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oder Ahnungen? Heute hatte mir auch der Wald nichts zu sagen. Da . . . aus dem Haidtal herauf ... ein Angstschrei, oder täusche ich mich? ... Ich bleibe stehen ... ich horche . . . Wiederum . . . Verworrenes Rufen ... da ist etwas passiert. Mit meiner Ruhe ist es vorbei. Ich stürme hinunter ins Tal und kaum trete ich ins Freie, sehe ich, wie dort, wo der Haidbach einen großen Bogen macht weh- rere Schlittschuhläufer sich sammeln, winken und schreien. Die kleineren Knaben und Mädchen stehen am Wege in Gruppen zusammen und schauen verstört und ängstlich nach jener Stelle hinüber. Da eilt einer zurück, mir entgegen. „Was ist ge schehen?" „Rudi ist eingebrochen." „Was? Rudi?" Selten in meinem Leben bin ich so gelaufen, um einer Unglücks stätte nahe zu kommen, wie bei dieser Nachricht. Das Eis biegt sich unter meinen Schritten. „Wo ist er?" rufe ich den erschreckten Knaben zu, die ratlos umherstehen. «Hier ist er eingebrochen . . ." „Das Eis gibt hier überall nach . . ." „Es ist die tiefste Stelle im Haid back . . ." „Rudi ist ausgeglitten . . ." „Er fiel mit dem Kopf miss Eis und verschwand sofort . . ." So hallte cs durcheinander. Was tun? Schwimmen konnte ich nicht. Es hätte auch nichts geholfen, denn an der offenen Stelle sah man das langsam dahinfließende und gurgelnde schmutzige Wasser des Baches. Mein Pulsschlag stockte. Verzweifelnd starrte ich in das unheimliche Eisloch. Keine Hand streckte sich empor, die ich so gern hätte ergreifen wollen. Wir schlugen das Eis weiter auf, so weit wir es wagen konnten. Herr Gott, Hilst so rang es sich von meinen Lippen. Nun kam vom Dorfe her auch Hilfe. Mit Stangen und Leitern halfen die Leute, aber vergebens. Endlich kam der Müller mit seinen Knechten, die den schnell aus dem Eise losgehauenen Kahn hinter sich Herzogen. Lange suchten sie vom Kahne aus die offene Stelle ab und nach einer bangen Viertelstunde rief der Knecht: „Hier unter dem Ufer scheint er zu liegen." Und dann, und dann . . . Sie zogen ihn heraus. Ja, er war es, der arme Rudi. Vor einer halben Stunde hatte er mich noch jauchzend be grüßt, in voller Jugendfrische — und jetzt war er eine vom Wasser triefende, erstarrte Leiche. Als ich ihn mit Tränen in den Augen — ich brauchte mich ihrer nicht zu schämen — auf meinen Mantel bettete, sah ich an seinem Hinterkopfe eine klaffende Wunde. Er mußte beim Einbrecken auf eine scharfe Eiskante gestürzt sein. Das hat ihn, wie auck der Arzt später meinte, betäubt, und so war er an der tiefen Stelle hilflos untergegangen, die eisigen Fluten des Haid boches hatten sein junges Leben erstickt. Vergeblich waren meine Wiederbelebungsversuche. Der Tod gab seine Beute nicht mehr heraus. Ich drückte dem Toten die glanzlosen Augen zu, in denen ein so schöner Lebensstern erloschen war. Wir trugen die Leiche dem Dorfe zu. Da begegnete uns der Vater Rudis. Er war ein ruhiger, ernster Mann. Mit Wehmutsvollem Blick schaute er auf seinen toten Lieb ling. Kein Laut kam über seine Lippen. Ter Schmerz machte ihn sprachlos. Er nahm seinen Sohn aus unseren Armen — er hatte ja das erste Recht darauf — und trug die traurige Bürde nach seiner Wohnung. Der Schrei der aus dem Hause stürzenden Mutter hallt mir noch heute in den Ohren: „Rudi. Rudi, du kannst doch nicht tot sein!" Aber stumm blieben die Lippen. Selbst die Macht der Mutterliebe kann dem Tod keine Beute entreißen. Das war „Rudis letzter Tag". Wie schön