Volltext Seite (XML)
Daß er ein Narr wäre! Adalberts leises, zag haftes Anbohren stieß auf zähen, zielbewußten Widerstand. Auch in dieser Beziehung zeigte Mila daß sie von ihres Vaters Art war; sie verstand ihn vollkommen und begriff Adalbert nicht. Dafür war er doch eben Aristokrat vpn Geburt und Er ziehung, um der Arbeit entbehren zu können. Vornehme Leute arbeiten nicht — das war einer von Milas Glaubenssätzen. Mila selbst arbeitete auch nicht. Obgleich immer drei, vier Handarbeiten bei ihr im Gange waren, rückte doch keine ihrer Vollendung wirklich entgegen. Hier ein paar Stiche, da ein paar Stiche, in einem modernen Roman ein halbes Kapitel lesen, ein paar Takte auf dem Klavier mit leidlicher Fingerfertigkeit und geringem musikalischem Ver ständnis klimpern, Zärtlichkeiten mit Adalbert austauschen, je nach Lust und Laune, mehr oder minder wild, damit füllte sie den Tag aus. Es gab Momente, in denen es ihr dämmerte, daß die Vornehmheit an sich freilich etwas sehr Erstrebenswertes sei, daß sie aber keineswegs immer bequem und amüsant sei. Sie hatte sich das alles so ganz anders vorgestellt. Die Freude an dem hübschen, klangvollen Nacken, der nun ihr eigener war, reichte nicht hin, ihr Leben auszufüllen; sie wollte den Namen nicht nur, sie wollte auch Vorteile dadurch haben, aber damit hatte es gute Wege. Mila wünschte einen großen Verkehrskreis, denn ihre hübsche Woh nungseinrichtung machte ihr erst dann' die rechte Freude, wenn sie an anderen Bewunderung, wo möglich Neid erregte. Sich ben'eidet zu wissen, war sür Mila das höchste der Gefühle. Aber es war nicht leicht, in einen Verkehr hineinzukommen, wie ihn Mila erträumte, und der ketzerische Gedanke begann in ihr aufzusteigen, daß sie die Höhe, auf der die Veltlingens stünden, traurig überschätzt habe, und daß es heutzutage für einen Mann nicht genüge, ein Bqron Mtlingen zu sein und einen reichen Schwiegervater zu haben, um in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen. Das erste Halbjahr ihrer Ehe Ivar noch nicht herum, als das bißchen beiderseitige Verliebtsein schon bedenklich abzuflauen begann, und da nichts Besseres, Edleres an dessen Stelle treten wollte, so erschien die Dauer ihres sogenannten Glücks nicht gerade für die Ewigkeit begründet- Lie hatte den Kursus auf der Handelsschule beendet, hatte Las sich daranschließende Examen mit Auszeichnung bestanden und sofort eine Stellung in dein Bureau eines Rechtsanwalts be kommen. Für eine tägliche Arbeitszeit von min destens neun Stunden erhielt sie das schwindelnd hohe Gehalt von 50 Mark pro Monat. „Als Slnfangsgehalt sehr nett", sagte der Vor steher der Handelsschule, dein sie diese Stellung zu verdanken hatte. War sie auch eine seiner besten Schülerinnen gewesen, so sehlte ihr doch eben noch die Uebung. Es hätte dieser gewissermaßen entschuldigenden Worte Lie gegenüber nicht bedurft. Ihr dünkte das Gebotene schon ein märchenhaftes Glück, und die fünfzig monatlichen „Einehen" verdichteten sich vor ihren Augen zu einer Riesensumme, mir der sich ganz unglaubliche Dinge leisten ließen, lind dabei bestand die Aussicht, daß diese schwindelnd hohe Summe bei befriedigenden Leistungen Lies noch erhöht wurde! Wohl noch selten in ihrem jungen Leben war Lie so von innen heraus froh und zufrieden ge wesen als in der ersten Zeit ihrer Tätigkeit in dem Bureau des Justizrats und Notars Frerichs, lind doch war das ein abscheulicher Raum, lang und schmal, ohne Sonne und das bißchen Licht so knapp bemessen, daß man während der Winterszeit auch in den meisten Tagesstunden Gas brennen mußte. Die Bureaus der Anwälte Pflegen zumeist im Zentrum der Stadt zu liegen, zur Bequemlichkeit des vorsprechenden' Publikums, und so lag denn auch das Bureau des Justizrats am Ring der alten