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2533 schast aller deutschen evangelischen Kirchen, unbeschadet ihres wohl begründeten verschiedenen Bekenntniß- und aesammten Rechtsstandes, zu stärken, das Recht und die Freiheit der evangelischen Kirche gegen jeden Angriff von Außen zu wahren und durch sie als eine deni Staat verbündete Friedensmacht unserem Vaterlande die Segnungen des Evangeliums überhaupt und insbesondere das unschätzbare Gut des kirchlichen Friedens zu erhalten. Die Thesen wurden nach ausführlicher Begründung durch Prof. Baur und nach, einer nicht sehr erheblichen Debatte angenommen. Es folgten Referate über Herbergswesen rc., „christliche Kunst", worauf die Versamm lung geschlossen wurde. — Halle, 3. Octbr. sCongreß für innere Mission.! In der heute Vormittag begonnenen Hauptversammlung sprach Professor Frhr. v. d. Goltz aus Königsberg über „die Mitwirkung der evangelischen Kirche bet Lösung der ländlichen Arbeiterfrage" unter Zugrundelegung der folgenden Thesen: 1. Die evangelische Kirche ist zur Mitwirkung bei Lösung der ländlichen Ar beiterfrage ebenso berechtigt als verpflichtet. 2. Sie kann diesem Berufe in ge nügender Weise nur nachkommen, wenn Geistliche und Laien zu gemeinsamer Arbeit sich die Hand reichen. 3. Der Ausgangs- und Mittelpunkt der socialen Wirksamkeit der Kirche liegt in der kirchlichen Gemeindevertretung; letztere ist, wo dies noch nicht der Fall sein sollte, baldigst mit den nöthigen Befugnissen auszustatten, um den von ihr nothwendig zu erfüllenden Anforderungen genügen zu können. 4. Die Ziele, welche die Kirche bei ihrer socialen Wirksamkeit zu verfolgen hat, und namentlich die Mittel, welche sie zu der Erreichung jener an wenden soll, müssen nach den localen Verhältnissen sich richten und werden des halb nicht überall dieselben sein dürfen. 5. Im Allgemeinen wird die Kirche ihr Augenmerk hauptsächlich auf folgende Punkte zu lenken haben r a) ein gegen seitiges Vertrauensverhältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anzubahnen; b) das Familienleben der Arbeiter zu veredeln; v) die geistige und sittliche Bil dung der Arbeiter zu heben; 6) so weit dies überhaupt in ihrer Aufgabe liegt, die materielle Lage der Arbeiter zu verbessern; eine angemessene Organisation der Armenpflege ist hierbei besonders wichtig. 6. Die Aufgabe größerer kirch licher Kreise (Synoden rc.) aus dem Gebiete der ländlichen Arbeiterfrage wird wesentlich darin bestehen, die allgemeinen Gesichtspunkte auszustellen und die Richtung anzugeben, nach welcher die einzelnen Gemeinden und deren Vertreter ihre locale Wirksamkeit zu entfalten haben. 7. Die Discussion und Entscheidung über die bei der ländlichen Arbeiterfrage noch streitigen wirthschastspolitischen Probleme liegt außerhalb der Competenz der Kirche. Nach Beendigung des Vortrages trat man in die Debatte über das Thema: ländliche Arbeiterfrage und Aufgabe der evangelischen Kirche ihr gegenüber, ein. Der Prediger Trümpelmann aus dem Herzogthum Gotha forderte zur Bildung eines Vereins, aus Geistlichen und Laien bestehend, auf, der in der socialen Frage praktische Ziele verfolgen solle, worauf der Prediger Meyeringh aus Fehrland erwiederte, ein solcher Verein habe sich bereits auf der Mai-Conferenz ländlicher Arbeitgeber zu Berlin gebildet. Der Ncdacteur der „Berliner Revue", R. Meyer, gab über die Umstände, unter denen dieser Verein gegründet sei, über seine Mitglieder und seine Aufgaben Aufschluß. — Die Versammlung erklärte schließlich ihre prin- cipielle