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wächst und die wir erst wie eine seltsame Blume bestaunen und schließlich mit einemmal erkennen, daß sie uns ganz beherrscht, und daß wir ohne sie nicht mehr sein können, das muß wohl die wahre Liebe sein!" Er neigte sich über sie, und ihr Kops sank ein wenig zurück, denn ihr Nacken hatte die Kraft des Widerstandes verloren . . . „Das muß wohl so sein," hauchte sie. So, wie er damals ihre Hände geküßt, voll Ehrerbietung und kameradschaftlicher Treue, so küßte er jetzt ihre Lippen; sie schloß die Augen und hatte plötzlich eine merkwürdige Vision: sie sah sich wieder in dem Boot, wie sie sich um- drehte und er, an die Reeling gelehnt, dastand und salutierte. Dieses Bild löste sein Kuß aus. Und sie stellte sich vor, daß er sein ganzes Leben so vor ihr salutieren würde. Das gab ihrem Glück eine unendliche Weihe und stimmte sie voll reiner Zu versicht auf die Zukunft. * * * Das hohe Lied, das in Renate wieder wach gerufen war, konnte seine Schwingen nicht regen. Ein Telegramm rief sie nach Friedrichswert zurück. Als sie ankam, hing ein grauer, trostloser Himmel über dem Meer und unausgesetzt webte ein end loser Schneefall an dem großen Leichentuch, das die Insel zudeckle. Mit dem strengen Winter halte sich der Zustand der Gräfin arg verschlimmert. Trotzdem der Arzt einen äußerst mühevollen Weg hatte, kam er jeden Tag und blieb mehrere Stmrden. Er verhehlte der Komtesse nicht, daß der Zustand der Kranken bedenklich war. All ihre Kraft wurde nun durch die Pflege der Mutter in Anspruch ge nommen. Der Baron war sofort nach ihrer An kunft mit seinem Sekretär abgereist. Er hatte eine lange Unterredung mit der Gräfin gehabt, als Renate abwesend war, und hatte sich endlich un widerruflich am Ziel seiner Wünsche gesehen, als er Plötzlich aus den Zeitungen erfuhr, daß Joachim Remmert den Bahnbau in den Lamermuir Hills übernommen. In der Tat war Remmert vor mehr als einem Monat in Greenlaw cingetroffen, nachdem seine Ingenieure bereits vor einem Vierteljahr mit den Vorarbeiten begonnen. Jäh abfallende Klüfte sollten mit einander verbunden und die Bahn über hängende Brücken bis zum Fuße des Schlosses „Queen Viktoria", das auf hoher Bergzinne aufgcbaut war, geführt werden. Dort unten mußte man den Tunnel legen, den Fels durchbrechen, um die Bahn weiter zu führen. Seit einem halben Jahrhundert wehte auf der Zinne des Schlosses die Flagge der Oldenskott. Schon der Vater Kurts hatte es erworben und gerade Queen Viktoria hatte sich der jetzige Oldens- kott als künftigen Wohnsitz für sich und Renate ausgesucht. Hier in dieser zerklüfteten Veste, welt abgeschieden, sollte sie ganz auf ihn angewiesen sein. Ihm fehlte es ja nicht an Verbindungs- Möglichkeiten; sein Reichtum gestattete ihm die Unterhaltung von Automobilen und ein breiter Fahrweg führte von der Westseite zum Schloß hinauf. Auf der Ostseite fiel es steil ab; eine riesige Felsplatte, die weit über den Abgrund hinaussprang, bildete hier festen Boden um das Schloß. Zwei Segeljachten ermöglichten dem Baron ständige Verbindung mit der Außenwelt. Er war entschlossen, Renate unter keiner Be dingung der Welt zuzuführen und hatte darum auch seine Villa bei Rom zum Verkauf aus geschrieben. Das Felsennest in den Lamermuir Hills paßte zu der Stimmung, die ihn seit Jahren beherrschte. Als er hörte, daß ein seltsames Ge schick den Mann, den er mit seiner bedingungslosen Leidenschaft verfolgte, gerade unter die Fels mauern von Queen Viktoria geführt, da war er erst nicht wenig erschrocken. Er fürchtete Joachim Remmerts Nähe, ohne es sich zu gestehen. Er zitterte um seine Beute, so lange er ihn nicht weitab wußte. Selbst ohne Moral und innerliche