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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 26.09.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-09-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188409264
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840926
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840926
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-09
- Tag 1884-09-26
-
Monat
1884-09
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 26.09.1884
- Autor
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-—- - Unterhaltungs-Blatt zum „Ehemnitzer Anzeiger". aetr illd reichen Vogel von seiner Seit« zu kaffen, damit er nicht etwa einem andern Kollegen in die Arme lief. Außerdem bestand der Fremde darauf, nicht eine» Augenblick sich gedulden zu wollen. „Mr. Wigger-, Wollen Sie auf mich hier unten warten ?" fragte er endlich einschmeichelnd. »Ich sagte bereits, daß ich diese Summe nicht zu Hause liegen habe und da» Geld also selbst erst borgen muß, was die Prozente natür lich etwa» erhöht." .Wer wohnt hier?" fragte Mr. Wigger«, ohne von seinen Mißen aufzusehen. .Nu alter Sonderling, ein Original." Herr Schleicher würde jedem Anderen gegenüber vorsichtiger ewesen sein in der Angabe seiner Quelle, aber bei dem stockfremden, akuten und unerfahren Amerikaner bedurfte eS weniger Umstände. Mr. Wigger» blickte auf seine Lackstiefelu nieder Er erwog bei sich, daß e» am gescheidtesten wäre, die Bekanntschaft de» reichen Sonderling» selbst zu machen, für künftige Fülle. Denn daß Schleicher die betrffende Summe dem alten Manne gratis abborgen wollte, um sie für Wucherzinsen weiter zu leihen, war klar. .Bösartig?" fragte er lakonisch. Al» Schleicher die» verneinte, war er feiner Sache sicher, nickte gravitätisch mit dem Kopfe und folgte dem Voranschreitenden in den Hausflur. Nne schmale Treppe führte zur oberen Etage. .Hier zieht e» stark," sagte Mr. Wigger», finster um sich blickend, .obwohl kein Lufthauch spürbar ward. .Ein übler Geruch. Ich werde mit hinauf gehen." Nicht» konnte dem Wucherrer unbequemer sein. .Aber ich bitte Sie, hochverehrter Mr. Wigger», wo sollte Zugluft Herkommen, da Alle» geschloffen ist. Nn solides, schön gebaute» Hau»." .E» zieht!" sagte der Amerikaner phlegmatisch, indem er sich anschickte, dre Treppe hinauf zu steigen. .Verrückter Mensch!" grollte Herr Schleicher bei sich. .Mit dem ärgsten Spleen behaftet. Nun so mag er im Entree warten!" Laut sagte er devot: .Daun bitte ich allerding», Ihre kostbare Ge sundheit nicht auSznsetzen, verehrter Mr. Wigger»; vielleicht gefällt e» Ihnen droben zu warten." «Voll, Sir!" Al» auf Schleicher» sanfte» Läuten die Thür geöffnet ward, bat derselbe seinen vornehmen Begleiter, einige Minuten zu verziehen, rückte einen Stuhl herbei nnd verschwand schleunigst in der gegen überliegenden Thür. Alois Geppert, ein gebrechlich auSschauende», weißhaarige» Männchen, dessen spinneudürre Finger eine Feder mit großer Ge wandtheit auf dem Papier hin und wieder gleiten ließen, kehrte feinem Besucher den Rücken zu, als derselbe geschmeidig eintrat. .Guten Tag, Herr Geppert!" Der kleine Manu drehte sich außerordentlich schnell um, daß ihm da» schwarze Hauskäppchen beinahe vom Scheitel geflogen wäre »Pst! Ich schreibe einen neuen Aufsatz an das Ministerium. Dies mal wird man mich wohl endlich begreifen." .Gewiß! Ich komme mit einer Bitte, Herr Geppert", sagte Schleicher nähertretend. »Oh, meine Eierschaalen! Ich bitte, zertreten sie keine derselben, pe find schon halb und halb präparirt!" rief der