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Deutscher «eichatag. Sitzung vom 30. November, 1 Uhr 20 Min. Zivette Beratung de» Gesetzentwürfe» betreffend die Aufhebung de» HilfSkassengesetzeS. Zu 8 1 de» Entwürfe», der da» Gesetz über die einge- Miebenen Hilsskassen ausheben will, beantragen die So- -ialdeniokraten, im Falle der Ablehnung diese» Paragraphen den Reichskanzler uni Vorlegung eine» Okfetzentwurfe» zu ersuchen, der die zur Beseitigung der Mitzstände in Hilf», lasset« notwendigen Aenderungen de» HtlsSkassengesetzeS vorschlägt. Abg. Hoch (Soz.) begründet den Antrag. Abg. Neumann - Hofer (Freis. Bp.): Die Vorlage hat in der Kommission ein« Gestalt angenomrnen, die un» die Zustimmung noch leichter macht als in der ersten Lesung. Abg. Werner-Her-feld (Np.): Gut geleitete Kassen sollen unbehindert bestehen bleiben, soll nicht unan gebrachte Härte Platz greifen. Abg. Becker-Ar nSberg (Ztr.): Diese Vorlage »ntspricht einer alten Vorlage von MV. mit der sich auch die Soztaldeniokraten befreundeten . Abg. Hoch (Soz.): Die Freisinnigen sind nette Freunde der Selbstverwaltung, die sie aufgeben »vollen! Ministerialdirektor Casper: Der Boden der Selbst verwaltung wird durch diese» Gesetz nicht verlassen, im Gegenteil, in manct-er Beziehung ist den Kassen freiere Be wegung eröffnet al» nach der Bestimmung des bisherigen Gesetze». Abg. Behrens (Wirtsch. Verg.): Die bisherigen Bestimmungen des Gesetzes haben nicht genügt, die Schwill- delkassen, durch die zahlreiche Personen geschädigt worden sind, nicht anfkommen zu lassen. Abg. N e u m a n n-H o fe r (Freis. Vp ): Wir wollen durch diese» Gesetz tatsächlich die SelbstveNvaltung der Kassen fördern. Allerdings ist da» Verhalten deö Abg. Hoch durchaus zu erklären, denn der sozialdeniokratisliien Wirtsck-ast ivird durch das Gesetz ein Ziel gesetzt. Nach kurzer Beratung wird 8 1 unverändert angenom men, der sozialdemokratisck-e Antrag ist somit gegenstandslos. Bei 8 3k. der die Einberufung der tk'nernlvcrsamm- lung regelt, ivird ein Antrag des Zentrum», der den Kreis der unter diese Bestimmung fallenden Versicl^ernngSvereine eriveitert, nach kurzer Begründung durch den Abg. Flei scher (Ztr.) angenommen. Abg. Stadthagen (Soz.) beantragt die Einfügung eine» 8 3b. Abg. Trimborn (Ztr.): Wir lehnen den Antrag an» prinzipiellen Gründen ab. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kommission hat einen neuen 8 3e. angenommen, der den Beschlich einer eingeschriebenen Hilsükasse über die. Auflösung oder die Vereinigung mit einem anderen Unter nehmen der Genehmigung der Behörde unterwerfen will, die zuständig sein würde, wen» die eingeschriebenen HilfS- kaffen dem Gesetze über die privaten Dersick-eriingSunterneh- munqen unterständen. Abg. Becker-ArnSiberg (Ztr.): ES besteht die Gefahr, das; Mitglieder eingeschriebener Hilfskassen bei Ver schmelzung mit sozialdemokratischen GetverksckwstSkassen ent weder au» der Kasse »»«treten und so ihrer Rechte verlustig gehen, die sie durch jahrelange Beiträge erworben k-aben, oder sich den sozialdemokratischen Kassen anschlietzen müssen. Abg. Hoch (Soz): E» ist unrichtig, das, von seiten der Gewerkscl>aften ein LerroriSmuS auSgeübt wird, um durch Verschmelzung einer freien Hilfskasse, der auch nichtsoztal- demokratische Mitglieder angehören, mit den Gewerkschaften die Reihen der Sozialdemokraten zu vermehren. Abg. Becker-Ar nSberg (Ztr.): Dafür, das; die Sozialdemokraten den unglaublichsten Terror»»«»«» auS- üben kann ich aus eigener Erfahrung die schlagendsten Be weise bringen. Vielfach wird denjenigen, die sich sozial demokratisch nicht organisieren wollen, das Werkzeug ver nichtet und sie selber in» Elend gejagt. Ich selber bin vom sozialdemokratisclie» TcrroriSmu» aufs schlimmste verfolgt gewesen. (Lärmen bei den Sozialdemokraten, Zustimmung im Zentrum.) Abg. Hoch (Soz.): Ich bleibe dabei, Herr Becker-ArnS- berg hat die Arbeiter hier mit Schmutz beworfen ohne jeden Beweis der Wahrl>eit. Waü er hier vorgebracht hat, war er logen. (Großer Lärm bei der Mehrheit. Glocke.) Vizepräsident Schultz weist den Redner ivegen dieses AuSdrnckkS zur Ordnung. Nach kurzer Bemerkung deS Abg. V e ck e r - ArnSberg (Ztr.) ist die Debatte beendet. 