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Sächsische Volkszeitung : 20.08.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-08-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192408208
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240820
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240820
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-08
- Tag 1924-08-20
-
Monat
1924-08
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 20.08.1924
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Mittwoch, den 20. August 1924 'Nr. 192. Seite 3 London UN- Weimar Von Theodor Linsen, Weimar. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgen alle ruhig Den kenden des deutschen Volkes, die Friede» und Verständigung wollen, dem Werdegang der Verhandlungen in London. Und diesem Volksteil ist es auch unumwunden klar, dah die deut schen Männer, die in London für ein freieres Deutschland fried lich gekämpft, von einem echten nationalen Willen, von tiefster Vaterlandsliebe erfüllt sind. Schwerer als die persönlichen Opfer, welche die deutsche Delegation in London aufzubringen hat, wiegt die ungeheure Verantwortung. So mancher flehende und hoffende Hilferuf von Ruhr und Rhein dringt zu ihnen herüber, die schuldlos in den Gefängnissen des Westens schmach tenden deutschen Brüder erwarten von London aus ihre Be freiung. Ein Volk — das große deutsche Volk — will den Weg geebnet sehen zum Wiederaufbau und Frieden. Das poli tische Dunkel soll endlich vom Horizont des Deutschen Reiches weichen, damit das Volk sich neu entsalte — durch Nacht zum Licht! Wenn wir unsere Hoffnungen, die wir auf London ge setzt haben, nicht restlos erfüllt sehen, ist unserer deutschen Dele gation gegenüber schon aus dem Grunde kein Vorwurf berech tigt, weil sie alles, was in ihrer Macht lag, für eine günstige Lösung der Probleme eingesetzt habe». In Weimar sind in den gleichen Tagen alle Trommeln des nationalistischen Rummels gerührt worden. Der erste Reichs- vertretcrtag der Nationalsozialistischen Freiheitspartei ist vom Stapel gelaufen, die politische Situation ist von neuem matzlos unterwühlt. Das Bedauerliche hierbei bleibt, daß sich die Mehr zahl der Teilnehmer aus unreifen Jugendlichen zusammcnsctzt. Und Ludendorff, dem diese Jugend in blindem Fanatismus folgt, weilt mitten unter ihnen. Er läßt sich heute von seinen übernationalen Jüngern ausgiebig huldigen, und allem An schein nach tuen ihm diese Ovationen wohl. An schwarz-weiß roten Fahnen und ebensolchen mit Hakenkreuzen fehlt es na türlich nicht, dieselben sind als Massenartikel nach Weimar ge bracht worden. In den Straßen Weimars herrscht eine regel rechte Soldatenspielerci. Das Publikum, welches den Rummel nicht mitmacht, ist dem Terror der Hakenkreuzler ausgesetzt. Die soldatischen Operationen, die die völkischen Jünglinge, die den Kasernenhof noch nicht gekannt, mitmachen wollen und müssen, geben nun logischerweise unerwünschte Entgleisungen. Ich sehe, wie Aufstellung genommen wird, da Exzellenz Lusen- dorfs das Nationaltheatcr verläßt. „Stillgestanden!" ruft der Führer und mit möglichst großen Umständen bemüht sich die „Empfangskompanie", die befohlene Stellung einzunehmen, wo bei ein völkischer Jüngling quitschvergnügt seine Zigarette im Munde behält. Vor acht Tagen, als die Kriegsteilnehmer vom Reichs banner Schivarz-rot-gold zum Versassungstage erschienen waren, wurde vom thüringischen Innenminister der Fackelzug ver boten. Die Nationalsozialisten durchziehen am Vorabend des Tages der Hauptveranstaltnng mit Musikkapellen stundenlang die