Zustimmung zu den Thesen des Professors vr. Frhrn. v. d. Goltz. — Berlin, 4. Oct. Einen neuen traurigen Beitrag zur Geschichte der „Gründungen" liefert folgender Vorgang: Der „Verein zur Abhilfe der Wohnungsnoth für Berlin und Umgegend" (Eingetragene Genossenschaft) hielt gestern im Rosenthaler Garten eine Versammlung, in welcher es sich zunächst um Absetzung des gegenwärtigen Vorstandes der Genossenschaft, Niclaus, handelte. Die Verhandlungen nahmen häufig einen so stür mischen Charakter an, daß es schwer ist, ein Bild davon zu geben. An klagen wegen Mißwirthschaft und laute Verwünschungen einzelner Mitglieder, die jetzt für ihre Einlagen, wie für ihr Privatvermögen zu fürchten be ginnen, wechselten mit einander ab. Aus den Mittheilungen des Verwal tungsraths geht hervor, daß der Vorstand den Verein für sein Privat- Interesse ausgebeutet haben soll. So hatte sich derselbe Pferde gekauft und mit Vereins-Obligationen bezahlt. Durch seine Manipulationen mit dem Baumeister war es dahin gekommen, daß der Bau des GenossenschaftshauscS nicht fertig wurde, und jetzt drei Familien im Rohbau wohnen müssen. Die Häuser, welche der Verein durch seinen Vorstand Niclaus erworben hat, kommen theurer. als sie sich je verzinsen können, und sind so sehr mit Hypotheken belastet, daß, als vor 8 Tagen eine Hypothek von 2000 Thlrn. fällig wurde, nicht weniger als 267 Thlr. Damno gezahlt werden mußten, um nur nicht das Haus unter Subhastation zu bringen. Der Vorstand wollte, wie der Vorsitzende des Verwaltungsrathes mittheilte, auf eigene Faust für 600.000 Thlr. Obligationen zur Emission auflegen lassen, während der Verein blos 500,000 Thlr. beschlossen hatte. Vom Verwaltungsrathe hieran gehindert, übergab er dem Banquier Mode die Emission von 500,000 Thaler, und bewilligte diesem für seine Bemühungen pränumerando 10,000 Thaler, welche Summe er ihm durch Gutschreibung einer Hypothek von 6000 Thlr. auf das Genossenschaftshaus und Uebergabe von 4000 Thlr. Obligationen zahlte. Um kurz zu sein, wollen wir nur noch mittheilen, daß es mit dem Vermögen des Vereins so schlecht steht, daß, wenn es zur Auflösung der Genossenschaft käme, die Mitglieder noch große Verluste an ihrem Privatvermögen erleiden würden! Der Vorstand Niclaus wurde schließlich abgesetzt und ein provisorischer an seiner Stelle gewählt. Ob dieser die zerrütteten Verhältnisse noch in Ordnung bringen kann, bleibt sehr fraglich. — Aus Berlin schreibt man der „Kölnischen Zeitung": Nachdem auf Grund der seit April d. I. in Vincennes staitfindenden Versuche von dem französischen Marine-Ingenieur Dupuy de Lome bereits vor einigen Wochen da- Verdienst beansprucht worden war, einen lenkbaren Luft ballon construirt zu haben, wird jetzt mindestens die begründete Aussicht hierzu auch für den neuconstruirten Ballon des Civilingenieurs Hänlein aus Mainz in Anspruch genommen. Die Erfindung dieses letztem ist seit Aus gang vorigen Jahres von einem Consortium in Wien angekauft worden, und die entscheidenden Versuche sollten bereits im Mai ds. Js. stattfinden. Dieselben sind noch nicht in die Oeffentlichkeit hinausgetreten, doch wird von Sachverständigen, welche den Ballon gesehen haben, ein schließlicher Er folg nahezu als unzweifelhaft hingestellt. Die beiden so concurrirenden Er findungen besitzen übrigens nur die Achnlichkeit miteinander, daß bei beiden die Schraube als Motor benutzt wird, welche indeß bei dem Ballon von Dupuy de Lome durch Menschenkraft bewcgt, bei dem von Hänlein hingegen durch das Gas des Ballons gespeist