8 7a bleibt unverändert. — DaS Gesetz tritt nach kaiserlicher Verordnung in Kraft, 8 7a sofort. Damit ist die zweite Lesung des Gesetze» beendet. ES folgt die zweite Lesung deS Privatbeamten- versichcrungSgesetzeö. Abg. Molkenbnhr (Soz.) begründet einen Antrag seiner Partei, wonach Bureauangestellte, soweit sie mit schriftlick»en Arbeiten beschäftigt sind, unter da» Gesetz fallen sollen. Ministerialdirektor Casper: Die Befürchtungen, das; diese Kategorien nicht vom Gesetze betroffen werden, wenn cö bei der Fassung der Kommission bleibt, wonach e» heißt, das, Bureauangestellte, soweit sie nicht mit niederen oder lediglich mechanisäM Dienstleistungen beschäftigt werden, unter da» Gesetz fallen sollen, sind unbegründet. Abg. Pott ho ff (Vp.): Wir haben sachlich gegen den Antrag der Sozialdemokratie nichts cinzuwenden, wünsch?» aber, das; sämtliche Bureanangestellte getroffen werden und beantragen deshalb, jeglichen Zusatz zu dem Worte „Bureau- angestellte" zu streicl-en. Abg. Irl (Ztr.) bittet um Auskunft, wie die Versick»«- rnng kaufmännischer Angestellter in Handwerksbetrieben gehandhabt werden soll. Ministerialdirektor Casper: Die Frage der Versiche rung dieser Personen wird von Fall zu Fall zu regeln sein. Cö wird auch davon abhängcn, wie die Prinzipale die Be schäftigungsart ihrer Angestellten beurteilen und bezeichnen. Nach kurzer Debatte wird der Artikel t und die fol genden angenommen. Darauf vertagt daS HanS die Fortsetzung auf Frei- tag 1 Uhr. Schlus, 14 7Uhr. Aus Stadt und Land. tck«rtie>»»a aa» d«-> paavmui«« —* Vri dru sächsischen lklbsteomlmter» war nach Mitteilung der Königlichen Waffe« baudtrettion zu Dresden Ende 1010 folgender Schifsebestand innerhalb Sachsen» registriert: 80 Persvnendampsschiffe, 44 Schraubendampser und sonstige Maschtnenschiff«; ferner 0 Gliterdawpser. 4tt Radschleppdampser, 22 Kettendampser und 003 Frachtschiffe mit zusammen 281 300 Tonnen Lraasähigkett. —* Nutzlose Worte sind eü gewesen, die der Abgeord- ncte Erzberger am 21. November im Kristallpalaste zu un» sprach, wenn wir nicht einig sind in dem Kampfe, der un» bevoisteht. Im Hinterhalte lauert ein gefährlicher Gegner, der uns zu vernichten droht, der nur auf die Gelegenheit wartet, um uns uneinS zu machen. Er ist kein Feind, der zum offenen Kampfe fordert, nein, die Gesamtmacht kann er nicht bekämpfen, dazu ist er zu sciMlch. Vereinzelte greift er an. um durch seine „Uebermacht" uns auf seine Sette zu ziehen. In diesem Sinne klang auch die Rede Erzberger» aus. Auf der Einigkeit ist der Zentrumsturm ausgebaut, durch Zwiespalt sind gros;e Parteien vernicklet worden. Ist eö da ein Wunder, iven» wir beneidet »««erben von denen, die Einigkeit nicht kennen? Darum auch der blinde Hatz Jedes Mittel ist gerade recht, um die „Römlinge" zu be kämpfen. Sie rufen -un« Kampfe gegen die „Feinde" de» Reiche« und in dieser Verblendung verbrüdert sich der Libe ralismus mit der internationalen Sozialdemokratie. Dop- pelt groß ist also unser Feind: doppelt so groß mutz auch unsere Stkeitmacht »verden. Der gegnerischen Presse ist e» ExisteiizbedürfniS, zu Hetzen. Ein Motuproprio de» heili gen VaterS zu einer Hetze zu verwende», ist die beste Deli katesse. die sie ihren Lesern