Volltext Seite (XML)
ganz vernünftige Momente. Er nahm dann rasch Anläufe zu neuer Arbeit oder verbrachte die Zeit mit Klagen. „Tas; doch dieser Fels herabstürzen und ihn zerschmettern möchte!" schrie er eines Tages. Oldenskott lächelte. „Von selbst kommt dieser Felsen nicht — aber diese Tausende von Zentnern würden wohl hin- reichen, Joachim Remmert und sein Werk in Atome zu zerschmettern." Der Gedanke an diese Möglichkeit setzte sich nun in Mar Edelmann fest und ward zur fixen Idee. Unter Tags versenkte er sich in Vor stellungen, die sich mit solch teuflischer Möglichkeit beschäftigten. Nachts träumte er davon, und ein mal stand er um Mitternacht auf, stieg vom Schlosse nieder und schlich sich heraus, wo die un geheure Steinplatte, mit breit ausladenden Quadern in den Erdboden verankert, weit hinaus über den schauerlichen Abgrund ragte. Er kroch bis ans äußerste Ende. Ein Paar Meter davon entfernt endete das eiserne Geländer der Galerie. Er aber schob sich, auf dem Bauche liegend, bis an den scharfen Rand, und eine Weile hing sein Kopf in der Lust über dem schwindelnden Grund. Gerade unter ihm lagen Joachim Remmerts Werke. Wenn der Fels sich löste und mit un geheuerer Wucht darauf niederstürzte, so mußte ein Unglück geschehen, das ohnegleichen war. Allmählich wurde die Möglichkeit zur Wahr scheinlichkeit. Es kamen Tage, wo er sich in diese Idee verkrallte und sich mit nichts anderem be schäftigte. „Da könnten Sie eigentlich die Kraft Ihrer Erfindung erproben," sagte Oldenskott einmal so nebenbei, als hätte er seine Gedanken gelesen. Diese Bemerkung gab dem dunklen Plane eine neue, bestimmte Richtung. Edelmann stieg in den Keller des Schlosses hinab, stellte Ver messungen an und erkannte, daß man den. Fels an einer gewissen Stelle mit Leichtigkeit anbohren und mit Pulver füllen könnte. „Wer vermöchte cs nachzuweisen?" dächte er. Erst schauderte er vor dem Verbrechen zusammen. Ihm war, als müßte er vor sich selber fliehen. Zwei Leben lebte er: eines in lichten Stunden, ein anderes, das in Finsternis gehüllt war. Zwei Naturen füllten ihn aus, und er sah sich manchmal selbst in zwei Gestalten. Einmal saß er vor dem Spiegel, da erblickte er die zweite Gestalt, sah deutlich: den Mann mit der zerwühlten Stirne und den unheimlich brennenden Augen, ein sata nisches Lächeln auf den Lippen, die in immer währender mechanischer Bewegung waren, während die Hände wie Spinnenfüße auf der Tischplatte hin und her liefen; über seine Schulter beugte sich die Versuchung, die Vorgeschichte der dunklen Tat, zur Person geworden: Mephisto. Ter Mann, der mit seiner höllischen Kunst Mar Edelmanns Spinnenfinger dirigierte. Als dieser Mephisto sprach, war es Kurt von Oldens- kotts Stimme, die riß Mar aus seiner schrecklichen Vision Er hatte nichts zu tun. Ter Baron hatte ihn lwn jeder Tätigkeit entbunden. An die Erledigung von Korrespondenzen war gar nicht zu denken. Zwischen die Briefe hinein zeichnete Mar Edel mann schaurige Szenen, deren tragischer Held Joachim Remmert war. Die nächsten Wochen über bekam ihn Oldcns- kott kaum zu Gesicht. Er war immer mit allen möglichen Werkzeugen in dem Keller unten und verschmähte oft Speise und Trank. Er hatte noch keine bestimmte Absicht; er spielte nur mit dem Gedanken und mit der Möglichkeit der Tat. So bohrte er den Felsen an und lockerte das Erdreich ringsum. In wochenlanger Arbeit war ihm das für einen Einzelnen unendlich schwierige Werk geglückt. Wenn er das Pulver streute und dann die