hatte er begonnen! Wie traurig geendet! Gegen Abend, ach, dieser einsame Abend wollte gar kein Ende nehmen, ging ich noch einmal hinunter. Mutterliebe hatte Rudis Leiche aufgebahrt. Die echt christliche Frau hatte sich gefaßt. Wie ich neben den Eltern kniete und für den friedlichen Toten, der ohne alle Verzerrung in seiner jugendlichen Unschuld dalag, betete, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren: Diese Menschenblüte war für den Himmel reif, sie sollte vom Schmutze der Welt nicht berührt werden. Darum war es „Rudis letzter Tag". Irrnr St. Johannistage 2H. Juni M Juni macht' ich sterben, wenn Purpurrosen glüh'n. Und durch die linden Lüste Die Lindendüfte zieh'n. Am Sankt Johannistage, wo ich geboren ward, Jur Sommersonnenwende Sei meine Himmelfahrt!... Ma; Oberbreher Adah Kaleh, die „Memandsinsel" Von W. Roß, Hamburg Nachdruck verboten Im Bädecker hat sie einen Stern, ist sie eine Berühmt heit, und doch wird es viele geben, die noch nie von diesem von den Donaufluten umspülten Eiland gehört haben, daS keinen Herrn hatte, bis es Oesterreich-Ungarn vor kurzem annektierte. Der rote Bädecker schildert die kleine Insel so: „Mit türkischer Kolonie (500 Seelen) und Basar (türkischer Kaffee , 10 Heller die Tasse; man kaufe nichts Zollpflickti- ges, wie Tabak), verfallenen Festungswerken. Friedhof usw.". Damit ist eigentlich alles gesagt. Und doch umweht die Niemandir.sel ein eigenartiger Hauch. Es ist ein Stück Orient in seiner ureigensten Form. Alles was dazu ge hört, ist hier vorhanden. Echt orientalischer Schmutz und Verfall, eine Moschee, ein Friedhof, ein Basar, ein türkische? Kaffeehaus, nicht zu vergessen alte, rankennmwucherte Festungsmauern, Haremsfenster und tiefverschleierte Frauen; das ganze Morgenland in verkleinerter Ausgabe ist hier zusammengedrängt auf eine kleine Sandbank in mitten des Weltstroms. Harte Kämpfe haben die Insel umtobt. Bis 1716 ge hörte sie den Türken, wurde dann von den Oesterreichern er obert. um jedoch 20 Jahre später nach vierwöchiger Belage rung wieder türkisches Gebiet zu werden. 1790 pflanzten wiederum die Oesterreichcr ihre Fahnen auf die damals schon recht altersschwachen Festungsmauern, doch wurde Adah Kaleh im Frieden von Sistova an die Türken zurückgegeben, in deren Besitz die Insel auch 1867 blieb, als sie die serbischen Festungen räumten. Im letzten russisch-türkischen Kriege verhielt sich die türkische Garnison fern vom Schuß mäus- chenstill, doch wurde durch den Freieden von San Stefane die Räumung des Eilandes bestimmt, nur vergaß man merk würdigerweise festzusetzen, wer sie übernehmen sollte. Da die Türken damals den nächsten Nachbarn, den Rumänen und Serben, wenig wohlgesinnt waren, so überließen sie den Oesterreichern den Schuh der Insel, ohne aber ihr Be- sitzrecht formell aufzugeben. Diese legten eine kleine Garni» fon dorthin, kümmerten sick aber sonst nicht um Adah Kaleh, deren Bewohner sich nun in der eigenartigen Lage befan den. daß sie weder Abgaben noch Steuern zu zahlen brauch ten und auch nicht zum Heeresdienst herangezogen wurden. Tie Türken nahmen sie ebenfalls in keiner Weise in An spruch. So hat sich auf der Insel ein gewisser Wohlstand entwickelt, wozu nickt wenig die günstige Lage in der Nähe von drei fremden Staaten, die zu einem ausgiebigen Schmuggclhandel geradezu herausforderte, beigetragen haben mag. Die Türken sind nun endgültig abgezogen und somit wird auch wobt das idyllische Leben der Mvlemänner