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Nr. LST LH. Jahrff. Geschäftsstelle und Aedaklio«, Dresden « A. 16, Holbeinsteaße 4b Mittwoch, 8. Oktober 1918 Fernsprecher 21368 Postscheckkonto Leipzig ??r 1 < »WK«G«,», «eUsWWUI« «N »« »»schSMK«»« <-»«»«, »«r Post a»gc,o» «nSgad» I 4.»L 4». A«»g«b« » ».»« W. >» »««»«» »» »nt»«« »»,,«»« 4 4.»L »«»ga»« » 4.«S ^c. - Die SSchstich« »»«»MMp «rschUM » «I« »»chWt«»«, >»ch»Nt««a. — «i»r,ch<k«»e »« II »iS 1» Uhr »«rviitta^. ikizetgeni vmcahme »on SeschüftSanzcigen VIS IS Uhr, von Famtltenanzclgcn bis II Uhr vorm. — Preis siir die Pstit-Spaltzetle LN ^ im Reklametc» 1 ^k. Familien-Anzeigen 40 4 ^ Für undeutlich geschriebene, sowie durch Fern sprecher aufge-edene Anzeigen lömien wir die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des Lexte« nicht übernehmen Das Programm der Reichsregierung Die politische Aussprache Stimmungsbild aus der Nationalver sammlung von unserem parlamentarischen Vertreter Berlin, 8. Oktober Welch ein Wandel zwischen ehedem und heute! Einst war eine politische Aussprache im Reichstag ein großes Er eignis. Alles im Hause trug den Stempel einer bezwingen den Feierlichkeit. Das Aufgebot der Reichsbehörden war gewaltig und auch unter den Abgeordneten selbst herrschte eine große Spannung. Ganz anders beute! Viel mag ja auch daran liegen, daß das Verhältnis von Abgeordneten zur Negierung zwischen einst und jetzt sich wesentlich gelindert hat. Heute besteht nicht mehr die Barriere, die sich zwischen Minister und Abgeordnete stellte. Man sah das gerade heute am deutlichsten, als die Minister von ihren Abgeord- netenplätzen aus zu ihren Ministersesseln stiegen und nicht unter großem Troß durch ein feierliches Spalier in steifer Würde sich begaben.. Das ganze Ministerium ist erschienen, komplett gemacht durch die zwei demokratischen Minister Schiffer und Koch. Schiffer hält den Platz neben dom Reichskanzler Bauer inne, den bisher Erzberger hatte. Erzberger sitzt nunmehr zwischen dein Außenminister Müller und dem neuen Mi nister dos Innern Koch. Ihnen schließen sich Meyer-Schwa ben, Bell, Noske, Datzich Schlicke'und. Schmidt an. Der Etat des Reichskanzlers steht zur Tagesordnung. Ein Punkt, bei welchemIchönTmstiec die. Parteien Gelegen heit nahmen, alles, was sie auf dem Herzen haben, sich her auszureden. Das ist heute genau wieder so, wie in jenen alten Zeiten. Bauer weicht von der Gepflogenheit, daß der Reichskanzler von dem historischen Eckplatz, an dem ein Bismarck,, ein Caprivi, ein Bülow und ein Bethmann stan den, spricht, ab und. begibt sich zur Rednertribüne. Dort liest er sein Manuskript herunter. Große Gedanken? Nein! Das Arbeitsprogramm bietet nicht viel an großzügiger po litischer Linienführung. Es, ist init den Nichtigkeiten des täglichen Lebens noch allzu sehr beschwert. Freilich ist un sere Lage heute noch eine derartige, daß wir eine unge heure Aufräumungsarbeit zu leisten haben, die allerdings notwendig macht, daß wir uns auch mit den Kleinigkeiten des Tages, und' zwar mehr als uns allen lieb ist, beschäfti gen müssen. Die Rede Bauers war geschäftsmäßig. Er be müht sich im Klemkampf um die Oppositionsparteien von rechts und links. ' Namentlich gegen rechts schlägt er eine scharfe Klinge. Den Gegnern sagt er, daß wir den Frie dens-Vertrag ehrlich halten wollen. Der Demokrat Petersen legt die Gründe dar, die die Demokraten zum Eintritt in die Negierung bewogen haben. Nur die allgemeinen Interessen des Vaterlandes seien dafür maßgebend gewesen. Ein besonderes Vertrau ensvotum'stellt er Noske aus. Er gibt der Hvssnnng und der Zuversicht auf die Zukunft Ausdruck, wenn die Ans- gstlw, die