Gänge luftdicht verschloß er konnte es ja berechnen; das Ivar seine Erfindung: ob das Pulver in zwei Stunden oder in acht Tagen explodieren würde. Tenn explodieren mußte es. Dann spielte Max Edelmann das Schicksal. Oder die Vorsehung. Er, der Getretene, der Ge quälte, der Mißachtete, war Gott. Und Joachim Remmert war der Wurm, der zertreten wurde. Der kleine Mensch, den er mit einem Blitzstrahl vernichtete. War der Gedanke nicht geeignet, teckflichen Stolz zu wecken? Der Verrückte sonnte sich in dieser Idee. Wenn er am äußersten Ende der Felsplatte lag — meist des Nachts, wenn unten die Werke ruhten — die Ellenbogen aufgestützt und den Kopf in die Hände gelegt, gellte sein Lachen durch die Stille: „Was machst du nun da unten, he, wenn Max Edelmann seinen Bannstrahl schleudert? Wer bist du? Ein Gigant? Ein Titan? Die hohen Felsblöcke und trugen Berge ab und schleuderten sie gegen den Olymp. Zeus aber sandte seine Blitze und vernichtete sie alle. Ich bin Zeus und du ein Titan. Wer ist der Stärkere von uns? He, wer ist der Stärkere?" So trieb er es eine Weile; nur von den wirren Gedanken an seine Frau wurde diese Wahnsinns epoche unterbrochen. Er erinnerte sich dumpf, keine Briefe mehr von ihr zu erhalten; doch Oldenskott sagte, der letzte wäre erst gestern ein getroffen. Wenn es der Baron sagte, so mußte es so sein. Er war zu angestrengt, um darüber nach zudenken. Eines Morgens ließ Oldenskott seine Koffer packen; das Automobil, das er für seine Reisen benutzte, ratterte vor dem Schlotztor und die Jacht im Hafen lag unter Segel. Ein Telegramm der Gräfin von Friedrichs- Wert war cingelausen. Daraufhin reiste er ab. Alle Anordnungen ließen darauf schließen, daß er diesmal mit seiner Frau zurückkehren würde. Der Kastellan wurde angewiesen, in etwa vierzehn Tagen alles in Bereitschaft zu setzen; das Schloß mußte im Glanze ungezählter Lichter glühen. Tas. nahm sich seltsam phantastisch aus, wenn es Nacht war. „Ich lasse Sie zurück, Edelmann." „Reisen Sie nach Berlin, Herr Baron?" „Auch- aber nur für wenige Tage. Ich hätte gern etwas für Sie getan, aber ich glaube nicht, daß sich eine . Gesellschaft für die Sache wird er wärmen können. Joachim Remmert hat einen Weltruf, und ich wette, er hat schon wieder, wie das so seine Art ist, einige Artikel in die Zeitungen gesetzt, um Ihnen von vornherein den Weg zum Sieg abzuschneiden." — Edelmann war allein. Zwei Tage geisterte er durch das Schloß. Die Diener gingen ihm aus dem Wege, denn man wollte nichts mit ihm zu tun haben. In der dritten Nacht war ein Sturm los gebrochen; die Berge streckten ihre schneegekrönten Gipfel in den nebelschweren Himmel. Der Sturm heulte von Westen her über die Lamermuir-Hills. In den engen Felsklüften war er aufgestanden und hatte sich in die Schluchten gelegt, Bäume ent wurzelnd, Felsen lösend. Selten ist der Himmel in Süd-Schottland ganz hell. Die Nächte sind trübe und regcnschwer. In dieser Nacht hatte das Firmament seine letzten Lichtstrahlen verlöscht. Eine dicke, zähe Dunkelheit lagerte über Moor und Höhen, und die Tiere schrien auf in dumpfer Angst. Die Eichen bäumten sich unter der Last des Sturmes und tiefer senkte der Himmel seine Nebeldecke. Im Schlosse, das seine grauen Mauern trotzig in die Nacht hineinschob, war ein Saal erleuchtet. Max Edelmann saß vor dem Spiegel über dem Kamin und sprach mit sich selbst. Er schnitt unheimliche Grimmassen und bildete sich ein, der im Spiegel wäre Joachim Remmert. Hell brach der Flammenschein