Gesetze, hielt er andere zu denselben Handlungen fähig, vor denen er nie zurückschrecken würde. Er sah im Geiste Renate von Joachim Remmert entführt. Er malte sich den Jubel aus, mit dem sie solchen Ausgang und diese Rettung begrüßen würde. Er zitterte in Gedanken vor einem Gewalt- strcich dieses Remmerts noch vor dem Altar» wo Renate sich ihm fürs Leben binden mußte. Denn als Gewaltmensch schwebte ihm der Ingenieur vor, der jetzt als stummer, unermüdlicher Mann in den Lamermuir Hills weilte. Von einer bestimmten Idee geleitet, war der Baron daher abgereist, um auf Queen Viktoria Umschau zu halten, gleichzeitig aber auch, um alles instand setzen zu lassen, denn er war sicher, daß Renate jetzt nachgeben mußte. Er halte mit der Gräfin alles vereinbart und wartet- nur auf tele graphische Nachricht. Sein Sekretär war Max Edelmann. Dieser Unglückliche hatte sich auch durch seine letzte Ent täuschung nicht völlig abschrecken lassen. Sein namenloser Jammer, als ihm sein Kind, früh vom i Elend dem Tode geweiht, starb, hatte für den Augenblick menschliche Regungen in Kurt von Oldenskott ausgelöst. Er nahm den Erfinder als Sekretär zu sich, und so teilte Max Edelmann seit zwei Jahren sein Leben in die Pflichten gegenüber dem Baron und in seine Erfindung. Er hatte sie zum drittenmale vervollkommnet. Seit einigen Wochen ging er geheimnisvoll umher; sein Gesicht strahlte, und seine welken Lippen bewegten sich in einem fort mechanisch. So oft ihn der Baron mit spöttischem Augenaufschlag fragte, was ihn bewege, gab er wirre und ausweichende Antworten. An feine Gattin Irma aber schrieb er einen überschweng lichen Brief, der alle Hoffnungen und Ver sprechungen der Vergangenheit wiederholte. Max Edelmann sah sich wieder in Märchenschlössern wohnen, sah sich im Besitz von Millionen, in Equipagen fahren, Rennpferde halten. Nicht für sich, sondern für Irma; sah sie jung und dankbar, und sich wieder im Besitz ihrer Liebe und Achtung, sah späte Jugend für sich erblühen. Er wußte nichts davon, daß ihn das Alter bereits der Kräfte beraubte, daß der Tod schon lauernd über seine Schultern schielte. Jeden Morgen küßte er das Bildnis des ehemaligen Frcifräulcins von Hallen- stedt, das .inzwischen des letzten Glücks, ihres Kindes beraubt, in düsterer Mansardenwohnung im Norden Berlins, hoffnungslos dahinwelkte. 9. Kapitel. Wild dräuend liegen die Berge der Lamermuir Hills; trotzig schieben sic sich inittseits in die runde Halbinsel, um deren Landzunge der Firth os Forth seine stahlgrauen Wogen rollt. Zum Meere flachen sie jäh ab; von Greenlaw aus aber steigen sie in gewaltigem Massiv an und schieben als eisgekrönte Vorposten den Dirrington gen Süden. Hinter ihm, eine geschlossene, lückenlose Phalanx, ragen Sparlcton und Lämmer Law in Höhen bis fast zu siebzehnhundert Metern. Dazwischen läuft in bizarren Linien die Grenze, welche Haddington von Berwick trennt. Beide Provinzen sollte Joachim Remmerts kühne Schöpfung verbinden. Unter Queen Viktorias drohenden Zinnen hatte er schon die Bohrung des Gesteins begonnen. Mit unerhörter Kühnheit hatte er provisorische Geleise gelegt, auf denen die Transportwagcn her anrollten. Auf rasch hingesetzten Brücken, die über namenlose Gründe schaukelten, wurden die riesigen Holzstützen und Eisenstäbc herbeigerollt. Die Anlegung des Tpnnels bot unerwartete Schwierigkeiten. Remmert erklärte sie, auf schwindelndem Vorsprung stehend, einem Re gierungsvertreter, der ängstlich die steilen Höhen maß. „Die Felsen sind hart, eisenhart und schwer bohrungsfähig. Ich habe meine amerikanischen Maschinen beiseite gestellt und eine Brandtsche Bohrmaschine kommen lassen. Doch schon, nach dem wir mühevoll den Richtstollen begonnen — wir arbeiten uns vom Sohlenstollen aus hinauf, dem englischen System folgend, das ich als das beste befunden habe — zeigten sich die Schwierig keiten. Wir müssen gegen einen furchtbaren Druck anshalten. Ter Fels ist samt seiner Härte übci uns nicht stark, und so sind wir gezwungen, einmal um ihn selbst zu schützen, daun aber auch, um den Tunnel vor seinem Druck zu halten, das Deckeu- gewölbe mit ganz ungewöhnlich starken Eiseu- konstruktionen zu stützen . . ." Der Negierungsbeamte hörte mit einem Gefühl heimlicher Scheu zu. Vor wenig Jahren Hain eine Kommission den Bau eines Tunnels an dieser Stelle für eine Unmöglichkeit erklärt. . „Sie glauben, daß es glücken wird?" Ein stolzes Lächeln flog über Remmerts Züge. / „Glauben heißt nicht wissen. Es muß gehen." „Es gibt aber doch Unmöglichkeiten in der Technik, die —" „Ich halte alles für möglich, was wir Techniker nur wollen." „Ein kühnes Wort. In Edinburg sind Stimmen laut geworden, die der Regierung Vor würfe machen, daß sie das Projekt genehmigt hat." „Ist die Negierung von solchen Stimmen ab hängig?" „Das nicht. Aber sie hat Rücksichten zu nehmen, denn auf ihr lastet die Verantwortung. In der Presse ist die Frage aufgeworfen worden, ob es bei dem Bahnbau nicht zu einem großen Unglück kommen könnte. Auch in London haben sich die Zeitungen der Sache bemächtigt; cs finden sich eben immer Sachverständige, die sich zu Sprach rohren einer bestimmten Partei machen. Cie haben offenbar Feinde." Der Ingenieur nickte kurz. „Das ist selbstverständlich. Die werden mich aber nie hindern, nach meiner Ueberzeugung und meinem Gewissen zu handeln." Der Beamte wies nach dem Riejenfelsen unter Queen Viktoria: „Haben Sie den Block auf seine Haltbarkeit geprüft?" „Selbstverständlich. Er wird jeder Erschütte rung von unten standhalten." — Als Joachim Remmert wieder allein war, ging er die Arbeitsstelle ab. Der Tunnel machte schnelle Fortschritte. Der Vorfrühling war un gewöhnlich zeitig eingctreten. Die Berge atmeten zwar eine scharfe Stätte, aber die Sonne strahlte aus azurnem Blau, und von den steinernen Leibern fiel langsam der Hermelin. Da standen sie in leuchtender Blöße. Hier war Joachim in seiner Welt. Nings um ihn pochte und hämmerte, sägte und bohrte und stampfte die Arbeit. Ihre Akkorde entsprangen seiner Komposition, dieses Orchester der Tat war dirigiert von seiner Intelligenz und Kühnheit. Alle die Hunderte verehrten, gehorchten ihm. Er Ivar ihr König, der Einarmige, der Mann aus Stahl. So nannten sie ihn, der Abgründe zwang, fast nie schlief, kein Wetter fürchtete, Pläne voll abenteuerlicher Kühnheit entwarf und als erster in die Gefahr ging. Seine schwachen Stunden kannten sic nicht. Sein Haar war schwarz, doch mit Silber durchstickt. Der weißen Fäden waren viele; die standen seltsam und unglaubhaft zu der stolzen, ungebeugten Männlichkeit. Von zwei Seiten wurde der Berg zu gleicher Zeit gepackt. In einem großen Bogen sollte sich der Kehrtunnel durch den Leib des Berges winden. Langsam schob sich der Richtstollcn durch die Tunnclachse vor. Acht Meter hoch sollte der Berg ausgezimmert werden, säst neun Meter breit — ein Riesenwerk! Zwei Geleise sollten hindurch. So stand es auf dein Plan, den Joachim Remmert geschaffen Er stieg aus dem Licht in die Tiefe. Der Sohlenstollen war finster, noch von stickenden Gasen erfüllt. Von hier aus gruben sich Hunderte von Arbeitern, in zäher Geduld, mit wissender, sicherer Energie nach oben durch. Das gab eine Riesensymphonie: die Musik der Arbeit. Joachim Remmert prüfte, klopfte, lobte, tadelte, befahl. Ein Erdgeist, ein von Pnrpurflammen demütig beleckter Dämon, der die Natur unter seinen Willen beugte und die Berge bezwang. Der Fels ächzie