Haupt- und Handelsstadt, dort, wo sich das regste Verkehrsleben abspinnt. Beständig slmete ein Menschenstrom an dem alten, spitzgiebeligen Hause vorüber, uud das Brausen und scharfe klingeln der elektrischen Straßenbahnen durchschnitt die Luft, untermischt mit Räderrollen und dem undefinierbaren Geräusch, das den belebten Plätzen und Straßen der Großstadt eigen ist. All das bewegte Leben und Treiben schickte seine Grüße bis hinauf in das erste Stockwerk; aber nur die Ohren hatten teil daran, den Augen bot sich nichts, denn die Fenster gingen nach dem Hofraum hinaus, der eng und schwarz war und dessen Pflastersteine auch dann noch Feuchtigkeit aufbrachten, wenn schon seit langen Wochen kein Tropfen Regen gefallen Ivar. Es waren wirklich keine Prunkgemächer, die drei hintereinanderliegenden Räume, in denen Justizrat Frerichs eilt märchenhaftes Vermögen erworben hatte, wie Frau Fama behauptete, aber Lie hatte die gewisse rosafarbene Brille auf der kleinen Nase, durch die bevorzugte Menschenkinder ihre Umgebung betrachten dürfen, und war so geneigt, auch an dieser häßlichen, nüchtern-kahlen Umgebung Reize zu entdecken, die jedem anderen Auge verschleiert blieben. Sie war von einem Eifer beseelt, der hätte rühren können, vorausgesetzt, daß sich jemand die Mühe gegeben hätte, darauf zu achten. Aber wer sollte wohl besonderes Augenmerk richten auf das kleine, unscheinbare Mädchen, das geräuschlos wie ein Mäuschen kam und davonhuschte, das das feine braunhqqrjge Köpfchen tief über das glatte, weiße Papier neigte, auf das sie mit dem Stift die ver schnörkelten krausen stenographischen Zeichen hurtig hinmalte, oder aber über die Schreib maschine, auf deren Tasten die kindlich kleinen Hände so emsig klapperten. . . . Der Justizrat war ein alter Herr, der sich mit den Jahren allerlei Sonderbarkeiten zugelegt halte. Er war nicht gerade übelwollend gegen die Menschen, aber er hegte im allgemeinen keine besonders hohe Meinung von ihnen. Vielleicht hatte das der Beruf mit seinen mannigfachen Er fahrungen so mit sich gebracht. Seine Unter gebenen bedeuteten ihm nicht viel mehr wie Ma schinen, die bei richtiger Behandlung auch richtig zu funktionieren haben. Der Bureauvorsteher, Hegemann mit Namen, war noch nicht alt, er mochte kaum die Mitte der Vierzig erreicht haben, war aber durch Kränklichkeit — teils wirkliche, teils eingebildete — vor der Zeit alt und mürbe geworden. Er war ungemein ängstlich, studierte seinH Körper mit peinlicher Genauigkeit und witmte in der geringsten Kleinigkeit beängstigende Shmptome. Er hatte einen schwachen Magen, mußte bei manchen Speisen, und Getränten vorsichtig sein, und obgleich er das nie anders gekannt hatte, selbst in seinen Kinderjahren nicht, Ivar er doch fest davon überzeugt, daß es ihm bestimmt sei, in nicht zu ferner Zeit elend am Magenkrebs zugrunde zu gehen. Wie erheiternd solche Ueberzeugung auf seine Gemütsstimmung einwirkte, kann sich jeder vorstellen. Mir den jungen Damen, die Justizrat Frerichs in Len letzten Jahren, der Zeitströmung Rechnung tragend, beschäftigte, konnte sich "Hegemann durch aus nicht befreunden. Seiner Meinung nach, die bedauerlicherweise hier nicht maßgebend Ivar, taugte Frauenarbeit nur für den engen Kreis von Haus und Familie. Daß-sie sogar dort, auf diesem engbegrenzfen Felde, noch sehr viel zu wünschen übrig ließ, erfuhr er in seiner eigenen Häuslichkeit, sehr zu seinem Nachteil. Seine Frau war sehr jung, sehr hübsch und sehr arbeitsunlustig gewesen, damals vor zwanzig Jahren, als er sie, bis über beide Ohren in das hübsche Ding vergasst, zum Altar geführt hatte. Die zwanzig Jahre hatten ihr Werk getan — Frau Hegemanns Jugend gehörte der Vergangenheit an und mit ihr alles, was an ihr bestrickend gewesen war. Aus der Arbeftsunlust Ivar ausgesprochene Faulheit geworden, die HanL in Hand mit einer fast erschreckenden Leibesfülle ging. Hegemanns Häuslichkeit war kein Paradies, und er war auf richtig froh, daß der Herrgott ihm die Prüfung er spart hatte, seinen Ehebund auch noch mit Nach kommenschaft zu segnen. Seitdem er sich bei der Wahl seiner Lebens- gesährlin also vergriffen Halle, war Hegemann zum Verächter des ganzen weiblichen Geschlechts Herangereifr, rind es empörte ihn im tiefsten Herzen, daß diese minderwertigen Geschöpfe, auf die nichts so gut Paßte wie das weise Wort von den langen Haaren und dem kurzen Verstand, sich's anmaßten, im Kampf ums Dasein in die Reihen der Männer treten zu können, Arbeiten zu über nehmen, die nur von den Herren der Schöpfung in höchster Vollendung geleistet werden konnten. Ins Bureau, wo ernsthafte Männer mit noch ernsthafterer ^Gedankenarbeit sapen, gehörten Weiber nicht. Für die waren der Kochtopf und die Nadel gerade gut genug. Das stand in Emil Hegemanns Seele unverrückbar fest, und es war ihm wie eine Persönliche Kränkung, daß sein Brot herr auf diese seine Besonderheit keine Rücksicht nahm und es immer wieder mit Weibern versuchte. Mit,diesen Geschöpfen, die auf widerwärtige Weise mit den Röcken raschelten, natürlich nur, um die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu lenke», stets zur Unzeit lachten und schwatzten und mir herausfordernden Blicken nicht kargten, sollte er arbeiten? Hegemann Ivar sicher nicht zum kleinsten Teil die Schuld daran zuzuschreiben, daß die jungen Damen in Justizrat Frerichs Bureau absolut keine bleibende Stätte fanden. Es Ivar ein einiger Wechsel, ein fortwährendes kommen uud Gehen. Keine hielt es länger als höchstens ein paar Monate aus und nahm jede Gelegenheit wahr, um den düsteren Räumen zu entschlüpfen, in denen so etwas wie Gefängnisluft wehre. tzln der stelle, da Lies braunhaariges Köpfchen sich in Arbeitseifer senkte, Ivar schon mancher belle oder dunkle, wehr oder minder hübsche Mädchen kopf zu sehen gewesen, und jeder hatte in- Hege manns ein wenig eingesunkener Brust gallige csesühle ausgelöst, .und Rosen Hatta, er keiner von ihnen auf den Weg gestreur, soweit das in seiner Macht stand. Und an Macht fehlte es ihm nicht, War er doch gewissermaßen der hochmögende Vorgesetzte. Vlnch als Lie ihm vorgestellt wurde, wobei Jnstizrot Frerichs noch ein übriges lat und die kleine. Novize seinem Wohlwollen besonders empfahl, blieb Hegemann derselbe, der er immer war- das heißt, barsch, unwirsch, geradezu beivußr ungezogen, als sei es ihm unmöglich, einer vom Weibsvolk gegenüber sich auch nur zu einer Spur von Freundlichkeit zu verstehen. Kaum daß er ihre Verbeugung durch ein kurzes Kopfnicken er widerte, wobei er sich nicht einmal die Mühe nahm, ihr einen vollen Blick zu gönnen. War ja ganz einerlei, was sür eine Larve solch Kn nichtiges Wesen hatte! In der Jugend sehen sie- alle passabel aus, das hat der Satan, der sehr ost an Stelle des Herrgotts die Welt regiert, schon so» eingerichtet, um den Männern die Sinne zu betören. In späteren Jahren wurden sie fett und faul, oder mager, geizig und herrschsüchtig- Vielleicht gab es auch noch eine dritte Spezies da ließen Herrn Hegemann seine nicht sehr reichen Erfahrungen kläglich im Stich; aber das wußte er mit unumstößlicher Gewißheit: daß sie nämlich ausnahmslos alle häßlich wurden. Lie erschrak vor dem finsteren Augenpaar, das o nichlsachtenlp über ihr ganzes Persönchen hin- flitt; ihr ohnehin ängstlich schlagendes Herz tat noch raschere Arbeit, über die schmalen Wangen huschte eine fliegende Röte, und das nüchterne Lächeln, das sich um ihre Lippen gewagt Witte, flog Ivie eilt scheuer Vogel davon, um sich nich^so bald wieder hervorzmrauen . . . lJmNsetunig salgw