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I.Beilaae,n Nr. 282.-1L Jahr». Di- jede» Wochentag Abend erscheinende Reilniig Sächsischer Landes, «»zrlger (Clienmltzer General-Anzeiger) tostet monatlich SS Psg. in Chemnitz frei HauS. Mi» dem Exlra-BciblaN LustigkS Bilderbuch uionatlich 85 Psg. in Chemnitz frei Hnus. Ausserhalb Chemnitz Antrag. mvnatl.loPf. Bei de» Pos,anslallen ist der Anzeiger nnr mit dem C'rira-Beiblat, Lustiges Bilderbuch zu beziehen silr »5 Psg. monatlich. (Nr. 5580» 10. Nachl»ag zur Poslliste.) Kanfttlännische Sünden geger» nnsere Mlltter spräche. Vortrag des Herrn Paul Schneider anS Ariistadt im „Knusmünnischen Verein" z» Chemnitz, am 1. Dezember 1892. Schon seit einer Neihe von Jahren sieht der Verein den trcss liehen Rcdncrj iinmer gern wiedcrkchren; sei» Name gehört gewissermaßen dem eisernen Beil and der Vortragsliste an. Hat auch Herr Schneider das Unglück, leiblich erblindet zn sein, so ist doch bas Auge seines Geistes hell und klar auf die wichtigen Fragen der Zeit gerichtet, nnd mit dieser geistige» Klarheit und Frische, verbindet er eine edle Wärme des Gcmüthes nnd eine »ia»n- haste deutsche Gesinnung. — Mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit war er ans den Wunsch des Vorstandes, obiges Thema zu behandeln, eiiigcgangen; ist er doch selbst vor seiner Erblindung Kaufmann ge wesen, wobei er, wie er ehrlich bekannte, sich mancher herkömmlichen Sünde gegen die Muttersprache selber schuldig gemacht hat, ehe die große Bewegung für die Reinigung und Läuterung unseres edelsten Gutes, der Sprache, in Fluß kam. Herr Schneider wies in seiner Einleitung darauf bin, wie erst seit der Entstehung der Reiches vor 22 Jahren in unser,» Voll ein höheres. stolzeres Bewußtsein erwacht sei, das verschiedene nationale Bestrebungen hcrvvrgernfe» habe, und zwar zunächst solche, die dem Handel und der Industrie zugute kamen, dann aber auch solche, die mehr idealer Natur sind. Zu den letztere» rechnete er in erster Linie den Drang, ans Reinhaltung der Muttersprache hin- zuarbcileu, wie dies der 1885 gegründete deutsche Sprachver ein, der heule schon inSgesammt über 10,000 Mitglieder besitzt,Lsich zur ernsten Ausgabe gemacht habe. Freilich bedürfe dieser Verein immer »euer thackräsliger Freunde und Förderer, wenn er nicht er matte» und seinen Berns mit Erfolg durchführen wolle. Nachdem der Vortragende weiterhin betont, wie »ach dein lobcnswerthcn Vorgang unseres PvstresormatdrS Stephan bereits dis höchsten Reichs- »ud Staatsbehörden kräftig für Sprachreinigung cingetrele» seien, stellte er es als dringend nolhwendig hi», daß auch der Kaufmann mit alten schlimme» Gewohnheiten breche und über lieferte Sprachsünde» ablcge. Vor allem möchten da die großen Häuser, da sie am wenigsten Rücksicht zu nehmen haben, bahnbrechend Vorgehen l Die Verstöße, die im kaufmännische» Verkehrsstil gegen die Muttersprache Vorkommen, theille der Redner in drei Abtheilnuge» ein, von denen die ersten beide» nicht scharf getrennt werden können. Er »nterschcidel zunächst sprachliche Ungereimtheiten. Diese entspringen häufig aus übertriebener Höflichkeit und arten oft zu entwürdigender Kriecherei, jedenfalls aber in leere Formeln aus. Von den, Unfug im Gebrauch von Titeln ist ja schon vieles gefallen, aber massenhaft bestehen noch die Ausdrücke von geehrten, wcrlhcn, geschätzten, ergebenen Zuschriften, während