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2059 jüngsten Kammersitzungcn, in welcher die obschwebende Frage über Einstellung der gerichtlichen Action gegen die CommunardS zur Sprache kam, schlug nämlich Naspail Sohn vor, daß eine gerichtliche Verfolgung gegen jene Offiziere eingeleitet werde, die bei Bewäl- ttgullg der Commune viele Leute füsiltrt hätten, welche sie im Besitze von Werthp apierrn -wußten. Dieser Vorschlag kvnrrte natürlich nicht unchin, m der Armee eine so gewaltige Erregung hervorzurusen, daß die RaSpailS bereit« mehre« Dutzend Herausforderungen erhalten haben, während der Kriegsminister mit Petitionen um eine energische Protestation von RegierungSwrgen gegen die Auslastungen RaSpailS bestiwnü wird. Der Kriegsminister gab dem Heere durch eine officielle Note Genugtuung, worin darauf htngewiesen wird, daß die Regier ung eine Protestation für unnütz hält, nachdem der Kammerpräsident Grövy, sowie das Abgeordnetenhaus ihrer Entrüstung über den Vor schlag RaSpailS Ausdruck gegeben haben. Die „ Unversöhnlichen " prvtestiren nun ebenfalls gegen Naspail, um nicht als Feinde der Armee pr erscheinen. In einer bei Louis Blanc gepflogenen Berath- ung haben sie sich nämlich über die Veröffentlichung einer Erklärung geeinigt, worin sie bedauern, daß Naspail, ohne seine Partei zu be fragen, jenen Antrag eingebracht habe, und dann beschlosten, daß künftighin auch die „Unversöhnlichen" sich einer „gewissen Partei- Disciplin " zu unterziehen haben. Großbritannien. London, 29. Juli. Die Königin empfing in Osborne in Gegenwart des Earl of Derby der! Botschafter des Sultans von Marokko, Cid El. Hady Mohammed Ebzebdy, die beiden Secre- taire und die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft. Zugegen waren auch Prinz Leopold und Prinzessin Beatrice. Der britische Consul in Marokko und Mogador, Mr. Robert Drummond Hay, war Dol metscher. — Ueber das Ende der Session herrscht heute größeres Dunkel als zuvor, nachdem Disraelt um jeden Preis mit der Er- ziehungsbill zum Schluffe gelangen will, bevor er irgend einen andern Gegenstand zur Debatte zulassen möchte. Und dennoch liegt eine Masse Stoffes vor, besten Erledigung unumgänglich ist. Noch sind nicht alle erforderlichen Gelder bewilligt. Noch schweben die Kauf- fahrteischifffahrts- und die Appellationsgerichts-Vorlage zwischen Ober- und Unterhaus; das indische Budget wird einen Abend, die orienta lische Debatte deren wahrscheinlich zwei in Anspruch nehmen; die Geldbewilligung für die Cave'sche Mission dürfte auch nicht im Hand umdrehen vor sich gehen; Göschen besteht auf eine Erörterung der Silberentwerthungsfrage, Harcourt auf eine Debatte über den ame rikanischen Auslieferungsvertrag, und somit ist Stoff in Hülle und Fülle vorhanden, selbst wenn alle übrigen Vorlagen über Bord ge worfen werden sollten. Trotzdem ist jedoch schwer anzunehmen, daß die Session über die 3. Augustwoche hinaus verlängert werden wird. — Ueber ganz Lancashire dehnt sich eine Bewegung, welche Kürzung der Arbeitszeit bezweckt, aus. Auf einer zu Newchurch gehaltenen Versammlung waren 27 Firmen vertreten. Es ward er klärt, daß andere große Firmen des Districts sich der Entscheidung der Versammlung anschlteßen würden. Man beschloß, es sei bei dem gegen wärtigen gedrückten Zustande des Handels wünschenswerth, die Fabriken nur vier Tage der Woche arbeiten zu lassen. Eine Abschrift des Be schlusses wird jedem Fabrikbesitzer übermittelt werden. Spanien. Madrid, 29. Juli. König Alfons wird nur äußerst kurze Zeit in