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Sächsischer Landes-Anzeiger : 22.11.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-189211223
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18921122
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18921122
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1892
-
Monat
1892-11
- Tag 1892-11-22
-
Monat
1892-11
-
Jahr
1892
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 22.11.1892
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' - ^7" «WMWßMMMMMWDMWW WUMWWWWWWWWWDWMW MWWWWWWW8AWWWWWWWWWWW Nr. 271. — Dienstag, 23. November 1893. - 18. Jahrgang. Beilage zn Sächsischer Landes- Anzeiger Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz» Theaterstraße k. (Chemnitzer General-Anzeiger). Sächsisches. — Kaiserliches Geschenk. Im Aufträge des Kaisers von Oeslerreich überreichte Obersthosmeister Prinz Hohenlohe dem In strumentenmacher iiiid Nestauralor Hermann Seyfsahrt ans Gohlis bei Leipzig eine kostbare Brillantuadel als Slnerkeniiniig für die ge. lniigene Wiedcrherstcllinig zweier Instrumente, welche ihm vom Ober- Hvsmeisle.-A»ile zur Jiistandsetznng anverlraut waren. Das eine ist das kostbare Elavicytherinm von Kaiser Leopold 1., welches in der Musik- und Thcaler-Ansstellnng im Interieur Habsburg-Lothringeu ansgestellt war, daS andere, ei» mit einem Orgelwerk verbundenes Virginal, stammt aus Schloß Ambras. — Militärisches. König Albert hat genehmigt, daß bei den beide» kgl. sächs. Ulannenrcgi,»enter» eine neue Probe a» Stelle der bisher getragenen Tschapka eingcfnhrt werde, ebenso daß der weiße Vorstoß -Ni» obere» »nd vorderen Kragenraiide der Ulanenwaffenröcke (UlankaS) durch eine» solchen von kornblumenblancr Farbe erseht wird, endlich, daß mit 1. Januar k. I. eine neue Geschäftseinlheilnng im kgl. Kriegsministerium in Kraft tritt. Diese höchste militärische Ver waltungsbehörde wird von diesem Zeitpunkt ab in 5 Abtheilnngeu zerfalle». — Berleihttttg. DaS kgl. Bergamt hat Herrn Obersteiger Johann Friedrich Ha hm an» in Ehrenfric der-dorf in An erkennung seiner wahrend scchzigjährigcr Dienstzeit beim Bergbau in dem Marienberger Revier bewiesenen Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue eine „Ehccn-Urknnde" verliehen. — Verkehrstvesen. Die Betriebseinnahmen der Sächsischen Staatseisenbahnen sind nach vorläufiger Feststellung im Oktober d. I. zwar keine besonders günstigen, doch hätte man dem flauen Geschäftsgänge entsprechend und mit Rücksicht ans die auch im Oktober nachwirkende Beschränkung des Verkehrs infolge der Cholera, »och weniger günstige Resultate erwarten können. Es wurde» ver> cinncihml: 2,408,151 Mk. im Personenverkehr (26,348 Mk. mehr als im Oktober vorigen Jahres), 5,193,386 Mk. im Güterverkehr (6987 Mk. mehr), 380,054 Mk. ans sonstigen Quellen (8818 Mk. .mehr), 7,981,591 Mk. im Ganzen (44,163 Mk. mehr). Da sich das Bahnnetz gegen den gleichen vorjährigen Monat um 53,97 Kilometer vermehrt hat, so ist jene Mehreinnahme nicht entsprechend gewachsen. Ans die Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober d. IS. berechnet sich die Einnahme im Ganzen ans 23,645,015 Mk. im Personen verkehr (162,140 Mk. mehr), 46,844,892 Mk. im Güterverkehr (773,284 Mk. weniger), 3,752,697 Mk. anS sonstige» Quellen (33,143 Mk. mehr). — Luther-Festspiel itt