Stadt, es ist ihnen nicht verboten. Hier bleibt eine Frage für die thüringische Regierung ossen. Der Liederschatz der die Straßen truppiveise durchziehenden Nationalsozialisten ist aller dings sehr mangelhaft. Neben den Schlagern „Sturmbrigade Hitler", „Haltet aus im Sturmgebraus" tönen auch Lieder, die gar nicht der von diesen Leuten gepriesenen „reinen deutschen Art" entsprechen, z. B. das Lied „vom schönen Palenkind" und „Mädchen vom flämischen Blut". Versoffene Bicrstimmen sind auch genügend vorhanden: ein Trupp, scheinbar Bayern. Hai praktisch gedacht und ihr „Maß" gleich mitgcbracht. Blutige Kopse sind da schon leicht zu erklären, eine Schießerei hat es auch gegeben. Der 17. August bildete den Höhepunkt: Militärischer Auf zug mit schwarz-weiß-roten Fahnen, wobei viele von gewesenen schönen Zeiten träumen, Hakenkreuze, das Sinnbild von Lei denschaft und Haß an allen Ecken und Enden, Frontabschreiten Ludendorffs „mit Gefolge", Festzüge, Kriegerehrung usw. Der Abgeordnete Dr. Dinter, der kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, hat beim Festakt vor dem Deutschen National- theater, die Neichsregierung, insonderheit die Londoner deutsche Delegation schmachvoll herabgewürdigt, da sie, wie Dinter sagt, die sofortige Ruhrräumung nicht durchsetzen konnte. Dinter, der an berüchtigten Ausdrücken von früher noch in besonderer Erinnerung steht, ging soweit, die deutsche Delegation des Hoch verrats zu bezichtigen. Sogar die Aburteilung vor dem Staats gerichtshof verlangt Dinter (!) und die Nationalsozialisten for derte er zum Racheschwur auf. Im völkischen Lager ist die Methode vom Dolchstoß als Ursache des verlorenen Krieges so und so oft ansgetischt wor den. Stellen wir nun London und Weimar gegenüber, dann kann man das Verhalten der Nationalsozialisten gegenüber den Vertretern deutscher Ehre und deutschen Rechts in London nicht anders als einen tatsächlichen Dolchstoß bezeichnen. Und der Name, den die Nationalsozialisten für alle diese Dinge bestimmt haben, heißt: „Deutsches Kulturbekenntnis in Weimar!" .... Tagesneuigkeiten Riesendiebftaht im Warschau-Prager Schnellzug Prag, 19. August. In der Nacht zum 18. August ereig nete sich im direkten Schnellzug Warschau—Oderburg—Prag in der Nähe von Olmlltz ein unerhörter Raubüberfall. Ein elegan ter junger Mann im Alter von 29 bis 24 Jahren trat in ein Abteil des Schlafwagens der Internationalen Schlaswagengesell- schast, in dem sich der Warschauer Kaufmann Schönbrunn mit seiner Frau befand. Der Kaufmann wachte nicht auf, wahrend seine Frau den jungen Mann anrief. Dieser sagte nur das Wort: „Kontrolle!" und verschwand. Voll schlimmer Ahnung unter suchten die Passagiere sofort ihre Kleidung und stellten fest, dah ihnen der Betrag von 8999 Dollars, sowie Zlotynoten und Schmuck im Werte von 199 999 tschechischen Kronen geraubt wor den waren. Es begann sofort eine Jagd nach dem Verbrecher, er war jedoch spurlos verschwunden. — Da vor Olmiitz die Bahn strecke repariert wurde und der Zug daher mit verminderter Schnelligkeit fuhr, war er aus dem Zuge gesprungen und in der Dunkelheit verschwunden. 