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165 Arbeit zu bekommen: und keine staatliche Aussicht darüber, daß nun auch wirklich gearbeitet werde (Pflicht zur Arbeit), kann den Sporn der Con- currenz und der Noth ersetzen; denn alle Faulen würden versichern, sie thäten, was sie könnten, und auch die Bessern würden sich's bequemer machen. Der Ucbcrschuß der wirklichen Lebensbedürfnisse, den jetzt Lie Reichen verzehren und der, gleichmäßig verthcilt, die allgemeine Lage nur wenig verbessern würde, würde gar nicht in Betracht kommen gegen das, was dann weniger verdient würde, so daß nur allgemeine Noth, besonders bei den untersten Verdienstclassen, die nothwcndige Folge wäre. Vermehrt würde diese Noth nur durch die allgemeine Erziehung der Jugend in Staats anstalten. Denn abgesehen davon, daß durch diese Erziehung die Fa milie und zuletzt auch die Ehe und damit jeder tiefere Halt der mensch lichen Gesellschaft vernichtet würde, wäre auch die nothwendige Folge, daß nun die unterste Stufe mit dem unentrinnbaren Fluche der Dummheit be haftet wäre. Die Unbegabten aller Stände oder vielmehr Verdienstclassen werden ja nach Vollendung des Elementarcursus entlassen und rücken in Lie entsprechenden Berufsclasscn ein, während die Uebrigen nach dem Maß ihrer Begabung weiter vorrücken und für die höchsten Stufen der Gesell schaft vorbereitet werden. Während wir gegenwärtig Kluge und Dumme in allen Ständen haben, würden künftig alle Klugen oben und alle Dum men unten hin kommen, und daß cs dann den untersten Berufsclasscn, d. h. den Dummen, schlimmer gehen würde, als jetzt, wird Keiner leugnen, der die menschliche Natur kennt. Daß die Führer der socialdemokratischen Partei die Unvernunft der ge nannten Forderungen nicht cinsehen sollten, ist kaum zu glauben. Aber ebenso verwerflich als die Forderung von Unmöglichkeiten ist die Verschweigung, ja absichtliche Beförderung der Fehler der Arbeiter. Wenn die Agitatoren selbst Lie allgemeine Bildung zur Grundlage aller Sittlichkeit machen, so müssen sic doch einsehen, daß Leute, welche die von ihnen geforderte Bildung zum größten Theil nicht haben, auch ihre Fehler haben werden und daß man bei ihnen in Erregung von Unzufriedenheit und Hoffnungen doppeltvorsichtig sein muß, daß man dagegen doppelt nöthig hat, sie an ihre Schuldigkeit zu erinnern und vor Fehlern zu warnen. Aber da wird man natürlich nicht populair, und gerade auf die Anreizung der Leidenschaften und auf die Vermehrung der Uebel durch die Fehler der Arbeiter setzt man ja seine Hoffnungen, die Hoffnung auf eine Umwälzung, die den Agitator oben hinbringen soll. Haben nicht die Arbeiter durchschnittlich in den Jahren am Schlechtesten gearbeitet, in denen sie am Meisten verdienten? Freilich war auf der einen Seite die Ueberproduction daran Schuld, indem sie theils zu schneller Herstellung der Produkte, theils zur An nahme auch der schlechtesten Arbeiter nöthigtc, die dann wieder die guten ver darben. Aber hat die socialistische Presse damals die Arbeiter- zu solider Arbeit gemahnt ? Ist es nicht ein Beweis ihrer geringeren Leistungen, wenn große Unternehmer zur Zeit des Arbeiterüberflusses sich Arbeiter aus Italien und Belgien kommen lassen ? Und wenn die Arbeiter Champagner tranken und ein Herrenleben führten: wer hat sie zur Sparsamkeit