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Nr-10. Illustrierte Anterhaltungs-Beilage. 1915. Der Sturmgesang öer Liebe. Roman von Robert hepmann. 02. 8ortseb»NL> t'^achdruck verboten.) Wollte nicht aufhören, zu schluchzen. Es war ein Schluchzen ohne Tränen, eine Lava von Leid, das endlich aus dem unterdrückten Herzen einen Aus weg fand und es erleichterte. Ruths Zuspruch tröstete sie allmählich. Rudolf rüstete sich bedrückt und schweigend zum Aufbruch. Die junge Aerztin wohnte in Charlottenburg, hatte also einen ziemlich weiten Weg. Er fragte, ob er sic vielleicht begleiten sollte. Sie nickte, denn sie fühlte, es sei besser, Renate allein zu lassen. Als das Uebermaß des plötzlichen Schmerzes sich ausgetobt, wurde Renate ruhiger. Sie trat ans Fenster und sah in den Nebel hinaus und versuchte, die Zukunft zu durchdringen, diese graue, harte Mauer, die nicht Weichen wollte, und fand schließ lich einen Trost in dem Geständ nis, das sie vor sich und ver trauten Zeugen abgelegt: daß sie ihn noch liebte, mehr denn je, daß sie diese Liebe als edelste Kostbarkeit bewahren durfte. Mit einemmal schlug die Welle der Sehnsucht wieder übcrhoch auf in ihr, und ihre Seele war ein einziger, großer Klang der Liebe. — Ruth und Rudolf gingen eine Weile schweigend nebenein ander her, bis die märchenhafte Einsamkeit des verschneiten Tier gartens sie ausgenommen hatte. Es war schon sehr dunkel und niemand begegnete ihnen. Die Wege zogen sich voll Schweigen zwischen weißglitzerndenBäumen dahin, deren starren Neste wie ziseliert in dem Nebel standen. Hand einer Frau, die ihren Beruf veredelt und ihm Weihe gibt. Sein Blick haftete eine Weile an dem stimmungsvollen Tizian, der über dem Schreibtisch hing. Die elektrische Lampe goß einen Strahlenkranz über sie, während er im Schatten saß. Es kam ihm plötzlich vor, als wäre sie doch bleicher als früher, und um ihre Augen sah er schwache Schatten. „Hier leben Sie also?" fragte er endlich, um etwas zu sprechen. „Ja." „Ganz allein . . ." Sie lächelte ein klein wenig schalkhaft über seine ungeschickte Frage. „Drückt Sie die Einsamkeit nicht?" fuhr er fort. „Ja und nein. Man findet darin wenigstens keit führt den Menschen gewissermaßen zu dem von der Natur ihm angewiesenen Glück zurück, indem sic ihn den Banden der bürgerlichen Gesell schaft entzieht. Unter diesen bürgerlichen Gesell schaften, die durch so viele Vorurteile getrennt werden, ist die Seele in beständiger Aufregung; unaufhörlich von tausend störenden und sich wider sprechenden Meinungen hin und her geworfen, liegt sie in ewiger Fehde mit denen einer ehr süchtigen und elenden Menge. In der Einsamkeit dagegen entäußert sie sich dieser fremdartigen, störenden Täuschungen, und dev Geist gewinnt wieder das ursprüngliche reine Bewußtsein seiner selbst, der Natur und seines Schöpfers. Die Ein samkeit stellt sowohl die Harmonie des Körpers als Ler Seele wieder her." Sie klappte das Buch zu. „Sehen Sie, das ist mein Lebensbrevier." „Ich bewundere Sie darum." „Nun, ich habe ja auch mei nen Beruf, der mich als Mensch ganz ausfüllt..." „Und als Frau?" Sie schwieg, und ihre Augen trafen sich unterdemLicht;ihrBlick wurde unsicher. Er wußte nicht, daß drei Jahre lang die Liebe zu ihm, die sie seit jenen wilden Tagen in Afrika unterdrückt, ihre ständige Begleiterin in aller Einsamkeit gewesen war, daß sie nun am Ende ihrer Selbst- beherrschung, Täuschung und Ver stellung stand. Er näherte sich ihr, ohne cs zu wissen. Es war ihm mit einem Male, als würde er jetzt erst sehend, als erfasse er jetzt das Unausgeglichene in seinem Leben, das, was er immer gesucht, und daß die Sehnsucht, die nie von ihm gewichen war, sich nun vor ihm enthüllte — und er sprach Worte, deren Kaiser Wilhelm anläßlich eines Besuches öer deutschen Truppen in Douai. Das Bild wurde anläßlich eines Besuches unseres Kaisers bei den Truppen in Douai gemacht. Sie Waren beide zu erschüttert von dem, was sie ebcn erlebt hatten, um viel zu sprechen. Nur ihre Gedanken woben zwischen ihnen hin und her und formten das ewig alte Lied. Sie waren beide erstaunt, als sie Plötzlich vor Ruths Heim in der Nähe des Zoologischen Gartens standen. Rudolf las mechanisch: „Dr. Ruth Remmert, praktische Aerztin." Die Tafel war an einem freundlichen großen Hause angebracht. Er blieb zaudernd und unschlüssig stehen. Sie sagte plötzlich, ohne ihn anzusehen: „Wollen Sie ein wenig bei mir eintreten?" „Wenn Sie erlauben . . ." Dann saß er ihr gegenüber in ihrem Sprech zimmer. Es war kein strenger, nur seiner Be stimmung geweihter Raum, wie man ihn sonst bei Aerzten findet. Man fühlte überall die weiche einen sicheren Weg zur Ruhe. Ich halte es mit Lavater: Deine Ruhe gründe sich nicht auf Menschen ..." „Aber doch, diese Einsamkeit . . . wissen Sic, ich fürchte mich' manchmal davor." „O, Sie großes Kind!" entgegnete sie mit ver haltener Zärtlichkeit in der Stimme. „Wer die Einsamkeit recht versteht, dem ist sie Hüterin und Freundin." Sie stand auf, trat zu dem dunklen Bibliotheksschrank, suchte eine Weile mit den Augen und griff dann ein einfaches Buch heraus. „Sie werden nun denken, ich will Ihnen eine Vorlesung aus irgendeinem der modernen Bücher halten, die von dekadenter Weisheit triefen — nein, ich habe da so ein richtiges, altes Werk, das man gewöhnlich in den Rumpelkammern findet: Paul und Virginie. Da heißt es: Die Einsam Begriff ihm fremd war, die nur an sein geistiges Ohr klangen, während Ruth ihm matt lächelnd zuhörte. So schritt der Abend vor und fand ihn schließlich, ihre Hände in den seinen, die in ihrem Schoße ruhten. Sie fragte: „Und wissen Sie auch wirklich, ob es die rechte und große Liebe ist? Wir Mediziner täuschen uns am leichtesten darüber." Sie sagte es immer mit demselben schelmischen Lächeln, und auch er konnte nicht ernst bleiben, als sie „wir Mediziner" sagte. Es kam ihm so seltsam und verdreht vor, solcher Beruf und dieses schöne Mädchen, von Ler Natur zur Liebe ge schaffen . . . aber es schien ihm wohl nur in diesem Augenblick so. Er entgegnete: „Eine Liebe, die drei Jahre alle Prüfungen ertrug und immer größer wurde, die ganz aus uns selbst heraus