Glauchau. Die Vorstellungen habe» eine Gcsamml-Einnahme von 7152 Mark ergebe» (14 Auf führungen) und einen Reingewinn von 1600 Mark. — Ei» jugeudlicher Kircheuräuber. In Pieschen bei Dresden hat ein 13 Jahre alter Knabe, dortiger anständiger Eltern die Kirche daselbst mehrfach in frecher Weise beraubt. Am Altar be findet sich ei» großer Opserstock i» Form einer eiferne» Büchse, die in gewisse» Zeiträumen geöffnet und leer gemacht wird. Au derselbe» War der Deckel ans de», Chariiier gerissen, sodaß sie vhne weiteres geöffnet werden konnte, gleichwohl konnte ma», ohne scharf hinzusehen, den Defect nicht wcihrnehmen. Jener Knabe hatte nun, wie er schließlich auch zngab, de» Verschluß der Büchse in der gedachten Weise zerstört und dann wiederholt Geldbeträge ans derselbe» ge nommen. — Nettes Früchtchen. In Leipzig hat der Bäcker- und Fleischerlehrling Höhn (16*/, Jahre alt) seinem Vater die Summe von 800 Mark gestohlen »nd ist damit flüchtig geworden. — Es war nicht der Rechte. I» Werdau ist am 14. d. M. ans dem sogenannte» Laiidwebrtciche ei» Ertrunkener ge zogen worden, den eine aus dortiger Teichgasse wohnende Frau aufs Bestimmteste als ihre» Mann, de» Handarbeiter Schmidt, recvgnoscirte und weinend bestätigte auch der Bruder des Tobten diesen Ausspruch. Die betrübten Angehörigen verzichteten ans das Recht der Beerdigung und der Leichnam wurde an die Anatomie Leipzig abgegeben. Da» Trauerspiel schien beendet »nd Schmidt, der übrigens steckbrieflich verfolgt war, wurde auf dem Pfarr- »nd Standesamt gelöscht. Am DvnncrSlag Morgen nun sieht ein Schntzman» betr. Schmidt, de» Todtgesagte». durch die Straßen gehe». Die Verwunderung des Schutzmannes war groß, aber es half nichts, cS war und blieb Schmidt, der nun sofort »ach der Wache befördert wurde, von wo aus er nach Zwickcin in sicheres Gewahrsam wanderte. Die be kümmerten Angehörigen haben sich also entweder in dem Tobten ge- wallig geirrt oder absichtlich irren wolle», >»» den Gatte» und Bruder ür alle Zeile» außer lästige Verfolgung zn setzen. DaS über der Persönlichkeit des Ertrunkenen schwebende Dunkel wird sich nunmehr schwerlich lichte» lasse». — Eistttbahn-Nnfall. Ans Bahnhof Riesa ist der von Dresden kommende Gütcrzug infolge falscher Weichenstellung einem Rangirznge i» die Flanke gefahren, »nd sind hierbei eine Anzahl Güterwagen zertrümmert» sowie die Maschine de» GülcrzngeS mit dem Tender beschädigt worden. Leider hat bei dem Unfälle auch ein in Riesa beschäftigter Wagcnrncker Verletzungen erlitten, doch sollen dieselbe» glücklichecwcise nicht lebensgefährlicher Natur sei». Störungen im Eisenbahnbetriebe hatte der Unfall nicht znr Folge. — Zur Explofio» in Eversvach. I» eine», Drogen- Geschäst i» Ebersbach (Oberlausitz) ereignete sich, wie schon initge lheilt, vor einigen Tage» eine Explosiv». Der Besitzer des Geschäfte-, Herr Hofinan», wurde hierdurch schwer verletzt. Sein Zustand ist zwar nicht hoffnungslos, doch immer bedenklich. Seine ebenfalls er heblich verletzte Gattin hat die größte» Schmerzen zu ertragen, doch ist ihr Gesammlzustcnid ein besserer. Der Bruder des Verunglückten, welcher ebenfalls bei der Explosion zngegcn war, ist ohne Schade» davon gekommen, doch mußte er, als er nach der Explosiv» in das obere Stockwerk hinanfciltc, um etwas zn retten, »nd bei Ver Rück kehr den Ausweg durch die