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2053 Gute kommen müssen, wenn fi« überhaupt jemals zur Vollendung gelangen. Das deutsche Nationalfest. Die Denkmal«, welche ein Volk seinen Herrschern.und Helden errichtet, find die ehernen und steinernen Geschichtsbücher seiner eigenen Thatcn; die Lieder und Sagen, mit denen es sie feiert und verklärend umgicbt, sind ebensoviel Zeugnisse für die eigne Mitwirkung und ein Maßstab für die eigne Bctheiligung. Aber die Denkmale sind räumlich an den Ort ihrer Auf stellung gefesselt, die Lieder sind zeitlich gebunden, sie verhallen unter dem lärmenden Geräusch des Tage-, sic verklingen nach und nach unter den Mühen und Sorgen der Arbeit und die neue Generation besingt neue Menschen und neue Thaten. Universellen und bleibenden Charakters zugleich sind aber Nationalfeste. Sie feiert die Großstadt mit stolzem Gepränge und das kleine Gcbirgsdorf mit schlichter und darum nicht minder herzlicher Einfachheit. Sie feiert das Geschlecht, welches mitgerungen und mitgeblutct, und nach Jahrhunderten noch ein neues Volk, das sich der Grundsteinlegung seines staatlichen Baues immer bewußt bleiben muß, wenn cs nicht sich selbst untreu werden will. Wie aber für die Aufstellung eines Denkmalcs die Wahl des Ortes Gegenstand sorgfältigster Erwägung ist, wie in den Liedcrn sich der feinste und innerste Sinn des VolksgcisteS ausspricht, so darf auch ein Fest, welches zum Rationalfest werden soll, nur den innersten, geheimsten Regungen des nationalen Geistes Rechnung tragen, cs muß aus den elementaren Tiefen, aus dem ureigensten Nationalcharaktcr hervorgchcn, an die tiefsten und innigsten Empfindungen der Volksseele nach Zeit und Art der Feier anknüpfen. Wenn cs sich daher jetzt darum handelt, die großartigen Ereignisse, deren Zeugen wir in den letzten Jahren gewesen, durch ein alljährlich wiederkchrendes, ganz Deutschland umfassendes National fest in verdienter Weise auszuzeichncn und über dessen Abhaltung eine für immer maßgebende Entscheidung zu treffen, so ist die allseitigste und ein gehendste Prüfung nvthmcndig. Und eine solche fordert denn schon der zunächst in Anregung gebrachte Zeitpunkt des 2 Septembers in hervor ragender Weise. Dieser Tag ist nämlich von einer Anzahl hochachtbarer Männer für eine solche Feicr in Vorschlag gebracht und von Langenberg bei Elberfeld aus ein hierauf bezüglicher gedruckter „Aufruf" an Magistrats- und Stadt- verordnetcn-Collegicn Deutschland- versandt worden. Infolge dessen wurde diese Angelegenheit auch im Schooßc des Stadtraths zu Dresden eingehend be- ratben und ein Einvcrständniß darüber mit den Gcmcindevertrctern hcrbei- zuführen gesucht. Bei dieser Bcrathung war man nun, wie wir vernehmen, vollständig darüber einig, daß die Feier eines alljährlich wicdcrkchrenden Nationalfcstes wünschenswerth und dessen Zustandekommen mit allen ge eigneten Mitteln anzustrcbcn sei; doch vermochte man sich, namentlich aus nachstehenden Gründen, mit der Wahl des 2. September nicht zu befreunden. Der Tag von Sedan bildet allerdings ein großes weltgeschichtliches Ereigniß. Allein er ist dessenungeachtet nur eine Episode des großen Kampfe-, welcher sich vor unsern Augen abgcsponnen, eine Episode von außerordentlicher.Tragweite, die den lauten Jubel des deutschen Volkes um so mehr wach rufen mußte, je unerwarteter sic in ihrer ganzen Größe hercinbrach. Aber die Wirkungen jenes blutigen Tages, von denen im ersten Augenblicke gar Viele den raschen Abschluß des Krieges erwarteten, waren eigentlich für Frankreich weit bedeutsamer al- für Deutschland; sie führten den Sturz des Kaiserreichs, dessen Regierung den Krieg in frevel haftem Uebermuthe begonnen, herbei, aber eine Entscheidung des großartigen Kampfe- brachten sie nicht. Wäre die Politik Deutschlands von weniger starken und vorsichtigen Händen geleitet worden, so würde ein nach Sedan vereinbarter Friede die Möglichkeit der Fortdauer der Napolcon'schen Herrschaft noch nicht ausge schlossen haben; denn die Geschichte kennt mehrfache Beispiele, daß kriegs gefangene Fürsten wieder auf den Thron gelangten. Die Schlachten bei Metz, welche mit der Gefangennahme Napoleons endigten, hatten allerdings den Kern der französischen Rheinarmee vernichtet, aber mit dem Sturze eines bei den Franzosen selbst verhaßten Regiments erwuchs für Deutschland ein neuer, nicht zu unterschätzender Gegner. Mitten in dem lauten Jubel, mit welchem die Ereignisse von Sedan in ganz Deutschland begrüßt wurden, fiel die Nachricht von der Pariser Revolution. Ihr erste- Wort war: eS lebe die Republik! ihr zweites: Krieg bis auf'- Messer! Schon wenige Tage darauf, am 6. September, kündigte I. Favre allen Mächten durch eine Circulardcpesche die energische Fortsetzung de- Krieges an und erklärte, die neue Regierung werde „nicht men Zoll breit -cs Naiionalgebiet-, nicht einen Stein von den