Volltext Seite (XML)
Feierabend W Unterhaltungs-Beilage -er Sächsischen Volkszeitung Nr. 26 Sonntag den 2g. Juni 1913 Dein lieben Heiland einen Grrrh eh' ich am Weg ein Rreuzbild steh'n. So rast ich gern ein Weilchen dort, Rann achtlos nicht vorübergeh'n An dem durchs Kreuz geweihten Vrt, Dem lieben Heiland dort zum Gruß. Da still betracht' ich Jesu Tod Und seh' die Wunden rosenrot, Das Haupt in Liebe mir geneigt. Bis heißer meinem Herz entsteigt Dem lieben Heiland dort mein Gruß. Und grüßt mit seinem milden Schein vom Gotteshaus das ew'ge Licht. Ich trete gern und freudig ein, weil leis es mir im Herzen spricht: Der Herr erwartet deinen Gruß. Das Lichtlein flimmert Tag und Nacht, Ls hält dem Herrn die Lhrenwacht Und ladet alle Menschen ein. Zu knien in seinem lichten Schein, Dem lieben Heiland hier zum Gruß. Und streicht an warmem Frühlingstag Der Wind hin durch der Blumen Zier, Und klingt der Nachtigallen Schlag, Ls ist, als ob es riefe mir: Der Herr erwartet deinen Gruß. — Wohl, wenn das Herz den Ruf versteht Und achtlos nicht vorübergeht, wenn es befolgt das schöne Wort, Das leis erklingt ihm fort und fort Und sagt dem Heiland seinen Gruß. Karl Lckardt 7. Sonntag nach Pfingsten Evangelium: Pie Warnung vor den falschen Propheten. Matthäus 7, 15—21. Nachdem die Sünde erst einge-drungen war in das Menschengeschlecht, hat sie nach zwei Seiten hin eine ver heerende Gewalt in beweinenswerter Weise offenbart: auf den Geist des Menschen, indem sie ihn von der Erkenntnis der Wahrheit durch den Glauben auf den Weg des Aber glaubens und Unglaubens geführt, und auf das Herz und Gemüt des Menschen, indem sie ihn von Unschuld und Rein heit auf den Weg der Entsittlichung hingedrängt hat. Beide Richtungen, Aberglaube und Unglaube auf der einen und Entsittlichung auf der anderen Seite sind innig verschwistsrt, ja niehr als das, eines geht aus dem anderen hervor. Wer anfängt Unzucht zu treiben, der fängt auch an im Glauben zu Wanken, sagt der heilige Ambrosius, und mit dem Glau ben sinkt die festeste Grundlage aller unserer Tugenden. Seit dem Sündenfalle hat die Geschichte des gesamten Ge- schlechtes, wie die der einzelnen Menschen, diese Wahrheit gepredigt und in dem Zeitalter Jesu hatten dieser Aber- und Unglaube und diese Entsittlichung eine Höhe erreicht, welche den Beweis gibt, wohin in der Lossagung von Gott und dem Verlust seiner Gnade den Sterblichen sein eigener Weg führt. Selbst in dem auserwählten Volke, das die Offenbarung Gottes in seiner Mitte getragen vom Anfänge, hatte in den Sadduzäern der Unglaube, in den Pharisäern der tote Glaube seine Vertreter gefunden, und wie denn das Laster so gern sich den Schein der Wahrheit und Tugend er borgt, so verwarfen jene mit der Miene der Aufklärung und Geistesfreiheit die Unsterblichkeit und die einstige Vergel tung und ertöteten somit alles höhere Streben und Wirken, das fein Ziel über den Grenzen der Erde sucht, während diese, in knechtischen Buchstabendienst versunken, hinter der Maske der Werkheiligkeit im Geheimen allen ihren wilden und ausschweifenden Leidenschaften sich Hingaben. Daher des Meisters Wort: Hütet euch vor den falschen Propheten» die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber rei ßende Wölfe sind. Sie reden von Licht und Aufklärung und rauben euch das rechts Licht, das die rechte Aufklärung Hervorrust. Sie reden von Tugend und führen euch zu einer Gleisnerei und Selbstbeschwichtigung, wobei ihr, wenn die Welt euer Tun nicht nachrechnen kann, in die Tiefen der niedrigsten Sünden euch versenkt. Sie sind die Diener deS Fürsten dieser Welt, der vom Anfänge in der Wahrheit nicht bestanden und mit der Lüge die Sünde und mit der Sünde den Tod in das Menschengeschlecht gebracht hat. Was JesuS damals warnend seinen Jüngern zugerufen, durch seine Kirche ruft er uns noch heute zu: Hütet euch vor den fal schen Propheten. Es gibt in unseren Tagen so viele als ie und mehr noch. Wie damals treten sie in dem Schafskleid« der Wahrheit, der Aufklärung, der Gerechtigkeit, der Men schenliebe zu uns, und was damals nicht war, tausend Wege haben ihnen die Umgestaltung der Verhältnisse und die Er findungen der Neuzeit geöffnet, um ihre falsche Weisheit uns mitzuteilen und sie recht allgemein zu verbreiten. Sollten wir sie anführen, ihren Klassen und ihren Bestre bungen nach, wir vermöchten es nicht, so groß ist ihre Zahl, so vielartig sind ihre Richtungen, so mannigfach ist ihre Wirksamkeit. Nur ihre Hauptklasfen, wie sie in diesen Tagen, der Wahrheit nach ähnlich den Jrrlehrern zu Jestt Zeit, sich darstellen, wollen wir ondeuten. Es gibt falsche Propheten der Vernunft nicht darum, weil sie die Vernunft als des Himmels höchste Gabe, als das Zeichen unserer Würde und Gottberufenheit vor allen Ge schöpfen der Erde, als die Fähigkeit erkennen und ehren, welche uns zugeteilt ist: alles zu prüfen und das Gute zu behalten und zu wahren, sondern weil sic in eitlem Hoch mute vergessen, daß Gott selbst die höchste Vernunft ist, daß wahre Vernunft nur bei einem sündenreinen, mit Gott eini gen Geiste zu suchen ist, welcher nicht wie der unsrige durch ein Leben voll Torheiten und Leidenschaften verdunkelt wird, daß wahre Vernunft überhaupt die Vernunft Jesu Christi ist. Daher denn solche Vernünftler sich in ihrem Glauben, in ihre» Meinungen und Grundsätzen selber be streiten und anfhebcn, daher sie ihren Gott bald in der Natur, die Natur bald in Gott aufgehen lassen, daher sie den Menschen selbst zu einem Stäubchen machen, das, wie es aus dem All sich losgerissen, mit dem Tods in das All wieder zurückfällt: daher sie endlich den geschichtlichen Chri stus, den Christus des Evangeliums, mit dein die Apostel gelebt haben, der vor ihnen auf dem Tabor verklärt worden, vor ihnen auf dem Holze der Schmach sich für uns geopfert hat, der am dritten Tags von den Toten anferstaitdcn und, nachdem er vierzig Tage mit seinen Erwählten geredet und gewandelt, vor ihren Auaeu in den Himmel aufgcfahren ist, daher sie diesen Christus Wohl ausgezeichnet in dem sündi gen Geschlecbte, aber nicht übe'- de>" sündigen Geschlechts stehen lassen.