und in Wirksamkeit gesetzt wird. Oeffcntliche Versuche sollen, wie versichert wird, mit der Hänlein'schen Er findung, wo nicht noch in diesem Herbste, doch mit nächstem Frühjahre be vorstehen. Nach der Bestimmtheit, mit welcher die Versicherungen über den voraussichtlich vollständigen Erfolg beider Neuconstructionen auftreten, ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, daß vielleicht schon mit dem nächsten Jahre der Menschengeist wiederum einen der großen Fortschritte zu verzeichnen haben dürste, welche bestimmend und neue Gestaltungen bedingend in die Verkehrsverhältnisse cingreifen, und wozu bei dieser neuen Erfindung auch noch für die Kriegführung eine in ihrer Tragweite und Wichtigkeit noch gar nicht zu ermessende Rückwirkung hinzutreten würde- — Vor einigen Tagen wurde in der Nähe des Weiperter Bahnhofes das dreijährige Kind eines an der Annaberg - Weiperter Verbindungsbahn angestellten Wagenbremsers, welches gerade in dem Augenblicke, al- ein aus Böhmen kommender Zug Hero »brauste, auf dem Gleise sich befand, von den Räumern erfaßt und bei Seite geschleudert, worauf alsbald der Tod dr< armen Kindes erfolgte. — sEine Giftmörderin.j Dem Durhamer Gefängnisse ist ein Frauenzimmer Namens Mary Ann Cotton übergeben worden, das im Laufe der Verhandlungen wohl die Aufmerksamkeit ganz Englands auf sich lenken wird. Dem Anscheine nach hat man cs mit einer Giftmörderin zu thun, die ihr Verbrechen im Großen betrieb und an Fürchterlichkeit ihren ita lienischen und französischen Colleginnen vergangener Zeiten nichts nachgiebt. Angeklagt ist diese Furie vorläufig nur eines an ihrem Stiefsohn verübten Mordes, aber der Staatssccretair hat bereits Befehle zur Ausgrabung noch dreier Leichen gegeben, nachdem schon zwei andere ausgegraben worden waren und man Gift in ihren Eingeweiden gefunden hatte. Aber selbst diese sechs Leichen scheinen nicht die einzigen Opfer der Verbrecherin zu sein. Die drei Lachen, die auf Befehl des StaatssecretairS ausgegraben werden sollen, sind: die ihres Gatten Friedrich Cotton, der vor cinrm Jahre etwa starb, seines Sohnes Friedrich Cotton, der im Alter von 10 Jahren im März und ihres eigenen 14 Monate alten Kindes, das ebenfalls im März starb. Das Frauenzimmer, das erst 30 Jahr alt ist, war viermal verheirathet, darunter einmal unter einem angenommenen Namen. Die beiden ersten und der vierte Gatte sind todt, der dritte jedoch soll leben. Es ist nachgewiesen, daß die Gefangene bei verschiedenen Gelegenheiten sich Gift zu verschaffen im Stande war und daß an den verschiedenen Orten, wo die Angeklagte gelebt hat, die Todesfälle unter den Personen, die mit ihr oder in ihrer Nähe weilten, überaus zahlreich gewesen sind. — Die Wiener med. Wochenschrift enthält die Mittheilung, daß die ahl der während des letzten Krieges an den Pocken gestorbenen deutschen Soldaten 263 beträgt, während in gleichem Zeiträume 23,469 Mann der ranzösischen Armee der Krankheit erlegen sind. In der deutschen Armee >esteht zwangsweise Revaccination, in der französischen nicht! — Au- Madrid, vom 2. Oct., wird der Wiener „Presse" berichtet: „In die Bibliothek des Escurial schlug ein Blitzstrahl ein und zündete; jedoch ist Hoffnung vorhanden, die Bücher zu retten." — St. Petersburg, 1. October. Nach einer Nachricht des „Neg.- Anz." sind im verflossenen Winter zufolge Futtermangels und tiefen Schnees ei den Kirgisen des Karkaralinschcn Kreises 106,174 Schafe, 7409 jferde, 2399 Stück Hornvieh und 1326 Kamecle gefallen, zusammen für 27,824 Rbl 50 Kop.