ein Schreibe» doch weder geehrt, noch ergebe» sei» kan». Darum fort mit diesem überflüssige» Formelkram ans unser», Briefstil! — Oft führt das Streben nach Kürze zu offenbarem Unsinn, wie in: Unser ergebenes Gestriges — das geschätzte Ihrige — unser ergebenstes Jüngstes — oder gar die edle Fassung: In Erwiderung Ihres Allerwerthcstcn u. s. w. — Unschöne Geschmacllosigkeite», die auch oft schroff gegen Sprache und Logik verstoße», finde» sich viel i» Briefaufänge», z. B.: I», Verfolg »usercs Ergebenen erhielten wir — I», Wechsel mit unser». Ergebene» — Kreuzweise mit den, ergebenen Unsrige» erhielten wir, u. v. a. Auch das sinnlose „Antwortlich" und die Sprachverball- hvrnnligcn „Postwendend, Entgegensetzung, Entfall, vorbörslich, drang- drahtlich", sowie die schauerlich geschraubten Redensarten: Wir sind erwcntcnd — Der Wechsel ist Ihre», Habe» cinvcrleibt u. s. w-, wie nicht minder auch die viele» kaufmännischen Fachcinsdrücke mit „machen" (z. B. in Wagenschmiere machen), mit „über- und aufmcichen," ge hören zn diese» Geschmacklosigkeiten. Zn den weitern Sünden gegen unsere Muttersprache rechnet der Redner die imit de» sprachlichen Ungereimtheiten meist verwandte» Sprachwidrigkellen, — Verstöße gegen die Formen- und Satzlehre, wie beispielsweise die ebenso falsche» als überflüssige» Mehrhcitsbildnngen von zahlreiche» Sloffnanie», wie „Tuch", „Bleche", oder auch von Fremdwörtern wie „Collis, Portis, Jn- cassiS" u. s. w.; ferner die sprachwidrige Verwandlung von Eigen schafts- in Umstandswörler (echt seine Havannas, fließend fette Matjes rc). Da» schlimmste aber ist die Unterdrückung des eigne» Ich im Briefstil! Keine Nation theilt diese» an sclavische Bescheidenheit und Unterwürfigkeit gemahnenden Brauch mit de» Deutsche»; ja der Engländer schreibt sogar sein Ich groß. — Falsche Wortstellungen finde» sich namentlich in verkehrten Wendinigc» wie: „Wir empfinge» Ihr WcrlheS und sind wir Ihnen verbunden" rc.; geradezu sinnwidrig nnd lächerlich sind die sehr beliebten Mittelwort- bildnngen: Einliegend übersenden wir — Bcigchend erhalten Sie — Angebogcn übermittle ich Ihne» — Ucbcr das „angefragte" Haus rc.; auch das „Hochachtend" am Schluß ist zn verwerfen. — Eine Vlüthcnlcsc von sonderbare» Ausdrücke» ergebe» die Börsen- nnd Waarenberichte: sind diese auch nur für Eingeweihte berechnet (z. B. Laura begehrt, — Franzosen gedrückt, — Reis schwimmend — Oele kletternd nnd dgl), so sollte man doch etwas Rücksicht auf Sin» und Form lege»! Zuletzt legte der Redner seine Waffe» ein gegen di- ausländ ische» Schmarotzer unserer Muttersprache, gegen die sprachlichen Unreinheiten, wie sie durch das Frcmdwörtcrnnweseu sich massen weise eingcschliche» habe». Diese Sünden sind am tiefste» einge wurzelt, und schwierig ist eS, an ihrer Ausrottung erfolgreich zu arbeiten. Daß natürlich wissenschaftliche, juristische und technische Fachansdrncke beiznbehalte» sind, bis einmal die Gesetzgebung selbst geeignete Schritte lhnt, ist selbstverständlich. Anch habe» iviele fremdländische Ausdrücke als Lehnwörter das Bürger- und Heimaths- rccht in unserer Muttersprache erworben; aber wie vieles Ueber- flüssige, Falsche, Verkehrte haben wir ans Schlendrian oder Eitelke t noch bcibehalten, was leicht attszumerze» wäre! Man nehme »iir einmal das Handwörterbnch für den Kansmanu, heransgegebe» vom deutsche» Sprachverein, zur Hand „nd man