5 Aergleule verunglückl Graz, 19. August. Wie die „Tagespost" berichtet, ereignete sich in dem Kohlenbergwerk Raginska-Gorka an der kroatischen Grenze eine Gasexplosion, bei der fünf Bergleute ums Leben kamen. Das Feuer im Schacht dauert noch an. Tödlicher Fallschirmabslurz Der Stuttgarter Fallschirmkünstler Leitz sollte anläßlich des in Konstanz stattsindende» Turnfestes mit seinem Fall schirm aus einem Flugzeug springen. Infolge Versagens des Fallschirmes siel Leitz aus das Dach eines Hauses und mußte schwerverletzt Ins Krankenhaus geschasst werden. Hier ist er seinen Verletzungen erlegen. Slurm im Kanal Paris, 19. August. Nach einer Havasmeldung aus L e Havre wütet dort seit gestern Nacht ein heftiger Sturm, der bedeutenden Schaden verursacht hat. Der Schisfspassagierver- kehr ist eingestellt worden. s- Fünfzehn neue Erdstöße In Japan. Japan ist fast am Jahrestage des furchtbare» vorjährigen Erdbebens Freitag nach mittag wiederum von fünfzehn E r d st ö ß e n, die sich in kur zen Zwischenpausen folgten, heinigesucht worden. Soweit Nachrich ten vorliegen, ist nur Sachschaden angerichtet worden. Es sind keine Menschenleben zu beklagen. s- Zwei Touristen erfroren aufgefunden. Die seit einigen Tagen vermißten Touristen Garrwcls aus Bremen und Dr. Schick aus Wien, die als Kurgäste in Pontresina wellten, sind in den Bergen erfroren aufgesunden worden. Der Führer Jüan, der sie begleitete, wird noch vermißt. * Drei Schüler ertrunken. Ein« Gruppe Innsbrucker Ferien Kolo nisten, bestehend aus einem Geistlichen und sechs Schülern, wollte am 18. August früh den Inn auf einer Fähre überschreiten, während der Führmann abwesend war. Das Boot schlug um. Drei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren sind ertrunken. s Eine fürchterliche Eisenbahnsahrt. Auf seltsame Weise lvollte ein löjähriger Junge aus Berlin von Kreuz a. d. Ostbahn. Ivo er vergeblich Arbeit suchte, wieder nach der Reichshaupt stadt gelangen. In Kreuz kroch er unter einen nach Berlin fah renden Personenzug, und klammerte sich an den Federn fest. Er kam jedoch nur bis Friedeberg <Neu.), da ihn das furchtbare Ge räusch der Räder fast um sein Gehör gebracht hatte. Vollständig zusammengebrochen wurde er in Friedeberg von Bahnbeamtcn der Polizei übergeben, die dafür sorgte, daß er nunmehr auf be quemere Weise nach Berlin zurückkam. -s- Internationale polizeitechnische Ausstellung Karlsruhe 1925. Die freie Bereinigung für Polizeitechnik wird in Verbin dung mit dem badischen Landespolizeiamt und dem Landes gewerbeamt im Mai und Juni nächsten Jahres in Karlsruhe (Baden) eine internationale polizeitechnische Ausstellung veran stalten. Die Ausstellung wird ein geschlossenes Bild der ge- samten neuzeitlichen Polizeitechnik geben mit besonderer Be rücksichtigung der Sicherungsindustrie, der photographischen und chemisch-technischen Industrie, sowie der Fernmeldetechnik ein schließlich der Radioindustrie. f Ein tollwütiger Gastgeber. Ein angesehener Bürger der Stadt Galatz (Rumänien) wurde vor einigen Tagen von einem tollwütigen Hund gebissen. Der Gebissene achtete nicht darauf, als er einige Tage nach dem Biß seinen Freunden ein großes Abendessen gab. brach bei ihm plötzlich die Tollwut aus. Er st ü rz te sich a u f seineGäste und brachte zwölf von ihnen Bisse bei. Sämtliche sind darauf unter Zeichen von Tollwut er krankt und wurden in das Pasteur-Institut nach Bukarest ge bracht. f 31 Schafe durch Blitzschlag getötet. Zwischen Giebolde hausen und RollslMisen bei Duderstadt schlug der Blitz in die Schafherde des Landwirts Kohlrausch und tötete 31 Tiere. s Selbstmord eines Kindes. Der 12 Jahre alte Sohn Ger hard des Fensterputzers Krüger in Berlin war am Freitag abend in Abwesenheit seiner Eltern mit seiner siebenjährigen Schwester in Streit geraten. Die Kinder hatten gewettet, wer eine größere Menge Kartoffeln in einer gewissen Zeit schälen könne. Im Verlaufe des Streits versetzte die kleine Krüger ihrem Bruder eine Ohrfeige. Gekränkt kletterte der Junge aus den Tisch, legte sich eine Zuckerschnur um den Hals und