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NrLI» LS. Jahrg. Veschastsstell« «nd Redaktion» Dresden »A. 16, Holdeinstras,e 4S SäMscke Dienstag, 23. Sept. 1SU Fernsprecher 213kg Postscheckkonto Leipzig Nr. 1479? Bezugspreis r Vierteljährlich in der Geschäftsstelle oder von der Post abgeholt Ausgabe ^ 4.0» Ausgabe v S.7» In Dresden und ganz Deutschland stet HauS AuSgabr ^ 4.0» -X, Ausgabe It 4 08 — Die Sächsische Bolkszeitimg erscheint an allen Wochentagen nachmittags. — Sprechstunde der Redaktion: 11 bis 12 Uhr vormittags. Anzeiger.! Annahme von GeschäftSanzcigen bis IO Uhr, von Familicnanzcigcn bis 11 Uhr vorn:. — Preis für die Pcttt-Sp.iltzcilc SO 4- im Reklamcteil H Familien-Anzeigen 40 —Für in,deutlich geschriebene, sowie durch Fern sprecher anfgegebene Anzeigen tilime» wir die Verantwortlichkeit sür die Richtigkeit deS Textes nicht übernehmen Urkunden V Die Wiener Urkunden zum Weltkriege, die -reciter unten veröffentlicht werden, sind für den keine Ueber- raschuuA, lder die Vorgänge der letzten Monate ohne jede Sentimentalität beobachtet hat. Sie beweisen nur aufs neue, daß unsere auswärtige Leitung den Aufgaben des Sommers 1914 in keiner Weise gewachsen war. und sie lassen deutlich erkennen, das; die Kriegsparteien beider Mittelmächte ein frivoles Spiel getrieben haben. Tamit braucht gar nicht der Kriegswille der Entente in Abred«' ge stellt zu werden. Datz dieser Kriegswille in erster Linie in Nutzland vorhanden war, darüber braucht überhaupt kein Wort mehr verloren werden. Aber ebenso sicher ist heute, datz man in Wien den Krieg gewollt hat und datz inan in Berlin zum mindesten einer klaren Stellungnahme auSgcwichen ist. Jedenfalls war man in Wien von vorn herein gewillt, es zum Bruche kommen zu lassen, ganz gleich, wie das Ultimatum an Serbien beantwortet würbe. Tatsächlich hat inan die Antwort Serbiens gar nicht abge- lrartel. Der österreichische Gesandte in Belgrad war mit gebundener Marschroute versehen. Die sorbische Antwort war fast in allen Punkten entgegenkommend und nur in einigen wenigen Punkten ablehnend. Diese Punkte"Iießen aber Verhandlungsmöglichkeiten zu, nachdem Serbien in der Hauptsache sich bereit erklärt hatte, Genugtuung zu leisten. Die Frage, inwieweit es wirklich dazu bereit war, kann hier ausscheiden; jedenfalls war die Antwort so gehalten, datz noch in eine Erwägung hätte eingetreten werden können. 'Eine halbe Stirnde nach Erhalt der Ant wort aber reiste der österreichische Gesandte aus Belgrad ab, die diplomatischen Beziehungen waren damit abgebrochen. Der Gesandte konnte sich in dieser kurzen Zeit gar nicht mit seiner Negierung in Wien in Verbindung setzen und >r>ar mich demgemätz instruiert. Berlin zu verständigen, hielt man überhaupt nickst sür nötig. Man wird aus den Wiener Akten in gewissem Sinne eine Rechtfertigung für Deutschland hckr-auslescn wollen. Tatz das deutsche Volk den Krieg nicht gewollt hak, ist hin länglich bekannt, lind daß auch die Regierung als solche nickst zum Kriege getrieben, weitz man ebenfalls. Bestätigt wird auch durch die neuen Urkunden, datz die amtliche Regie rung des Deutscksen Reiches es sich angelegen sein ließ, den Konflikt bis zuletzt zu vermeiden. Aber das rechtfertigt noch lange nicht dir vollständige Unzulänglichkeit der deutschen Staatsmänner, die vielmehr durch das Wiener Rotbnch aufs schwerste belastet wenden. Gewiß, das Rotbnch legt klar dar. daß Wien selbst in jenen entscheidvollen Julitagen den ersten Spatenstich zu seinem eigenen Grabe vorgenommen hat. Ans diesem Rotbuch ist ersichtlich, daß nicht Oester- i-eich von Deutschland, sondern Deutschland von Oesterwich am Gängelbande geführt wurde. Aus dem Unglück der letz ten Jahre ragt der Name des Grafen Berchtold, des öster reichischen Außenministers