wird sehe», war entbehr lich ist! Fort also mit jede», Fremdwort, das auf deutsch gut ausgedrückt werden kan»! — Ich muß darauf verzichten. auf di« vielen Einzelheiten in de» NkdlittS trefflichen Auseinandersetzungen genauer einzngehen. Hosfent- Sonytaa, 4. Dezember 1892. Anzeigenpreis: Sgespaltene Corpnszell« (ca. S Silbe» fassend) oder deren Raum 15 Pfg. — Bevorzugte Stelle (»gespaltene Petitzcile ca. ll Silben fassend) oder deren Raum 80 Pfg. Bei wiederholter Aufnahme entsprechend billiger. — Anzeigen könne» nur bis Vormittag augenommcn werden, da Druck und Verbreitung der große» lich sind seine Mahnungen aus gute» Bode» gefallen, damit die ge snndcn Früchte dieser Saat nicht ausbleibeu. — Der große Zuhörer kreis verfehlte nicht, ihm seine» herzlichen Dank durch laute» Beifall zu erkennen zu gebe». L. >v. Der russische Soldat an der Grenze und im Binnenlande. Der Köln. V.-Z. wird geschrieben: Uebcrschreitet mau die russische Grenze und betritt eine» größere» Ort oder Grenzstation, so wird Derjenige, welcher weder die russische Armee genau kennt, »och mit russische» Zustände» überhaupt vertrant ist, sich ein nur sehr wenig zntr-ffcndes Bild über di« russische Hceresmacht mache»; denn die a» den Bahnhöfen postirtcn Gendnrmen, Grenzsoldaten und auch Soldaten »lachen eine» durchaus vorlheilhaste» Eindruck. Namentlich falle» die großen und stattlichen Gendarmen ins Auge; aber auch die Grenz- soldcitc» und deren Offiziere zeigen sich in ihre» schmucken und kleid samen Uniformen i» militärischer Strammheit, so daß man von der russische» Armee die beste Meinung gewinnen muß. Bald aber wird selbst der nur oberflächlich beobachtende Reisende anderer Meinung; den» nur einige wenige Stationen weiter ins Land hinein zeigt sich das Militär in seiner wahren Gestalt, d. h. schmutzig, schlaff nnd zer lumpt. Im Sommer ist der gemeine Soldat i»it einem grobe» Leinenhcmde mit farbigem Krage» (Farbe des Truppentheils) be kleidet, welches über die in schmntzigeu, häufig zerrissene» Röbrenstiefel» steckenden, gar nicht näher zu beschreibenden Beinkleider hcrabhäugt. In solchem Aufzuge, häufig auch mit nakten Füßen »nd ungewaschen, verdinge» sich di« Soldaten als Tagelöhner zur Feldarbeit oder schlendern in der Garnison umher, wo sie von der gcsannnte» Ein wohnerschaft gemieden werden, nicht so sehr ihres Aussehens wegen vielleicht, sonder» wcil sic jede Gelegenheit wahrnehmen, in» z» stehlen, ivaS nicht »iet- und nagelfest ist. Gelingt es dem Diebe, mit der gestohlene» Beute seine Kaserne z» erreichen, so hat er sie in Sicher heit gebracht; denn kein Civilist würde cs wagen, selbst nicht in Be gleitung eines Offiziers, in die Kaserne eiuzndringen »ud dort als Kläger aufznlrete». Ertappt man den Dieb auf der Thal, so wird er gehörig durchgeprügclt und dann laufe» gelassen; eine Strafanzeige wird nur ganz ausnahmsweise gegen ihn erstattet. Ter i» Rußland sprichwörtlich gewordene Hang des Soldaten zum Stehle» erklärt sich leicht ans der ganz uuauSkön»»lichcn Löhnung» welche der Gemeine erhält. Er >»»ß nämlich mit einem Rubel fünfzehn Kopeke», also mit nicht viel mehr als drei Mark, welche er vierteljährlich ausgezahlt erhält, seine gesanimlc» Ausgabe» mit Ausnahme der Verpflegung bestreiten. Wäsche erhält der Soldat niemals und für seine Fußbe kleidung nur das Leder, während er die Schuhmacherarbeiten selbst be zahlen muß. In den