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Beiblatt zum Werfer Grembeten Druck und Verlag von Otto Meyer, Adorf sBogtt.) Nv. rsi Sonntag, daa IS. Dezember 1929 SS. Jahcg. KapKalbildung und Steuersenkung. Das sozialdemokratische Zentralorgan, der „Vor« lvartS", veröffentlicht unter dem charakteristischen Titel „Geduld, ihr Herren!" einen Aussatz, der sich dagegen wendet, daß gegenwärtig gerade von demokratischer «ette aus mit so besonderer Schärfe auf beschleunigt« MangrtffnaHme der Finanzreform gedrängt und daß »abei der Gesichtspunkt der Kapitalbildung in den Vordergrund gestellt wird. Sollte dem „Vorwärts" oie Tatsache, daß zwischen der Größe des der Produkt nven Wirtschaft zur Verfügung stehenden Kapitals und der Zahl der Arbeitskräfte, sowie der Kapitalkraft und der Entlohnung ein unmittelbarer Zusammenhang be. sicht, wirklich verborgen geblieben sein? Unverdächtig« Zeugen, wie die preußischen Minister Höpker-Aschofs und Schreiber, sowie die dem „Vorwärts" wohl noch sympathischeren Herren Severing und Dr. Hilferding haben dies« selbstverständlichen Wahrheiten gerade in den letzten Wochen mit sozusagen amtlicher Betonung ^rkündet und daran die Forderung geknüpft, daß der Wirtschaft durch entsprechende Senkung der Steuern dre Wiedergewinnung der verlorenen Rentabilität und die Bildung eigenen Kapitals ermöglicht werden müsse. Bisher hat der „Vorwärts" zu dem allen ge- schwiegen. Nun scheint er plötzlich aus seinem Schlum mer erwacht zu sein urld wartet der Oefsentlichkeii mit der Entdeckung auf, Steuersenkungen würden sich als nutzlos erweisen, denn ein Teil der Ermäßigung von Besitzsteuern werde in den Luxuskonsum gehen, während ein anderer Teil gegenüber dem Kapitalbedarf der deutschen Wirtschaft nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein bedeuten würde. Die Charak teristik paßt witzigerweise ausgezeichnet auf Hilferdings Neformprogramm, das im Endergebnis den inneren Ausgabenaufwand der öffentlichen Hand hinter den« Schleier angeblicher Steuersenkungen noch um etwa 600 Millionen Mark erhöhen will: sie paßt aber durchaus nicht auf die umfassenden Reformvorschläge in steuerlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, die von meinhold, Höpker-Aschoff und jetzt eben erst vom Reichs- Verband der Deutschen Industrie der Oefsentlichkeii vorgelegt worden sind. Wenn der „Vorwärts" davor warnt, aus Steuer- Senkungen Hoffnungen für eine Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft herzuleiten und damit überhaupt die Hoffnungen aus eine deutsche Zukunft begräbt, so ist düs seine Sache: er wird aber begreifen müssen, daß andere Kreise den Glauben an Deutschland noch kicht verloren haben und entschlossen sind, die zur Herbeiführung besserer Zustände nötigen Wege zu Zehen. Kapitalbildung tut not, und die erste Voraus etzung zu ihrer weiteren Förderung ist eine Steuer- eukungspoNttr, die vor allen Dingen die wsrtschaft- ichen Unternehmungen von dem Druck der Gewerbe steuer vollständig und restlos befreit. Jede Steuer- enkungsmaßnahme, die sich mit möglichster Unmittel barkeit in eine Vergrößerung des Eigenkapitals der Unternehmungen und damit in eine Minderung ihrer Verschuldung und ihres hohen Zinsendienstes umsetzt, jede Steuersenkung, die also unmittelbar dem werben den Wirtschastskapital zugut« kommt, wird und muh zwangsläufig zu einer Ausweitung der Arbeitsplätze, zu einer beschleunigten Ueberwindung der Arbeitslosig keit und zufolge der besseren Ausnutzung der an sich gegebenen Produktionskapazität zu «iner Preisabbau- Bewegung mit Steigerung des Reallohnes der Ge samtheit der deutschen Arbeitnehmerschaft führen. Das Md kein« phantastischen Verheißungen, sondern da« Md zwangsläufige wirtschaftliche Zweckmäßigkeiten, denen sich auch das sozialdemokratische Zentralorgan Mf die Dauer nicht zu verschließen in der Lage sein