Flamme» versperrt sah, unter dem Dache einige bange Minuten verleben, bis ihn die Feuerwehr rettete. Unter den Tannen. Novelle von F. v. Stengel. (Fortsetzung). (Nachdruck verboten). Der Gedanke dämmerte erst nur schwach, aber er kam näher und näher, »nd nm Ende blieb er hasten. Seinen Kinder» Mutter? Konnte ihm die Gattin darin» zürne,,, die Ursula so gerne Schwester nannte? Wie nun der Gedanke Wurzel gefaßt halte in der Brust des alleinstehende» Mannes, da war auch znm Wort kein weiter Schritt mehr. — A» einem trüben Wintcrnachmittag ivar Ursula bei den Kindern, der Knabe lag krallt >'»> Bette und batte wiederholt »ach ihr ver langt, so daß die Wärterin in das Amthans schicken ,nutzte, ui» sie z» holen. Nun saß sie am Bette des Kindes und beschwichtigte den Knabe» mit Märchen nnd Geschichten, bis er endlich einschlief, während sie dem Mädchen, das ans ihre» Knicen lauschend saß, »och weiter er zählte, als der Rector ciutrat, m» »ach dem kranke» Kinde zu sehen. Er hatte nicht vermulhct, Ursula hier z» finde», nur die Sorge ui» de» Kleinen trieb ihn schneller »ach Hanse. Ein Jrendenstrahl glitt über sein Gesicht, als er das Mädchen erblickte. „Sie sind da, Ursula; wie gut vv» Ihnen, »ach dem Jlingen z» sehen," sagte er» ihr die Hand reichend. Bei seinem Eintritt hatte sie sich erhoben, und nachdem sie einige Worte gewechselt, wollte sie Weggehen. Der Rector hielt Ursula zurück. „Können Sie denn nicht länger verweilen, warm» eile» Sie dem, immer so?" „Ich habe zu Hanse zu thii», die Theestimde schlägt bald", e»t- gegncte sie. „Sie habe» städtische Gewohnheiten angenommen, Ursula, seit die Stadldame bei Ihnen wohnt," bemerkte er lächelnd. „Fräulein Adele ändert Manches nach ihrem Geschmack, »nd der Herr Amtmann gewährt ihr gern die kleinen Wünsche." „Man sagt, Fräulein AdcleS kleine Wünsche seien meist den Anderen sehr unerwünscht." „Herr Rector!" fiel Ursula ei»; eS hatte etwas in seinen Worte» gelegen, das ihr mißfiel, obwohl sie cs nicht ganz verstand. „Sie sagten mir „je ei» Wort davon, Ursula." beschwichtigte er, „ich hörte es von Anderen, und Sie eilen ja jetzt so sehr geschäftig nach Hanse; früher gönnte» Sie uns zuweilen eine» ganze» Abend." - Sw antwortete nicht, aber sie bereitete sich zu,» Gehen. Der Knabe schlief, und das Mädchen hatte die Geschichten vergessen und brachte seine Puppe zur Ruhe. aber zurück die Hand zu», Abschied, er hielt sie Ein Nachspiel znmXanteneeKnabenmoid-Proeetz. In Berlin begann am Donnerstag die Verhandlung gegen den Inhaber der „Vaterländischen Verlagsanstalt", P. Obcrwinder, welcher seinerzeit eine Broschüre hatte erscheine» lassen, durch deren Inhalt »ach Ansicht der Staatsanwallschast die Mitglieder des Clever Landes- geeichtes, namenttich der Untersuchungsrichter im Prvceß Bnschhoff, Landesgerichlsrath Brixins und der Vertreter der Anklage, erster Staatsanwalt Banmgart. beleidigt worden sind. Die Broschüre ist betitelt: „Der Fall Bnschhoff. Die Untersuchung über de» Xanlener Knabenmord. Von einem Eingeweihten." Die incrimiiiirten Stellen sind so zahlreich, daß wir ans eine Wiedergabe an dieser Stelle ver zichten müssen; wir führe» nnr einige der markanteslcn an. Am Ein gänge der Broschüre war gesagt: Die Volksstimme bczcichnete Bnsch hoff sofort einstimmig als de» Mörder dcS üiiaben. Um de» Verdacht von sich