kleine Herr ängstlich. „WaS wollen Sie?" „Nn guter Freund, ein sehr guter, lieber Freund von mir ist in Noth, er braucht fünfzehntausend Mark. Ich kann sie ihm nicht gebe», denn ich bin ein armer Mann. Aber Sie, Herr Geppert, haben Geld liege». Borgen Sie e» dem Braven. Ich stelle Ihnen einen Schuldschein darüber aus und hafte mit meiner Person für die Pünkliche Rückgabe!" .Ja, eS ist bitter, Enttäuschungen zu erfahren", seufzte der zu früh Greis Gewordene. .Ich weiß e»! Daß die Menschen aber ihr Glück nicht kennen lernen wollen, ist ihre eigene Schuld. Ich meine «S ja so gut mit dem Wohl Aller. Es könnten Tausende erspart Werde», die jetzt ruchlos zerbrochen und fortgeworfen werden. Mein heutiger Aufsatz —" Herr Schleicher hatte die weggeworfene Feder ergriffen und schnell den Schuldschein auSgefertigt. „Hier! Sie «einen e» wirklich gut mit den Menschen, Herr Geppert. Haben Sie nicht soeben einem edlen Manne die größte Wohlthat erwiesen, ihn vom Unglück errettet?" Er steckte die Kassenscheine begierig ein. .Vertrauen Sie mir Ihr Promemoria später au, ich werde e» wieder sicher indes Ministers Hände befördern." .Tanke! Aber wird man meiner Mahnung endlich Gehör geben?" seufzte Herr Geppert tief, einen Blick auf seine Lieblinge, die un zähligen Eierschaalen, werfend, welche den Boden des Zimmers be deckten. .Diese si«d eben erst aus meinem Laboratorium gekommen. Ueberzeugen Sie sich einmal von der Konsistenz der Schaalen." Er hob eins der Präparate auf; bevor jedoch Herr Schleicher noch seiner heuchlerischen Bewunderung Ausdruck geben konnte, öffnete sich langsam aber völlig die Thür und Mr. Wiggers graugekleidete Gestalt, den grauen Hut auf dem Kopfe, erschien wie ein Bild der Langweile im Rahmen. .Ich komme!" rief der Wucherer, die Schale ärgerlich fallen lassend, daß sie zersprang trotz der chemischen Experimente. .Oh weh!" seufzte Herr Geppert, sich niederbeugend. Dann betrachtete er die Scherben angelegentlich und blickte halb verwundert, halb traurig zu Mr. Wiggers auf. „Sie hat doch nicht gehalten, waS ich mir davon versprach!" „Adieu, Herr Geppert, Kommen Sie, Mr. Wiggers!" drängte Schleicher, schon an der Schwelle stehend. Aber Mr. Wigger» sah ihn nicht einmal an. Er schien plötz lich eiu rege» Interesse für das Studienobjekt de» Sonderlings zu empfinden, schritt langsam näher, setzte die Spitze seine» Stückchens auf eine der Schaalen und fragte in ernste« Tone: .Was sind das für Dinger?" .Neueste!" rief Herr Schleicher. .Bitte Mr. Wiggers." Mit der einen Frage hatte er Herrn Gepperts Sympathie vollständig ge wonnen. Der kleine, behende Mann richtete sich auf und präsentirte Mr. Wiggers ein noch intaktes hohle» Ei. .Hier! Die Füllung ist entfernt, ich nähre mich damit." „Well, Sir! Außerordentlich interessant", sagte Mr, Wigger», die Hülle von allen Seiten betrachtend, dann sah er sich zur Ver zweiflung de» lügenhaften Wucherer» genau im Zimmer um. Vlll. Auf der Straße angelangt, ließ er e» sich sehr angelegen sein, die Bersäumniß «inzuholen. Bald war die Hundsgasse erreicht. Mr. WiggerS trat in den nicht weniger als einladend aussehen den Hausflur ver Frau Fuchs. Der Erste, welcher ihm hier entgegen trat, war Phil pp. Dieser erkannte sofort den Herrn als Kora's Be gleiter wieder, während der Amerikaner die Physiognomie de» häß lichen Burschen erst aufmerksam studiren mußte, um in ihm den Bettler am Kreuzwege zu rckognoSziren. Diese zufällige Begegnung gab dem allzeit auf der Hut Liegen- den zu denken. .Wohnt hier Mr. Schleicher?" fragte er in gebrochenem Deutsch. „In diesem