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70 bösen und geheimnisvollen RunengespenWcn herumischlägt. Auch 'hier ein Kampf, ein cmerkennenswürdiger. Wenn große Soldaten sich zu einem gefahrvollen Erkundungsgang drängen, so schreibt der kleine Soldat zu Haufe einen Brief. Was sind alle Moräste Rußlands gegen das Tinten faß, mit dem Bubi kämpft. Nun aber dazu welch ein Brief! Das „lieber Vater" ist nur der Auftakt. Doch was für eine Fülle der Zärtlichkeit liegt darinnen! Du mußt es ja spüren. Obgleich Du Dir nicht vorstellst, wie viele Male am Tag er nach Dir fragt, von Dir anfängt, tausen derlei vergessene, furchtbar unwichtige und doch für ihn gar bedeutsame Erinnerungen und Gefchichtchen herplandert mit einer zuweilen verblüffend phantastischen Erzählerkumst, die mich erraten läßt, auf welche Weise Heldensagen entstehen. Wollte ich Dir alle Grüße bestellen, die er mir aufträgt, so könnte ich den ganzen Tag nichts tun als schreiben! Aber das Rührendste ist, daß er, der alle großen Ueberraschungen" vorher airsplaudern muß, mit seinem mitteilsamen kleinen Herzen jeden Abend dem „Müde bin ich . . ." etwas ganz, ganz Leises hinzufügt, idas nicht einmal Mutti hören darf, sich auch wohl hütet, danach zu fragen. Ich weiß, was er dem lieben Gott so eindringlich unter vier Augen zu sagen hat, und störe ihn dabei nicht . . . Und jetzt der zweite Satz von Bubis Brief: „Wie gehtes Dir?" Siehst Du ihn nicht vor Dir, aus die Fensterbank klet ternd, um den Briefträger um 'die Ecke biegen zu sehen? Siehst Du ihn rasen, wenn er ihn erlauert hat, und dann umkehren — entweder hängenden Kopfes, sorgenvoll trot tend, die Hände in den Hosentaschen, um sich vor dem drau ßen spielenden Freunden ein männliches Ansehen zu geben, während die Augen ihm schwimmen oder von ferne, mit beiden Armen fuchtelnd, näherfliegend, stürzend, has- pelnd. . . geradewegs mir in den Schoß und nach Lust jappsend: T . . da b . . ring ich Dir was! F. . feine Ueberraschung!" Und keuchend schleppt er den großen Atlas herbei: „Nu lies — nu rasch — nu sag . . ." und reist mit dem gewichtigen kleinen Zeigefinger auffallend geschickt in Frankreich umher. Zwar sind seine strategischen Pläne manchmal sehr erheiternd, aber seine Zuversicht ist ernst zu nehmen. Es stimmt nachdenklich und tief darübar, daß un- sere Kinder kein Schrecknis zu fühlen bekommen und ihren felsenfesten Siegesglauben ungeschmälert haben bewahren dürfen. Ws wir neulich im der biblischen Geschichte bei dem frommen Knaben David verweilten, der im all feiner Schmächtigkeit einen entsetzlichen Riesen zerschmetterte, da prägte Deines Sohnes herrlich-deutsche Philosophie dieses Wort: „Na siehst Du!" das alles besagt. Wohl uns. Tau sendmal: Wohl uns, Laß unsere Kinder so denken lernen! Und nun komme ich znm dritten Satz in Deines Soh nes Brief, zu der erstaunlich logischen Ueberlertung: „Uns geht es gut." Sagt doch alles und ist alles. Brauche ich Dir noch lang« Beschreibungen unseres Lebens zu geben? Ist es wichtig, daß wir neue Fleifchkarten baden und daß immer weniger Kraftwagen sausen? Da s ist wichtig, daß es Men schen gibt, die sich noch freuen, die den Frühling mit Ahnun gen und Seligkeiten genießen wie nur je. und daß kein Leid «infam ist. sondern die Bürde aller, ebenso wie die Armut des Einzelnen es ist. Ties schreibt ein Kind: Uns geht eS gut. Das ist mehr als jedes Berliner Stimmungsbild, bas jemand dichten könnte. Ist wahrer! Un- wie ein zarter Unterton der Sehnsucht, wie immer währendes Gedenken klingt Bubis vierter Satz: „Wann kommst du