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Dcr Weihnachtsabend war gekommen. Ich beeilte meine Schritte kürzte meine Besuche möglichst ab, um dcr Bcscheerung der Chrifloph'schen Kinder beizuwohnen. Ich mußte doch die kleine Leonore Ulrike sehen, die sich prächtig entwickelt hatte, und al« getreuer Gevatter da« Meinige zu ihrer Freude beitragen! Die Kinder empfingen mich mit lautem Jubel und verkündigten mir, daß Tante Leonore ganz allein in der Weihnacht-stube sei und rufen wolle, wenn wir kommen dürften. Frau Christoph ging in froher Geschäftigkeit hin und her und sah ganz vergnüglich aus. Eine Mutter hat wenig Zeit, traurigen Erinnerungen nachzuhängen, ganz unbewußt und unmerklich wird sie hineingezogen in die Fröhlichkeit der Kleinen. Wir brauchten nicht lange zu warten, bis uns die verschlossene Thür geöffnet wurde. Unter lautem Jubel zogen wir ein in das Kinderparadies. Dcr sechsjährige Heinrich stürmte echt knabenmäßig um den Weihnachtstisch, auf dem dcr brennende Baum mit seinen goldenen Nüssen und rothbäckigen Acpfeln prangte, und die glückliche Mutter folgte in gemäßigterem Tempo mit dcr kleinen Leonore nach, die jauchzend die Händchen zusammenschlug. Einige Minuten ging Alles bunt durcheinander. Heinrich zupfte mich an dem einen, Frau Christoph an dem andern Arme, und die Kleine winkte mir fröhlich mit den großen runden Augen; aber ich hatte nur Auge und Ohr für die große Leonore, die unter dem Lichterglanz stand und wie eine wohlthätige Fee für Jeden eine Gabe hatte. Sie war zum ersten Male wieder in lichte Farben gekleidet und das, wie die Freude des Augenblickes, gab ihr die Frische und Fröhlichkeit von ehedem. Die Schranke, welche die schwarzen Traucrkleidcr zwischen uns. aufgebaut, war gefallen, ich fühlte mich um Jahre verjüngt, wie von einem Alpdruck befreit; dcr dürre Stab meiner erloschenen Hoffnung schlug neue Wurzel, aus dcr, wic auf Zaubcr- schlag, die frischen blätterreichen Ranken aufsproßten. ES war ein fröhliches Geben und Nehmen nach allen Seiten hin. Als endlich die Kleinen sich müde gejubelt und von dcr Mutter zur Ruhe gebracht wurden, während Leonore den Theetisch bereitete, verfolgte ich die Gedanken und Wünsche, die unter dem Weihnachtsbaum wieder laut in mir geworden. Hatte Conrad Kühne in seinem letzten Gespräche nicht Leonore meiner Sorgfalt empfohlen, sie mir gleichsam überwiesen, falls es mir ge lang, ihre Liebe zu gewinnen ? Und gewinnen wollte und mußte ich sic, das stand fest. „Nun habe ich noch Papa'S Weihnachtsgeschenk zu erwarten", sagte Leonore, als ich sic spätcr heimgelcitete. „Ich drückte ihm meinen Wunsch zettel in die Hand beim Fortgehen und hoffe auf scine Genehmigung, wenn ich nach Hause komme." „Wollen Sic mir vertrauen, was Sic sich gewünscht haben?" fragte ich. „Etwas Alte- in erneuter Auflage", entgegnete sie. „Bei seiner jetzigen Stimmung durfte ich es schon noch einmal wagen. Ich bat ihn, Frau Christoph die Giebelwohnung in unserm Hause beziehen zu lassen, die völlig leer steht und so entfernt von seinen Zimmern liegt, daß er von dem Kinderlärm nichts hört. Ihr würde die Ersparung de- Miethszinse- eim gute Beihilfe zur Erziehung dcr Kinder sein, und mir wäre ihre Nähe un bezahlbar. Ich hätte ihren Beistand in schweren Stunden, und ich könnte dann und wann zu einem traulichen Plauderstündchen bei ihr einkchren, und da-, wissen Sie, thut uns Frauen zuweilen noth." „Uns Männern unter Umständen auch", entgegnete ich lachend / „mir wenigsten- in den vorliegenden. Es ist so lange her, daß ich Sic außer halb des Krankenzimmers sehen und sprechen durfte und ich sehne mich so sehr, eS. wieder zu dürfen. Wollen Sie mich hoffen lassen, daß die Erfüll ung Ihre- Wunsches auch mir zu Gute kommen soll?" Sie antwortete nicht und ich sprach auch nicht mehr. Wir legten den Rest des Weges in jenem Schweigen zurück, da- so viel beredter ist, als Worte. Ich trat mit ihr in den Vorgarten. „Sie blieben mir die Entgegnung von vorhin schuldig", sagte ich, als ich die HauSthür für ihren Eintritt offen hielt. „Darf ich mich zuweilen an dem Plauderstündchen in Frau Christoph'- Zimmer betheiligen?" „Bin Weihnachtsabend läßt sich schwer etwas abschlagen", rief sie fröh lich, indem sie an mir vorüber in das Hau- huschte. „Gute Nacht!" „Gute Nacht, Leonore!" ES war da- erste Mal, daß ich sie bei ihrem Namen nannte, und es war der fröhlichste, der seligste Weihnachtsabend, den ich je erlebt hatte. (Schluß folgt.) vermischte». — Nachrichten au- dem Riesengeb irge melden, daß seit einigen Tagen da- Hochgebirge mit einer Schneedecke überzogen ist. —- Der „Börse" wird von der Station Sskuratowo an der MoSkau- Kurskcr Eisenbahn geschrieben, daß in