Volltext Seite (XML)
MW KIN „MM SreOgM" Verantwortlicher Schriftleiter, Drucker und Verleger: Gtto Meyer in Adorf. 54 Sonntag, den 7. Marz 1915. 80 Iahrg. Nom Strom getrieben. Originalroman von Earl Ed. Klopfer. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Menn er die momentanen Zeitumstände erwog: Möller heut' nicht daheim, Stefan auf der Wertstatt in Anspruch genommen: die Mutter in der Hauswirt schaft — eine günstigere Gelegenheit ließe sich kaum abwarten. Der Marit lag im Sonnenbrand wie verlassen da; man begegnete kaum einem Menschen auf der Straße. Was nicht auf den Acckcrn beschäftigt war, rührte in Haus oder Hof dfe fleißigen Hände- Von den Tennen klangen die Dreschflegel, vor seinem Feuerofen wuchtete der Schmied, daß der Amboß sang. Hallerburg brauchte nicht zu besorgen, daß ihm jemand nachgaffe. Im gemächlichen Schritt eines ziel losen Spaziergängers schlenderte er die über den Kir chenplatze führenden Hauptstrafe hinab, bis zu dem letzten Qnergäßchen. Er fand das Handwerkszeichen des Bindermeisters an dem Hause, er stand vor dem Gatter, das das Tor gegen die Straße abschloß, und sah darüber in den Hof hinein, wo das Wertholz auf gestapelt stand. Lustig ratterte dort der Takt der Bin derschlägel. Hier war auch Stefan dabei, der „Blitz bub'", wie ihn Stehmann immer nannte. Da hinaus durfte er nicht, wenn er dem Knaben nicht in die Arme lausen wollte. Also auch sonst niemand rufen, sich allein zurechtzufinden trachten! Ob er auch eine Scheu zu überwinden hatte, ehe er über die Gitterbrustwehr griff, er tat es mit sicherer Hand. In dem breiten Flur war links und rechts je eine mit Glasfenster versehene Tür. Durch die eine blickte man in die jetzt nur als Magazin verwendete Winter werkstatt. Die gegenüberliegende war mit einem saube ren Kattunvorhang verhängt. Kurz entschlossen pochte er da an, und als sich drinnen nichts rührte — vielleicht wurde er wegen des Lärmens im Hose nicht gehört, — drückte er die Klinke nieder lingehindert konnte er eintreten — in einem kleinen Raum, der dem Meister als eine Art Kontor zu dienen schien. An dem offenen Hoffenster, durch das die Sonne aus die blankgescheuer- tcn Dielen fiel, stand ein Stehpult mit einem auf- geschlagenen Geschüftsbuche. Bücher verschiedener Art standen auf einem einfachen Wandregat darüber. Auf dem alten Ledersessel in der Fensternische neben dem Pult lag — ein Strickzeug. Das alles gab ein Bild von der Tätigkeit, die die Frau im Hause entfaltete: zwischen Blechhaltung und Wirtschaft. Jetzt war sie wahrscheinlich in der Küche. Gern hätte er einen Blick in das Einschreibebuch ge worfen, überzeugt, daß »er da ihre Schriftzüge finden und — noch erkennen würde. Ueberhaupt trat jetzt Erinnerung auf Erinnerung an ihn heran, ein ganzer Zug wiederauslebender Momente, der ihn grüßte, ob wohl er ihn gern abgewehrt hätte- Wo war jetzt der Groll, wo die Gehässigkeit, womit er gekommen war? Was lag in dieser Atmosphäre, das ihm so wunderlich ans Herz grifs? Er hatte das Verlangen, jenes Strick zeug anzurühren, und die Dessellehne, an der Hedwigs Körper geruht hatte — wenn ihn der Arbeitslärm im Hofe nicht abgehalten hätte, so nahe an das Fenster zu treten. I n dieser Nähe Stefans war cs überhaupt gefährlich, mit „Frau Heduschka" zu verhandeln. Sollte er nicht doch lieber umkehren und ein andermal . . .. ? Er sah sich nach allen Seiten um. Da waren zwei weitere Türen. Die höhere an der Hinterwand war offen und ließ in eine seht geräumige Stube mit großem Eßtisch sehen. Der wohlgeordnete blitzblanke Hausrat und. an den Fenstern die blühweißen Mull gardinen geben dem Raum etwas Anheimelndes. Wie kalt erschien ihm daneben der Prunk seiner Woh nung in Paris! Hier also lebte und wirkte^sie, die im vornehmsten Großstadtluxus ausgewachsene Tochter eines reichen Va ters — und er konnte es jetzt ganz gut begreifen, daß, sie sich gerne dazu beschieden habe. Die ^kleinere Tür, dem Eingang vom Flur gegenüber, die führte wohl in die Küche. Auch sie hatte vier ver hängte Glasscheibe zwischen einem Kreuz. Da an klopfen müssen, war ihm eine beschwerliche Aufgabe. Aber was blieb ihm übrig? Auf sein Pochen wurde innen der Vorhang zurück geschoben. Ein Magdgcsicht