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GoWtags-UrtraMlage zu den „Bautzener Nachrichten". Den M. AM. Aus -eutschen Berge«. Novelle von E. Volkland. (Fortsetzung aus der S-rmta-s-Extrabeilage Nr-11.) Esther schwieg. „O sag' es mir, Esther, was Du glaubst! Weißt Du, als er fortging, da dachte ich, er käme bald und ich konnte es Niemand sagen, aber ich fühlte es, daß er kommen würde und zu Weihnachten, da mußte ich immer denken, wie es wohl fein würde, in späterer Zeit, mit ihm — lach' nur nicht über mich, Esther — ich weiß es ja, es ist sehr albern, so etwas zu Lenken, und e- ist ja ganz natürlich, daß er mich vergessen hat." Sie hatte mit Erregung gesprochen, aber die Worte kamen langsam gegen das Ende. „Das ist unmöglich!" sagte Esther unwillkürlich. „Glaubst Du?' fragte Vera, sich halb aufrichtcnd und ihr mit Spannung jn das Gesicht blickend; „aber warum schreibt er denn gar nicht? Er hatte es doch versprochen. Warum antwortest Du mir nicht, Esther?" „Ich weiß nicht, wie", sagte sie langsam. „Achsag' mir, bitte, Alles, was Du weißt, ach bitte, bitte, sag' mir, was Du denkst. Ick habe so lange gar nichts gesagt, aber nun ich davon angefangen habe, ist mir zu Muth, als würde ich nie wieder ruhig sein, ehe ich nicht Alles gehört habe, Alles, wa« Du denkst." „Ich weiß nur dar, Vera", sagte Esther, „daß sein Vater ihn zurückrief." „Aber warum?" „Ich weiß es nicht, Liebchen, aber ich sagte Dir einmal, daß wir ganz arm sind; vielleicht wollte sein Vater ihn deshalb nicht hier lassen." „Aber, Esther, Du sagtest, nach Jahren würde er wiederkommen — ich ver sieh' es nicht — während der Zeit werden wir nicht reich." „Nein", sagte Esther, halb lächelnd, „aber nach decZeit wird es sich zeigen, vb seine Liebe treu ist, oder nicht." „Glaubst Du denn, daß er mich wirklich liebt?" „Ich weiß es nicht — wie kann man wissen, was in eines Menschen Herzen ist — cs schien mir aber so." „Ja", sagte Vera, „ich glaubte cs auch eine Zeit — Du kannst nicht denken, wie es war, so wunderschön, und cs ist doch sonderbar, daß ich erst recht genau wußte, daß ich ihn liebte, als er fortgereist war. Aber jetzt ist es so lange schon her und es ist Loch ganz möglich, daß er nicht wiederkommt; glaubst Du, Esther, daß Du Jemand aufgeben könntest, den Du liebtest, wegen Geld?" „Nein", sagte Esther schnell. „Nein, ich glaube auch, das würdest Du nicht thun", sagte Vera gedanken voll; „aber weißt Du, ich begreife cs nicht, daß er nicht schreibt — daß er nickt wiederkommt, das verstehe ich wohl, wenn sein Vater cs nicht will, aber ich denke, wenn ich ein Mann wäre, so würde ich es doch wenigstens einmal sagen, daß ich liebte, — ich glaube, s o könnte ich nicht fort." „Er durste es wohl nicht sagen, Vera." „Durfte nicht? Wie kannst Du das wissen? wer konnte cs ihm verbieten? Wie kannst Du überhaupt wissen, daß sein Vater ihn fortgerufen hat, Esther? Warum antwottcst Du nicht?" fuhr sie lebhaft fort, „hast Du heute etwas von ihm gehört? Du sprachst mit Clärchen, was sagte sie Dir?" „Nichts — ich habe heute nichts von ihm gehört." „Aber früher? Ach sag' eS mir!" „Ich weiß nicht, ob eS recht ist, es zu sagen." „O Esther!" „Ich will cs Dir sagen, mein Liebchen", sagte Esther, „es ist zwar nur ein einziges Wort, nur ein Gruß." „Für mich em Gruß!" jubelte Vera auf, „wann hast Du den gehört?" „Ehe er fortging — wir standen auf der Treppe, da sagte er mir, sein Pater hätte ihm befohlep, sortzureisen, er sagte es so, als ob es ihm weh thäte und dann bat er mich, Dich zu grüßen — dann kam Papa und dann hat er Abschied von Dir genommen." „Und da- hast Du mir diese ganze Zeit nicht gesagt?" „Ich wagte eS nicht, Vera — daß er Dich liebte, weiß ich wohl — aber ob er wirklich wiederkommt, wer kann da-wissen? und ich hosste, vielleicht würdest Du ihn vergessen." „Kann man wohl je vergessen, wen« man liebt? ^Esther, ichglaM P« hast nie geliebt, daß Du das denkeu kannst — er bat Dich, mich zu grüßen wie sagte er'S?" Er sagte, „willst Du Vera grüßen?" „Willst Du Vera grüßen", wiederholte Verq lächelnd, „und er hat Mich wirklich lieb, wirklich, wirklich? Ach, Esther, ich dachte gar nicht, daß ich so glück lich