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— 244 - „So? Nu — ich weiß nicht . . sic erblickte Plötzlich Gertrud, atmete ordentlich erleichtert auf und bot ihr herzlich die Hand. „O Fräulein Gertrud — das freut mich aber, daß Sie auch da sind!" „Sie kennen Fräulein Schenker?" fragte Senta erstaunt,, und ihr sogleich wieder erwachtes Miß trauen wurde nicht beruhigt, als die alte Dame warm antwortete: „Natürlich! Von der Minik her. Wenn ich Ernst mal besuche dort, dann gehe ich immer auch ein bißchen zu Fräulein Gertrud, und wir schwätzen- eins — nicht wahr?" Gertrud nickte lächelnd. „Ja. lind Frau Lauterbach hilft mir, meine Kranken unterhalten. Da liegen immer welche, die keinen Menschen haben, der sie besucht. Zu diesen setzt sie sich dann und macht, daß sic lachen und wieder Mut bekommen. Dafür heißen Sic auch nur der gute Engel", gnädige.Frau!" „Ach Göttchen — so ein altes Mütterchen! Ja,, wenn ich jünger wäre, dann konnte ich Wohl noch besser nützen, aber so . . ." sie seufzte. Senta, die in Frau Lauterbach eine Bundes genossin zu bekommen hoffte, lenkte das Gespräch in andere Bahnen. „Nun, künftig werden Sie Ihren. Sohn im Lin interessantes Beutestück. Es ist dies ein russisches Geschütz, das die Oesterreicher bei Lemberg erbeuteten und durch einen österreichischen Volltreffer vollständig zersprengt wurde. Die Wirkung ist sehr gnt erkennbar. gearbeitete Wirtin vom Lande, die nur einen Gedanken hat: gesund zu werden!" Sie schwieg. Senta blickte unruhig vor sich hin. Etwas wachsam Lauerndes lag in ihrer ganzen Haltung. Plötzlich sagte sie beinahe inquisitorisch: „Ihr versteht Euch wohl sehr gut, Ihr beiden überspannten Menschen? Ich meine: Lauterbach und Tu?" Gertrud, bereit Gedanken bei Frau Santnor weilten, antwortete harmlos: „Tas heißt, wir arbeiten zusammen. Zu Privatgesprächen gibt's da keine Zeit, wie ich Dir bereits gestern andeutete." „Aber nun werdet ihr ja im Sanatorium — immer zusammen arbeiten!" „Der Aufenthalt dort ist nur ein provisorischer — für mich wenigstens." „Möglich. Doch Lauterbach soll dort bleiben. Papa will es, und — ich will es!" Gertrud sah erschreckt auf, dann murmelte sie langsam: „Das würde allerdings ein schwerer Schlag sein für seine Patienten auf der Klinik! Aber ich glaube nicht, daß er einwilligen wird." Senta warf den Kopf zurück. „Du wirst ihm hoffentlich nicht abreden?" Jetzt blickte Gertrud doch er staunt auf. Es war etwas ini Ton Sentas, das sie befremdete. „Ich?" murmelte sie erstaunt. „Wie käme — ich dazu? Doktor- Lauterbach weiß ganz genau, was er will, und wird seinen Ueber- zeugungen von selbst treu bleiben. Uebrigens sagte ich schon, daß unser Verkehr sich darauf be schränkt" — „Ja, richtig! Natürlich! Es wäre auch Unsinn! Papa meint cs wirklich gut mit Lauterbach, er soll Karriere machen im Sana torium"— Sie unterbrach sich hastig, sprang auf und eilte auf eine kleine, alte Dame mit schnee weißem Lcheitel zu, die soeben wie suchend herumgeblickt hatte. „Tu entschuldigst, Gerty, Lauter bachs Mama!" . . . Es war Frau Lauterbach, die ängstlich nach ihrem Sohne aus- spähtc, weil, sie heimkehren wollte. Sie fühlte sich in ihrem durch die Jahre schon etwas stark rampo nierten „Schwarzscidenen" unsäg lich gedrückt. Außerdem kannte sie Westendorfs nur oberflächlich und begriff zum erstenmal im Leben ihren Ernst nicht, daß er sie gebeten hatte, heute endlich einmal der bereits wiederholt gesandten Einladung zu folgen. Senta kam, ihr beide Hände entgegenstreckend, sehr herzlich entgegen. „Ach, liebste gnädige Frau, wie reizend, daß ich Sie einmal ein Paar Minuten für mich haben darf! Es ist so nett, daß Sie endlich einmal kamen!" Frau Lauterbach sah das junge Mädchen ver wirrt an. Sie war sehr verlegen vor dieser ge wandten jungen Dame. „Ich weiß nicht — eigentlich Passe ich doch da gar nicht herein unter all die berühmten Leute!" Nun, ich Hosse, Sie werden hier noch recht heimisch werden. Als Mutter eiues Sohnes, der ja auch bald berühmt sein wird." Die alte Frau unterbrach sie verlegen kichernd: „I du meine Güte! Ter Ernst „berühmt"? Aber der will ja gar nicht berühmt werden . . . der ist