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2608 — Die BundeSrathSausschüffe für Seewesen, Handel und Ber- kehr und für Justiz beschäftigten sich in diesen Tagen mit einem Ge setzentwurf über die Untersuchung von Seeunsällen, welcher vor längerer Zeit aus einer Commission von Sachverständigen her- vorgegangen. Die Ausschüsse haben die Vorlage im Wesentlichen ge nehmigt, nur in einem Punkte beschlossen sie eine Aenderung dahin, daß das Seeamt nicht ermächtigt sein soll, dem Capitain oder Steuer- mann, welcher den Unfall verschuldet hat, daS Patent für immer, sondern nur zeitweise, zu entziehen, eine Abänderung, welche die Schiff fahrt treibenden Kreise gewünscht haben und jedenfalls als eine Ver- besserung begrüßen werden. — Der„Reichsanzeiger" schreibt: Die von der „Bossischen Zeitung" gebrachte Notiz, daß dem ReichScanzleramte vom Gesundheits- amte eine Geschäftsordnung zur Genehmigung unterbreitet worden sei, ist unbegründet. ES wird vielmehr eine solche Vor lage erst dann erfolgen können, wenn daS Colleg des Gesundheitsamts vollzählig versammelt und im Stande sein wird, eine solche aus seinen Berathungen hervorgehen zu lasten; denn bei der für dasselbe in Aus sicht genommenen collegialen Verfassung steht einem einzelnen Mit- gliede desselben nicht das Recht zu, für sich allein eine Angelegenheit zu vertreten. — Gemäß einer unter Vermittelung des Reichscanzleramtes unter sämmtlichen deutschen Regierungen getroffenen Vereinbarung soll bei allen deutschen Reichs- und Landesbehörden ein einheitliches Papierformat von 33 Ceniimeter Höhe und 21 Centimeter Breite eingeführt und bet Neuanschaffung von Actenpapier als allgemeine Norm festgehalten werden. Für Briefpapier und Tabellen verbleibt eS ebenso wie in etwaigen sonstigen Ausnahmefällen bei den üblichen anderen Formaten. — In Betreff der Uebertragung der Stempelsteuer auf das Reich hat ein Meinungsaustausch zwischen den einzelnen Re gierungen stattgefunden, und es scheint, daß dagegen mehrfach Be denken erhoben worden find. Inzwischen ist man aufS Neue der An sicht, daß dir Deckung der Reichsausgaben entweder eine Erhöhung der Einnahmen oder eine Vermehrung der Matricularbeiträge nöthig macht, und es wird daher abermals über bezügliche Finanzmaßregeln verhandelt werden. -- Nach Art. 106 der preußischen Verfassung steht die Prüfung der NechtSgiltigkeit gehörig verkündeter königlicher Verordnungen nicht den Behörden, sondern nur den Häusern deS Landtages zu. Der preußische Richter hat also nur nachzusehen, ob die königliche Verord- nung in der Gesetzsammlung oder im Amtsblatte publicirt ist-, als dann muß er zur Anwendung schreiten. Anders der deutsche Richter, da sich in der Reichsverfastung keine gleiche beschränkende Bestimmung findet. Das Reichs-Oberhandelsgertcht hat dem entsprechend sich dahin ausgesprochen, daß ohne Zweifel die Richter befugt find, die Legalität von kaiserlichen Verordnungen zu prüfen. — Vor ungefähr zwei Jahren beantragten 263 Petitionen ver schiedener Corporationen und Vereine, vorzugsweise Handwerker- Innungen, beim Reichstage, folgende Bestimmungen in die Reichs- Gewerbeordnung aufzunehmen: „Jeder Lehrling ist verpflichtet, seine auf Grund abgeschlossener Contracte bestimmte Lehrzeit durchzuführen. Die Lehrzeit kann, ohne daß ein anderer ge setzlich feststehender Grund dazu berechtigt, nur unterbrochen oder beendigt werden, wenn ein Zeugniß des Lehrherrn die legale Lösung des bisherigen Lehrverhält nisses bescheinigt. Ohne ein solches Attest darf das Lehrverhältniß bei einem andern Lehrherrn desselben Geschäfts weder fortgesetzt, noch darf dem Lehrling von irgend einer Behörde eine Legitimation als Geselle oder Gehilfe ausge stellt werden." Diese Petitionen hatten keinen direkten Erfolg, weil der Re- gierungscommissar erklärte, die Reichsregierung sei mit den nöthigen Erhebungen bezüglich der Lehrlingsverhältntste beschäftigt, um eine gesetzliche Regelung derselben vornehmen zu können. Betreffs dieser Seitens des Reichscanzleramtes in Ausführung eines bezüglichen BundeSrathSbeschlusteS angeordneten Erhebungen, welche nächstens veröffentlicht werden sollen, erfährt die „Dost. Ztg.", daß allseitig, sowohl Seitens der Arbeitgeber, wie Seitens der Arbeitnehmer, die Herstellung festerer, gebundener Rechtsverhältnisse der Lehrlinge für nothwendig erachtet wird, um eine dem Interesse der Lehrlinge, der gewerblichen Production und der Volkswirthschaft entsprechende Aus bildung der Lehrlinge hetbeizuführen. Speciell wird beiderseits aner kannt, daß mündliche Contracte ungenügend sind, und gewünscht, daß die Einführung von schriftlichen Contracten gesetzlich bestimmt werde. Auch wird auf beiden