von damals,unheilvoll hervor. Und darin, daß wir uns völlig der Führung Oesterreichs vor dem Kriege und in den kritischen Tagen überließen, liegt eben dis furchtbare Schuld, die Bethinann und Jagoiv auf sich geladen haben und von der sie niemand wird sreffprechen können. Mit einer Sorglosigkeit, die sich zur Persiflage in einem Operettentheater eignen würde, wenn die Sache nicht so bitter ernst wäre, hüben die „Staats männer" von damals die kriegslustigen Elemente in Wien n ich Belieben schalten und walten lassen. Daneben hatten die Oestcrreicher in Berlin noch einen Botsckpftcr von 74 Jahren sitzen, dessen Unfähigkeit hinlänglich bekannt war und den sich die deutsche Regierung unter keinen Umständen hätte gefallen lassen dürfen. Die Veröffentlichung der Wiener Urkunden ist noch nicht abgeschlossen und läßt noch manche Ueberraschungen erwarten. Das Betrübcndste ist für uns die Feststellung einer Fahrlässigkeit sondergleichen, mit der in Berlin da mals die Tinge behandelt wurden. Kraft- und saftlos war die Politik, die damals von Bethmann, dem Philosophen von Hohenfinow, und dem Staatssekretär von Jagoiv, dm nrch in den Flitterwochen zu schwelgen schien, getrieben wurde. Aber auch haltlos imr sie. Die gute Absickst be stand bei diesen beiden Leitern der äußeren Politik wohl, den Krieg zu vermeiden. Aber damit hatte es auch sein Bewenden. Ter Reichskanzler von Bethmann Holl.veg sagt in 'einen „Betrachtungen zum Weltkriege' (S. 12«,'- „Auch Deutschland war nicht frei. Aber der Zwang wir ein an- derer. Ancki in kritischster Stmrde hat uns unser Bnndcs- verhaltnis 'n Oesterreich-Ungarn nicht an ren n.ckdrück- Iichsten Sckntlcn giwinderr, um den Freund und Alliierte:; zu der istr die Sack,, des Friedens no'wendi.a; Mäßianng an mH ;.len." Das ist rnsoweit rrchig, als da st in der kr,- Ntzststen Stunde Ende Juli noch warnende Telegramme nach Wien abginmn. Aber da war.'s Ls.-ecks m spat. Ta hatte Oesterreich bereits gesprochen, und zlvar ohne Berlin. >.:ber doch offenbar in der Voraussetzung, auf die Unter suchung von Berlin vnter allen U'ir'riide.r rechnen u kei nen. Der Estanzler sagt dann: «Konnw r wir aber no h frei optieren, ob wir Oesterreich in dieser seiner Lebens- frage seinem Schicksal überlassen wollten oder nicht?" Nein, das konnten wir gewiß insoweit nicht, als daß wir selbstredend ans unser Dnnbesverhäst,« s Rück>'ckst -mimen mutzten. Aber doch r ur bis zu eine n gewisse» Grade. Dicker Grad ist ber überschritten worden. Daran kann nach der Wiener Veröffentlichung nickst mehr gezweifelt werden. Den Wiener Urkunden werden nun wohl bald die Berliner Akten folgen. Nachdem einmal das öfter- reickstsche Rotbuch- erschienen ist, erscheint es notwendig, datz auch das auswärtige Amt eine gleiche Veröffentlichung vornimmt, damit >vir -ein möglichst lückenloses Bild be kommen. ,. tml. Aus dem österreichischen Rotbuch über die Entstehung des Weltkrieges Der Ministerrat vom 7. Juli In dieser Sitzung des Mnisterrates der Monarchie würbe zum ersten Male eine Klärung üben die Folgerungen herbeigeführt, die die k. u. k. Regierung aus bem Ereignis von Sarajewo zu ziehen sich genötigt sah. Einleitend be merkte der Vorsitzende, Graf Berchtold, der Minister rat sei einberufen worden, um über die Riaßnahmen zu be raten, welche zur Sanierung ber anläßlich ber Katastrophe in Sarajewo zutage getretenen innerpolitischen Uebelstände in Bosnien und der Herzegowina angewendet werben soll ten. Es gebe seiner Ansicht nach verschiedene interne Maß nahmen in Bosnien selbst, deren Anwendung ihm gegen über den krisenhaften Zuständen geboten erscheinen. Vorerst aber sollte inan sich darüber klar werden, ob der Moment nicht gekommen sei, um Serbien du rchein e Kraft- äußer urig für immer unschädlich zu machen. Ein solcher entscheidender Schlag könne nicht ohne diplo matische Vorbereitungen geführt werden, «daher habe er mit der deutschen Negierung Fühlung genommen. Die Be sprechungen in Berlin hätten zu einem sehr befrie digenden N e s u I t aD'e geführt, indem sowohl Kaiser Wilhelm als Herr v. 