abzulcnke», lief Bnschhoff ans das Bürgermeisteramt und forderte selbst seine Festsetzung, »in — wie er schlau hinznfngle — seine Unschuld darzuthnnl Und durch solche und andere Kunststücke gelang es ihm anch wirklich, die sehr lau vorgehenden Gerichts behörden sich vom Halse z» Hallen, bis Herr Wolfs (Criminnl- comiiii'ssnr) aus Berlin ci'ntraf, der nach tvochenkangen Erhebungen, trotz der anfängliche» Weigerung der Gerichtsbehörde», durch Pro- diicirniig uiianiechtbarer Beweise, Buschhoff's und seiner Familie Fest setzung durchsetzte. Und nun soll dieser blutige Frevel unaufgeklärt bleiben!? Am ganze» Ni'ederrheii, herrscht über diese befremdliche Criminal-Plocedur nur Eine Stimme! — Es wird dann weiterhin das Verhör besprochen und dabei gesagt: Sehr befremde» mußte bei de». Verhör das etwas barsche Benehme» des Staatsanwaltes Baumgart gegen die Zeugen, die dadurch ange»schei»lich verwirrt wurden. Und derselbe Herr Staatsanwalt halte sich früher gegen das mitaugeklagte Jndeiimädchcn Bnschhoff beweisbar stets sehr kavaliermäßig benommen. Auf die ganze Art »nd Weise des Ver, „Können Sie mir noch ei» Wort gönnen?" Sie blieb stehen; der bittende, innige To», in dem er sprach, siel ihr ans, ohne daß sie wußte, weshalb; erst als er weiter sprach, verstand sie seine Absicht. O» warm» mußte ec so sprechen, warm» diese Frage a n sie richten, die Frage, für die sie kein „Ja" habe» kann! Die Mutter seiner Kinder, seine Gattin! — Sie liebt die Kleinen wie jüngere Ge schwister, sie sieht zu dem Rector auf, wie zn einem verehrten Freunde, einem thenren Lehrer, ein Anderes hat sie nie gedacht, — seine Gattin konnte sie nicht sein! — Nie, nie! Ein tiefes Weh erfüllt sie, sie kann das Wort nicht aussprechc». das ihn schmerzen, kränke» muß, aber sie darf ihn nicht in, Zweifel lasse», sie muß wahr sein, koste diese Wahrheit, was sie wolle! „Ursula, spreche» Sie doch, ist das Opfer zn groß, das ich ver' lange?" „Ich kann nicht!" Leise, fast mihörbar siel das Wort von ihren Lippen. „Warum, Ursula?" „Ich kan» nicht!" Wußte sie den» selbst, warum? Stand nicht vor ihrer Seele ein schönes, reiches Leben, reich a» Liebe und Liebesglück, an Segen »nd Wohllhu» an der Seite eines edlen Mannes? Was konnte sie mehr wünsche», sie, das namenlose Findelkind! Warum schreckte sic zurück, ist die Aufgabe zu schwer, kann sie dieselbe nicht lösen, kann sie nicht liebende Mutter, treue Gattin sein? Was erpreßt denn ihr daS Harle Wort: „Ich kann nicht!" Der Rector svrach zu ihr, sie hörte seine innige» Worte. Nicht die schwärmerische Liebe gab dieselben ei», sonder» die ernste Werbung eines Mannes nm die Hand des Mädchens, das er für Werth hält, die Stellung der unvergessene» Gattin einznnehme». „Ursula, ich will Sie nicht dränge», aber ich kan» mein Werben noch nicht verloren geben," das war des Rectors letztes Wort, als sie dam, ging. Sie trat an das Bett des kranke» Knaben, küßte ihm die Stirn, »nd eine Thräne siel darauf; sie stand bei dem Mädchen, dessen Aerinchen sich »»» ihren Hals schlangen. „Tante Ursula, warm» weinst Du denn, ich war doch brav, hast Du uns dem, nicht lieb?" „Gott weiß, ich Hab' Euch lieb — »nd doch — ich kan» nicht!" dachte sie »nd ging zur Thür. Wie Ursula durch die Straße» des Städtchens eilte, kühlte die scharfe Nachtlust ihre glühende Stirn, hinter der die Gedanke» einander