austischen kann. Wenn daher den „Dr. N. N." der neue Erlas; de» Papstes (die geistlichen Gerichte betreffend) auf die Nerven gefallen ist und sich die ses Blatt im Leitartikel der Sonntaguummer in leeren Worten Lust zu macl-en sucht, so kommt un» daö nicht über- raschend. Erzberger endete seine herrliche Rede mit dem ZentlumSgrundsatze „Mit Gott für Wahrheit, Freiheit. Recht'" und diese Worte fanden ein lebhaftes Echo in dem Herzen der Zuhörer. Mögen aber auch die Worte, die der geschätzte Redner der ZentrumSpresse zuwandte, keine ..lee ren" gewesen sein. Dem ZentrumSmann die „Sächsisch^- VolkSzeitung". daS Organ, welches daS Programm der ZentrnmSpartei verteidigt und die Rechte der Katholiken schützt. Auf der Zentrumsversammlung konnte sich ein Gegner nicht enthalten, die Rede ErzbcrgcrS als leere Worte zu bezeichnen. Sie »vollen Tatsachen sehen. GutI Die sollen sie sehe». Katholiken zeigt, datz ihr nicht nur Bei fall klatschen könnt, sondern auch dein Feinde zeigen wollt, mit wem er eS zu tun hat! Nehmt die Gelegenheit wahr, unterstützt die „Sächsische Volkszeitung", die eure Rechte verteidigt und niedere Kampfesweise mit Entrüstung zu- rücklveist. I» näher die Wahlen koinmen, um so schärfer der Kampf; daö soll uns Katholiken nicht entmutigen, die gute Sache zu verteidigen. DaS ist der flammende Protest ans unerhörte Angriffe, wenn ihr euer Scherfletn zur Exi stenz der „Sächsischen Volkszeitung" bettragt. Dann haben wir gezeigt, datz es nicht leere Worte waren, die Erzberger « — 72 — Hilde erhob sich und öffnete den prächtigen Flügel, der in der Mitte des 'Gemaches stand. „Sie singe» Wohl auch?" fragte die Prinzessin herüber. „Allerdings, Königliche Hoheit —" „Ach, da» wäre mir noch lieber — ein Lied. Bitte, liebe Hilde." Hilde setzte sich; ihre Augen blickten traumverloren. Sie besann sich einen Augenblick und griff dann sicher in die Tasten. Sie sang mit ihrer sclPncn, etwa» verschleierten Altstimme die herrliche Arie au» Glucks Orpheus: Ach, ich habe sie verloren, All mein Glück ist nun dahin I . . . Euridike! Euridike! . . . Der Gesang war voll stiller Wärme; e» klang die Seele daraus. Als sie geendet batte, erhob sich die Prinzessin und trat neben Hilde. „Da» war schön. Sie haben dabei Wohl an Ihre Lieben n« der Heimat, an Ihre tote Mutter gedacht?" Hildes Augen schimmerten feucht. „O, Königliche Hoheit . . ." »Ja — so was tut weht Und nun ist'S gut für heute Gehen Sie schlafen, Hilde — und möge Ihr Eintritt in dieses alte düstere Hau» Ihnen und unS allen Segen bringen. Gute Nacht!" Hilde beugte sich über die dargebotene Hand und kützte sie voll Dank barkeit. Es lag wie stille Weilie über ihr. Schweigend stieg sie hinaus in ihr Zimmer und legte sich zur Ruln» . . . « ^ E Tage und Wochen gingen in diesen« stillen, gleiclnnätzigen Leben hin. Hilde gewöhnte sich rasch an ihren Dienst, fand sich leicht zurecht und gewann ihn lieb. Die Prinzessin war stets gut zu Hilde und sagte nie «in Wort deS Tadels. Aber auch keines deö Lobe«. Hilde war enttäuscht. Die schöne, Helle, frenndliä-e Stunde des ersten Abend» kehrte nicht »nieder. Die Prinzessin war gleich freuirdlich, aber auch gleich ruhig und kalt. Mit kei««em Worte berührte sie die Verhältnisse und Vorgänge ans Schlvs; Soniteck. mit keiner Frage erkundigte sie sich nach dem Befinden von Hilde» Vater oder Bruder. Auch über ihre eigenen Angelegen heiten sprach sie nie ein Wort. Einsam und kalt wie eine Marmorstatue wandelte sie aus ihrer stolzen Höhe, hoch über de»« kleinen Getriebe der Menschen. Hilde» neue Welt »var eug und begrenzt. Immer dieselbe Beschäf tigung. Lag fiir Tag derselbe Dienst, immer die gleich,« Gesichter. Von dem grotzen LebenSstroine, der auherhalb deö