'Bethinann Hollweg der Monarchie für den Fall einer kriegerischen Komplikation mit Serbien die unbedingte Unterstützung Deutschlands mit allem Nachdrucke zugesichert hätten. Nur müßte die Monarchie noch immer mit Italien und Rumänien rechnen, und da sei er in Uebereinstimmung mit dem Berliner Ka binett der Ansicht', daß es besser wäre, zu handeln und et waige Kompensationsansprüche abzuwarten. Er sei sich darüber klar, das; ein Waffengang mit Serbien den- Krieg nrit Rußland zur Folge haben könnte. Rußland treibe aber gegendvärtig eine Politik, die auf lange Sickst berechnet den Zusammenschluß der Balkanstaaten, Rumänien! einbegrif fen, zum Zweck habe, um dieselben sodann im geeignet er scheinenden Momente gegen die Monarchie ansspielen zu könne»'. Die logisck-e Folge, die sich aus dem Gesagten er gebe, wäre, den Gegnern zuvorznkommen und durch eine rechtzeitige Abrechnung mit Serbien den bereits im vollem Gange befindlichen Entwicklungs-Prozeß auszuhalten, was, später zu tun nicku mehr möglich sein wird. Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza stimmte damit überein, daß die Lage sich in den letzten Tagen durch die in der Untersuchung festgestellten TatsackM und durch die -Haltung der serbischen Presse verändert habe, und be tonte, daß auch er die Möglichkeit einer kriegerischen Aktion gegen Serbien für näher gerückt halte, als er es gleich nach dem Attentat von Sarajetvo geglaubt habe. Er würde aber einem überraschenden Angriff auf Serbien ohne vor- Vergehende diplomatische Aktion-, wie dies beabsichtigt zu sein scheine, und bedauerlicherweise auch in Berlin durch den Grafen Hoyos besprochen 'wurde, niemals znstim - men, iveil die Monarchie in diesem Falle seiner Ansicht nach in «den Augen Europas einen sehr schlechten Stand hätte. In der Diskussion wurde den Bedenken Tiszas Rech nung getragen, daß inan Serbien nur verkleinern, aber nicht ganz vernichten dürfe. Trotz dieses Zugeständnisses seiner' Kollegen ibeharrte Tisza aber immer noch bei der Ansicht, daß eine erfolgreiche Balkanpolitik für die Monarchie durch den Anschluß Bulgariens an den Dreibund möglich wäre und verwies ans die furchtbare Kalamität eines europäischen Krieges unter den derzeitigen Verhältnissen. Am Schluß der Erörterungen wurde festgestellt: 1. dost, alle Versammelten eine tunlichst rasche Entscheidung des Streitfalles mit Serbien im kriegerischen oder friedlick>e„ Sinne wünschten, 2. daß der Ministerrat bereit wäre, sich der Ansicht des königlich ungarischen Ministerpräsidenten anznschlsitzen, wonach eist mobilisiert werden solle, nach-, dem konkrete Forderungen an Serbien gerichtet und die« selben zurückgewiese» worden seien, sowie ein Ultimatum- gestellt irwvden sei. Dagegen waren alle Anwesende» mit Ausnahme von Tisza der Ansicht, datz ein rein diplomatischer Erfolg, wenn er auch mit einer eklatanten Demütigung Serbiens endigen würde, wertlos wäre, und das; daher solche weitgehenden. Forderungen an Serbien gestellt werden mutzten, die eine Ablehnung voransschen Netzen, damit eine radikale Lösung, im Wege militärischen Eingreifens ungebahnt würde. Ursprünglich stand im Konzept des Protokolls: „Und datz daher ganz unannehmbare Forderungen an Serckm gestellt werden müßten, -damit cs bestimmt zum Kriege komme." Diese Umänderung stammt von der Hand des Grafen Berchtold. Tic Telegramme des österreichischen Botschafters in Berlin Tie sestgcstellte Note an die serbische Regierung soll'.e am 23. Juli abends