blickte herein, um sofort zu verschwinden. Man hatte ihn also bemerkt. Er trat in den Hintergrund der Stube. Da Härte er die Tür gehen. Er wandte sich, um der erwarteten Person zu sagen, daß er Frau Möller zu sprechen wünsche — und sah sich ihr selbst gegenüber. Da blieb ihm das Wort in der Kehle. Er fühlte, wie er Erbleichte vor ihrem Blick. Ruhigen Tones grüßte sie und fragte, womit sie dem Herrn dienen könne. Sie war es offenbar gewöhnt, hier Geschüftsbesuche zu empfangen. Ihn berührte es wie Glockenklang. Da hörte er sic wieder, die Stimme feines Weibes! Die sechzehn Jahre waren ausgelöscht. Die Vitus-Hedwig stand vor ihm. Sie wunderte sich über sein Schweigen und hob noch mals an — diesmal ungarisch. Zuerst hatte sie ihn, nach seiner Touristenkleidung, für einen deutschen Gutsbeam ten aus dem nördlichen Teil des Banates gehalten. Gesenkten Hauptes, mit der Doruspitze seines Stockes in der Dielenfuge bohrend, eröffnete er ihr in abgeris senen Worten, daß er der Hallerburg sei, und mit Ste fans Mutter eine „kleine" Unterredung wünsche. Sie machte eine Bewegung nicht sehr angenehmer Ueberraschung. Seine merkwürdige Haltung, die so gar nichts Entgegenkommendes hatte, drängte ihr die Bc- mertüng zurück, daß sie selbst staunen müsse, nicht gleich erraten zu haben, wer er sei. Sie deutete einladend auf die Türe der großen Stube und ließ ihn voran schreiten. Er wollte es kurz machen, es drängte ihn von hier fort. Ohne den angebotenen Stuhl zu nehmen, fixierte er sie heraufsorderud. Er brauchte das zur Ueberwind- ung der Scheu, die ihm ihr ernster Blick einflößte. „Wie Ihnen gestern schon mein — wie Ihnen gestern schon Ihr Sohn gesagt haben wird, möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, Stefan mit mir nach Paris zu nehmen." „Um Vergebung", hauchte sie, , ich verkenne nicht das durchaus unverdiente Wohlwollen, das Sie uns durch unseren Sohn erweisen." „Unsinn? Ach ja! Sie wollten mit Herrn Möller darüber sprechen." „Ich bin noch nicht dazu gekommen. Es ist über haupt so überraschend." „Sie sollten nicht allzulang überlegen. Bedenken Sie, daß ein Student in Paris ganz andere Aussichten hat. Unter meiner Anleitung darf er sich eine glänzende Zu kunft versprechen." „Das habe ich alles schon bedacht, — aber —" „Dennoch schwanken Sic? Was bietet sich ihm hier?" „Liebevolle Eltern", gab sic zurück und richtete sich mit einigem Stolz auf. Dabei sah sie ihm schärfer ins Gesicht und begegnete seinem starren Blick. Es verwirrte sie etwas da raus, worüber sie sich keine Rechenschaft geben konnte. Es lag in seinem ganzen Wesen ein Anruf aus nebel hafter Ferne, der Klang eines vor Langem verhallten Liedes. Was sie nun sagte, war die gestotterte Formel einer Entschuldigung, bei der ihre Gedanken ganz anderswo weilten. Die seinen auch. Seine Rolle als der sich ge waltsam aufdrängende Wohltäter, in der er vor ihr er scheinen mußte, kam ihm gemein vor. Am liebsten hätte er jetzt sein Anliegen in eine innige Bitte gekleidet. „Ihre Fürsorge für einen fremden jungen — ich be greife, daß Sie u nseren Dank erwarten — und daß eine Mutter nicht das Recht hat, den Heranwachsenden Sohn einer höheren Laufbahn zu entziehen, wie sie sich ihm hier bietet. Da hatte er wieder die Anknüpfung. „Ja, hier ist es Wohl Pflicht, überschwänglicheMutter- gesühle schweigen zu heißen", ermahnte er sie, in einem Tone, der von dem bisher angeschlagenen sehr verschie den war. Schmerzlich aufaimeud griff sie in die Falten ihres Brusttuches. Jetzt wogte sie näher, die Erinnerung, die aus seiner Erscheinung stieg, und ließ sie keine Worte mehr finden. i „Herr Moller tut doch, was Sie wollen. Es kommt ihm auch noch weniger als Ihnen zu, in Stephans Be stimmung einzugreifen." „Ja, wie denn nicht? Als Vater —" „Wenn der Vater zu entscheiden hat, dann ist schon entschieden." „Wie meinen Sie das, Herr von —" „Sein wirklicher Vater, mein' ich, den Stefan als solcher noch nicht kennt." Das zerriß den letzten Schleier. Wie von eineniDolch- stoß durch die Kehle getroffen zuckte sie auf und fuhr sich mit beiden Händen an den Hals. Jin nächsten Mo ment ergriff sie ein Schwindel. Halb stürzend wich sie zurück, bis sie an die Kommode anstieß^ Dort