so . . . nur schaffen will er! Akkurat wie sein Vater!" „Man arbeitet aber doch eben, um berühmt zu werden, liebe gnädige Frau!" Sanatorium besuchen müssen, gnädige Frau. Papa will ihn ganz dorthin nehmen und" — sie blinzelte schelmisch — „soll ich's verraten? Man hat große Tinge mit ihm vor!" Unter dem leuchtenden Blick der dunklen feurigen Augen wurde Frau Lauterbach sofort wieder verlegen. „So? Mit meinem Ernst? Und was soll cr denn im Sanatorium Römer?" „Papa will ihn zu seiuem Assistenten machen. Es ist noch Geheimnis, aber — Ihnen muß ich's doch sagen! Das bedeutet die Zukunft, das Glück! Dann geht's immer nur empor von Stufe zu Stufe! Dann wird er berühmt, dann steht sein Name in allen Zeitungen, dann — darf er nach allem greifen, was ihm begehrenswert dünkt!" Die alte Frau starrte betroffen in das junge, blasse, seine Gesicht, das Plötzlich einen strahlenden Ausdruck nug. Und er?" fragte sie dann. „Will er denn?" Noch nicht. Aber wir werden ihn schon dazu bringen. Sie Müssen mir helfen, gnädige Frau! Es — cs handelt sich doch um sein Glück!" Aber Frau Lauterbach starrte schweigend zu Boden. Senta fuhr ungeduldig fort: „Freuen Sie sich denn nicht auch? Haben Sie verstanden, uni was ew sich handelt?" Ta blickte Frau Lauterbach unsichrr auf. ,kJa. Aber ich weiß nicht. Sehen Sie, Fräulein, wir Lauterbachs sind doch Menschen aus der Tiefe: Mein Mann war ein schlichter Landarzt. Tas beüeutet: kein Ruhm, keine Schätze, nur Arbeit, immer Arbeit. Kleinarbeit sogar, wenn sie auch .groß und nächtig wird durch ihren segen- dingenden Erfolg. Und Ernst — nu, der ist ganz Ivie sein Vater: schlicht, redlich und be scheiden. Ich meine, der sragt nicht nach äußerem Ruhm..." „Aber. . ." „Und solche Menschen," fuhr die alte Frau un beirrt fort, „die in der Tiefe wurzeln, die finden sich auch allemal schlecht zurecht in der dünnen Höhenluft. Wie ich zum Beispiel .... heuw hier . . . ." „g'lch Sie, liebe gnädige Frau! Tas denken Sic nur so! Weil Sic's noch nicht gewohnt sind! Aber ich weiß, daß. cs etwas Herrliches ist um Ruhm, Glanz und Reichtüm! Ich werd's Ihrem Sohu schon begrcislich machen . . . ." sie lächelte verstohlen und setzte flüsternd hinzu: „Ich glaube, es gibt auch für — ihn Sterne, nach welchen er greifen möchte!" Diesmal starrte die alte Frau in wirklichem Schreck auf die schlanke und stolz aufgerichtete Mädchengcstalt. Dann irrte ihr Blick fragend, angstvoll und hilfesuchend zu Gertrud. Aber Gertrud stand da mit unbewegten Zügen und sah ernst zu Bodeu. Beide dachten dasselbe: Sie — Senta — ist der Stern! Und in ihren Händen ruhte vielleicht sein Schicksal. In diesen: Augenblick er scheinen Sandruch und Lauterbach im Türrahmen. Sentas Augen leuchteten trium phierend auf. Dann warf sic Sandruch einen gebieterischen Blick zu, den er, innerlich wütend, mit einer ironischen Verbeugung erwiderte, wobei er murmelte: „Ich weiß schon — der Mohr hat die bekannten Konsequenzen zu ziehen. . ." Höslich bot er Frau Lauter bach den Arm. „Meine Gnädige — darf ich Sie zur Frau Hof rätin führen? Sie fragt schon alle Welt nach Ihnen." Die alte Frau zögerte und warf einen un sicheren Blick auf ihren Sohn. Nur zwei Minuten, wenn sie jetzt allein mit ihm hätte sprechen können ... . ihm sagen . . . aber was denn? Sich einmengen in seine Angelegenheiten? Nein! Er Ivar kein Kind mehr . . . Und mit einer stillen Würde, die selbst einem Zpniker vom Schlage Sandruchs Achtung ab nötigte, legte sie ihre Hand auf seinen Arm, indem sie Gertrud anblickte. „Siebes Fräulein Gertrud - wollen Sic mit mir kommen? Es wäre so nett, wenn wir nachher auch hier .... eins schwätzen könnten!" Gertrud nickte hastig und folgte den beiden Voranschreitenden. Ihr Herz schlug dumps und schlver. Würde er stark bleiben und sich selbst getreu oder sich hinübcrlocken lassen nach der goldenen Straße, an deren Ende er doch immer den heiligen Tempel finden würde, dem seine Seele zuftrebte? Nein, noin, rief eine Stimme in ihr stürmisch, selbst wenn er sie liebte — Männer wie ei werden nicht schwach! Welchen Ersatz könnte auch dic heißeste Liebe für aufgegebenc Ideale bieten! (Fvrtsetzling solgiq