meiste» -Fällen werden nun die Löhnungen rasch i» Schnaps »mgcsetzt und die Mittcl zur Bestreitung des Allcrnolh wendigsten dnrch Diebstahl beschafft. Jin Winter trägt der Mann einen langen schweren, plnmp gearbeiteten Mantel, in dem er anch »ichlS weniger als stramm anssieht. WaS »nn den Offizier betrifft, »amentlich den der älteren Schule, so kann man sich von dein Aus sehen desselben keinen Begriff machen, namentlich, wenn er erst so und so viele Wirlhshänscr besucht hat, war eigentlich täglich vorkoinmt; er sieht dann eben echt russisch ans, ist von, Soldaten mir wenig ge achtet und wird vom Civil über die Achsel angesehen. Selbstverständlich mache» die z»»> Gardccvcpz gehörigen Truppemheile eine Ausnahme vo» der Regel und bilden ein wirklich gut aussehcndes Militär; im Innern des Reichs herrschen jedoch unglaubliche Zustände, und je tiefer ins Land hinein, desto schlimmer. Kirchliches. Zur Wemdinger Teufelönnstreibnng. Der dnrch die Wemdinger Tcnsclsanstreibung über die Grenze" seines frommen Sprcngels hinaus schnell berühmt gewordene Pater Aurelian hat leider erfahren müsscn, daß solch eine Tenfelsans" lreibnng ii» 19. Jahrhundert doch ihre Schattenseite» hat, denn wenn auch der Teufel sich das fromme Spiel gefalle» läßt, Polizei und Gericht haben Einen desto eher beim Kragen. Auf Antrag der Staats anwaltschaft wurde er zu cinerGeldstrafe vo» 50 Mark oder 5 Tagen Gcfäiigniß verurtheilt. Ans der Rede des Staatsanwaltes sei Folgendes hervorgehobcn: „Mit großer Entschiedenheit vertritt der Staatsanwalt die An sicht, daß k. Aurelian die Ehre der Frau Herz auf das Schwerste gekränkt habe und zwar im volle» Bewußtsein, eine rechtswidrige Handlung zu begehe». Ans dem Munde zahlreicher Zeugen habe man gehört, daß die Verbreitung der TcufelsanSlreibiuig mit der Beschuldigung gegen Fra» Herz chatsächtich »inndlich und schriftlich staltgefnndcu hat, nnd zwar auf Betreiben dcS k. Aurelian. Es muß vom ?. Anrclia» als Priester vorausgesetzt werden, daß der Teufel ans dem Munde des Knaben ihm milgelheilt habe, daß die Frau Herz ihn verwünfche. Das ist kein Vetoeis, wie «vir ihn ver langen! Unsere Strafprozeßordining kennt einen derartigen Beweis nicht. Hatte denn der Angeklagte sichere Anhaltspunkte, diese An gaben des Knabe» für wahr und unumstößlich zn halten? Anch das muß ich entschiede» in Zweifel ziehe». Selbst wen» ?. Aurelian an die Wahrheit glaubte, ist er gesetzlich nicht entschuldigt. Der gute Glaube schützt nicht vor 8 186! Der Angeklagte hat selbst zugegeben, daß ihn der Teufel früher wiederholt angcloge» habe. In--diesem Falle glaubt er dem Teufel. Und zwar, wie er sagt, weil der Teufel den Knaben wirklich verlassen ha». ES ist schwer, diese Aenßcrnnge» zusammeiiznreimc». Fra» Herz hat das vollste Recht aus Achtung ihrer Ehre, nnd es ist ein eigenes Ding mit dem Pochen darauf, daß man nicht das Bewußtsein einer RcchlSwidrigkeit habe! Auch die Wahrung der berechtigte» Interessen nach 8 193 des NeichSstras- gcsetzbncheS spricht der Staatsanwalt dem Angeklagten ab. Ter An geklagte hat nicht öffentlich Anzeige über seine Watzrnehmung erstattet, sonder» er hat die Sache lanciert. Er hat dieselbe Personen >»it- gelhcilt, die gar kein Interesse daran haben konnten. Eine solche Wahrung hat keinen anderen Effekt, als die Volkslvnth und VolkS- leidenschaste» auszustachel» und zu Hairdlnngen zu veranlassen» die den