wird. EMMes. Vertagung des Landtags. Bis zum 14. Januar. Der Sächsische Landtag hat sich am Don nerstag in später Nachtstunde auf den 14. Januar ver- tagt. Den letzten Beratungsgegenstand im alten Jahre bildeten mehrere Anträge der Regierungsparteien über Maßnahmen zur Hebung des Arbeits- Marktes im Interesse des sächsischen Wirtschafts lebens. Der Antrag fordert u. a. Einwirkung auf die Zoll- und Handelsvertragspolitik des Reu s, Fortführung und Ernseiterung der bestehenden K.editaktionen zu» gunsten einzelner Industrie- und Gewerbebetriebe, steuerliche Erleichterungen, Einstellung -er starken Abziehung -er Geldeingänge in den von der Zentrale abgelegenen Reichsteilen, Erhöhung des der Leipziger Messe zusließenden Staatsbeitrages, Vergebung von Aufträgen der öffentlichen Hand an notleidende Be zirke, Ausnahmetarife zur Belebung des Exports usw. Nach längerer Debatte wurden sämtliche Anträge der Regierungsparteien zum Teil einstimmig, zum Teil gegen die Sozialdemokraten und die Kommu nisten angenommen. Die übrigen Beratungspunkte — Anträge über den 5-Uhr-La-enschluß am 24. Dezember, das Zünd- Holzmonopol und den Termin des Volksentscheids — wurden von der Tagesordnung abgesetzt. Vize präsident Dr. Eckardt wünschte den Abgeordneten ein krohes Weihnachtsfest und ein gesegnetes Neues Jahr. Handwett und Vergebungswesen. Ein Antrag im Landtag. Die Deutsche Volkspartei hat im Sächsischen Land tag einen Antrag eingebracht, in dem darauf hingcwie- sen pnr-, daß nach wie vor im Handwerk über das Vergebungswesen und dessen Handhabung durch die behördlichen Auftraggeber starke Klage geführt wird. Zweifellos würde manche Klage behoben werden kön nen, wenn die auftraggebenden Stellen mehr im Geist und Sinn der Verdingungsordnung verfahren und das Vergebungswesen nicht vom rein fiskalischen, sondern vom wichtigeren volkswirtschaftlichen Stand punkte aus handhaben. Die Deutsche Volkspartei be- antragt daher: -er Landtag wolle beschließen, die Re gierung zu ersuchen, I. den unterstellten Behörden und Gemeinden auf zugeben, das ortsansässige Handwerk, ins besondere soweit deren Vertreter den Meistertitel führen oder Lehrlinge ausbilden, bei Vergebung von Arbeiten mehr zu bedenken und dabei die Reichsver dingungsordnung in allen ihren Teilen anzuwenden: 2. Bei der Reichsregierung darauf hinzuweisen, baß Teil A der R e i ch sv e r - i n g n n g s o r d - nung im Interesse einer Vereinheitlichung, Verein fachung und Verbilligung des Vergebungsvcrfahrens gesetzlich eingeführt und allenthalben sinngemäß an- gewendet wird. Die Vergebung soll nicht als rein fiskalischer Art angesehen werden, sondern vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte einer größtmöglichen Befruchtung und Förderung der Ge- samtwirtschaft; 3. darauf hinzuwirken, -aß auch bei Ausschreibung der durch -ie Mietzinssteuer bezuschußten Bau ten die Reichsverbingungsordnung in allen Teilen zu- grundegelegt wird: 4. darauf hinzumirken, daß bei Vergebung von öffentlichen Arbeite« im Snbmissionswege nicht das billigste Angebot, sondern dasjenige den Zn» schlag erhält, welches in der Regel dem angemessenen Preise am nächste« kommt. An Stelle des jetzigen Kampseö um de« Preis muß ein solcher nm die höchste und beste Leistung treten; 5. darauf hinzuwirken, daß im Interesse einer ver- trauensvollen Gemeinschaftsarbeit zwischen den ver gebenden Behörden und ausführenden Unternehmern der 8 7 der V. O. B. betr. Sachverftändigen- mitwirkung von Berufsvertretern in weitest- möglichem Umfange durchgeführt wird. zozoo» Reichsmark unterschlagen. Die Schwimmer fordern den sofortigen Rücktritt des gesamten Kreisvorstandes nnd des Heim- ausschnsses. Zu den Unterschlagungen im Kreise vii (Sachsen) -es Deutschen Schwimmverbandrs teilt der Vorsitzende -es Deutschen Schwimmverbandes, Dr. Gerson in Frankfurt a. M., mit, daß Dr. Bunner für das