fanden ihre steiszurückgestreckten Arme eine Stütze, während ihr entgeistertes Antlitz im Krampf eines lähmenden Ent setzens an seiner Miene hing. Er war nicht viel weniger erschüttert als sie. Die Stuhllehne knirschte unter seinen Fäusten. Mehr als einmal setzte er zum Sprechen an und — blieb stumm. Sie richtete sich langsam auf und führte die Finger spitzen an die Wangen. „Scho—rsch!" kam cs fast wimmernd von ihren Lippen, während in ihren Augen immer noch der fürch terliche Schreck war. Der Mann vollendete seine Wandlung. „Ich bin es, fasse dich! Laß dir an der Tatsache ge nügen und erspare uns die Auseinandersetzung, wie das unmöglich Scheinende doch ganz natürlich zugegangeu ist. Man hat mich fälschlich für tot erklärt, und daran soll, wenn du willst, auch nicht mehr gerüttelt werden. Es lommt nur auf dich an." Jetzt erst begann die Starrheit von ihr zu wei chen. Mit unsicheren Schritten kam sie vorwärts und sank in einen Sessel. Sie zitterte am ganzen Leibe. Ihre Rede war ein Kampf mit sich selbst. „Ich kann es nicht fassen — cs ist ja nicht mög lich!" „So glaub' an ein Wunder und mmm's als ein Niedagewesenes! Ich will nur deine Bestätigung, daß Stefan mein Sohn ist". Tas traf sie von neuem, llnter dem überwältigenden Ansporn der Erkenntnis, daß hier ein Toter auferstan- dcn war, hatte sie den Faden zu den weiteren Zusam menhängen verloren. Tas brach erst jetzt in ihr auf, Ivie der Schmerz nach einer jäh empfangeilen Ver wundung. „Tu forderst ihn von mir?" „Kraft meines Vaicrrechts." „Von dem du erst seit zwei Tagen weißt." — Jetzt reimte sie sich ja im Nu zusammen, wie es zugegan- gen war: am Sonntag oor der Kirche — dann der plötz liche Reiseentschluß — hierauf der Knabe bei ihm im Schloß, und wie er ihn ausgefragt hatte, und plötz lich wieder zum Bleiben entschlossen war. — „Woll test Tu vorgestern nicht über Hals und Kopf davon?" „Als ich Dich gesehen. Ich wollte Dir — Dein Eheglück nicht rauben." „Ist dies Spott? Ich habe bis heute zufrieden ge lebt — in meiner zweiten Ehe-" „Tu hast die zweite Wahl mit besserem Bedacht gr troffen, willst Tu sagen." ,,Es war nicht meine Wahl. Es kam mir zuge schwommen: mein Geschick. Ich hätt's nicht wenden können." „Wie soll ich das verstehen? Hast Du Dir Deinen Bauern in der Lotterie gezogen? Sollte die reiche Eibin nicht einen glänzenderen Bewerber gefunden haben?" Wollte er sie mit geflissentlichem Hohn aufbringen? Oder — war es möglich? Aber freilich, wenn sie über legte: er konnte keineswegs wissen, was nach dem Tode des Herrn Vitus geschehen war. „Tu weißt nicht, daß ich bettelarm aus unserer Heimat ging?" „Was sagst Tu da? Tu — ?" „Im tiefsten Elend, bis zum Irrsinn verzweifelt, das Dasein abzutun entschlossen und — schon halb drüben. Seff hat mich zum Leben zurückgebracht, mich aufge lesen wie ein waidwund getroffenes Stück Wild unterem freien Nachthimmel, da mich der Tod schon umfangen hielt." „Aber das ist doch —" Er griff sich an den Kopf. „Ja, pm Himmels willen, was ist denn aus dem Ver mögen Deines Vaters geworden?" „Zusammengebrochen wie ein Haus aus Binsen. Seine Gläubiger — die Herren Sturtz — haben mir bewiesen, daß nichts, nichts übrig sei. Mein Vater war bankerott. Und das haben später die Gerichte auch als Erklärung dafür genommen, daß er sich —" „Daß er —? Was?" drängte er. , ,Nun, daß er selbst Hand an sich gelegt habe, wie's nachher auch die Tochter tun wollte." Er schlug sich die flache Hand an die emporgereckte Stirn. „Jetzt ist mir alles klar." „Kein Mensch hatte mehr einen anderen Verdacht". „Bis auf Dich und meinen biederen Freund Blank messer, wie?" — Er trat näher an sie heran. „Glaubst Du auch heute noch, daß ich Deinen Vater getötet habe?" Sie hob den Arm. „Laß das ruhen! Ich beschwöre Dich!" „Hedwig! Ta Du später eine ausreichende Erklä rung für seinen Selbstmord hattest — sage, besinn Dich doch! Ist Dir nie der Gedanke aufgedämmert, daß ich phnc Schuld sein könnte?" „Ohne Schuld?!" flüsterte sie, abermals bis ins Innerste erschüttert. „Ich schwöre es Dir — beim Haupte unseres Kin des." „Ja — daß ich es gestehe — zuweilen — da suchte ich mir zu beweisen, daß die behördliche Annahme recht haben könnte. Aber — Deine Flucht