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fuhften. Einige taumelten eine Strecke, andere Türken zu Boden geworfen: die übrigen ergriffen die Flucht. Ein großer, mit Riesenstärke versehener römischer Offizier hatte die Verwirrung angerichtet. Sobald er den Platz gesäubert hatte, kniete er nieder und hob mit Tränen in den Augen den zerschlagenen und halb ohnmächtigen Tarcisius auf, so sanft, wie nur eine Mutter es hätte tun können. Er fragte ihn dann in dem freundlichsten Tone: „Bist du stark verletzt. Tarcisius?" „Das tut nichts, Ouadratus" (so hieß der edle ,komische Offizier, der auch ein Christ war und den frommen Meßdiener Tarcisius sehr gut kannte), antwortete der Zer schlagene. indem er lächelnd die Augen aufschlug; „aber ich trage dis göttlichen Geheimnisse, bringe sie in Sicherheit." Der Offizier nahm nun mit zehnfacher Ehrfurcht den jungen .Märtyrer auf seine Arme, trug er ja nicht nur ein jugend liches Opfer, eines Märtyrers heiligen Leib, sondern Jesus Christus, den Herrn und König der Märtyrer selbst und das ^göttliche Opfer der Erlösung. Tarcisius lehnte zutraulich sein Haupt an die Brust des kräftigen Kriegers, aber mit den Händen hielt er den ihm anvertrauten Schatz fest; deni Träger war die doppelte heilige Last nicht schwer. Unterwegs schlug Tarcisius nochmals die Augen auf, lächelte und starb. Der ehrwürdige Dionysius konnte vor Tränen kaum sehen, als er die Hände des um Jesu willen gemarterten Meßdieners aufhob und das Allerheiligste un verletzt aus der Verborgenheit in der Tunika herausnahm. Es war ihm, als sehe Tarcisius jetzt, wo er den Schlaf des Märtyrers schlief, noch mehr einem Engel gleich, als vor kaum einer Stunde, wo er noch lebte. OuadratuS selbst tug den nunmehr heiligen Märtyrer nach der Grabstätte des heiligen Papstes Kallistus, wo er unter dem bewun dernden Staunen öfterer Gläubigen beigesetzt wurde. O, daß doch alle Kinder, die am heutigen weißen Sonn tage oder sonst in dieser Ostcrzeit zum ersten Male sich dem Tische des Herrn nahen, um daselbst ihren unter der Brots gestalt mit Gottheft und Menschheit, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut wirklich, wahrhaftig und wesentlich gegenwärtigen gekreuzigten und aufsrstandenen Heiland und Erlöser Jesus Christus zu empfangen, einen solchen Glauben und eine solche Ehrfurcht gegen das allerheiligste Altarsakrament im Herzen trügen, wie dieser heilige Knabe! Märzveilchen. as stehet dort am tviesenratn Gar so bescheiden, winzig, klein, Umweht von kühler Luft? MLrzveilchen ist's, — ein früher Gast, will scheuchen dir des winters Last Mit seinem süßen Duft. Laß fahren drum, o Menschenkind, , ' All deine Sorgen in den wind, — Märzveilchen sprießt! Paul »«zniat. Der erste Eindruck. Humoreske von Gerhard Hennes. Nachdruck verboten. „Bravo!" riefen mehrere besonders jüngere Damen. Aber der Hausherr schüttelte das leicht ergraute Haupt. „Ich kann dem nicht beipflichten. Der erste Eindruck ist in der Liebe nicht immer maßgebend. Nicht immer zieht, wie der Herr Doktor so schön gesagt, diese allgewaltige, alles besiegende Königin der Gefühle mit Blitzesschnelle in unser Herz. Als ich mit meiner Frau zum ersten Male zu sammentraf, da floh sie vor mir wie vor einem Verbrecher und hetzte eine wilde Meute auf mich, und ihr Bruder, Onkel Gustav, hat mich sogar durchgeprügclt." „Das war aber bei mir nicht die Folge des ersten Ein- druckes, denn wir zwei kannten uns schon lange," rief Onkel Gustav. „Um so schlimmer!" sagte der Hausherr lachend; wenn ihr beiden übrigens nichts dagegen habt, will ich unser« lieben Gästen die Geschichte eHaylen. Ich hoffe, der Here Doktor wird dann wohl Ausnahmen für seinen Satz gelten lassen. — Also geben Sie acht: An einem heißen Julitage erwachte