jagte». — Warum mußte er frage»! — Es ivar finstere Nacht, als sie z» Hause ankai»; sie trat durch die Hinterthür ein, der Weg »ach ihrer Stube führte an der Küche vorbei. Frau Werber kam ihr entgegen. fahren- wirft diese hier im Allgemeinen scharf bemängelte Barschheit — mn uns nicht eines noch treffendere» Ausdruckes zu bedienen — ein bemerkenswerthes Schlaglicht. Oder ivar der Herr Staatsanwalt Banmgart etwa da»»», so zornmüthig gegen die Zeugen, weil sich durch Misere Festiiagelnng die Thalsache heranSgestellt hat, daß er, nachdem am 29. Juni (Montag) das geschlichtete Kind aiifgefttiiben, erst acht Tage später Zeit fand, am Thalorle zn erscheine»? DaS Landgericht Cleve ist in kriminalistischer Hinsicht eine Art Sinecure, also Uebcrbürdnng kam, diese unverzeihliche Unterlassung nicht ver anlaßt habe»! Oder ließ Herr Bannigart heute sich darum von seinen Aufwallungen hinreiße,,, weil ihn» einfiel, daß er an jenem Montag (6. Juli), anstatt die Biischhvsf'sche Behausung in alle» Ecke» und Winkeln bis in die Erde hinein durch erfahrene Criminal- bcamle zu durchsuche», sich mit einer sehr oberflächlichen Besichtigung des Thatorles begnügte? Ferner wird in der Broschüre be hauptet, es seien nachweisbar „Bcrdmiklmigsversnche" bei dem Pro zeß gemacht worden. „Die Herren Brixins und Banmgart scheine» es eben darauf abgesehen zn habe», für alle Fälle i» dein.pyra« inivale» Verfahren freie Hand zu behalten." — Um seine Beschuldig ungen zn bcwcisen, hatte der Angetlagle in einer Vvrverhandlung beantragt, fast das ganze Zeugenmaterial ans de», Clevcr Prozeß zu einer neuen Verhandlung nach Berlin z» berufen. Diesem An träge wurde stattgegebe». -n ^ ^ Berliner Planderbrkef. Nachdruck verboten. Berlin, de» 19. November. ES friert recht hübsch für die Jahreszeit; aber wenn nun auch die letzten grünen Blätter daran habe» glaube» »inssen, der eleganten großstädtischen Wnchcrpflaiizc, die gewöhnliche Mensche» „Betrug" oder „Schwindel" nenne», hat die Kälte doch nichts auhaben können. Die Großstädte, die Heimstätten von Kultur. Bildung »nd Intelli genz, gleichen Treibhäusern, in welchen diese Pflanze» am beste» gedeihe». :7 ') Es giebt »n» freilich Leute, die meine», die deutsche Sprache sei, wie jener Abenteurer in „Minna von Barnhelm" sich ansdrückt, „eiue armselige Sprache." der es an elegante» Wendnnge» für elegantes Hochstaplcrlhum fehlt, nnd so wird es anch nicht an Erklärungen und Erläuterungen für das Thuen nnd Treibe» jener fehle», welche «» so prächtig verstehe», die vom überflüssigen Mammon zu befreie», die vor aller Charlatincrie i» die Kniee sinken, wenn sie nur prächtig mit Gvldfliltcr» ansslaffirt ist. Caglivstro, der große „Wnnderma»»", verlheilt seine MedicinenL für blnnkcs Gold init dem weisen Nalhe, daß man daran glauben müsse, wenn es helfen solle. Und so wacht Berlin'- exotischer Gast, der indische Augendoctor» tausend Blinde i» einer Stunde sehend, wenn sie nnr daran glauben und tüchtig bezahle» wolle». Der Rath ist allenfalls »msoiist, aber nicht die Mcdicin. Die Zahl der Equipagen und Carossen, welche vor dem Quartier des Wundermamies geholten habe», zeigt, daß die Intelligenz nicht immer mit dem Portemonnaie wächst; der Umstand, daß der Alan» ans Indien trotz aller Enthüllungen in de» Zeitungen eine ganze Zeit lang seine Wiiiidcrkiircn hat