Ver bandsheim über 600 000 Reichsmark aufgebracht hat, von denen 275 000 Reichsmark im Kreishcim verbaut und 22 000 Reichsmark an Bäderbaudarlehen den Ver einen des Kreises gegeben worden sind. Die Rest- fumme, also 303 000 Reichsmark, hat Dr. Bunner unterschlagen. Das neugebaute Kreisheim wird den sächsischen Schwimmern vielleicht doch erhalten bleiben, jedenfalls sind Sanierungsmaßnahmen bereits im Gange. Uebrigens erfährt man jetzt noch, daß die Verfeh lungen Bunners dem Kreis- und Gauvorstand bereits seit Freitag vor acht Tagen bekannt waren. Am ver gangenen Sonnabend soll Bunner bereits in einem Briefe dem sächsischen Arbeits- und Wohlsahrtsmini- sterium Kenntnis von der Unterschlagung der staat lichen Gelder gegeben haben. Eine Anzahl hervor ragender Mitglieder verschiedener Schwimmvereine trat zu einer Besprechung zusammen, um zu der durch »ie Machenschaften Bunners geschaffenen Lage Stel lung zu nehmen. Man begründete die Einverufung der Versammlung mit der Auffassung, daß der Kreis zur Zeit ohne Führung sei. Denn nicht allein Dr. Bunner sei für seine Verfehlungen verantwortlich zu machen, sondern der gesamte Kreis vor st and könne infolge der an den Tag gelegten Sorglosigkeit tst der Aufsicht über die Geschäftsführung von Schuld n icht freigesprochen werden. Der gleiche Vor wurf treffe auch den Kreisausschutz. Vorstand wie Ausschuß — das war die erste Forderung — sollen sofort ihre Aemter «iederlegen und einem proviso rischen Vorstand nnd Ausschuß Platz machen. Bei de« am Sonntag stattsindeude« außerordentlichen Kreistag wird ein vom Dresdener Tchmimmverein und vom Schwimmklub Poseidon eingebrachter Antrag -eu Rücktritt des Kretsvorstanves und des Kretsyelmaur" schufles fordern uud die Wahl eines interimistischen Voritaudes und eines neuen Krcisheimansschusses, dem die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses in erster Linie zufallen wird, verlangen. Einbruch in eine Stationslafse. / 0 0 0 0 Reichsmark Lohngelder geraubt. In der Nacht zum Freitag statteten Diebe der <>ü will heiraten Roman von Eduard W. Maybach copxrjgdt dx LrewerS Oo.. kerliv dlV 6 Nachdruck verboten 34. Fortsetzung. Aber die Unterredung mit Felix verlief anders. Zwischen zwei Fremden Hütten sich keine größeren Schwie rigkeiten herausbilden können. Konrad Mengelberg war erstaunt, einen welch nieder geschlagenen Eindruck Felix Schmidt auf ihn machte. Auch nicht die leiseste Freude war in seinem Gesicht darüber zu >ehen, daß sein bester Freund zu ihm herübergefahren, nm ihn aus der Patsche herauszuholen. Sein Gang hatte etwas Schwerfälliges bekommen, was bei der leichten Kor pulenz seiner Figur Konrad Mengelberg trotz der traurigen Umstände dieses Wiedersehens ein leises Lächeln abnötigte. Mit lächelndem Erstaunen stellte der Rechtsanwalt auch fest, daß Felix, der bislang ob seiner totalen Glatze im ganzen Bekanntenkreise berühmt war, wieder einen leichten Haarwuchs zu verzeichnen hatte. Konrad Mengelberg versuchte Felix mit einen: Scherz wort aus seiner Trübsal Herauszureißen. Aber Felix er klärte ihm gleich von vornherein: „Es war unnötig, daß du herübergekommen bist, du wirst mir auch nicht helfen können. Was du wissen müßtest, sage ich dir nicht, und ohne das kommst du nicht vom Fleck." — Das kam nun wirklich gerade so heraus, wie die letzten Worte eines zum Tode Verurteilten. Und wirklich befand sich Felix in einer argen Gemütsdepression. Nachdem die Liebe zu Lia ein Ende haben mußte, sah es zum Er barmen in seinem Innern aus, und es war ihm absolut gleichgültig, ob er hier in Eisenach noch eine Weile festsaß, oder sich in Berlin mit seinem unendlichen Kummer auf freiem Fuß befand. Konrad Mengelberg versuchte erst Felix die Scheu vor einem rückhaltlofen Erzählen auszureden. Dann stellte er mit seinem Freunde ein förmliches Kreuzverhör an — ohne Erfolg. Als geschickter