er hängte sich. Das kleine Mädchen lief auf die Straße und rief um Hilfe. Als ein Arzt gerufen wurde, war der Knabe bereits gestorben. Kleine Nachrichten Die amtliche Jnoentifizierung der Leiche Matteottis hat Montag vormittag auf oem kleinen Friedhof von Nygan stattgefunden. » Nach einer Meldung aus Brüssel ist in den Kohlendistrikten vc", Mo ns Montag früh der Generalstreik erklärt worven. In Burgas explodierte im Hause des griechischen Staatsangehörigen Bezis eine Bombe, oie die Jnneneinrich- tnng ocs Hauses zerstörte. Wie die Agenec d'Alhene meldet, ist wegen dieser Tat keine Verhaftung seitens der bulgarischen Be hörden erfolgt. l » Nach einer Neutermeldnng aus Khartum fanden am Sonn- I abend in O in d n r in a n (Aegypten) Kundgebungen statt Die Polizei zu Fils? und zu Pferde wurde mit Steinen be worfen. Drei Personen wurden in Haft genommen. Slenographen-Tagung in Erfurt Erfurt, 18. August. Vom 16. bis 17. dieses Monats fand in Erfurt eine V e r t r c t e r v e r s a in m l n n g der deuilscheii Stenographenschule Gabelsberger statt, an der auch Ver treter der Negierungen von Bayern, Sachsen und Brannschweig teilnahmen. Die Versammlung, die sich in der Hauptsache mit internen Fragen der stenographischen Bewegung befaßte, beschloß unter anderem den nächsten Bundestag der Schule Gabelsberger am 26. Juli 1928 in Münche n abzuhalten und ihn mit einem Bundeswettschreiben zu verbinden. Gelegentlich der Besprechung der neuerlichen Förderungen, die die GabelSbergersche Steno graphie durch Reich und Landesbehörden erfahren hat, wurde fol gende Entschließung einstimmig angenommen. Die am 17. August i» Erfurt tagende Vertretcrversammlung des Deut schen StenographcnbundeS „Gabelsberger" begrüßt den Erlaß der Hauptverwaltung der deutschen NeicbSeisenbahnen vom 12. April als einen großen Fortschritt auf dem Wege durch eine planvolle Verwendung der Stenographie in Bchördcnbetriebc» wesentliche Ersparnisse und Vereinfachungen zu erreichen. Sie weiß sich in Ilebcreinstimmung mit maßgebenden Kreisen der deutschen Wirt schaft in der Anschauung, daß cs die wirtschaftlich beste Lösung der Frage der deutschen EinycitSstenoaraphie werde, nach den, Vorbild der Neichseisenbahn ein bestehendes System als Ein heit s k u rz s chr i f t der Behörden und der Wirtschaft dnrchzu- führcn. Die Vcrtrctcrvcrsammlnng spricht den Negierungen der Länder Bayern, Sachsen, Württemberg, Hessen, Oldenburg und Brannschweig für die seit der letzten Vertreterversammlnng erlassene» Verfügungen über Einführung der Gabelsbcrgerschei, Stenographie in den Pflichtuntcrricht der Schulen, für Beamte und in der Stcnographiclchrerprüfnng ihren Dank aus. Schloß Lismoyle Erlebnisse in Irland von B. M. Croker. Autorisierte llebersetzung aus dem Englischen von Alwine Bischer. (Nachdruck verboten.) (63. Fortsetzung.) Es mochte etwa halb vier Uhr sein, an einem bitter kalten Dezembecuachiuittag; der Mond war aufgegangen, und in rasen, dem Tempo fuhren sie auf der steinharten Straße heimwärts. Schnee lag außer in den Gräben nicht viel, aber die ganze Ge gend war wie mit einem weißen Zuckerguß überzogen. Da plötz lich ein Schuß durch die stille klare Luft, Tom zuckte zusammen und perfiel sofort in wilden Galopp. Die ältliche und nervöse Mrs. Sinclaire stieß einen gellenden Schrei aus. Toms Unge- bärdigkeit aber legte sich bald, als er die Zügel seines Herrn fühlte. In diesem Augenblick näherten sie sich einem großen, kah le» Hause, das ciucn Steinwurf weit von der Straße zurücklag — einem Hause, das bessere Tage gesehen hatte und einst von einem weitausgedehnten