aus dem Kamin und spielte in purpurnen Reflexen auf dem Teppich. Das Prasseln der großen Scheite wurde erstickt in deni Wüten des Sturmes. Max Edelmann sprach immer heftiger auf die Gestalt im Spiegel ein. Plötzlich erfaßte er ein Scheit und warf es mit Gewalt gegen das Glas, daß es splitternd in hundert Trümmer ging. Vor den hohen, gotischen Fenstern zuckten grelle Blitze. Der Erfinder war erschrocken zurückgefahren, als der Spiegel barst. In dem Klirren des Glases glaubte er Joachim Remmerts Stimme zu hören. Von Furcht gepackt, hetzte er aus dem Saal, kehrte aber wieder um und löschte die Lichter aus. Eine Kerze in der Hand schlich er sich, den Rücken zum Buckel gekrümmt, in den Keller. Er untersuchte sein Werk. Die Diener hörten ihn die ganze Nacht über die Treppen gehen und Türen schlagen. — Am Morgen war der Felsen mit Pulver unterlegt. Der Morgen fand ihn über den Schreibtisch ge beugt, vor einem großen Blatt Papier sitzend, wie er Berechnungen anstellte. Aber seine Rechnung stimmte nicht. Er addierte, multiplizierte und zog Wurzeln, aber er konnte die Ziffer x nicht lösen. Die Ziffer x war der Tag, an dem das Pulver durch Entwicklung selbständiger Gase zur Explosion kommen würde. Er hatte alle Gänge luftdicht verschlossen. Oder stellte die Ziffer x die Stunde dar? In seinem Kopfe Ivar cs wirr und Zahlen, Werte und Begriffe irrten in Lem Chaos von Gedanken durcheinander. Wenn er nur eine Viertelstunde klar denken könnte! Wenn die Zahl x eine Stunde war? Wenn die Explosion schneller stattfinden würde, als er ahnte — der Gedanke raubte ihm jede Ucber- legung. Mit wirrem Haar und unstetem Blick stürzte er in seine Zimmer, und plötzlich überkam ihn eine wahnwitzige Furcht, die ihn von Raum zu Raum peitschte. Den Rcisckoffer in der Hand, die Mütze in die Augen gedrückt, lief er durch das Schloß, treppauf, treppab, und suchte einen Aus gang. Ein Diener sah noch, wie er die Landstraße hinabflog. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und drehte sich um. Dann lief er noch schneller, keuchend, mit aufgeblähten Backen und vor- qucllenden Augen, bis er die Post nach Greenlaw erreichte. . . (Fortsetzung folgt.) Wieöergeburt. Roman von Fnna Nieöel. (w. Fortsetzung.) ^Nachdruck verboten.) Dqlf bange Schläge dröhnten durch das Haus, das nachtstill geworden war. Er warf die Briefe ins Schubfach, die Tür ging. Seine Frau kam. „Du solltest zu Bett gehen." „Gleich, noch eine halbe Stunde, dann bin ich fertig." „Gute Nacht." Sie beugte sich nieder und küßte ihn. „Ist Erika schon zu Veit?" Er fragte cs gleichgültig, aber sein Herzschlag stöckle. Wenn sie nicht mehr zu ihm kam! Cie, um derent willen — „Ralph war noch bei ihr, sie saßen zusammen in dem grünen Zimmer. Es ist ja heute der letzte Tag. Sie wird Wohl gleich kommen. Aber nun geh' auch bald, Erich." „Gewiß, gleich." Sie stand schon an der Tür und hatte die Klinke in der Hand. Er wollte sich nicht mehr umwenden, da grinste die schwarze Gestalt zur Rechten, so kalt, jo höhnisch — Er sprang auf. „Komm noch einmal her. War es nicht ein schöner Tag heute?" Er zog sie ans Fenster, und sie blickten zusammen ins Licht, das auch auf ihren Gesichtern lag. „So wunderschön! Ich bin so glücklich! Du bist so gut!" Und nach einer Weile: „Und morgen wird es wieder so schön sein." „Ja, wieder so schön! Gute Nacht, schlaf wohl." „Gute Nacht." Sie löste ihren umschlingenden Arm. Noch ein Nicken an der Tür, dann war sic hinaus. Fertig Ivar auch das. War es das Schwerste?