Seiten fast durchweg die Einführung einer kurzen Probezeit, von deren Ablauf die bindende Kraft des Lehrvertrages be dingt ist, für nothwendig erachtet, um dem unüberlegten Eingehen und Auflösen von Lehrverträgen entgegen zu wirken. Betreffs der übrigen Punkte des Programms gehen tue Ansichten und Wünsche der Arbeitgeber und Arbeitnehmer mehr oder weniger auseinander. Während z. B. die Mehrzahl der Arbeitgeber es für nothwendig hält, dem Meister gesetzlich das Recht zu sichern, einen eigenmächtig aus getretenen Lehrling wieder zurückzuführen und Denjenigen zu einer Entschädigung im Falle des Contractbruches zu verpflichten, der für den Lehrling contrahirt hat, event. diesen selbst, oder auch den Lehr meister, welcher den entlaufenen Lehrling angenommen hat, wollen die Arbeitnehmer hiervon nichts wissen. Ebenso verschieden sind die An sichten über die Ausstellung eines obrigkeitlich beglaubigten Lehrzeug- ntsses. Die Arbeitgeber halten fast durchweg solche Zeugnisse für zweckmäßig und nothwendig, und es läßt sich nicht verkennen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Lehrlinge und Lehrherren gleich mäßig leiden, nicht minder auch die Gesellschaft, der es nicht gleich- giltig sein kann, wenn die gewerbliche Arbeit sich verschlechtert. — Der deutsche Botschafter in London, Graf Münster, begab sich dieser Tage nach Hannover, um an den Verhandlungen des Provinzial-Landtages theilzunehmen. Auf dem Bahnhofe in Hannover fand ein Zusammenstoß einer Locomotive mit einem Zuge statt, und Graf Münster erlitt dabei eine so erhebliche Contusion, daß er gegenwärtig das Bett hüten muß. — Die „Voss. Ztg." schreibt: Ein neues Reglement über die Remontirung der Armee ist in der Bearbeitung begriffen und wird den Truppentheilen voraussichtlich noch vor dem Schluffe deS laufenden Jahres zugehen. Demgemäß ist ungeordnet worden, daß die Cavalerie- und Feld-Artillerie-Regimenter vorläufig über die im Herbste d. I. eingehenden Gelder für die Berittenmachung der Ein jahrig-Freiwilligen nicht verfügen, sondern die neuen diesfälligen Be stimmungen abwarten. — Eine vom preußischen Handelsminister zum 13. Oktober hier her berufene Konferenz der preußischen Fabrik-Inspektoren soll ihr Gutachten über die im Interesse der Wohlfahrt der Arbeiter zu treffenden Einrichtungen abgeben. — Wie man der „Elberf. Ztg." von hier schreibt, sollen die über ganz Deutschland verbreiteten vaterländischen Frauenvereins- Filialen aufgefordert werden, aus ihren Vorräthen an Verbands- und Verpflegungsmaterial alles irgend Entbehrliche den Genossen deS „rothen Kreuzes" auf dem serbisch-türkischen Kriegsschauplätze zukommen zu lassen. Direkte Aufforderungen in diesem Sinne dürften wohl dem nächst an die einzelnen Zweigvereine ergehen. — 6 Der Congreß der Stadtverordneten ist gestern hier zusammengetreten. ES waren 326 Stadtverordnete erschienen. Den Vorsitz übernahm auf Wunsch der Versammlung der Vorsteher der hiesigen Stadtverordneten-Vörsammlung, vr. Straßmann, worauf drei Gegenstände der Tagesordnung: über die Zusammensetzung des Magistrats, über die projectirte Einführung der Bürgermeisterei-Ver fassung und über die gemeinschaftlichen Sitzungen von Magistrat und Stadtverordneten unter lebhafter Theilnahme der Versammlung im liberalen Sinne nach den vorgelegtcn Resolutionen erledigt wurden. Die Versammlung tagt noch heute und morgen. Merseburg, 23. September. Im Amtsblatte wird durch den Regierungs-Präsidenten von Diest folgendes Dankschreiben Sr. königl. Hoheit des Prinzen Georg von Sachsen veröffentlicht: „Die Truppen des königl. sächsischen Armee-Corps haben bei Gelegenheit der diesjährigen großen Herbstmanöver an der Saale während ihres Aufenthalts in königl. preußischen Gebieten, von allen Seiten ein so herzliches Entgegenkommen und freundliche Aufnahme gefunden, daß cs uns Alle zu aufrichtigem Danke verpflichtet. Ich ersuche Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenst, diesen meinen Dank und den der mir unterstehenden Truppen den Einwohnern »er Kreise Merseburg und Weißenfels in geeigneter Weise aussprechen zu wollen rc. Georg, H. z. S., General der Infanterie und commandirendcr General des XII. ikönigl- sächs.) Armee-Corps. Dresden, den 16. September 1876." München, 23. September: Der König hat sich vorgestern von Schloß Berg auf den Schachen bei Parlenkirchen begeben. Wie der „K. v. u. f. D." vernimmt, hat Se. Majestät die Einladung M Theilnahme an den Festlichkeiten zur Feier des Jubiläums des Kunst- und Kunstgewerbe-Vereins mit verbindlichem Danke abgelehnt. Oesterreich. Wien, 24. September. Se. Maj. der König von Sachsen ist heute Morgens kurz vor H9 Uhr mit dem Courierzüge der Nord-