ermahnt und an künftige schlechte Zeiten erinnert? Im Gegentheil, die socialistische Presse lobte dieses Leben. „So muß es sein, und es muß noch ganz anders kommen." Es ist Thatsache, daß kleine Arbeitergruppcn schon am frühen Morgen ein Fäßchen Bier ausgetrunken hatten und die Backsteine zertrümmerten, die sic tragen sollten. Nur wenige sind bei ihrer Einfachen Lebensweise, wie sie früher allen Ständen gemein war, geblieben und haben sich einen Nothpfcnnig zurückgelcgt. Daß es die Reichen noch toller getrieben haben, ist keine Entschuldigung. Hiergegen hätte man eifern, aber nicht den Neid erregen sollen, daß mans nicht auch so treiben könne. Ferner ist's keine Frage, daß viele Arbeiter sich durch frühes Heirathen in Noth stürzen. Aber da wird der Allgewalt des Naturtriebes das Wort geredet, statt daß man Lie Menschen ermahnen sollte, nicht eher zu hei- rathcn, als bis sie im Stande sind, eine Familie zu ernähren, und sich womög lich etwas zurückgelegt haben. Wie ganz anders würde es einem Stande, der besser geleitet würde, mög lich sein, seine Ansprüche durchzuführen, während ungemessene Forderungen nur das Mißtrauen der herrschenden Classen nähren, und sittliche Blößen der Ab neigung zu helfen einen Vorwand geben. Möchte das Volk erkennen, daß Christus sein bester Freund ist, aber möchte die evangelische Kirche cs auch dem Volke beweisen. (Rchsb.) Vermischtes. — Leipzig, 17. Januar. (Dr. I.) Wie in Nr. 12 dieses Blattes ge meldet, hatte vor Kurzem ein gefangener polnischer Eisenbahnarbeiter bei seiner Ueberführung vom Gerichtsamte Grimma nach Borna den ihn transportirenden Aushilfsbeamten ermordet und hierauf das Weite gesucht. Der Mörd e r, Namens Wittkowski, ist nun gestern auf dem Wege von Eutritzsch nach Leipzig haupt ¬ sächlich an seinem weißen Pelze von einem Gendarmen erkannt, bis in die Stadt verfolgt und hier verhaftet worden. Wittkowski leugnet hartnäckig, ist jedoch durch 3 Obergendarmen auf das Bestimmteste recognoscirt worden. — Leipzig, 16. Jan. Während der mit gestern beendeten Neu- jahrsmesse sind beim Frcmdenbureau des hiesigen Polizeiamt- 5985 Fremd« angemeldet worden. In Ler NeujahrSmeffe Les Vorjahres 1875 betrug die Gesammtzahl der Frcmdenmeldungen 6017. — Cunnersdorf b. Görlitz, 16. Januar. (G. Anz.) In Folge vorzeitigen Schließen« der Ofenklappe erstickte gestern Nachmittag der an Brustwassersucht krank liegende Häusler und ChauMewärter Roscher in Lieb stein an Kohlendampf. Seine Frau und deren Schwester waren auch be reits bewußtlos, al« zufällig Nachbarsleute hinzukamen und sie retteten. — Berlin, 17. Jan. Vor Eröffnung der heutigen Börse, auf offener Straße, kam es zwischen einigen Börsenmännern zu hand- greiflichenErörterungen, welche das Einschreiten des dort patroulliren- dcn berittenen Schutzmannes nothwendig machten. Die Namen der drei unmittelbar Betheiligten wurden zur weiteren Verfolgung der Sache nolirt. — Im Circus Salamonski in Berlin wird in den nächsten Tagen eine Schlangenbändigerin, eine Französin von 18 Jahren, auftrcten, welche sich in einem eleganten Käfig mit 12 Riesenschlangen producirt, von denen die größte 40 Fuß lang ist und 400 Pfund wiegt, während die kleinste 12 Fuß Länge hat. — Breslau, 13. Januar. Der „Schl. Ztg." schreibt man: Ein ent setzliches Ereigniß wird ausLichtenau (Kreis Lauban) gemeldet. In der zu diesem Dorfe gehörigen Colonie Löbenslust wohnte der Tischler Müller mit seiner Frau allein in einem kleinen Häuschen. Am Montag früh kam der Amtsdicncr, um Müller zum Schnceschaufeln zu bestellen, fand jedoch keinen Einlaß, da das Haus verschlossen war. Als auch auf wiederholtes Pochen nicht aufgemacht wurde, wurde die Thüre gewaltsam geöffnet. Bei dem Ein tritte sand man im Vorraumc des Hauses den Tischler Müller mit durchschnitte nem Halse todt am Boden liegend und in dem Wohnzimmer Lie Leichen der Frau und des Hundes, so wie cin Beil, mit welchem die Beiden augenscheinlich erschlagen worden. Es ist kein Zweifel, daß Müller diese Unthat verübt und sich aus Verzweiflung darüber selbst den Tod gegeben hat. Derselbe lebte zwar mit seiner Frau ganz gut, war aber ein sehr jähzorniger Mensch. — OT' Breslau, 17. Januar. Die heutigen Mittagsblätter ver öffentlichen eine amtliche Meldung, der zufolge gestern ein Zug der Rechten Oder-Ufer-Bahn bei OelS in Folge des Bruches eines Radreifens ent gleist ist. Viele Wagen find zertrümmert und da- Geleise vollständig gesperrt. Von den Passagieren ist Niemand verletzt; dagegen find der Loco- motivführer und der Heizer schwer, der Zugführer und der Packmeister leichter beschädigt. — Lauenburg (Prov. Pommern), 13. Januar. In dem nahen Neuendorff verließen gestern Nachmittag die Tagelöhner Pritzkeschen Eheleute ihre Wohnung und ließen ihre beiden Kinder, einen Knaben von 6 und cin Mädchen von 4 Jahren, darin ohne Aussicht zurück. Kurz nach 4 Uhr stand das Haus in Flammen und mußten beide Kinder, da ein Eindringen in Lie Wohnung nicht mehr möglich war, elendiglich verbrennen. Ihre Ueberrcste wurden nach Abräumung der Brandstelle vorgefunden. Nach Aussage der Ehefrau Pritzkc hatte dieselbe, da der Knabe gern mit Schwefelhölzern spielte, letztere in ein Spind verschlossen und den Schlüssel dazu aus dem Spinde ver wahrt. Aus dem Umstande, daß in dem Schutte das Schloß des Spindes mit dem Schlüssel darin aufgefundcn wurde, ist zu schließen, daß der Knabe den Versteck des Schlüssels entdeckt und der Streichhölzer sich bemächtigt hat. — Aus Ruda (im Kreise Beuthen) berichten schlesische Blätter vom 13. d. Folgendes: In vergangener Nacht entstand in dem gezimmerten Füllort de- Hugoschachte- der Katharina-Steinkohlengrub« plötzlich cin mächtige- Feuer und schritt in Ler südwestlichen Grundstrecke weiter vor. Ein furcht barer Qualm erfüllte plötzlich den Schacht und bald auch die sämmtlichen Grubenbaue. Die Belegschaft und der Nachtstciger retteten sich durch die übrigen Schächte der Katharinagrube und durch den Elisabethschacht der Carl-Emanuelgrube. Nur Lie Belegschaft eines Pfeiler« im südwestlichen Felde der Katharinagrube, bestehend au« drei Häuern, so wie die Belegschaft eine« Pfeilers im angrenzenden Felde der Carl-Emanuelgrube, ebenfall« au- drei Mann bestehend, konnte nicht benachrichtigt werden und ist wahrschein lich umgekommen. Es wurden verschiedene Rettungsversuche gemacht, sie mißlangen aber alle. — Teplitz, 17. Januar. (Boh.) Heute Nacht kam im Bahn ho s- gebäude dcrAussig-Teplitzer Eisenbahn ein großes Feuer zum Ausbruch, welches den Dachstuhl des rechten Seitenflügel« gänzlich zerstörte. Das Hauptgebäude mit dem Sitze sämmtlicher Bureaux blieb, Dank dem euer-