in Belgrad und zusammen mit einer Zirkularnote in den Hauptstädten der anderen Mächte am Vormittage des 21. Juli überreicht werden. Graf Szö- genhi, der Botschafter in Berlin, teilte am 21. Juli, abends 7 Uhr 50 Min. dem Grafen Berchtold mit, er sei der Ansicht, man müsse das Berliner Kabinett vor den ari deren Großmächten über den Inhalt der 'Note an Serbien informieren. Ans diesen Vorschlag erwidert st ras Bercb- told am 22. Juli mit der Feststellnirg: „Streng vertraulich haben wir Herrn v. Ts ch i r s ch k tz die erwähnte 'Note (die bekanntlich auch jene an Serbien tertuelt anführt) schon gestern (21. Juli) mitgetcilt. Tie ist durch den Herrn Botschafter jedenfalls bereits nach Berlin vorgelegt worden.' Mach Bekanntwcrde» des Testes des öfter reichlichen Ultimatums an Serbien waren sich mobl alle europäischen Staatsmänner darüber klar, das; nur eine außerordentlich geschickte und taktvolle Behandlung der Lage eruste Kompli kationen, ja den gefürchteten Weltkrieg, vermeiden könnte. Sir Edward Gretz machte schon am 24. Juli dem Fürsten Lichnowskl) -den Vorschlag einer Vermittlung zu viert seitens Englands, Frankreichs, Italiens und Deutschlands. Am 26. Juli schlug Sir Edward Gretz eine Botschafterkonferenz dieser vier Länder vor, die über das Ausmaß der Oester reich zu bewilligenden Genugtuung zn beraten hätten. Deutschland lehnte den letzteren Vermittlnngsvorschlag ab, indem es geltend machte, das; es Oesterreich-Ungarn nicht zumuten könnte, seine Differenzen mit Serbien einem inter nationalen Areopag zu unterbreiten. Diese Stellungnahme -der deutschen Regierung wurde vom Grafen Szögenyi in der folgenden Fassung nach Wien gemeldet: „Die deutscki« Regierung würde übrigens bei jedem einzelnen derartigen Verlangen Englands in Wien demselben ans das ausdrück lichste erklären, datz sic in keiner Weise derartige Jutervcn- tionsverlangen Oesterreich-Ungarn gegenüber unterstütze und nur um dem Wunsche Englands zu entsprechen, die« selben weitergebe.* Am 28. Juli riberreickste Herr v. Tschirscksttz dem Gra fen Berchtold den bekannten Vorschlag von Sir Edward Greh, Oesterreich-Ungarn möge das weitgehende Entgegen kommen Serbiens in seiner Antwortnote als Grundlage sür weitere Verhandlungen akzeptieren. Zn diesen« Vor schläge war folgende Notiz der deutsckien Regierung gemacht worden: „'Nachdem wir bereits einen englischen Konferenz-» Vorschlag abgelehnt haben, ist es uns unmöglich, auch diele englische Anregung a limine abzuweisen. Durch eine Ab- lelmnng jeder Vermittlungsaktion würden wir für die Konflagatio» vor der ganzen Welt verantwortlich gemacht und als die eigentlichen Treiber zmn Kriege hingestellt werden. Das würde auch unsere eigene Stellung im Lands unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Gezwungenen dastehen müssen. Unsere Situation ist um so schwieriger, als Serbien scheinbar sehr weit naehgegeben hat. Wir kön nen daher die Rolle des Vennittlers nickst abweise» und müssen den englischen Vorschlag dem Wiener Kabinett zur ENrstignng unterbreiten, zumal London und '-Paris fortge setzt ans Petersburg einwirkcn. Erbitte Graf Berchtold Ansicht über die englisch)«; Anregung ebenso wie über den Wunsch -Herrn Ssasonows, mit Wien direkt zu verlmndeln. gez. Bethmann -Holl-weg." Inzwischen war am 28. Juli die Kriegserklä rung Oesterreichs an Serbien erfolgt. Am 29. Juli »rackste Sir Edward Greh noch einen Vermrttl»ngsvorschla-g: Oesterreich solle den weiteren militärischen Vormarsch auf serbischem Gebiete einstellen, »nährend die oben genannten vier Mächte versuchen wollten, zwischen Oesterreich und Rußland zn vermitteln. Dieser Vorschlag wurde von Herrn v. Tschirschky mit einer dringenden' Empfehlung des deut- scheu Reichskanzlers in Wien übergeben, in der es n. m heißt: