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Mir zuliebe. N»mau von Erich Ebenstein. (I.Fortsetzung! (Nachdruck dcrbotcu.) behaupte auch jetzt uicht gerade das Gegenteil," sagte Tiller leise. „Dieser überspannten Gertrud ist es vielleicht .MWWz weniger uiu den Mann zu tun als um die Sache, der er nach ihrer Meinung nicht ent zogen werden darf, indem er sich aufs Barriere- Machen" wirft. Obwohl man bei Weibern da nie sicher geht. Meist wollen.sie nur so lange „nicht" heiraten, bis einer Ernst macht." „Hofrat Westendorf Protegiert Fraulein Schenker wohl sehr?" warf Marberg nach einer Weile ein. „Ah — das haben Sie auch schon bemerkt? Na ja . . . ganz bedeutend! Er motiviert dies damit, das; sie.Sentas Freundin und die Tochter seines besten Jugendfreundes ist" — Marberg sah Doktor Tiller unruhig am „Er „motiviert" es? . . . Was wollen Sie .damit sagen?" Aber der junge Assistent wandte sich lachend ab. „Genug geschwätzt für jetzt, mein Lieber! Gehen wir lieber Mgl an die Futterkrippe und stärken wir pns ein wenig. Jeb sehe nicht eig, warum der Diener umsonst allerlei gute Lgehen dort drangen servieren soll." Gertrud war langsam und Planlos vorwärts geschritten in der Absicht, sich anderswo eig ver steektes Plätzchen zu suchen. Sie fohlte siel; grenzenlos überflüssig hier. Non all diesen Leuten kannte sie nor wenige, und fast niemand kannte sie. Frau Lpdia Westendvrf hatte ununterbrochen einen förmlichen Hofstaat uni sich, Tegla flog tote ein fröhlicher Schmetterling - imamt von dein unermüdlich dieustbeflisseueu Sandruch begleitet — bald hierhin, bald dorthin. Westendorf aber Ivar überhaupt noch nicht hier. Im Borübergehen hörte Gertrud allerlei ver wunderte Bemerkungen darüber. Er war doch sonst so pünktlich! Wo er nur blieb? Freilich der Bergs! Dieser anstrengende, fürchterliche Berns, in dem er ja bekanntlich ganz aufging!... Alle Welt bedauerte ihn. Gertrud lächelte rin wenig bei diesen Be merkungen. Aber —Ivas ging es sie an? Ihr Ivar er doch stets der freundliche Gönner und wohlwollende Beschützer gewesen, das durste sie nie vergessen, und darum wagte sie auch setzt nicht fortzugehen, ohne ihn wenigstens begrüsit zu haben, so sehnsüchtig sie auch danach verlangte, all dem lärmenden Treiben zu entfliehen. Plötzlich sah sich Gertrud Senta nnd Doktor Sandruch gegenüber. „Gottlob, das; ich Dich endlich finde!" rief Senta lebhaft. „Wir suchen Dich ja schon wie eine Stecknadel. Aber komm, wir wollen hier in dies kleine Nebenzimmer gehen, damit wir ungestört reden können." „Handelt es sich denn um so Wichtiges, liebe Senta?" fragte Gertrud lächelnd, den beiden folgend. Senta warf sich aufatmend in einen Fauteuil. „Jawohl! Doktor Sandruch teilte mir nämlich mit, Lauterbach, den Papa künftig ausschließlich ini Sanatorium verwenden will, hätte keine Lust dazu. Was sagst Du dazu? Hast Du eine Ahnung, warum er nicht will?" „Nein!" antwortete Gertrud kühl. „Woher sollte ich?" „Nicht wahr — es ist bodenlos unbesonnen von ihm?" Gertrud schwieg. Senta aber fuhr ärgerlich fort: „Wo es sich doch um seine ganze Zukunft handelt. Es ist ja ganz unbegreiflich!" Doktor Sandruch lächelte maliziös. „Nun, so ganz doch nicht, gnädiges Fräulein! Lauterbach sagte freilich: „Die reichen Leute brauchen mich nicht, denn für sie sind Aerzte genug da. Aber die Annen auf der Klinik brauchen mich." Indessen, unter uns gesagt — ich glaube, er fühlt sich eben unter diesen „reichen Leuten" etwas deplaziert. Seien wir doch offen: seiner' eckigen Natur fehlen die dort unerläßlichen Um gangsformen." Senta fuhr auf. Aus ihren schwarzen Augen schoß ein bitterböser Wich auf den Sprecher. „Doktor Sgndruch!" Sandruch lächelte als Antwort nur boshafter- „Nun ja — es ist doch wahr! So oft er hinzu- gczogen wird - nnd in'letzter Feit tüt cs ja der Herr Hofrat fast immer - zeigt es sich wieder: er macht ggr keinen Unternhied zwischen den Patienten, ^agte er nicht erst neulich der Gräfin B., ihre ganze Krankheit sei mit Einbildung. So etwas sagt man doch einer Gräfin nicht!" Fetzt lachte auch Septa. „Na ja — Umstände macht ex wenig. Das müssen wir ihm eben erst beibringen. Aber gerade darum soll er ins Sanatorium- Uebrigens gehen Sie,, Sandruch, rufen Sie mir Lauterbach einmal her!" Sandruch machte eine ärgerliche Bewegung, „Das heißt — ich bin entlassen?! Wenn Sje wüßten" . . . „Ach, schwatzen Sie keinen Unsinn! Morgen dürfet« Sie dafür ans den Eisplatz komme!«. Das Hecht - wenn Sie frei sind." „Ich mache müh jedenfalls frei. Lauterbach will ohnehin an« zehn klhr eine Patientin iw Lanatorium operieren, da mag er dann gleich auch in meiner Ableitung die Bande machen." Er verbeugte sich tief vor Senja, lehr ober flächlich vor Gertrnd und entfernte sich. * » * Lachend sah ihm Senta nach- „Gott — inie verliebt dex kleine Sandrnch ist! Zn komisch! Und ich nntze'seine Narrheit doch so deutlich ans- Aber so sind die Männert" Sie schwieg und seufzte Plötzlich. Nein— alle wa«W nicht „so", Leider! Wenn er der eine Einzige so gewesen wäre! Auch Gertrud schwieg. Ohne daß sie es wußte, hatten ihre tiefliegeden, veilchenblauen Angen alles Warme, Sonnige verlvren- Fegend etwas hatte sich während des eben stättgesnndenen Ge sprächs in ihr dunkel, fast feindselig gegen die Freundin ihrer Kindheit erhoben- Zie wollte also Lauterbach wtrslich ans den Weg ziehen, wohin ihre Mutter Westendorf gezogen! Lenta kam ihr plötzlich fremd por. Und Als ob Senta erraten hätte, Ivas in der Freundin verging, sagte sie mit einemmal in warmem, fast herzlichem Ton: „Na, Gertis, Ivas hast Du denn? Erst läßt Du Dich ein halbes Fahr überhaupt nicht bei uns blicken, und nun nur Dich fast mit Gewalt hergebracht haben, tust Du den Mund kaum auf!" Gertrud lächelte gezwungen. „Nimm's nicht übel, liebe Senta, aber ich fühle mich hier wirklich gar nicht am Platz. All diese Leute sind mir fremd, und der Unterschied zwischen ihnen und meiner Position ist so kraß" — „Armes Ding — ich begreift'!" unterbrach sic Senta mit flüchtigen! Mitleid. „Die Fammer- gestalten dort" — „So meinte ich cs nicht! Fch bin sehr glück lich — dort. Denn dort darf ich nützen, trösten, Leiden lindern. Da Wird man rasch vertraut mit seiner Umgebung. Hier komme ich mir fremd und überflüssig vor." „Hm — Geschmackssache! Mich widert der bloße Gedanke an Kranke an! Abgezehrte Menschen, Klagen, Fieberduust, antiseptische Mittel — brr!" Ein weicher Schimmer flog über Gertruds Gesicht. „Sie sind doch arm! So erbarmungswürdig arm, da ihnen das Köstlichste des Lebens fehlt: Kraft und Gesundheit!" Senta zupfte ungeduldig an den Spitzen ihres Kleides. „Gatt ja — aber muß man sich das denn gerade — ansehen? Fch begreife noch heute uicht, Ivie Dl« gerade auf die Idee kamst, diesen Beruf zu wählen, den scheußlichsten von allen!" „Sage das'nicht, Senta, denn Du weißt nichts von seinen tief beglückenden Freuden! Ich habe es an Mamd gesehen, die drei Jahre litt, ehe sie erlöst wurde, und ich sah es wieder an meiner -armen Emma, Ivas es heißt: Leidenden ihre Leiden zu lindern! Das Herrlichste ist es, das Höchste, denn es bedingt völlige Hingabe ohne den Schatten eines selbstischen Gedankens!" Während Gertrud sprach, tauchte blitzartig die Erinnerung an ganz ähnliche Worte in Senta auf, die sie aus anderem Munde vernommen hatte. „Wie er! Spricht sie nicht genau so wie er?" dachte Senta, und ihr Blick nahm einen seltsam mißtrauischen Ausdruck an. Sie hatte eigentlich über andere Dinge mit der Freundin sprechen Wollen, jetzt aber schien ihr nichts so dringend als ins klare darüber zu kommen, Ivie weit diese Übereinstimmende Begeisterung Zufall oder die Frucht - - - wärmerer Gefühle war. Am Ende - die beiden sahen einander doch täglich . . . konnte man Ernst Lauterbach täglich sehen, ohne sich iu ihn zu verlieben?" „Du hättest eigentlich Aerztin werden sollen, Gertp. Warum bist Tu es nicht geworden?" sagte sie nach einer Weile. „Weil mir die Mittel dazu fehlten. Du weißt, daß die Zipfen unseres winzigen Kapitälchens nie apsgerejcht hätten, zwei Personen zu erhalten, nnd daß ich für meine arme, hilflose Emma zu sorgen habe." „Nichtig, Deine Schwester! Wie geht es ihr? Ist keine Aussicht, ihre Lähmung zu heben?" „Del«« Pater sagt leider nein. Aber da ich seiger Ghte meine Austestung verdanke, kannte ich Emina wenigstens im Haus der Barmherzigkeit gut unterbringem Studieren freilich — dazu hätte es nicht gereicht! Aber siehst Du — man braucht ja nicht gerade Aerztin zu sein — gute Aerzte gibt ks genug man arbeitet ihnen in die Hände, indem mau sich ihren Intentionen gewissenhaft anpaßt, ausführt, was sie anordnen - ihre Sorge teilt bei jeden« schweren Fall und sich mit ihnen ihres Erfolges freut" — Senta unterbrach sic ungeduldig. „Nun erhitze Dich nur nicht.so! Tu glühst ja pgr Begeisterung! Wahrscheinlich denkst Du an de!^„schpnen Fall", den ihr eben jetzt wieder zu sammen habt, Du und Lauterbach ... er wist ja, glaube ich, Deine Frau Lautner, oder wie sie heißt, operieren?" „Fa. Der Fast ist an sich nichts Besonderes. Ein gutartiges Neugebilde . . . Aber das inter essiert Dich wohl nicht?" „Ausnahmsweise — doch! Lauterbach hat also die Sache übernommen, nicht wahr?" „Ja. Er ist der beste, warmherzigste Arzt, den wir aus der Klinik haben. Alle Patienten schwärmen für ihn und wollen nur von ihm be handelt werden. Darum hat er es auch Frau Santner versprochen, die eine besonders aufgeregte, durch langes Leiden schon recht geschwächte Kranke ist nnd sich rasend vor der Operation fürchtet. Anfangs lag sie auf der Klinik, aber seit heute ist sie im Sanatorium, und ihr zuliebe willigte Lauterbach ein, ausnahmsweise dort zu operieren." „So? Ihr zuliebe! Du, sag' mal, Gertp - - dann ist sie wohl jung und hübsch, nicht wahr?" Gertrud sah erstaunt auf, daun lächelte sie nachsichtig. „Aber, Senta! Du denkst doch nicht, das; das eine Nolle spielen könnte zwischen Arzt und Palieuiin?!" „Na? — Warum denn nicht übrigens?" „Weil es die Priesterliche Heiligkeit seines Berufes verwischen würde! Tenn, siehst Du, der wahre Arzt muß sein Ivie ein Priester. Lauter bach ist ein solcher, gottlob! Was Frau Santner aubetrifft, so ist sie eine Frau von dreiundvierzig Jahren, Mutter dreier Kinder, eins arme, ab-