elenden, dumpfigen Hause? Hätte ich das zuvor gewußt, würde ich nicht hierher gegangen sein. Oben? Tüunlc ?ou! Wie heißt Du? Fuchs? Häßlicher Name." Zunge, aber der hochmüthige Emst in den Zügen de» Fremden ließ ihu verstummen. .Fuch»? Warst Du e» nicht, den Miß Renard vorhin beschenkte ?" forschte Mr. WiggerS näher tretend und die ganze Erscheinung de» Burschen so genau und von allen Seiten in Augenschein nehmend, als müsse er einen Steckbrief aufnehmen. .Beschenkte?" lachte Philipp, wobei sein langer, bloßer Hal» sich beängstigend weit nach rückwärts legte. .Den Teufel hat sie mir wa» geschenkt." „Du lügst." sagte Mr. WiggerS strenge, .die Hand der Miß Renard ist allzeit offen, und Du sprachst sie um eine Gabe an!" .Nein, das that ich nicht!" PhipS zog eS vor, seine boshafte Absicht zu verschweigen. .So? WaS sagte sie Dir denn? Ich bin ein guter Freund von Miß Kora. Hier ist ein Goldstück. Was sagte sie Dir?" Der lang aufgeschossene Bursche betrachtete die Gabe liebevoll, kratzte sich mit Konsequenz den Kopf und schielte den Fremden zuletzt pfiffig an. Es war ihm nämlich der Nnfall gekommen, fall» feixe Drohungen bei der Lumpenprinzessin ohne Erfolg bleiben sollten, dem vornehmen, reichen Engländer zuerst die Neuigkeit ihrer niederen Ge burt zu verkaufen. „Nun, was besinnst Du Dich ?" inquirirte der Fremde eindringlich weiter. „Mich iuteresfirt Alle», wa» Miß Kora angeht, auch da» Geringste; denn ich liebe sie sehr." „In drei Tagen sollen Sie es wissen — vielleicht noch viel mehr," raunte PhipS ihm zu, da in demselben Augenblicke Frau Fuch» au» der Stube trat. Mr. Wiggers deutete mit der Spitze seines Stückchens intensiv nach ihrer Haube. „Ist das die Füchsin? Häßliches, altes Mensch," brummte er dann vor sich hin, nickte kaum wahrnehmbar und stieg die Treppe hinauf. August Schleicher empfing ihn mit ungezählten Bücklingen an der Thür. „Es ist alles bereit, sehr verehrter Mr. WiggerS. Auf wie lange darf ich den Schuldschein ausstellen?" „Auf" — Der Amerikaner zog sein Taschentuch hervor und mit diesem zugleich etliche Goldstücke, die er nach entsprechender Handbe wegung von dem diensteifrigen Schleicher aufsammeln ließ und gleich gültig einsteckte. „Herrgott, wie geht dieser Mensch mit seinem Gelbe um," dachte dieser. „Recht und Pflicht ist'», ihm einen Theil davon ab zunehmen." „Ich bin ein Mensch der Sicherheit und liebe es nicht, viel an solche Dinge zu denken. Auf drei Monate." „Ich erlaube mir also, die Zinsen gleich von der Summe ab zuziehen." Mr. WiggerS stieß ärgerlich mit seinem Stocke auf den Boden. „Sagte ich nicht, Mr.Schleicher, daß ich netto fünfzehntausend Mark haben will, fünfzehntausend, netto." „Dann stelle ich also den Wechsel etwas höher auS, sehr ver- eherter Mr. Wiggers." „Ues I Erhalte ich morgen meinen Brief, so zahle ich vielleicht schon morgen die Summe zurück. Verstanden? Und Sie nehmen sie an." „Spleen! Spleen ohne Gleichen!" lächelte der würdige Mann sich selber zu. „Bezahlt die Zinsen für drei Monate und giebt'S mir morgen wieder l — Gewiß, ganz nach Ihrem Wunsche. Habe die Ehre, mich Ihnen für alle kommenden Dienste ganz außerordentlich angelegentlichst zu empfehlen." „Wenn ich Sie brauche, Mr. Schleicher, müssen Sie mich aussuchen in meiner Wohnung, komme nicht wieder in das alte, schmutzige Loch der Füchsin. Meine Adresse —" (Fortsetzung folgt.) Liebe und Kabale. Ein Naturbild au» Deutschlands Neuzeit v. A. Oskar Klaußmann. (Nachdruck verboten ) Der Sommer 1884 hat zu den fruchtbarsten gezählt, die wir seit langen Jahren gehabt haben und unter den glühenden