Park umgeben war. Vor etwa vierzig Jahren aber war die Landstraße unbarmherzig hindurchgeführt worden und hatteseine stolze Abgeschiedenheit zerstört. Und nun stand das alte Herrenhaus aus der Zeit der Könige Georg einsam, verlassen und traurig da. Ein Landwirt hatte das Grundstück gepachtet, und seit kurzem wurde das Haus von einem geheim, nisvollen Fremden bewohnt. Dieser lebte allein mit ein paar alten Dienstboten und erschien dann und wann in der Kirche oder >m Klub in Kilbeggan. Es ging das unklare Gerücht, er sei viele Jahre in Indien gewesen und nun zürückgekehrt, um seine Tage in dem früheren Heim seiner Vorfahren zu beschließ!,. Wo er auch herstammen mochte, jedenfalls war er ein Mann der besseren Stände mit guten Manieren und einer gebil deten Sprechweise, aber es hieß, er sei exzentrisch. Worin diese Exzentrizität bestand, wußte niemand, denn dank der Vorsicht der ihm treu ergebenen Dienstboten, wurden seine Sonderbarkeiten sorgfältig geheimgehalten. Mary, di« Pförtnerin von LiSmoyle hatte Bestie anvertraut, daß sie Mr. DriScoll eines Abends habe vorbeisckleichen sehen, und eine verdächtige schwarze Flasche habe an? seiner Tasche herauSgcragt. Da er jedoch freundlich und freigebig gegen die Armen war, hatten di« beiden Frauen beschlossen, ihren Mund zu halten. Als der Lismoyler Wagen gerade am Gittertor von Witch- tvood vorübrsiihr. kam ein barhäuptig und verstört aussehender Mann herausgerannt und schrie: „Halt! Haiti Um Gotte? Barmherzigkeit willen, und kommen Sie sofort herein!" „WaS ist geschehen?" fragte Conroy, der nur mit großer Mühe de» aufgeregte^ und »ach dem Stall drängenden Tom zu halten vermochte. „Es ist wegen Mr. Driscvll, jetzt muß eS heraus. Er hat einen TobsuchtSaufall von lauter Whisky. Tic letzten Wochen hat er furchtbar getrunken, und jetzt ist er vollständig von Sinnen und mit einem geladenen Gewehr und Patronen ausS Feld hinaus- gelaufen." „Vielleicht führt er nichts Böses im Schilde", warf Conroy ein, „und will nur Hasen oder Kaninchen schießen." «WaS Hasen und Kaninchen! Murphys schöne junge Kuh, seinen Schäferhund und mehrere Schafe hat er schon totgeschossen, jetzt ist er dem Moor zugegangen -und schreit und flucht und gebärdet sich wie ein wildes Tier. Und keines von uns wagt ihm nahe zu komme». Aber bei Ihnen isiS was- andres, Sie sind doch Soldat «und an ein blutiges Handwerk gewöhnt — was für ein Glück, daß ich Sie abgefangen Habel" „Gut," antwortete Conroy, der Aufforderung sofort nach kommend. „Schicken Sie jemand, der das Pferd hält, t»inn komm ich mit Ihnen. Ich wevde schon mit ihm fertig werden können." McS. Sinclair aber legte die Hand fest auf das Knie ihres Neffe» und sagte: „Nein, nein, Niel, ich kann eS nicht zngcben, daß du dich einer solchen Gefahr aussetzt. Fahre weiter. Bedenke doch, ein Verrückter mit einem geladenen Gewehr und du unbe waffnet." „Aengstige dich nicht, Tante Grace, Ich habe schon mal einen ähnlichen Fall erlebt mit einem Eingeborenen von Pes- hawar, der mich in blinder Wut anfiel. Dieser DriScoll aber wird kaum fähig sein, einen Heuschober zu treffen." „Er hat es aber doch fertig gebracht, einen Hund zu erschießen," warf Rhoda ein, und ihre Stimine zitterte. Einen Augenblick schaute er sie mit durchdringenden, furcht losen Augen an, dann warf er dem Bursche», der Tom beauf sichtigen sollte, die Zügel zu, sprang ab und tvar im Nu außer Sicht. Eine ganz« Weile schauten seine Tante und Nhoda einander schweigend und wie gelähmt an. War dieser entsetzliche Austritt Wirklichkeit oder nur ein abscheulicher Traum? Endlich sagte Mr. Sinclair: „Kommen Sie, wir wollen aussteigen und in? Hans hineingehen. Niel wird doch nicht so bald wiederkommen." Miteinander gingen sie der Haustüre zu, die weit offen stand. Auf der Schwelle kam ihnen eine Frau entgegen, die in Tränen auf gelöst war. „Bitte kommen Sie herein, meine Damen, kommen Sie herein/' stammelte sie, die Augen mit der Schürze trocknend, und führte die beide i in ein großes Wohnzimmer mit Möbeln aus der früheren Viktorianischen Zeit. „Es ist niemand hier außer mir, sie sind alle seit einer halben Stunde fort ihm nach den Berg hinaus und überS Moor." »Sind Sie Mr. DriscollS Haushälterin?" fragte MrS. Sin. . clair, während sie sich auf ein hartes, mit Roßhaarstoff bezogenes Sofa setzte, das fast »och einmal so alt war wie sie selbst. „Ja. Ma'am," antwortete sie, „das bin ich. Mein Mann und ich sind nun schon seit einigen Jahren bei ihm, und einen bessern Herrn hätten wir nicht finden können. Er war lange Zeit in Indien und bekam einen Sonnenstich und dann eine große Pension. Ein unglücklicher Mensch, wenn er getrunken hat, dann wird er verrückt, und hat er erst ein paar Gläser in sich, dann ist kein Halten mehr. Eine Flasche Whisky im Tag und vielleickt mehr. Manche behaupten, unser mildes, weiches Klima sei schuld an dieser Gier nach Alkohol, bei ihm aber ists sicher nur der Sonnenstich. Wenn er einen schweren Anfall hat, dann halten wir ihn möglichst im Hause fest und schließen seine Kleider ein, aber gestern abend hat er uns überwältigt, und wenn Patsy Eassidy, der »ns die Milch bringt, nicht gerade hier gewesen wäre, Hütte er mich zum Treppenfenstcr hinausgeworfen. Diesmal bringt er sicherlich jemand um, und Gott gebe nur," damit wandte sie sich mit einer theatralischen Geste an Rhoda, „daß es nicht Ihr Herzallerliebster ist!" Rhoda war zu schreckensstarr, um diese Rede zurückzuweisen. oder überhaupt zu sprechen. Für sie hatte die Welt sich plötzlich verfinstert. „Meiner Treu, Mr. Conroy ist der »»erschrockenste Mann in der ganzen Gegend." fuhr die Haushälterin fort, „und ich bin dankbar, daß er gerade vorbeifuhr. Ich sage Ihnen, wenn Mr. DriScoll einen von seinen schrecklichen Anfällen hat und mit einer Flinte oder einer Sichel bewaffnet hinanSläuft, dann rennen die Leute davon wie die Hasen." Das niedrige Wohnzimmer mit seinen schmalen Fenstern, die Ivahrscheinlich seit Jahren nicht geöffnet worden waren, mit seiner dumpfen Atmosphäre von Moder und Ruß lastete zu schwer auf Rhoda. Sie fühlte, daß, wenn sie noch viel länger hier bliebe, sie sicherlich in Ohnmacht fallen würde. So stand sie auf, flüsterte MrS. Sinclair ein paar Worte zu und ging geräuschlos hinaus. Diese Ungewißheit n>ar qualvoll. Lieber gleich das Schlimmste erfahren. Sie blieb einen Augenblick ans der HouS- staffel stehen und sog gierig die frische Lust ein. Der letzte Schein der winterlichen Sonne war verblaßt, der Mond stand hoch am Himmel und verlieh der Landschaft eine gewisse geisterhafte Schön heit. Nicht ein Laut war zu hören außer Tom? ungeduldigen Stampfen und dem Rasseln seine? Geschirr?. Al? Rhoda über den Hof und durch ein verwilderte? Gebüsch schritt, wo Hühner ihre Zuflucht gesucht hatten, hört« man einen Schutz, dann «inen zweiten, dem ein laute?, steifere? Geschrei folgte. Da? Herz stand ihr still. Zu Tode erschrocken lehnte sie sich an ein Gatter und bedeckte das Gesicht mit den Händen, während ihr klar wurde, daß, wenn Conrov durch die Hand diese? Verrückten den Tod. fände, da- Leben fürderhin keine Freude mehr für sie böte. (Fortsetzung folgt.)
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