Anstifter am schlimmste» treffe». Nehmen »vir an, eS wäre zu Thaten des Fanatismus gekommen: wären da die Interesse» Ihn» Standes, des geistlichen gewahrt worden? Ich glanbe nicht, daß der Thatbestand der 88 18 5 ,»id 186 vollständig gegeben ist. Bei der Ausmcssnttg des Strafmaßes führt der Staatsanwalt an, daß ei» Kapuziner nach der Ordensregel kein Geld und kein Vermögen habe» darf. Mn» müsse Herr» und Frau Herz glaube», wen» sie sage», daß sie in ihrer Gegend geradezu verfeymt sind. Und anch die Thal- sache kann das nicht ändern, daß sie in einer vorherrschend prolestaut ischen Gegend wohnen. Daß sie geschäftliche und mvralische Nachtheile hatte», ist erwiesen. Zum Schlüsse beantragt der Staatsanwalt die Veriirtheilnng zn einer Geldstrafe von 50 Mark oder zu 5 Tage» Gefängniß." Wer das bigotte katholische Volk Bayerns kennt, wird sich vor stellen können, was die der Hexerei und Teufelei beschuldigte protestant ische Frau Herz für Feindschaft und Verfolgung anSzustehen gehabt haben mag. Die Strafe ist darum nur gerechtfertigt, denn an deu Brüder Kapuzinern liegt cS wahrlich nicht, »venu heute keine Hexe«« mehr verbrannt werden! . Römischer Uebernmth. Ein beachtenswerthcs Urtheil fällte unter dem 12. Oktober d. I. das königl. Schöffengericht zu Nastätten in Nassau gegen den katho lischen Pfarrer I. in Pohl, wcil derselbe ain Fronleichnanistagx dieses Jahres eine dort nicht Herfracht- kirchliche Prozession ohne Erlanbniß der Ortspolizeibchörde vkÄmstaltit und geleitet hat. Aus schlaggebend war dabei 8 10 der Verordnung vom 11. März 1850? „Oeffentliche Prozessionen bedürfen, wenn sie nicht hergebrachter Ordnung sind, der vorhergehenden Genehmigung durch die Ortspolizeibehörde." Zu seiner Vcrthcidigung führte der römische Priester an, ihm scheine die Einholung obrigkeitlicher Erlanbniß für eine Fronleich namsprozession nicht erforderlich, da die Prozessionen schon seit Jahr hunderten zuin Kultus der katholischen Kirche gehörten, somit also schon deshalb als „von hergebrachter Art" anzusehcn seien. Er halte es für seine Amtspflicht, am Fronleichnamstag eine Prozession zu veranstalten, nnd in früher erlassenen Nassauischcn Verordnungen sei auch den Andersgläubigen geboten, sich am Fronleichnamstag äußerer Arbeiten zu enthalten und den Prozessionen ehrfurchtsvoll zu begegnen. Die Einholung der ortspolizeilichen Genehmigung einer Prozession sei für die katholische Kirche ein Schlag ins Angesicht. Demgegenüber führte der Aintsanwalt aus, daß Prozessionen als „öffentliche Aufzüge in Städten lind Ortschaften oder auf öffentliche» Straßen" regelmäßig 48 Stunden vorher zur Kenntniß der Orts polizeibehörde gebracht werden müßten und ohne deren Erlaubniß nicht unternommen werden könnten. Der Zweck dieses Gesetzes sei Verhütung der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Wenn der römische Priester die Prozessionen bei seinem Amtsantritt bereits als üblich und hergebracht vorgefunden haben wolle und bis her dieselben straflos abgehalten habe, so diene dies nicht zu seiner Entlastung, denn man kann ein Recht zur Begehung strafbarer Hand- luiigen nicht erwerben. Früher Ivar kein Kläger da, und wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Nachdem aber einmal Klage erhoben ist, muß anch gerichtet werden. Es steht auch kein Hindcrniß im Wege, den Angeklagten noch nachträglich wegen der Prozessionen in den