwäbisch geführten Unter haltung sanden sich geistvolle Männer angezogcn; zu vielem Bücherlesen war sie nicht gebildet, um so mehr zu frischem Nachdenken aufgeweckt. Sie schrieb bis in ihre alten Tage nicht bloß eine deutliche, sondern eine schöne und beseelte Hand; ihre Rechtschreibung war, in Anbetracht der Zeit, aus Ler sic stammte, aller Ehren werth; und die Verständigkeit, Herzlichkeit und gute Laune ihrer Briefe soll Euch einmal, wenn Ihr reif feid, sie zu schätzen, noch Freude machen. Von den zahlreichen Bibelsprüchen und Liederverscn, die sic in der Schule gelernt, hatte sie keinen vergessen; ich bedurfte Jahre gelehrten theologischen Studiums, um es ihr an Bibel fe st i g k e i t gleichzuthun; in der Kenntniß geistlicher Lieder erreichte ich sic nie. Dabei ließen die wenigen Stunden, welche der Schulunterricht wcg- nahm, der Bewegung ini Freien, dem harmlosen Spiel, der leiblichen Kräf tigung volle Zeit. Man tummelte sich im Hof und auf den Wiesen, an der Enz und am Erlenbach. In diesen Stücken war die Erziehung der guten alten Zeit, so streng sie sonst war, freisinnig genug. Daneben mußten die Mädchen doch in Haus und Garten der Großmutter an die Hand gehen, im Winter mit ihr fpinnen und am Abend dem Großvater aus Riegers Postille vorlesen . . .." Und von wem stammt diese Schilderung der Vorzüge „der guten alten Zeit" in Schule und Erziehung? Von keinem Anderen, als von David Friedrich Strauß, jenem Theologen, der, zwar selbst leider dem Un glauben verfallen, doch in seinem Widerwillen gegen die „Halben" unserer Tage zugleich dem festen, unbeirrtcn Glauben seine Anerkennung nicht ver sagte. Im Anhang zu seinen „literarischen Denkwürdigkeiten" findet sich die Abhandlung, der die obigen Stellen entnommen sind. „Zum An denken an meine gute Mutter. Für meine lieben Kinder" — so lautet die Ucbcrschrist der Betrachtung, die David Strauß auf den Confirmationstag seiner Tochter, den 11. April 1858, verfaßt hat. Es ist jetzt so viel die Rede von Reform der Schule. Während ein sichtige Pädagogen bereits die Ueberbürdung der Schulkinder mit Lernstoff beklagen und in Besorgniß einer daraus erwachsenden Zerstreuung und Verflachung eine Rückkehr zum Einfachen und mit ihr Sammlung und Ver tiefung erstreben, geht der zeitgeistischc Zug danach, Las Bereich des Schul unterrichts noch immer mehr auszudchnen, und man möchte dafür die Reli gion, wenn nicht ganz aus der Schulc entfernen, doch wenigstens soweit darin cinschränken, daß sie nicht mehr lästig falle und Lie gewünschten „Fort schritte" in keiner Weise hindere. Daß hiermit unserer Schulerziehung die Seele und der geistige Lebens quell genommen und der Rückgang unserer Volksbildung besiegelt werden würde, bedarf keines Beweises. Will man aber auf Stimmen aus „reactionairen" und „orthodoxen" Kreisen nicht hören, nun so verschließe man sich wenigstens gegen Zeugnisse nicht, welche selbst Männer wie David Strauß in unwillkürlichem Respcct vor „der guten alten Zeit" oder vielleicht in verborgener schmerzlicher Sehnsucht nach vergangenen besseren Tagcn für die Wahrheit ablegen. -f.