sein könnte. Und wenn er auch niemals wiederkommen sollte —", sagte sie gedankenvoll, „glaubst Du, Esther, daß er kommen wird?" „Ich weiß eS nicht", sagte Esther, „ich hoffe c- — aber das steht in Gotte- Hand." Sie war müde. Veras leuchtende Augen sprachen von Glück, aber Esthers Herz war ungläubig geworden. Sie hatte die Hossnung eigenen Glüsss.Mf- gegeben und nun schien es ihr, als würde auch das Glück ihrer Schwester zu Grabe getragen und sie grollte hcm Menschen, Ler daS verschuldet hatte. Zu Vera konnte sie sprechen, tröstend, hoffend, verheißend, sie hätte eS nicht über ihr Herz vermocht, ihr alle Hoffnung zu rauben — aber als ihre Schwester schon friedlich ruhend dalag, saß Esther noch lange am Fenster und blickte finster in die Wintertandschaft hinaus, bis die Sonne die unheimlich kalte Morgendämmer ung durchdrang Und glitzernd auf die Schneefläche schien. „Ich kann Loch nicht schlafen", dachte Esther, „jch will hinaus, dort ist eS besser." Der Schnee lag drückend auf den Baumästeu, so dgß sie hejnah bis zum Boden herabgesunken waren, und nur wenn Esthers Kleid die Zweige streifte, richteten sic fick etwas in die Höhe, zum Theil von ihrer weißewLast befreit. Es war nicht leicht, sm Walde vorzudringen, und erschöpft lehnte Esther ssch gegen einen Baumstamm. Es war ganz still um sic, kein Windhauch bewegte hie Baumwipfcl und kein Vogelruf tönte durch den Wald, doch beugte sic sich por und schic n zu horchen, als erwarte sie, Laß die Einsamkeit selber zu ihr sprechen würde, daß die Berge sich aufraffen würden aus ihrem Winterschlaf, um wieher einmal zu ihrem Herzen zu reden. Und als sie so dastand, da zog ihr ihre ganze Jugend durch Len Sinn; sie Lachte an ihren Liebestraum, der so kalt geendet hatte, daß sie nur mit Staunen und Beschämung des Jrrthums ihre- Herzen- gedenken konnte und ungeduldig der Erinnerung wehrte, die sie zurückführen wollte zu dem Frühlingstag, an dem sie, unter den hohen Eichen stehend, sich in ein Liebesleben hineingcträumt hatte. Sie dachte an ihre Schwester. — „Und das soll ich ertragen", sagte sie halblaut, als sie daran dachte, daß auch VeraS Glück Schiffbruch erleiden könnte, daß Walter vielleicht doch nicht kommen würde, trotz seines Liebesblickes, trotz seines Grußes. Und wie nun der ganze Wald so still dalag, durchzuckte sie's mit eigenthümlichem Gefühl — er lag so still ruhend, vom Herbstwind erst entblättert, dann vom Schnee umhüllt — des Frühlings wartend — in tiefem Schweigen gewaltig predigend. „Trage — ertrage —", sagten die ruhenden Berge um sie her, „was Du selbst verschuldest — was Andere thun — noch liegt es von Dunkel umhüllt, der Zukunft wartend, und eS ist Gotte- Gchcimniß, wie Alles enden soll." Ueber di« Berge zog der Fpühlmg wieder hin mit Lyub und Plüthen, aber in das Steinberger Haus brachte er Schmerz und Sprge, denn VeraS junge Lebenskraft schien gebrochen. Nur kürze Zeit hatten ihre Augen mit tiefem Glanz von ihrem Hcrzcnsglück gesprochen, aber bald drückten ihre Züge nur noch geduldige Ermüdung aus. Sie sah wohl am Tage oftmals hinaus, nach Ler Landstraße hin, die so viele Gäste brachte, aber der, Eine kam nicht, Len sie er wartet,und dann horchte sie wiederauf den Schritt de-Postboten, der doch immer Mieder verhallte, ohne ihr eine Nachricht von Walter zu bringen. Dann legte sie den Kopf ermüdet in dic Sophakiffen. Aber am Schlimmsten war es doch, wenn der Vater, ihren Blicken folgend, errathcn hatte, wa- sie erwartete. Man hatte so viel in der Nachbarschaft gesprochen über Veras Krankheit und Walter- Verschwinden, daß er auch bis zu ihm gedrungen war, und als selbst der alte Arzt, der um seinen Rath gefragt wurde, ein Wort über Walter fallen gelassen, da hatte Graf Steinberg Esther zu sich gerufen, und sie gefragt, was das be deute. Er hatte, heiter in den Tag hineinlcbend, nicht bemerkt, was keinem Anderen entgangen war, und nun nannte er die Liebe seines Neffen 'eine Thor- heit, seinen Gruß eine Unverschämtheit, und wenn er auch Vera gegeiiüber solche Worte nicht gebrauchte, so hörte er Walter- Namen, wenn dieser in Gesellschaft einmal erwähnt wurde, niemals, ohne einen Tadel hinzuzufügen, und sein Stirn-