Volltext Seite (XML)
— i-8 — natürlich kein langes Besinnen, denn in drei Tagen wird er wieder aus dem Lazarett entlassen. Er mutz kurzen Unterricht haben, um dann zur hl. Beicht und zur hl. Kommunion zu gehen. Am nächsten Tage bekommt er öie Erlaubnis auszustehen. Er kommt zu mir. und nun beginnt der Unterricht. Das erste ist ein kleiner Examen, um sestzustellen, was er denn von der katholischen Religion weiß. Seine religiösen Kenntnisse sind sehr dürftig. Er kann das „Vaterunser" beten, natürlich mit dem protestan tischen Schlußsatz, kennt einige wenige Ereignisse aus der Biblischen Geschichte und kann das kleine Kreuzzeichen machen, das ist alles. Von der hl. Beicht und der hl. Kommunion weiß er nichts. Pünktlich kommt er am Vor» und Nachmittag der zwei Tage, die uns noch zur Verfügung stehen, zum Unterricht. Er legt seine erste hl. Beicht ab, und am frühen Morgen des Festes der hl. Dreikönige soll er seine erste hl. Kommunion feiern. ES ist wohl kaum eine Erstkommunionfeier schlichter und ergreifender gewesen. In meinem Bretterhäuschen brennen auf dem Tisch zwei Kerzen vor dem Heiland im Sakramente. Zum Schmücken gibt es jetzt im Winter nichts. Bescheiden kniet der Erstkommuuikant da in seiner weiß- und blau- gestreiften Krankenkleidung. Als einziger Teilnehmer ist noch mein Bursche bei der Feier anwesend. Fest und ehr lich klingen die Antworten auf die Fragen des Tauf gelübdes: „Ich widersage, ich glaube!" Dann beten wir zusammen die Kommuniongebete,, er empfängt zum ersten Male seinen Heiland unter der Brotgestalt. Mit rührender Andacht betet er die Danksagung. Wie leuchtet sein Auge, als er sich erhebt! Ich schenke ihm zum Andenken an den Tag seiner ersten hl. Kommunion ein Gebetbuch und ein Bild und frage ihn dann, wie er denn eigentlich auf den Gedanken gekommen sei. nun im Felde zur hl Kommunion gehen zu wollen, er hätte doch garnichts davon gewußt. „Ich hatte solches Verlangen danach," ist die -schlichte Ant wort des jungen Soldaten! Dann müssen wir uns trennen, er muß fort, mich rust die Pflicht zum Gottes dienst bei meinen Soldaten. Einige freundliche Worte, ein Händedruck und ein „ich danke Herr Pfarrer", das aus tiefstem, aufrichtigstem Herzen kam, das so ehrlich klang, wie ich es nie gehört habe. Wer weiß, ob ich m§men großen Erstkommunikanten noch einmal wiedersehe! — Das ist ein Erlebnis, so erhebend, da ist die Seele so voll heiliger Freude, daß man darüber die Schwere der seel- sorglichen Arbeit im Felde vergißt. Die Rache des Fakirs Erzählung von Alfred Brie. (Nachdruck verboten.) „Bei Wischnu, schone das Leben meines Bruders!" Flehend ivarf sich der Fakir vor John Barclay, der nach dem Nichtplatze ritt, zu Boden. Der englische Offzier stieß seinem Pferde die Sporen in die Weichen, und ein Hnfschlag tvarf den Hindu, den die Weiße Kleidung als einen Fakir der höchsten Kreise kennzeichnete, beiseite. Aber dieser ließ sich durch den ersten Fehlschlag seines Bittganges nicht ent mutigen. Flehend hob er die Arme in die Höhe: „Herr, schone meinen Bruder! Gnade, Gnade! Herr, ich will ihn weit wegführen, bis hinüber aus die andere Seite des großen Flusses, und niemals mehr sollen die Wei ßen Männer etwas von ihm hören." John Barclay beftetc eine Sekunde lang den kalten Blick seiner braunen Augen auf das erregte Gesicht des In ders. dann hob er die Reitpeitsche in die Höhe und ließ sie in das Gesicht niedersanscn. „Hinweg, du Hund!" Ter Hindu stieß ein Wutgeheul aus und bedeckte sein Gesicht, das sich blutigrot färbte, mit beiden .Händen. Zwei große Tränen rollten aus den Augen des Greises, und dro hend ballte er die Fäuste hinter