wieder?" Nicht etwa, wie Bubi im Okto ber anfängt zu frage«: ..Wann ist min endlich Weihnachten?" sondern st» ist es gemeint: „Wir find bereit. Dich zu «npsan- gen. Jeden Tag könntest Dn da sein. Der Tisch ist gedeckt. Wir hoben Blumen im Zimmer. Und alles ist wie sonst ... Dein Bubi." Deiner, ganz Deiner. Denn wenn's nicht Dein Junge wäre, der Soldatensohn, der Bruder und Kamerad von Mil lionen Soldatensöhnchen, wenn es nicht Eure Kraft und Euer Geist wäre, die sich in ihnen schon frühe wach zeigen — wie arm wären wir! So aber: Reiches, unermeßlich reiches Deutschland! Dies soll Demes Sohnes Schlußsatz bedeuten: Dein Bubi. Vor dem sich heute ganz erziehungswidrig in Bewun derung gebeugt hat seine Mutter und Deine Frau. Der „Kleber" Skizze aus dem Osten oon Hans No rden. (Nachdruck verboten. „Fahrer Josef Priebatsch!" Des allgewaltigen Wacht- Meisters Organ drang bis in die fernsten Winkel der Wald baracken. Der Gerufene reckte und streckte sich Kroch gemüt lich aus diu Stroh, entfernte fein säuberlich die Strohhalme von Stock und Hose, aus dem Haar und Bart, prüfte, ob die Nase auch richtig unter der Kokarde saß und antwortete mit gleichein Lnngenaufwand: „Herr Wachtmeister!" „Troll' dich ein wenig, mein Jungchen! Hast du etwa wieder mal geschlafen." Der Sohn der kassubischen Wälder sah mit seinen Blanaugen treuherzig den Vorgesetzten an: „Hat sich Priebatsch nicht geschlafen, Herr Wachtmeister'. War sich bei neues Pferd und Hab' es gebunden kürzer und „An-na" meiniges länger, weil frißt neues Pferd der „Anna" alls vor Maul weg!" Gelassen schob er nach dieser langen Rede in deutscher Sprache das Priemchen von rechts nach links. Er wußte, daß dem alten Wachtmeister die Pferde der Trainkolonne eben so am Herzen lagen wie die Fahrer und Reiter, und ihm war es ferner nicht unbekannt, daß der Nach- bar seiner „Anna", der neue Ersatzgaul, dem Alten ein Dorn im Auge war. Durchdringend sah der Wachtmeister den Soldaten an: ..Sag' mal, Priebatsch. was ist das?" und dabei zog er aus er Tasche ein Paar Hasenschlingen. „Psia krew!" flucht der Kassube bei sich, antwortete aber mit größter Seelenruhe: „Weiß ich nicht. Pan Wachtmeister l Wird sich sein Bind faden dünnes!" „Bindfaden dünnes ist gut", echote der Gestrenge, „und wer braucht den Bindfaden Lünnes?" Josef Priebatsch wurde dies Verhör nun allmählich doch ungemütlich „Wird sich brauchen Herr Wachtmeister zu schicken Paket- chen an Frau Wachtmeister gnädiges in .Königsberg!" log er munter darauf loS. „Priebatsch, du bist ein guter Soldat. Du warst, und bleibst aber ein erstklassiger Wilddieb. Aber das sag' ich dir — ertappe ich dich beim Schlingenlegen, dann regnet es dir in die Brrde. Verstanden?" Unserem Freund blieb das pflichtschüVdige „Jawohl" auf der Zunge kleben, er riß sich zusammen, daß die Sporen flirrten un- gedachte des feisten Hasen. Lessen Balg er nach- her sicherheitshalber soiort vergraben wollte. Ja, der Priebatsch und der neue Gaul, das waren des alten Wachtmeisters Sorgenkinder. Priebatsch als Sohn der kasiübischen Wälder konnte das verbotene Wilddieben und Schlingenlegen nicht lassen und der vierbeinige Zuwachs der Kolonne war noch unergründ licher in der Tiefe seines Gemütes als der Fahrer vom Bock Josef Priebatsch Das Pferdchen besaß alle Untugenden, die ihm in Frie- denszert zum mindesten das Prädikat d. u. für den HeereS- dinst eingebracht hätten. Es biß — dcwor konnte man sich allenfalls schützen. ES schlug — das war unangenehm, sobald Eile beim Anspannen geboten war. Aber nicht genug, es war ein „Kleber"! Ging