Jurist hatte Konrad Mengelberg immer das eine bald heraus: für die Reise seines Freundes lautete die Parole „Cherchez la femme!" Hinter der geheimnisvollen Reise steckte ein weibliches Wesen. Der Rechtsanwalt vermutete auch ganz richtig, daß es die junge Dame sein müsse, mit der Felix nach seinem damaligen Bericht sich zu verloben gedachte. Aber gerade, wenn er die Rede auf diese junge Dame hinlenkte, war es mit Felix völlig aus. Felix gab dann überhaupt keine Antworten mehr. Man merkte es nur an dem un endlich traurigen Ausdruck seiner Augen, daß der hosf- nungssrohe Freier hier eine arge Schlappe erhalten haben mußte. Konrad Mengelberg stellte mit Bedauern fest, daß er fo nicht einen Schritt weiterkam. Er mußte versuchen, in Berlin Recherchen einzuholen. Dazu suchte er aus dem völlig verschloßenen Felix doch noch den einen oder an deren Anhaltspunkt herauszulocken. „Nun sage mir aber doch bitte," fragte Konrad Mengel berg so ganz unvermittelt, „wie du dir erklärst, daß man in dem Gepäck des Täters deinen Reisepaß gefunden hat." „Meinen Reisepaß . . . !" rief Felix mit dem Gesicht eines Menschen, dem nach langer Finsternis ein Licht auf geht, „meinen Reisepaß!? Ach, liebe Tante Adelheid . . ." Und dann schlug er sich ein- über das andere Mal vor den Kopf. Damit aber war der Faden seiner Redseligkeit schon wieder abgeschnitten, und Felix versank in tiefes Nach denken. Er sah im Geiste jenes Gespräch wieder, das er mit der Tante und deren Intimus Carlsen gehabt hatte. Carlsen wollte ihm den Titel eines schwedischen Konsuls besorgen. Achttausend Mark hatte er dafür bekommen, und den Reisepaß obendrein. Und dieser Reisepaß war in dem Gepäck des Eisenbahnattentäters gefunden worden. Wer also war dieser Attentäter? Aber im selben Augenblick sah Felix pessimistisch, wie er nun in seinem trübseligen Zustand einmal eingestellt war, auch hier ein großes Schwelgeverbot vor sich. Be stimmt würde das schmerzliche Problem seiner Liebe nuv von der andern Seite her vor dem Untersuchungsrichter ausgerollt werden, wenn er den ganzen Zusammenhang der Ueberaabe des Reisepasses an den Freund seiner Tante Adelheid verriete. Im Handumdrehen war heraus, daß er sich den Konsultitel besorgen wollte, um bei der Wer bung um Fräulein Vallentin bei deren Vater, dem Ober finanzrat Vallentin, auf besseres Gehör zu fivßen. Felix hatte also nur gerufen: „Meinen Reisepaß . . . Ach liebe Tante Adelheid . . ." Dann war er wieder ver stummt. Aber dieser eine Ausruf, der gleichsam wie ein Bekenntnis herauskam, genügte für Konrad Mengelberg vollkommen. Er kannte ja Tante Adelheid, und die gemüt volle Rolle, die sie stets im Leben des Neffen gespielt hatte. Das war also des Pudels Kern: Tante Adelheid. Die liebe Tante Adelheid hatte die Hände im Spiel. Ja, sic war eine große Strategin. Warum sollte auf ihre Rat schläge hin ihr Neffe nicht letzten Endes irgendwo im Untersuchungsgefängnis landen? Rechtsanwalt Mengelberg fragte nichts mehr und wollte nichts mehr wissen. Daß Tante Adelheid mit im Spiele war, sagte ihm genug. Nur das eine konnte er sich nicht verkneifen, Felix noch zu sagen: „Das kommt davon, mein Freund. Ich habe dir oft genug gesagt, lasse dich von Tante Adelheid nicht zu sehr bevormunden. Nun siehst du, wie weit du gekommen bist. Wer nicht hören will . . ." Felix sagte gar nichts. Er fuhr sich verlegen mit der Hand über den leicht behaarten Kopf, und nur ein weh mutsvoller Blick aus seinen traurigen Augen zeigte, daß es auch bei ihm zu dämmern begonnen hatte. 21. Kapitel. Adieu, Gefängnis! Halbe Tage lang lag Felix auf seiner Pritsche, tief versenkt in seinen Kummer. Die ganze äußerliche Misere der Untersuchungshaft in Eisenach, und der verkehrten Ver- mutungen des Gerichts berührten ihn nicht mehr. Tief im Herzen, da saß es, da schmerzte es, und wollte nicht stille werden. (Fortsetzung folgt,)