der Nacht zum 3. Sept. Schnee gefallen ist, der die Felder, so weit man sehen konnte, bedeckt, und den ganzen 3. September gelegen hat. — Die deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Componisten in Leipzig will cin Anleihecapital von 10,000 Thlr. auf dem Wege freiwilliger Zeichnung aufnehmen und ladet dazu nicht allein die Genossenschafts-Mitglieder, sondern alle Gönner, Förderer und Freunde der dramatischen und musikalischen Kunst cin. Die bezüglichen Schuldscheine lauten auf 10 Thaler, sind übertragbar und^wcrdcn allmäh lich amortisirt. Die gezeichneten Beiträge find binnen vier Wochen und spätestens bis zum 15. Oetobcr 1872 an den Director der Genossenschaft zu Leipzig, Frciherrn v. Ledebur, gegen Aushändigung dcr betreffenden Schuldscheine baar einzuzahlen. — Die verschwundene AnnaBökler ist trotz der eifrigsten Nach forschungen noch nicht aufgefunden. Neuerding- erinnert die „Fr. Ztg." an einen Fall, in welchem ein Erwachsener verschwunden ist, ohne daß man bisher eine Spur von ihm hat entdecken können. Dcr frühere Ca- valicr dcs Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein, Friedrich Henning Emil v. Rumohr aus Flensburg, 1838 geboren, wurde, so erzählt das genannte Blatt, zur Heilung einer GcmüthSkrankheit der Anstalt auf dem Thonberg bei Leipzig übergeben, wußte sich aber am 30. März 1870 bei einem Gang durch die Grimma'sche Straße in Leipzig der Aufmerksamkeit de- ihn be gleitenden Wärters zu entziehen und ist seitdem spurlos verschwunden. So wohl die Verwandten des Vermißten, als die Behörden haben seitdem die eifrigsten Recherchen, aber ohne allen Erfolg, angestellt; 2^ Jahre sind seit dem verflossen und noch ist keine Spur entdeckt, ob der Verschwundene noch unter den Lebenden weilt, ob er Hand an sich selbst gelegt hat, oder ob er da- Opfer eines Verbrechens geworden ist. Neuerdings haben sich seine Verwandten an das ReichScanzlcramt mit der Bitte um weitere Nach forschungen auf dem ganzen Gebiet des Deutschen Reiches gewendet und sind nunmehr in Folge eines weiteren, an die Ministerien des Aeußern ge richteten Ersuchens alle Organe der öffentlichen Sicherheit mit Recherchen befaßt. RegicrungSassessor v. Rumohr zu Plön in Holstein nimmt Nach richten entgegen. — Die Berliner „Ger.-Z." schreibt: Die sämmtlichen in und um Berlin befindlichen Irrenanstalten sind — ein erschreckendes Zeichen für die Ueberrcizung unserer Zeit — dermaßen überfüllt, daß Gemüthskranke gegen wärtig gar nicht unterzubringcn find. Namentlich gilt die« von weiblichen Patienten, deren mehrere dieser Tage in benachbarten Dörfern untergebracht werden mußten, wo sie, natürlich unter erheblichen Opfern Seiten- ihrer Familien, privatim behandelt werden. — Posen, 23, September. Von der Staatsanwaltschaft in Posen werden 20 Personen und vom Kreisgerichte in Wöllstein 50 Personen wegen unerlaubter Entziehung vom Militairdienste steckbrieflich ver- folgt. — Aus angeblich sicherer Quelle erfährt die „Pos. Ztg.", daß in der Gegend von Golancz von AuswanderungS-Agenten Landleuten Reisegeld und Passagicrbillete zur Reise nach Nordamerika gegen einfache Empfangs bescheinigung und Schuldancrkennung gegeben werden. Die Auswan derungslust soll auch dort in stetem Wachsen sein. — St. Johann (a. d. Saar), 21. September. Die „Elbf. Ztg." meldet: In der Nacht auf den 10. August wurde hier von einem katholi schen Geistlichen, Vicar Lamcsch, ein grobe- Vergehen gegen die Sittlichkeit begangen. Der seitdem hier verhaftete Jnculpat stand heute vor der kgl. Zuchtpolizei-Kammer zu Saarbrücken, wo die Angelegenheit unter Ausschluß dcr Ocffentlichkeit zur Verhandlung kam. Vicar Lamcsch wurde auf Grund mehrfach beschworener Zeugenaussagen wegen des Vergehens grober Un it tlichkeit zu 18 Monaten Gefängnißstrafe und einem Jahre Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurt heilt. Der Gerichtshof fällte dieses Erkenntniß mit Rücksicht auf die Qualität dcS Angeklagten als Geistlichen. Das öffentliche Ministerium hatte ein Jahr Gefängniß beantragt. — Die Jagdsaison in England scheint eine sehr ergiebige zu sein. Die Jagd auf Haidehühner wird mit einem Eifer fortgesetzt, dessen Folgen sich in der Thatsache aussprcchen, daß in der letzten Zeit bei ver schiedenen Gelegenheiten in London das Paar frischer Hühner mit nur einem Schilling bezahlt wurde. In der Jagd auf Roth- und Edelwild wird ebenfalls neuerdings viel geleistet. Unter den Fischern endlich sind be deutende Namen hervorzuheben: Der Herzog von Richmond hat einen Salm von 31 Pfd. gelandet. Der Bischof von Rochester hat ebenfalls einen Fisch von 31 Pfd. aufgebracht, und der Herzog von Argyll, der Minister für Indien, hat gar einen Hai gefangen.