ich nachmittags so gegen sechs Uhr hinter einem Strauche, in dessen Schatten ich mich niedergelegt hatte, um mich von den Anstrengungen einer fünfstündigen Fußtour zu erholen. Da sah ich etwas, das mir das Blut erstarren machte. Ein zerlumpter Kerl hatte sich meinen neuen Sommerhut auf das struppige Haupt gestülpt und war in aller Gemütsruhe damit be schäftigt, meinen Rock, meine Weste und meine Schuhe, die; ich der fürchterlichen Hitze wegen abgelegt hatte, in ein Bündel zu schnüren. „Holla!" rief ich und richtete mich auf. .Holla!" rief der Kerl, raffte das Bündel unter den Arm, machte mir eine spöttische Verbeugung und rannte in weiten Sätzen dem nahen Walde zu. Nach einigen Augen blicken hatte ihn das schützende Dunkel meinen Blicken ent zogen. Eine Verfolgung des leichtfüßigen Gauners schien mir aussichtslos, und so blieb ich denn in dumpfer Ver zweiflung hinter meinem Strauche sitzen. Dann begann ich zu überlegen: Meine Tour kann ich vorläufig nicht fortsetzen, odschon ich in einer starken Stunde am Ziel sein würde. Was sollten die Leute dazu sagen? Was würde Gustavs Schwester, die mich noch gar nicht kennt, von dem seltsamen Bestich denken? Es bleibt mir nichts übrig, als hinter diesem Strauche den Untergang der Sonne abzuwarten. Dann kann ich mich zu Gustav schleichen, ohne von den Bewohnern des Städtchens gesehen zu werden. Bleibt allerdings noch die Begegnung mit der Schwester. Aber das wird Gustav ins Reine bringen. Vielleicht fügt es ein glücklicher Zufall, daß sie gar nicht zu Hause ist. So wartete ich denn auf den Untergang der Sonne mit einer Sehnsucht, deren sich Romeo und Julia nicht zu schämen brauchten. O, wenn die Sonne im Löwen steht, dann bringt Phöbus gar spät die feurigen Rosse in den Stall, und mir wurde die Zeit doppelt lang. „Aber end- sich schwand das Gestirn und dis Dämmerung wob ihre Schleier über die sommerlichen Gefilde," wie die Dichter sagen. Ich machte mich auf den Weg. Und ich kam glücklich im Städtchen an. Wenn ich jetzt nur ungesehen das Haus meines Freundes erreiche! Mit zusammengebissencn Zähnen und stockendem Atem schlich ich durchs Stadttor. Zum Glück hatte mir Gustav Lage und Umgebung seines Hauses schon oft beschrieben. Jetzt im Winkel von neunzig Grad nach links! An der rechten Seite. Richtig! Ein großes Haus, allein in stolzer Re serve. Drei Bäume davor, sechs Stufen bis zur Haustüre. Die aufsteigende Mondsichel beleuchtete das Ziel meiner Sehnsucht. — Ich drücke auf die Klinke. Verschlossen! Ich taste nach einem Schellenzuge. Keiner da! Auch das noch. Klopfen darf ich nicht, sonst könnten Nachbarn mich sehen. Ich überlege. Vielleicht hat das Haus einen zweiten Ein gang an der Rückseite. Behutsam steige ich die sechs Stufen hinab und schlerche nach links. Eine hohe Mauer starrt mich an. Nach rechts! Ein Pförtchen! Ich drücke dagegen, cs gibt nach. Gott sei Dank! Ich bin auf dem umschlossenen Hofe. Jetzt kann ich's wagen, halblaut zu rufen. Aber o Weh! Ein viertelstündiges Rufen überzeugte mich mit grausamer Gewißheit: Gustav war nicht da! Ich Esel! Das kommt davon, wenn man jemand überraschen will. Schon Fritz Reuter warnt davor, weil nichts Vernünftiges dabei rauskommen kann. Aber mit dem Trotz, den schwere Schicksalsschläge manchmal erzeugen, sagte ich mir: und wenn Gustav nicht da ist und wenn das Haus auch verschlossen ist wie eine verwunschene Burg, ich komme hinein! Mein Blick fiel auf ein halb offenes Fenster im ersten Stock. Wenn ich jetzt eine Leiter chatte! A ladder, a ladder, my kingdom for a ladder! sagte rch frei nach Shakespeare. Keine zu finden! Aber schäme dich. Junge! Für einen Menschen, der in früheren Jahren ein tüchtiger Turner war, bei dem die grausame Zwangslage den ungünstigen Umstand größerer