und doch belebenden Strahlen der Sonne ist in Wald, Feld und Flur Alles gewachsen und gereift, Alles war herrlich anzusehen nnd zu genießen, aber mit dem Guten ist auch das Böse gediehen, scheint doch die Sonne über Gerechtem und Ungerechtem. So ist dieser Sommer nicht nur fruchtbringend und nützlich gewesen für das Schöne, sondern auch für allerlei Gewürm und Ungeziefer, ja noch mehr die Leiden schäften haben sich durch ihn gemehrt, sie sind heftiger, glühender geworden. Sie folgten dabei nur einem alten Naturgesetz, die Hitze da draußen erzeugt auch die Hitze im Blute des lebenden Wesens, entfesselt die fürchterlichen Leidenschaften, die verborgen in ihm schlafen, und am Aequator sind die Leidenschaften bekanntlich glühender, größer, mächtiger, gewaltiger, als in der EiSregion der Pole. Es war im Frühjahr dieses Jahres. Der Marquis de Litzvre begegnete ihr auf einem seiner einsamen Spaziergänge. „Sie" ging mit niedergeschlagenen Augen und dem trippelnd-eilfertigen Gang jener lieblichen Geschöpfe, über denen der Duft und Schimmer von Jugend und Unschuld schweben. Der Marquis de LiLvre war frappirt von dieser eigenartigen, einfachen Schönheit. Wie herrlich stach diese Natürlichkeit, diese Unschuld gegen die weiblichen Wesen seiner französischen Heimath ab. Er folgte der Jungfrau vorsichtig, damit sie ihu nicht bemerke und dadurch scheu würde, und nach wenigen Stunden kannte er alle Verhältnisse des „Opfers". Ja Opfers, denn der Herr Marquis hatte beschlossen, die arme Kleine durch seine Gunst auszuzeichnen, sie zum Spielzeug zu nehmen, sie mit seiner Neigung zu beglücken, mau äieu, was gilt ein Herz, wo es sich um ein Vergnügen handelt. Die „Kleine" war die Tochter einer Wittwe, die in stiller Zu rückgezogenheit lebte. Frau Lampe, geborene Habs, war eine jener Frauen, die vom Unglück viel zu leiden haben. Frühzeitig an da» Schicksal eines ungetreuen, flatterhaften Gatten gekettet, welcher sich den Teufel um seine zahlreiche Nachkommenschaft kümmerte, hatte sie ihre Kinder durch Unglücksfälle und Krankheit bis auf das Eine ver loren, hatte den Gatten selbst eines gewaltsamen Todes sterben sehen und war von all' dem Unbill und Unglück ganz stumpfsinnig ge worden. Sie merkte es kaum, wie herrlich sich neben ihr die einzige Tochter entwickelte, sie dachte nicht mehr an die Zukunft, nicht einmal an die Gegenwart, sondern lebte nur noch in der Vergangenheit Die Verhältnisse lagen also für den Marquis so günstig als nur möglich; dennoch war eine Annäherung, wenn dieselbe von Er f folg sein sollte, nicht so leicht. Der Marquis de Lievre zerbrach sich seit einigen Tagen den Kopf, wie er die .Liaison" einfädeln sollte, al» ihm der Teufel, in seiner Weisheit, den Spießgesellen zuführte, den der alte Wüstling gerade gebrauchen konnte. Jean Lapin stammte aus der Seitenlinie der Familie des Marquis, war aber ein gänzlich aus der Art geschlagenes, zum Pöbel herabgesunkenes Individuum, Einer Mesalliance verdankte er eine ungeheuerlich starke Nachkommen schaft, die ihn im Verein mit seinen Lastem vollkommen herunter gebracht hatte. Er wohnte draußen im Proletarierviertel, in jenem Konglomerat von Erdhütten, zwischen denen den ganzen Tag das Gesindel von Nachwuchs sich herumbalgte, um quiekend in die Erd qui» hatte den heruntergekommenen Vetter bisher nicht beachtet, jetzt beschloß er ihn als Werkzeug zu benutzen Er erwiederte erst einige Male seine bisher ignorirten Grüße, dann ließ er sich mit ihm in ein Gespräch ein und machte ihm schließlich kleine Geschenke, für .die arme Familie", wie er sagte. Der