Festungen" abtreten, ein« Erklärung, welche di« Regierung der nationalen Verteidigung nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Favre und Bismarck in einer am 2l. September an da- französische Volk gerichteten Proclamation mit vielem Nachdruck wiederholte. Unter der Fahne der Republik trat nunmehr da- Volk unter di« Waffen, und so wenig kricgsgcschult auch die neuen Kämpfer sein mochten, so haben doch die nachfolgenden blutigen Tage, welche die Geschichte dicse- KricgeS aufweist, zur Genüge gezeigt, daß die Niederwerfung dieser im Verein mit den noch vorhandenen regulairen Truppen kämpfenden impro- visirtcn Volk-Heere fast eine noch schwierigere Aufgabe war, al- die Be kämpfung der kaiserlichen Armee, deren Soldaten zu Tausenden al- Kriegs gefangene nach Deutschland wanderten. . Eingeleitct und hcrbeigcführt wurden die Ereignisse von Sedan eigent lich durch die vorhcrgegangcncn dreitägigen Kämpfe in der Umgebung von Metz, durch die Schlachten bei CourcellcS (14. August), bei Mars la Tour oder Vionville (l6. August), vor Allem aber durch die mörderische Schlacht von Gravclotte, wo am 18. August die deutschen Armeen aller Stämme an Tapferkeit und Ausdauer mit einander wetteiferten, und wo auch die französische Feldarmee, man kann sagen zum letzten Male, ihre- alten Ruhmes und ihrer kriegerischen Traditionen sich würdig zeigte. Man könnte daher mit gleichem Rechte auch diese Siege feiern, denn ihre strategischen Folgen waren von außerordentlicher Wichtigkeit. Durch jene Kämpfe wurde Bazaine in der Umgebung von Metz festgchaltcn in dem Augenblicke, da er die Armee auf Chalons zurückführen wollte. Alle Anstrengungen, sich der eisernen Umfassung durch die deutschen Armeen zu entziehen, waren erfolglos geblieben und hatten ungeheuere Opfer gekostet. Eingcschlossen von allen Seiten sah sich der französische Obergeneral einer Verbindung mit Verdun, Chalons und Paris beraubt; zwischen ihm und der sich unter Mac Mahon bildenden Reserve-Armee stand der Feind, und die vom Kronprinzen von Preußen geführte 111. Armee, sowie die vom Kronprinzen von Sachsen befehligte Maas-Armee begannen nun ihrcn Vor marsch, um zunächst gegen Chalons zu operiren; bereit- am 17.S<Ptcmber langten die ersten deutschen Truppen vor Paris an und begannen die Stadt zu ccrniren. Der Sieg von Gravclotte hatte daher die dauernde Theilung der französischen Streitkräfte, damit ihre Schwächung und die Katastrophe von Sedan und später (27. Octobcr) von Metz zur Folge. . In gleicher Weise bieten die späteren Kämpfe im Norden, Süden und Osten Frankreichs, insbesondere die Belagerung und Ucbergabe von Pari-, die blutigen Schlachten an der Loire bis zu der Katastrophe von Mont- beillard, welche die Bourbaki'sche Armee vernichtete, der Tage noch viele, an welchen das deutsche Volk mit voller Berechtigung die Siege seiner tapferen Truppen festlich begehen könnte. Zum Beleg dafür sei hier daran erinnert, daß dieser gewaltige Krieg, welcher nur eine Dauer von 2I0 Tagen hatte, während sich die eigent lichen Feindseligkeiten auf 180 Tage zusammendrängcn, 156 mehr oder minder bedeutende Gefechte und 17 größere Schlachten aufzuwcisen hat, daß während dieses Zeitraumes 26 feste Plätze genommen, 11,650 Offiziere und 363,000 Mann zu Gefangenen gemacht, über 6700 Geschütze und 120 Adler oder Fahnen erbeutet worden sind. Es kommen somit beinahe auf jeden Tag des Krieges ein Gefecht, auf jeden neunten Tag eine Schlacht, auf jeden sechsten Tag eine eingenommene Festung. Hiernach würde cs ungemcin schwierig sein, aus der reichen Fülle kriegerischer Ereignisse, an welchen selbstverständlich nicht alle der deutschen Heere glcichzcitig mitwirklcn, ein einzelnes derselben hcrauszugrciftn, um daran eine nationale Feier knüpfen zu wollen. Es ist daher nicht anzurathen. auf die Vorschläge des gedruckt vor liegenden „Aufrufes" einzugehcn. Weit eher dürste es sich empfehlen, wenn man auf eine Nationalseier zukommen will, den ganzen großen Krieg zwischen Deutschland und Frank reich, vor Allem sein glückliches Ende ins Auge zu fassen. Dieser Krieg hat schon durch die erzielten außerordentlichen Erfolge eine wclihistorischr Bedeutung erlangt, welche alle früheren Kämpfe, die Deutschland seit Jahr hunderten mit seinem alten Erbfeinde ausgesvchtcn, weit überragt; er hat aber zugleich für die innere Entwickelung Deutschlands eine nicht minder hohe Bedeutung, denn er vollendete die Neichseinheit, welche durch den Norddeutschen Bund, dem vermöge seines Ursprunges vielfache, mehr oder minder berechtigte Antipaihieen entgegenstanden, nur erst mühsam angebahnt warben war. Daß die Wiederherstellung des Deutschen Reiche-, welche den Deutschen unter den europäischen Nationen wiederum den gebührenden Platz anwcist und an die Stelle langjähriger Zerklüftung eine starke einheitliche Macht setzt, ein Ereigniß von größter weltgeschichtlicher Bedeutung ist, bedarf wohl