die neue Regierung sich gestellt bat, durch ein- trächtiges Zusammenwirken gelöst werden kann. Nun kommt eine „Sensation"! Scheide mann wird ausgerufen. Man erwartet vieles von ibm und wird immer mehr enttäuscht. Mancher hat sich venviindert ge fragt. Ist das derselbe Scheidemann, der schon einmal Kanzler der deutschen Republik Umr oder ist das nur ein heiserer Parteiagitator? In der Tat: Scheideninnn war wieder ganz Parteimanu. Tie letzten ministerielle!, Allüren ha! er beiseite gellsti. Im großen und ganzen ist seine Rede nichts anderes als ei» wehmütiger und wehleidiger Hilfe ruf au die Unabhängigen, doch die alten „Fehler wieder m vergessen und sich zu einigen"! Scheidemann hielt es aus dieieiu Gruuee für notwendig, sogar den eigenen Par- leigenosson der jetzigen Negierung mancherlei Unfreundlich keiten zu sagen. Namcnilich gilt dies für NoSke, den er unter Aufgebot eines Usbermaßes sittlicher Entrüstung Maßnahmen gegen die „monarchistische Propaganda" in den Reichswehrtruppen ans Herz legte. Scheide naans Rode erweckte im Hanse den Eindruck, daß er eine rein sozia listische Negierung, die er wiederum als sein fdoai bezeich- nete, den abtrünnigen Brüdern von links in empfehlende Eiinnarung bringen wollte. Es war ein Schauspiel zum Eibormen. Links quittierte man Scheidemanns Anbiede rung mit velchändnisiiinigem und höhnischem Grinsen. Mit dein Grafen Posadowsky tam dm erste Redner der Opposition zu Worte. Posadowskn kritisierte die jetzige Ziisammeii'etziiiig der Regierung mit großer Sckärfe. Es sei das verwunderlichste Kabinett, das je zu- iammengekommcn wäre. Er hält diese Negierung für un fähig, die große Aufrämmingsarbeit zweckentsprechend durchzuführen. Mit kräftiger Charakteristik, untermischt mit gutem Humor, geht Posckdowsky den Angriffen von links zu L?ibe. Seine Ausführungen finden Lei der Rech ten lauten Beifall, bei den anderen Parteien achtungsvolles Schweigen, nur die Linke ereifert sich. Der Zentrumsabgeordnete Joost (auf dessen Reden wir noch zunickkornmen. Red'.) erklärte: Die RegierungS- koalition ist eine Arbeits-, keine Gesinnungsgemeinschrst, aber uns eint das Bestreben, unser Volk und Vaterland zu retten. Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung. Die Rede des ReichSksmGlers Berlin, 7. Oktober Am Regierungstische die Minister Bauer, Miller, Erz- berger, Schlicke, Tr. David, Koch, Mauer und SÄfseri Auf der Tagesordnung steht dann die zweite Beratung des Haushaltes für .das Neichsministeriuin, den Reichs kanzler nnd die Reichskanzlei. Nachdem noch Mg. Bolz (Zentrum) über die Altsschußverhandlungen berichtet hatte, ergriff Ministerpräsident Bauer das Wort. Das neue Ministerium für Wiederaufbau, das der materielle Träger unserer Beziehungen nach dem W.'sten sein müsse, auf dessen Leistungen erst das Auswärtige Amt seine Arbeit des Wiederaufbaues der politischen Beziehun gen gründen könne, wird Zn den nächsten Tagen besetzt w-n- den. Das neue Kabinett repräsentiert die übergroße Mehr- heit dieses -Hauses und damit unseres Voltes. Ob dieses Stärkeverhältnis, fuhr Redner fort, wie es die Wahlen vom 1. Januar festgestellt haben, immer noch dem der parteipolitischen Schichten Deutschlands entspricht, sollen die Neuwahlen zum ersten Reichstage der Republik zeigen. Sie werden angesichts des Arbeits- stoffes der Nationalversammlung nicht vor Fr ü hjahr angesetzt werden können. Das Programm des Kabinetts ist das gleiche geblieben.. Vorerst ein Wort über den allge meinen Geisteszustand unseres Volkes. Eins darf ich dankbar und freudig feststellen: Es geht wieder ein Zug nach Arbeit, nachDKonsolidierung durch das deutsche Volk, besonders durch