Jahren 1890 und 1891 zur Strafe zu ziehen, da für dieselben noch keine Verjährung eingetreten ist. Ebensowenig schützt die Un- kenntniß der Vcreinsgesetze, mit welcher sich der Angeklagte zu ver- theidigen suchte, vor Strafe. Besonders belastend fällt ins Ge wicht, daß derselbe, obwohl brieflich vor Abhaltung der Prozession gewarnt, diesen Brief der Behörde nicht einmal geöffnet hat, denn Briefe der Behörden legt man nicht einfach bei Seite, sondern liest sie sofort. Gerade als Pfarrer müßte der Angeklagte am aller ersten sich jeder Gesetzesübertretung enthalten. Demgemäß erkannte das Schöffengericht, wie schon vorher das königl. Amtsgericht, gegen dessen Urtheil aber der Angeklagte Protest eingelegt hatte, auf eine Geldstrafe von 25 Mk., oder im Fall der Zahlungsfähigkeit auf eine Strafe von 5 Tagen Haft. Den ultra montanen Blättern ist dies natürlich wieder ein trauriger Beweis „konfessioneller Hetze", und das „Aachener Echo der Gegenwart" (vom 10. August, II.) läßt uns bei dieser Gelegenheit wieder einmal in die Falten seines unpatriotischen Herzens sehen, indem cs ausrnft: „Die jetzt so beliebten Ausflüge des Militärs nach dem Nieder wald init dem Gcrmaniadcnkmal in tausend und mehr Personen sind auch nicht herkömmlich, sie hindern auch recht, weil sie gewöhnlich Nachmittags erfolgen, den Verkehr. Wer wird aber darüber auch nur ein Wort verlieren? Aber wenn ein Pastor eine religiös er bauende Veranstaltung trifft, so ist das „etwas anderes!" Es soll unvergessen bleiben, baß der Frankfurter Kaplan Luschbcrger die Germania vom Niederwalddcnkmal höhnisch „die preußische Mutter- gottcs" nannte. Daß aber die Prozessionen keinen „religiös erbauenden", andern vielmehr einen andere Konfessionen übermüthig herausfordernden Zweck als Triumphfest über alle Ketzer haben, ist eine bekannte Thatsache. Es ist darum nur mit Freuden zu begrüßen, daß es noch Gerichte in Deutschland nnd Preußen gicbt, welche diesem Uebernmth einen Zügel anzulegen wissen. Alls Nah und Feilt. — Ei« SchnlkSstreich Moltke's. Die „Nordd. Allg. Ztg.» bringt ans dem lctztveröffcntlichtcn Bande von Mvltke's Denkwürdig keiten folgenden Brief des Marschalls aus Apcnrade voni 6. August 1864: „Nun muß ich Dir noch einen gelungenen Witz erzählen. Wir haben hier zwei Hünengräber (Hühnergräber, wie der Fcld- marschall Wrangel sagt) öffnen lasse». Fünfzig Mann unter Leitung des Majors v. Bernnth (des persönlichen Adjutanten des Prinzen Friedrich Carl), arbeiteten daran. Das eine enthielt gar nichts, in dem anderen fanden wir einen Topf mit Knochenrcsten. Der Fund ist unzweifelhaft echt, nnd die Arbeit sollte folgenden Tages fortgesetzt werden. Unmittelbar vor dem Wcgreitcn schickte ich Henry nach dem Schisfszimmerplatze und ließ ein recht altes, halb verfaultes Stück Holz holen, zwischen dessen Moosflccken ich mit Tinte und nach einem hier vorhandenen Runcn-Alphabct den Namen Bernnth schrieb. Als ich hinaus kain, war man mit der Arbeit auf eine große hölzerne Nulde, Schiff oder Sarg gestoßen. Da die Spitze aber noch tief in der Erde steckte, so mußte die steilstehende Wand des Hügels erst ab- estoßen und die Mulde vorerst wieder mit Sand überschüttet werden, ihe das geschah, praktizirte ich mein Brett unter die Kufe. Henry verstand sogleich den ganzen Witz, lachte nnd schob das Brett schweigend unter. Inzwischen kam der Prinz und Bernuth mit den übrigen