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2470 ernannt. Saib-Bey wurde erster, Sehib Efendi zweiter Secretair in der Cabinetscanzlei deS Sultans, Edhem Efendi erster Kammerherr, Mehmed Pascha erster Adjutant, Said Pascha (bisher Präsident des Artillerie-Comitis) wurde Chef der Palastwache. Am 6. September, als dem Geburtstage deS neuen Sultans, war Konstantinopel illuminirt. Die Pforte hat, wie „Hon" von glaubwürdiger Seite erfährt, ihren Vertretern im AuSlande in einem vertraulichen Rund schreiben bekanntgegeben, daß sie zum Aeußersten entschlossen sei und die in die Form wohlmeinender Rathschläge gekleidete Einmischung der Mächte nicht länger dulden wolle. Der Hat des Sultans werde demnächst, gleichsam alS Programm deS neuen Herrschers, auSeinander- setzen, wozu die Türkei als Staat berechtigt sei und worein die Mächte sich nicht zu mengen haben. Ueberhaupt herrsche in den türkischen Re- gierungskreisen eine sehr energische Stimmung, welche in der Presse kräftig zum Ausdruck gelangt. Seit die Schwertumgürtung Abdul Hamid's vollzogen sei, habe diese Entschlossenheit bis zu den letzten Consequenzen im Divan daS entschiedenste Uebergewicht erlangt. In dieser Woche wird die Ceremonie der Sendung des „Surer-Humayum" (der kaiserlichen, für Mekka bestimmten Ge schenke) stattfinden. Die Procession wird von Mabern abgehen, um sich nach Tophane zu begeben; dort wird sie auf einem Specialschiff nach Scutari unter Kanonenschüssen gebracht. Ein Staatsschiff nimmt dann die Geschenke und die Pilger auS Konstantinopel auf, um sie nach Beyruth zu bringen. Von dort gehen sie nach Damascus, von wo die Carawane, nun vollständig zusammen, den Weg durch die Wüste nach den heiligen Orten einschlagen wird. Die türkische Regierung versucht, die kirchlichen Interessen der auf jede Weise niedergetretenen bulgarischen Bevölkerung von ihren griechischen Glaubensgenossen zu trennen. Aus Kon stantinopel wird Wiener Blättern darüber gemeldet: „Der bulgarische Exarch hat von der Pforte die feierliche Zusicherung erhalten, daß die Autonomie seiner Kirche nun gänzlich hergestellt, und so jedes Band, das dieselbe noch mit dem griechischen Patriarchate verband, gelöst werden soll. Die Bulgaren werden dadurch wenigstens in Bezug auf ihre geistlichen Angelegenheiten gänzlich autonom und werden nur ihrem geistlichen Oberhaupte zu gehorchen haben." Ein aus armenischer Feder stammendes, an den Brüsseler „Nord" gerichtetes Schreiben giebt kund, daß das muselmännische Joch auf den christlichen Elementen der astatischen Türkei nicht minder schwer und drückend lastet, als auf denen der europäischen, nur daß Europa, das in jenen Gegenden höchst vereinzelte consularische Agenten hat, über die dortigen Zustände sehr schlecht unterrichtet ist. Der Briefschreiber sagt unter Anderm: „In seinem endlosen Jammer wendet der Armenier oft seine Augen nach dem Abendlands und sucht dort, aber umsonst, Schutz und Hilfe, denn die Mächte Europas scheinen die Frage nur geographisch zu behandeln und lassen drei Mil lionen armenischer Christen hilflos, weil sie das asiatische Gebiet des ottomanischen Reiches bewohnen. Gleichwohl sind die Armenier nicht weniger geknechtet als die Christen der europäischen Türkei; sie werden mißhandelt wie Neger, da sie aber keine compacte Bevölkerung bilden, sondern unter den Muhamedanern zerstreut wohnen, die zwanzigmal zahlreicher sind, so wagen sie nicht, an eine, Erhebung zu denken, aus Furcht, bis zum letzten Mann massacrirt zu werden. . . . Möchte doch Europa an dem Geschicke dieses Volkes Antheil nehmen, das so viel für den christlichen Glauben gelitten; solches ist eine Pflicht der Menschlichkeit und Ge rechtigkeit, unparteiisch in der Lösung der Oricntfrage zu Verfahren. Es steht dem Geist des Jahrhunderts nicht an, zwischen den Christen Europas und den Christen Asiens einen Unterschied zu machen," Vom türkische« Kriegsschauplätze. Konstantinopel, 5. September. Ueber die Friedens bedingungen der Türkei schreibt man der „Polit. Corr.": Der von den sechs Garantiemächten in der letzten Versammlung bei dem englischen Botschafter beschlossene Schritt ist gestern erfolgt. Jeder der betreffenden Vertreter brachte den Wunsch nach unverweilter Ein stellung der Feindseligkeiten zwar einzeln, jedoch in identischen Aus drücken zur Sprache. Die Antwort der Pforte lautete wie folgt: Die Türkei wünsche die Wiederherstellung des Friedens sehnlicher, als irgend Jemand, sie könne aber ihre Einwilligung zu einem Waffenstillstände nicht geben. Die Gründe, welche dis Pforte für ihr Weigerung an- sührt, sind folgende: Die täglichen Ausgaben für die Armee erreichen eine ungeheure für das Land höchst drückende Ziffer, und es kann nicht angehen, 200,000 Mann, Gewehr in Arm, unthätig stehen zu lassen. Die