die Arbeiter. Ich huldige keinem welt fremden Optimismus und bilde mir nicht ein, wir seien nach unserem tragischen Zusammenbruch nun schon über den Berg. Aber gerade ich als alter Gewerkschaftler weiß zu unterscheiden zwischen Streik und Streik. Gewiß, es wird immer noch zu viel gestreikt in Deutschland. Viel zu viel. Für die Riesenaufgabe, das deutsckw Wirtschafts leben wieder in Gang zu bringen, ist jeder Tag erzwungener Arbeitsruhe verderblich aber wenn cs auch heute noch poli tischen Einpeitschern gelingt, bald hier, bald dort die Arbei ter aus den Betrieben herauSznbringen — die wilde, stets bereite unbedenkliche Streitlust ist.verraucht. (?) Wenn aber die Nrbeitsnnlnst, diese eine zerstörende Erbsckvaft des Krieges, im Abnehmeu begriffen ist, die andere, nicht min der, unheilvolle, steht noch in voller Blüte: Die Korrup tion! Noch immer bat bei uns fast alles seinen Preis und meist seinen Wucherpreis, von der Schieberware bis zu dem, was »ran einstens Treu und Glauben hieß. Eine moralische Erkrankung ohnegleichen gilt es hier in allen Schichten zu bekämpfen, mit allen Mitteln, mit aller Erbar mungslosigkeit, ohne irgend ein Ansehen der Personen. Wir wissen, was wir besonders unseren Beamten au Schutz und Anerkennung schulden, aber gerade den unantastbaren Beamten gegenüber sind Nur verpflichtet, gegen die Korrup tion innerhalb des Beamtentums aufs schärfste einzugreifen, um es wieder zu dem zu machen, was cs war, eine Körper schaft chon sprichwörtlicher Unbestechlichkeit. Auch die par lamentarische Tätigkeit dieses Winters wird in großein Umfange in der Feststellung der Rechte der wirtschaftlich Schwächeren, vor allein der Arbeiter, bestehen. Das ist nicht, wie uns von Uuteruehmers"ite so oft vorgeworfen wird, eine Liebedienerei, eine Verhätschelung der Arbeiterschaft. Ge rade hier ist eben unendlich viel versäumt worden. Keine Gnade wie im kaiserliche» Dentschland, nein! Recht nnd Rechte verlangt die Arbeiterschaft in dem Umfange, wie es ihrer Bedeutung für das Bolksganze znkomint. Tie Repub lik ist entschlossen, diesen Rechtsanspruch zu erfüllen und alle böse Schulden abzutrage». Der Ausdruck dieses Entschlusses ist vor allem der Gesetzentwurf über die Betriebsräte. Ter Entwurf eines Gesetzes über die Wirtschafts rate wird l-:- schlennigt fertiggestellt nnd soll so bald wie möglich voc- gclegt werben. Erst diese Heiden Gesetze zusammen gebe i dem Artikel lsiö der Verfassung seinen Inhalt, me sollen durch einen Verfässungscharakter, unberührt von etwaigen Schwankungen der inneren Politik, den Arbeiter in Zukunft führend an der Entwicklung der Wirtschaft mitbeteiligen und ihm Hansherrenrechte geben, wo er bisher nur schlecht be dankte Pflicht hatte. Mit der Erreichung dieses Zieles ist aber auch der Zeitpunkt gek Minen, wo der Kamps um die Arbeiterräte aus 'dem Stadium der Tchlagworte und der volkswirtschaftlichen Dilettanten heranskommen und sich mit den Realitäten des Wirtschaftslebens beschäftigen muß. Die Neichsregiernng ist bestrebt, die Arbeiten so zu fördern, daß die Wahlen zu den Betriebsräten möglichst schon Anfang nächsten Jahres statlfinden iönnen, und daß die Wahlen zu den Wirtschaftsrmeu Ihnen vielleicht schon einige Wochen später werden folgen können. All die Schlichtungen von Arbeitsstreitigkeiten in den letzten Monaten haben die Not wendigkeit einer N euregelnng des Schlichtungs wesens für joden erwiesen, der den Charakter des Streiks als eines berechtrglen "Kampfmittels nicht ruiniert sehen will. Wie die Zivilprozeßordnung das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten regelt, so muß eine Schlickstilngsord- nung, deren Entwurf dem