Marqui» hatte zwar früher geschworen, der elende Lump, der Lapin, solle nie im ganzen Leben auch nur die geringste Kleinigkeit von ihm erhallen, aber was vergißt man nicht, wenn man Jemanden braucht. Außerdem war die Familie de» Marquis berühmt wegen ihres kurzen Gedächtnisses, so daß in Frankreich ein „schlechtes Ge- dächtniß" noch heute , wümoirs cie litzvrs" heißt. Jean Lapin wußte sehr bald, um was eS sich handelte und seiner schurkischen Seele war der Auftrag, den er übernommen, ein hochwillkommener. Außerordentlich leicht wurde eS ihm, sich in da» Vertrauen der alten stumpfsinnigen Mutter zu schmeicheln, die ganz stolz darauf wurde, daß ihr Töchterchen Gnade vor den Augen de» Marquis gefunden. Vielleicht sollte sie an ihrem letzten Kinde noch die größte Freude erleben. Anders stand die Sache bei der Tochter. Das unschuldige Ge schöpf ahnte ja gar nicht, um was e» sich handelte, aber der Instinkt der Keuschheit und Jugend sagte ihr, daß ihr Gefahr drohe. Der Marquis hatte seinen Besuch gemacht und sich sehr zurückhaltend und vorsichtig betragen, die Mutter und Jean Lapin wußten nicht genug Rühm:«» von dem alten, noblen Herrn zu machen, aber das Töchterchen blieb kühl und zurückhaltend. Sollte sich vielleicht längst eine andere Liebe in das jungfräuliche Herz geschlichen haben? . . . Errathen! Da war Kohlhaa», ein Verwandter der Fran Lampe, der des Oefteren zu Besuch kam, ein einfaches, harmloses, aber goldtreueS Gemüth. Der Verkehr zwischen ihm und dem Töchterchen der Frau Lampe, geborenen Haas, war ein ziemlich freier, wie dies ja zwischen Verwandten üblich ist, jener Verkehr, der dem alten Schalk Amor immer wieder so vortreffliche Gelegenheit giebt, Unruhe in zwei Herzen zu stiften. Kohlhaa» hatte mit der Feinfühligkeit des Liebenden sofort ge ahnt, was die Besuche deS Marquis und seines schurkischen Helfers helfer» bedeuteten und beschloß auf seiner Hut zu sein. Natürlich hatte er die Geliebte auf das Eindringlichste gewarnt, und der Herr Marquis de Lisvre kam bei der „Kleinen" nicht um einen Schritt weiter, trotzdem er es an Aufmerksamkeiten aller Art und an Ge schenken nicht fehlen ließ. Er war wüthend darüber und hatte e» sich jetzt fast in den Kopf gesetzt, die Unschuldige iu seine Gewalt zu bekommen. Jean Lapin freute sich allein der Erfolglosigkeit, denn so lange diese anhielt, stiegen die Spende« des Marquis und blieben dieselben auch nicht aus, was zu befürchten war, wenn er erst an Ziele seiner Wünsche stand. Aber Jean hatte auch entdeckt, was der Grund für die Sprödigkeit der vom Marquis Umworbenen war und e» stand bei ihm fest, daß Kohlhaa» aus dem Wege geräumt werden müsse. Da» Mittel dazu schien ihm bei der naiven Denkungsart de» harmlosen, ehrlichen Kohlhaa» ein ganz einfaches zu sein: die Eifersucht. Marquis de LiLvre billigte den Plan seine» bübischen Berather», und mit sehr einfachen Mitteln wurde da» ganze Bubenstück in» Werk gesetzt. Lapin erschien eines Morgens bei Frau Lampe, geb. HaaS, und wußte dem Töchterchen unbemerkt zuzuraunen, daß der Marqui» sie dringend bitten ließe, ihm des Nachmittags ein Rendezvous am Haselgebüsch rechts von der Chaussee zu geben. Er habe ihr außer ordentlich wichtige Mittheilungen betreffend Kohlhaa» zu machen, dem große Befahr drohe. Der letzte Grund war für die Jungfrau der maßgebende. Sie versprach zum Rendezvous zu erscheinen, um so mehr als Lapin zu gesagt hatte, ALi-äe ä'doooeur ebenfalls dabei sich einzufinden. — Kohlhaas machte nach seinem einfachen Mittagbrot eine Prome nade, al» ihm Lapin begegnete. Kohlhaa» konnte ihm nicht auS- weichen und mußte sich seine Begleitung gefallen lassen. Lapin hatte seinen scherzhaften Tag. Er erging sich in zynischen Witzeleien über Liebe und Weiber, wurde immer anzüglicher und nannte schließlich den Namen der kleinen Lampe. Kohlhaas brauste auf wie ein Rasender: „Elender!" schrie er den Schurken an seiner Seite an, „wie kannst Du es wagen, sie zu verdächtigen?" „Junger Schwärmer!" entgegnete grinsend Lapin, „kommen Sie einmal hierher und bettachten Sie das Bild unter dem Haselstrauche." Kohlhaas sah hinüber und war wie vom Donner gerührt. Vor seinen Lichtem tanzte und flimmerte es, in seinen Löffeln brauste e»: — Da — da, wenige Schritte vor ihm saß die Elende, Treulose, i« töts-L-tß o mit dem Marquis — „Rachel Rachel Rache! stürmte es in der Brust des Kohlhaas. den diese Entdeckung fast zu Boden warf. Sein unschuldige» Gemüth war au» den Fugen gegangen, eine wahnsinnige Eifersucht in ihm erwacht, der Schurkenstreich des elenden Karnickels gelungen So schnell ihn seine vier Läufe davontrugen, eilte Kohlhaas hin weg — da ein Stutzen — vor sich sah er einen Jäger mit einem Hunde. Wie der Blitz zuckte der Gedanke durch sein Him: „Die Hasenjagd ist eröffnet!" und gleichzeitig schrie ihm der Satan der Eifersucht in den Löffel: „Laß die Treulose mit dem Verführer sterben." Ehe Kohlhaas daran dachte, war er that, hatte er sich dem revidirendcn Hunde gezeigt und lockte ihn und den Jäger nach dem Haselstrauche. Nichts ahnend saßen hier der Marquis de Liövre und die „Kleine" zusammen, die noch immer nicht erfahren hatte, welche Gefahr dem Geliebten drohe. — Zwei Schüsse krachten rasch hintereinander. — Der MarqniS und die kleine Häsin wälzten sich in ihrem Blote. „Eine Doublette zum Beginn- der Jagd, die Saison kann gut werden!" sagte derJäger und stopfte die beiden Leichen in seine Jagdtasche. PhipS hatte eine seiner gewohnten frechen Redensarten auf der! höhlen zu fahren, wenn sich etwa» Verdächtiges näherte. DerMar- Die Qualen des reuigen Gewissens! Wie sie nagen und bohren k Wie das brennt und blutet in der Todeswunde, die die Seele trägt. Kohlhaas war dem Wahnsinn nahe. Lapin war wüthend über den Tod de Liövres und hatte dem Eifersüchtigen aus Rache gestan den, daß die kleine Lampe da» unschuldige Opfer seiner blinden Eifer sucht geworden war Als Kohlhaas außer sich auf ihn losstürzte, war Lapin in eine der Röhren seines Baues gefahren, in die ihm der Rächer nicht zu folgen vermochte. — Kohlhaas wollte sterben. — Dort drüben kam ein Jäger — Kohlhaas lief ihm entgegen und machte zehn Schritt vor ihm Männ chen. Der Jäger schoß und — fehlte. Es war ein Sonntagsjäger. Vergeben» bot sich ihm Kohlhaas immer wieder zum Schuß. Nach dem der Sonntagsnimrod die dreißig Patronen, die er bei sich führt«, vergeblich auf ihn verfeuert hatte, ging er ärgerlich nach Hause. Kohlhaas lebte. Der Tod hatte ihn geflohen. Wie ein Wahn sinniger stürmte er durch die Felder. Da, dort drüben sah er plötz lich einen rothen Balg schimmern — Reinecke, der Erbfeind der Familie, schlich dort zwischen den Kartoffeln. Verzweifelt rannte Kohlhaas ihm entgegen — ein Sprung — ein unterdrücktes Quieken — Kohlhaas lag mit durchbissener Kehle in der Furche. Alle, die Ihr Hasenbraten in diesem Jahre esset, weihet ihm eine Thräne. Der elende Lapin lebt und ist vergnügt. Nur in Rührstücken und Schauderromanen wird da» Laster be straft im Leben ist da- anders. — Verantwortlicher Redakteur'- Or. xdil. Q. Müller in Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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