verrichten löiiiic», beweist, daß nicht- so tief in, Herzen steckt, als grenzenlose Verehrung des weltgewandte» Hnmbngs. , Die Blinden, die hier sehend gemacht werden, werden allerdings etwas sehen, nämlich, daß sie ihr Geld umsonst los geworden sind. Wen» sic cs wenigstens noch für Chvkvlade mit Schlagsahne »nd Spritzkuchen angelegt hätten, dann hätten sie es doch »och geschmeckt! Aber so? Sv viel Geld für den Hinterindier würde nicht einmal ein Hiiiterpommer ansgegcben habe». Aber Berlin muß i»»»cr elwaS voraus habe». Den, Wiindcrmanne stand eine Wnnderdame zur Seile. Vom Himmel war sie nicht gekommen, wohl aber ans Amerika. Das .8 „Ursula, wo bleibst D» denn so lange? Die Theestnnde ist da, und das Fräulein wollte nicht warten; nun ist sie böse, weil der Thee nicht nach ihrem Geschmacke ist. Du weißt, ich verstehe die städtischen Dinge nicht sv gut. Warn», kamst Du nicht früher?" „Das kranke Kind!" stammelte Ursula. „Schöne Ausrede!" nnicrbrach sic Adele, unter der Thür stehend, „warum nicht der sich langweilende Herr Rektor, dem sic die Zeit vertreiben hilft!" Ursula schoß das Blut ins Gesicht. Solches mußte sie hören — heute! Oiuen Augenblick schwieg sie — die Entrüstung raubte ihr die Sprache, dann eine» Schritt näher tretend, sagte sie mit tonloser Stimme: „Sie werden das Wort znrücknehmen, Fräulein, cS ist eine scham lose Lüge!" Ui» Adcle'S Mund zuckte es verächtlich. „Das werde ich nicht thn», Fräulein Findelkind, ganz sicher nicht; ich wiederhole, was ich sagte, man kennt Ihre Spekulationen!" j Ursula ivar wie betäubt von der Beschuldigung. Frau Werber, in der Absicht, Adele zu beschwichtigen, sagte begütigend: „Nein, Fräulein, da Ihn,, sie der Ursula doch »»recht, so etwas läßt sie sich nicht bcifallen; sie weiß, was sie war »nd ist, und vergißt nicht ihre Stellung." Diese Worte, gut gemeint, riefen jcve Regung des Stolzes in Ursula wach. Steht sie denn so niedrig, so t-ef unter Allen, daß selbst der Gedanke, sich ans eine Stufe mit denen zn stellen, mit welchen sie umgeht, ihr fern liegen muß? — Was ist denn ihr Verbrechen, ist sie eine Ansgcstoßcne, trägt sie ei» Kainszeichen? — Und der Stolz war mächtiger, als jede andere Ncgniig in ihr; die Klugheit, die Bescheidenheit, die weibliche Zurückhaltung, „och inehr H die strenge Wahrhaftigkeit ihres Wesens vergessend, sagte sie ruhig, aber innerlich bebend: „Nein, das Findelkind vergißt seine Stellung nicht; fragt den Rektor, was die gefundene Ursula sagte, als er sie bat, sein: Fra» zu werden." Da»» wandte sie sich der Thür zu nach ihrem Zimmer, die F an Werber und Adele sprachlos vor Ucbcrraschnng allein lassend. Hatten sie recht gehört? Der Rector bot Ursula seine Hand an, »nd sic wies ihn ab? „Unmöglich!" sagte Fra» Werber. „Es ist nicht wahr!" behauptete Adele, „sie fabelt." Und dann käme» die Vermuthnnge» der Haushälterin, die nichl- Eckigcres zu thnii hatte, als dem Amtmann die Neuigkeit mitzntheilen, und ihn z» bestürme», dein Mädchen doch nicht seinen Willen ze lasse», da cs geradezu sei» Glück verscherze. Der Amtmann schüttelte besremdct de» 'Kopf. „Und daS hat Ursula gesagt? Ich verstehe es nicht recht, sie pflegt doch sonst nicht mit Dingen zu prahle», die für Andere peinlich sein können. Wie kan» sie denn dazu?" (Fortsetzung folgt.)
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