dem Engländer, der ruhig seinen Weg fortsetzte. Und seine schmalen blutlosen Lippen murmelten: „Ich verfluche dich, der du das Mitleid nicht kennst, und du wirst deine Strafe erhalten! Bei Brahma und Wischnu! Ich werde mich rächen, und meine Rache wird schrecklich sein!" Eine Viertelstunde später stand er als Zuschauer auf dem Richtplahe, wo Md rach, sein Bruder, ein Brahmane der ersten Klasse, gerichtet werden sollte, weil er sich an einer Empörung gegen die englische Herrschaft beteiligt hatte. Seufzer schüt telten die Brust des Fakirs, und Tränen rollten seine Wan gen hinab, als er Marach, den seine Geburt in die erste Reihe neben die Könige gestellt hatte, am Galgen baumeln sah. Noch einmal zuckten die Glieder des Brahmanen zusammen . . . der an einem Strick hing. John Barclay hatte das entsetzliche Schauspiel mit der gewohnten Ruhe betrachtet, ohne daß sich eine Miene seines wie aus Erz gegossenen Gesichtes bewegt hätte. Dann kehrte er an der Spitze seiner Truppen in die Kaserne zurück, und die Eingeborenen beugten ihr Haupt in den Staub vor der Macht, die an ihnen vorbeizog. Als John Barclay vom Pferde stieg, spielte ein fast un- merkliches Lächeln um seine Lippen. Er dachte an seine Braut, die blonde Evangeline, die in London seiner harrte. In zwei Monaten erhielt er Urlaub, dann konnte der Delhi mit seinen vierzig Moscheen verlassen, um die Schöne an den Altar zu führen. * * * Vier Jahre später. John Barclay und seine junge Frau hatten beim Vizekönig in Kalkutta ihren Besuch gemacht und sichren nun in langsamen Etappen nach Delhi. Unterwegs machten sie öfters Station, um einzelne pittoreske Städte am Ufer des Ganges zu besichtigen, Patna, Bonares, Alla- hahu, und von dort fuhren sie nach Agrah. Sie sahen stau nend die Ruinen der ehemaligen Hauptstadt des Groß-Mognl und kauften in den Bazaren kostbare persische Schals. Auf einem freien Platze zog eine Menschenansammlung ihre Auf merksamkeit ans sich. Ehrerbietig machte man der englischen Uniform Platz. Und die junge Frau schauerte'entsetzt zu sammen, als sie einen Mann sah, an deren Körper sich Schlau- gen in die Höhe wanden. Unwillkürlich schmiegte sie sich ängstlich an ihren Gatten, der sie lächelnd betrachtete. „Tn hast hier nichts zu fürchten, Evangeline. Dieter Schlangenbändiger ist ein Fakir, ein heiliger Mann, der von seinen Landsleuten wie ein göttliches Wesen verehrt wird." Noch immer leichenblaß folgte Evangeline den Vorfüh rungen des Fakirs, der ,auf dem Boden hockend, auf einer eigenartigen Flöte blies. Und diesen Tönen folgend, richte ten sich die Schlangen,- das Auge immer starr auf ihren Meister gerichtet, in die Höhe, rollten sich zusammen und rollten sich schließlich in den Sack zurück. „Wir wollen gehen, John, ich kann diese Tiere nicht sehen." „Kleine Närrin!" Langsam schritten sie hinweg. Lachend und scherzend, ruhig spielte der Schlangenbändiger weiter auf seinem In strument, aber seine Augen, die dem jungen Paare folgten, brannten in verzehrendem Feuer . . . Eben hatten Jolur Barclay und seine Frau ein Abteil erster Klasse des Schnellzugs, der sie nach Delhi führen sollte, bestiegen. Bis zur Abfahrt vertrieb sich der junge Offizier mit der Lektüre der neuesten Zeitungen die Zeit, während Evangeline neugierig auf das Leben und Treiben der Eingeborenen niedersah. „Sieh mal, John." rief sie plötzlich überrascht, „der Mann da unten ist das nickst der Schlangenbändiger, dessen Kunststücke wir gestern bewunderten?" Sir Barclay blickte nach der angedeuteten Richtung und er bemerkte einen bronzefarbigen, ganz in Weiß gekleideten Mann, der einen großen Sack in der Hand trug.