Arbeitsministerinin bereits vor liegt, die Rechtsgarantien für ordnungsgemäße Besetzung der Schlichtnngsausschüsse nnd für ein geregeltes Verfahren festlegen. Die Geschichte unseres Gerichtswesens zeigt uns den Weg. An die Stelle des Fanstrechtes der nackten Gewalt tritt das geregelte Verfahren, dessen Urteil sic!' auch der Widerstrebende zu fügen hat. Das letzte Ziel dieser Ent wicklung ist das obligatorische Schiedsgericht, das die Streiks aufs äußerste Maß nnd die schwersten Fälle beschränkt. Ein Gesetz über den E i n st e l l n n g s z w a n g soll dazu beitragen, gerade den Schwerbeschädigten Arbeit und Ans- kommen, zu sichern. An die gesamte Arbcilerschaft richte ich den Apsiell, jede erdenkliche Rücksicht ans diese schwerast'rüs- ten Kollegen zu nehmen und dabei auch in diesem Punkte die unzerstörbare Solidarität der Arbeiterschaft zu beweisen. Daneben geht das große Werk der Neuregelung der Militär- renteirversorgung, nicht mehr nach militärischen Dienstgraden, sondern nach sozialen Gesichtspunkten ansgebant. E - soll dieses Gesetz noch diesen Winter zum Abschluß geln acht »'er den. Ein dritter Weg, den Opfern des Krieges vor allem zu helfen, wird ans dem Gebiete der Ansiedlnng beschütten werden, wo die neue Verfassung die Znständigteit des Reiches ja bedeutend erweitert hat. Oie Schwierigkeiten in der Praxis brauche ich nicht aiisznmalon, aber auch hier baffen wir, mit der Hilfe der einzelnen Lände'/ vorwärtszatom- nien, und ein Schritt voran soll das Nei cb s h eimstätteng e s e tz sein, das Ihnen voraussichtlich in Bälde zngebe» wird. Ans dem Gebiete des allgemeinen ArbeiterickaitzeS ist ei» ArbeitS- zeitgesetz in Vorbereitung, das eine der wichtig'»." sozial politischen Errungenschaften der Revolution den Awlsrun- dentag, sichern soll. Dann verlangen die gen-c" ts.-"fUichen Grundsätze und nicht minder die finanziellen Mwm'rl,sttniise des Reiches eine Umgestaltung der vielfach m'ßsts Men Arbeitsloiensürsorge im Sinne einer verstärkten 'lebst:sbe- schaffung für die Erwerbslosen. Den endgültig..'.: Dolan der heutigen Zustände sott die gesetzliche ArbeitKostmo/r-che- rnng bringen, die im Reichsarbeitsministerinin in Vorberei tung ist. Die großen Wirtschaftsfragen, insbesondere den Tief stand unserer Valuta, haben Sie soeben in mehrtägigen Verhandlungen besprochen, in denen der ganze Umfang un serer wirt'chaftlichen Sorgen erörtert wurde, die ja alle Ur sache nnd Wirkung zu gleich sind. Koble, Transport, Er zeugung, jode dieser Fragen bedingt die andere und kann ohne die andere nick t gelöst '."erden. Seit Juli ist die För derung nnd die durchschiiitüiche Arbeitsleistung in den Kohlenrevieren in die Höbe gegangen: aber die Vn-tmstsio» ist noch längst nickst ans der Höbe, die uns eine anssabciä'stge Industrie, diese einzige Quelle nn .'ntüebrliche - Zablungs- mittel, garantiereil könnte. Vor allein aber isl der Trans port und damit auch der Abtrans: ost noch rüstig im argen. Wenn niis nicht eine Steigerung der Arbeit bei den Eisen- Hahnen, vor allem in den Eisenhahiiwerkslätten. von der bis seist herzlich wenig zu spüren ist, gelingt, d am iönnen wir Kohle und Industrie nicht in de > fruchtbaren chwmmen- hang bringen, der im Interesse dw gan en Voltes und vor allem auch der Arbeitcrsck af! vonnöten ist. Im Rubrkoblen- revier wäre eine E i n st e l l n » g v o n 3 8 >> 0 l- » ,> „ g „ A r beit e r n möglich und höchst erwünscht. Davon kön nen heute schon 20 0t!0 sofort und ohne große Schwierig keiten zufriedenstellend nntergebraclst werden. Für lm üb rigen muß erst Untcrlmnst geschaffen werden: denn in den Kohlengruben liegen die Fundamente, aus denen allein un-