Santander verweilen, wo er mit seiner Mutter, der Königin Isabella, zusammentrtfft. Der König wird von seinem Minister-i Präsidenten, Canovas del Castillo, begleitet. Daß Canovas ihn be gleitet, ist dem Umstande zuzuschreiben, daß General Martinez Campos di« Absicht hat, nach Santander zu kommen, um in Gemeinschaft mit der Königin Isabella den König zur Entlassung seines Premier- Ministers zu bestimmen. Martinez Campos läßt überall verbreiten, daß die Politik des Herm Canovas den Sturz Alsonso's mit Noth wendigkeit herbeisühren werde. Bei der Zusammenkunft zwischen König Alfons und seiner Mutter wird auch ein alter Lieblingsplan der Letzteren, die Vermählung ihres Sohnes mit der Infantin Maria de las Mercedes, einer Tochter des Herzogs von Montpensier, eine Haupt rolle spielen. REand. Das Land der Vukejew'schen nomadisirendrn Kirgisenhorde, Welche« bisher noch zu russisch-asiUtischem Besitz gerechnet wurde und unter Mtlitairverwaltung stand, wird nunmehr mit dem Gouvernement Astrachan, d. h. mit dem europäischen Rußland, vereinigt und unter Civilverwaltung gestellt. Diese Horde ist der letzte Uebervsft jener großen MongoleNherrschaft des Tschingts-Khan und Batu-Khan, welche einst halb Asien und Europa unterworfen hatte. Türkei- Die Pforte hat den Mächten den unmittelbar bevorstehenden Thronwechsel vertraulich mit dem Beifügen notificirt, daß ihre Politik dadurch keinerlei Aenderung erleiden werde. Zugleich mit der Nachricht von dem unmittelbar bevorstehenden Thronwechsel ist aus Konstantinopel die Mittheilung eingetrvffen, daß man dort soeben ein Complot entdeckt habe, die in der Nähe der Hauptstadt liegenden Dörfer Thernpia, Bujukde« und Jeni- Kivi an allen Ecken in Brand zu setzen und während der dadurch hervorgerufenen Verwirrung zu plündern. Es haben aus diesem An lässe in Konstantinopel zahlreiche Verhaftungen stattgesnnden. Ein Korrespondent des „Daily Telegraph" in Konstan tinopel bericht t über eine lange Unterredung, die er mit dem General Jgnatieff hatte, ungefähr Folgendes: „Ich erwarte nicht — so bemerkte Letzterer — daß die Serben entscheidend siegreich sein werden, ihr Entschluß ist, sich defensiv zu verhalten und, auf diesem Wege beharrend, vor Europa einen feierlichen Protest einzulegen. Europa muß möglicherweise einschreiten und den Conflict zum Stillstand bringen oder die ganze orientalische Frage eröffnet sehen — eine Sache, die, wie ich zu denken wage, nicht gerade jetzt wünschenswerth ist Eins ist gewiß, in kurzer Zeit muß ein Waffenstillstand eintreten. Die Großmächte können solches Hinschlachten nicht dulden und, was mehr ist, sie wollen nicht riskiren, gerade jetzt die ganze orientalische Frage eröffnet zu sehen. Niemand ist darauf vorbereitet; es würde zu endlosen Schwierigkeiten und vielleicht zu Mißverständnissen führen- In drei oder vier Wochen muß wenigstens ein Waffenstillstand sein. Wird Rußland die Initiative ergreifen? Nein, das glaube ich nicht, denn die Aufnahme, die demselben früher zu Theil geworden ist, kann es nicht gerade ermuthigen. Wahrscheinlich aber werden alle sechs Großmächte es in ihrem Interesse finden, sich zu vereinigen; ich habe gar keinen Zweifel, daß es so sein wird und dann ein Stillstand pro- clamirt werden wird. Atan wird der Türkei rathen, ihre Truppen, wo sie auch sein mögen, halten zu lassen; an Serbien wird dasselbe Ersuchen gestellt werden; dann wird eine Verathung stattfinden und die Sache geordnet werden." Auf die Frage des Correspondenten, in welcher Art sich Jgnatieff die Entwickelung