Palastes vorüberrauschte, verspürte sie nicht«. Und so giotz ihre heimlichen Sorge»« auch waren: ihre Jugend sehnte sich doch >«ach einem Hellen To», nach ein »venig Freude. Doch hier »var olle» prunkend und feierlich. E» fehlte der warme Pul»- schlag de» Leben» - die Kreudel Der Hofmarschall »var der ei««zige, der ein lns;cl>en Leben in da» düstere Hau» brachte. Er »var der Veemittler zwischen dieser verschlossen«»» Insel und jener glänzenden Welt draußen, die in Lust und Freude ihre goldenen Flügel spannte . . , — 00 — Fünf Minuten vor halb acht Uhr löschte sie die Lainpe und stieg lang sam die teppichbelegte Treppe hinab. Die Treppe niündete auf einen breite», endlosen Korridor, der sich durch de» ganzen Flügel deS Schlosses zog. Ein paar Gasflammen brannten unter matten Gläsern und verbreiteten ein ge- dämpstes Licht: ein dumpfer Modergeruch wehte ihr entgegen, die Lichter er innerten an Totenlampe». ES war still wie i» einem Grabe; der dicke Teppich dämpfte den Schritt, und ein paar Lakaien, die am Ende deS Ganges er schienen, huschten wie Sck»atten vorüber. Hilde fröstelte und sie beeilte sich, in die Zimmer der Oberhofmeisterin zu kommen, die hell erleuchtet waren. Frau v. Sperber befand sich noch unter den Händen ihrer Zofe, die ihr eben eine lange, dünne Goldkette um den Hals legte und Veilchcnparfnni auf das Taschentuch gotz. Hilde betrachtete Frau v. Sperber mit großem Interesse: diese »var in den fünfzig, mittelgroß, voll in den Formen und mit spiegelglatt glänzendem Scl>eitel. Alles an ihr »var rundlich, »nd daö schwere Seidenkleid, das sie nmbauschte und sich straff über Brust und Rücken spannte, schien fortwährend leise zu knacken. Wie ihr Kleid so »var auch ihr Gesicht ernst, düster und feierlich. Nachdem sie ihre umfangreiche Gestalt in dem hohen Wandspiegel be trachtet und ein widerspenstiges Haar mit dem angefenchteten Finger zurück- gestrichen Halle, wandte sie sich zu Hilde um, blieb aber bei deren Anblick wie erstarrt stehen »nd rief voll Entsetzen: „Aber Ikind — »vaö fällt Ihnen denn ei»? In We«s; können Sie doch nicht vor Kö»iglick)e Hoheit erscheinen! Un möglich! Sie müsse» sich rasch umkleiden —" Hilde ärgerte sich über dieses gönnerhafte „Kind", wie über den hoch tragenden Ton „Bedanre," sagte sie, „ich habe iiiomentan kein anderes Vassendes Kleid zur Verfügung." Frau p. Sperber machte große, drohend« Auge». „ES ist doch heute kein Ball," sagte sie mit Schärfe. „Königliche Hoheit lieben keine Extravaganzen und kleiden sich selber immer dunkel." „Aber daü int doch Königliche Hoheit anü persönlichen Gründen," sagte die Kammerfrau der Prinzessin, die eben eingetreten »var. „Habe ich Sie vielleicht um Ihre Meinung gefragt?" rief Frau v. Sper ber zornig. Die Kammerfrau zuckte die Schultern »nd »vars Hilde einen anf- inuttternden Blick zu der zu sagen schien: „Lassen Sie sich nur nicht uuter- kriegen, sonst sind Sie von der ersten Stunde an die Sklavin dieser herrsch- süchtigei, Frau." Hilde dachte dabei an die Worte, die ihr der Hofmarschall auf der Fahrt vom Bahnhof über Frau v. Sperber gesagt hatte: „Sie ist eine vortrefflich« Dame und der Prinzessin treu ergeben. Aber inan mutz ihr die Zähne zeigen." Hilde wollte ihre Selbständigkeit wahre», ihre Pflichten erfüllen, aber sich nicht zur Magd erniedrigen lassen. DaS Wort ihre» Vater» klang ihr in« Ohr: Frei durch die Welt und den Kops stets hochl AIS daher Frau v. Sperber ihre Aufforderung, sich umzukleiden. wiederholte, lehnte sie da» Ansinnen ebenso höflich wie entschieden ab. Frau v. Sperber sah ein. daß sie hier mit ihrer Macht nicht dnrchdrang. „Nun gut," sagte sie, „so gehen Sie eben in Weis,. Wenn .Hobelt zürnt, ist e» nicht meine Schuld." «Schloß Sonneck."