Jrregulatren, welche vom Kriege leben, müßten während deS Waffenstillstandes Sold erhalten und auf Staatskosten ernährt werden. Die Unterhandlungen könnten sich bis zum Eintritte der schlechten Jahreszeit in die Länge ziehen, und der Waffenstillstand könnte nur den Serben nützlich werden, welche die Ruhe benützen würden, um ihre durch Niederlagen erschütterten Armeen zu reor- ganisiren. Das sind die osficiellen Gründe. Es giebt aber noch an dere, die man nicht ausgesprochen hat. Der Pforte entgeht nicht die Bedeutung der Hilfe an Leuten und Geld, die alltäglich aus Rußland nach Belgrad gelangen und sie will sich nicht zum Spielball ihrer Gegner machen, indem sie die Dauer des Feldzuges durch einen Waffenstillstand verlängert. Die Pforte hat übrigens den fremden Vertretern versprochen, ihnen officiell in zwei Tagen die Bedingungen bekannt zu geben, unter welchen sie bereit ist/den Frieden zu unter zeichnen. Durch die Thatsache dieser Erklärung allein acceptirt die Pforte die Vermittelung Europa«, und ist die? ein bedeutender Schritt auf dem Wege zur Friedensherstellung. Nach ganz autoristrten In formationen würden sich die Forderungen der Pforte, namentlich was Serbien betrifft, auf eine momentane Besetzung der serbischen Fest ungen und auf daS Recht deS Ausbaues der Eisenbahnlinien Belöva- Sofia-Nisch bis Belgrad beschränken. Da Serbien außer Stande ist, die Kosten dieses Baues zu bestreiten, so würde die Türkei dieselben auf sich nehmen und natürlich Besitzerin dieser Eisenbahnlinien bleiben. Serbien und Montenegro aber haben an die europäische Intervention nur in der Hoffnung appellirt, ihre Ansprüche dadurch unterstützt zu sehen, und man kann annehmen, daß mindestens einige dieser Mächte auf die Türkei einen Druck versuchen werden, um von ihr Con- cesstonen zu erlangen. Hier beginnt die Aufgabe der Diplomatie außerordentlich schwer zu werden. Die Pforte wird nicht verfehlen, geltend zu machen, daß eventuelle Concessionen an rebellische Unter- thanen nichts Anderes bedeuten, als den Revolten und Jnsurrectionen auf allen Punkten des türkischen Reiches Thür und Thor zu öffnen. Was aber besonders ernst erscheint, ist, daß die türkische Regierung der Aufregung ihrer muhamedanischen Unterthanen, welche durch die Kriegsleiden zur Verzweiflung gebracht sind, Rechnung tragen muß. Die muhamedanische Bevölkerung würde sich aufbäumen, wenn sie sähe, daß man der Revolution noch eine Aufmunterungsprämie ge währe. Die Situation ist demnach nicht gefahrlos und erheischt die schonendste Behandlung. Die Männer, welche die Geschicke des tür kischen Reiches leiten, nähern sich sichtlich der österreichischen Diplomatie, und bekunden offen ihr Vertrauen in die guten Dienste derselben, die allein das Pacificationswerk fördern und die drohenden Verwickelungen beseitigen können. — Diese Schlußbemerkung erhält eine Bestätigung durch die „Times", welche schreibt: Im Verhältnisse, als der Einfluß des britischen Botschafters abgenommen hat, beginnt der des öster reichischen Botschafters zu wachsen, wahrscheinlich auf Grund der Voraussetzung, daß nächst England Oesterreich die Macht ist, auf welche, als die am Nächsten interessirte, gerechnet werden dürfte, daß sie der Türkei Unterstützung angedeihen lassen werde. Pesth, 10. September. (K. Z ) General Klapka schreibt, die Pforte fordere die zeitweilige Besetzung dreier strategischer Punkte in den Thälern des Timok, der Morawa und der Drina. Carls ruhe, 6. Septbr. Ein hiesiges Blatt vernimmt, daß sich noch in dieser Woche Medicinal-Rath vr. Schenck von hier, und der Assistenzarzt des jüngst verstorbenen Hofraths vr. Simon in Heidel berg, vr. Hack, nach Belgrad und Alexinatz begeben werden, um mehrere Wochen lang der Ambulanz ihre ärztliche Hilfe zu leisten. Uebrigens soll der anfänglich große Mangel an praktischen Aerzten, die selbstständig zu operiren tm Stande sind, in Serbien durch Zuzug vom Auslände her zum großen Theil bereits behoben sein. Cattaro, 10. September. (Telegr. der Bohemia.) Vorgestern früh bezogen die türkischen Truppen das befestigte Lager von Podgoricza, rückten dann in Gefechtsformation bis Dukla vor, und kehrten nach einer Demonstration und Kanonade um 10 Uhr zurück. Semlin, 10. Sept. (Tel. der N. Fr. Pr.) Gestern wurde ein Gesetz publicirt, welches die Selbstverstümmelung mit der Todes strafe bedroht. In jüngster Zeit sind über 600 Fälle von Selbst verstümmelungen vorgekommen. — Der Kriegsminister ist an die Drina abgereist. Privatnachrichten aus dem Lager von Pogled am Javor melden heftige Kämpfe vom 4. und 5. September. Die Türken seien in alle ihre Positionen zurückgedrängt worden. Ser- bischerftitS wären 32 Kanonen ins Feuer gekommen. Major Jlic sei gefallen. Weiter wird gemeldet, daß die Bewohner von Po- zarevatz und Umgebung flüchten.