denke, crwiederte der Botschafter: „Ich erwarte etwa Folgendes. Montenegro wird> wahrscheinlich die Herzegowina bekommen, Oesterreich aller Wahrscheinlichkeit nach einen Theil Bosniens; das Uebrige wird möglicherweise an Serbien fallen. Wir haben keinen Wunsch nach Erweiterung unseres Gebietes- Ihre englischen Diplo maten schreiben uns bisweilen den Wunsch zu, Konstantinopel und den Bosporus zu gewinnen. Kommt Ihnen nie der Gedanke, daß wir in dem Falle aufhören würden, ein russisches Reich zu sein und ein byzantinisches würden? Wir brauchen Konstantinopel nicht. Hätten wir es gewünscht, so hätten wir es 1843 oder 1829 nehmen können. Aber wir wünschten es niemals. Alles, was wir wünschen, ist, daß es neutral sei, daß der Bosporus für alle frei sei, daß wir in das Schwarze Meer völlig ungehindert hineingehen können. Das ist unser Recht, wir müßten es haben. Alles das könnte durch eine Conferenz geordnet werden. Sie fragen, warum beim Verfassen der Berliner Note Englands Meinung nicht von Anbeginn an berücksichtigt ward. Sie ward es und Lord Odo Russell sagte, er glaubte, es wäre nichts darin, dem England sich widersetzen könnte. Es war wirklich nichts Wichtiges darin. Ich für meinen Theil hätte gewünscht, England wäre auf der Conferenz thatsächüch vertreten gewesen. Ich glaube, es ist immer besser, daß zwischen allen Regierungen der großen europäischen Nationen eine freie Verständig ung herrsche. Uns irgendwelcher Hintergedanken zu verdächtigen, ist Unsinn. Wer haben daheim genug zu thun, ohne eine active oder auf Vergrößerung ausgehende auswärtige Politik zu verfolgen; Zeuge dafür sind die großen Reformen in Ruß land, die sich befestigen müssen, unser Eisenbahnsystem, das der Verbesserung be darf, und die Erziehung des Volkes. Der Kaiser hat sich seit 20 Jahren als einen eminent friedfertigen Mann gezeigt; warum haben sie kein Vertrauen zu ihm ? Der große Fehler Englands ist, daß es thatsächlich, obwohl nicht absichtlich, die Türken bei der Ermordung der Christen unterstützt. Wenn jemand Ihnen Vorstellungen macht, so sagen Sie: wir haben die englische Flotte zu unserer Ver fügung Was mich persönlich betrifft, so gehe ich jetzt niemals zur hohen Pforte. Ich habe den Großvezier seit 6 Wochen nicht gesehen. Jemand kam zu nur und sagte: „Warum kommen Sie jetzt nicht zu uns, und helfen uns mit Ihren Rathschlägen?" Ich erwiederte einfach: „Weil Alles, was ich sage und thue, miß deutet wird. Ich ziehe vor, den Lauf der Ereignisse zu überwachen." Sie müssen sich erinnern, daß Ihre Nation in einer ganz abnormen Lage ist. Sie beordern Kriegsschiffe nach Zanzibar zur Unterdrückung des Negersclaven-Handels und Sie schicken Ihre Flotte, den Verkauf von Christen-Kindern in Salonichi, Adrianopel und Phmppopel zu ermuthigen- Herr Disraeli mag sagen, was er will , über Wiedervergeltungen; aber ich kann aus eigener Kenntnis; behaupten, daß die ihm zugekommenen Berichte incorrect sind und will Ihnen, wenn Sie Lust haben, als Beweis davon Papiere zeigen Was die Möglichkeit eines großen Slaven- reiches betrifft, falls Serbien siegen sollte, so glaube ich nicht, daß eine ernstliche Erörterung nothwendig: dafür sind die Dinge noch nicht reif." 0 Nach dem Rechte der OSmanen sind bekanntlich die der TürEei untergebenen Christen nicht zum Kriegsdienste verpflichtet, wofür sie jedoch eine Kriegssteuer zu tragen haben. In der Kriegssteuer- frage war nun seit dem Beginne deS srNbisch-türkischen Kriege« Me Entscheidung der Pforte erwartet worden. Dieselbe ist nunmehr ge-