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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 26.09.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-09-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188409264
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840926
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840926
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-09
- Tag 1884-09-26
-
Monat
1884-09
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 26.09.1884
- Autor
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WWMZ» d»,WW WWWWM M^MVWMWWWWWWWW^ Antechallimgs-Vlalt;um ..Ehmmher Ameiger". Nr. 16. — Freitag, r.6. September. BerlagS-Expeditio«: Alexander Wiede, Buchdruckerei, " ,itz, Lheat-rstraße 48 (ehemaliges « ^ ^ " ' " ' ' Chemnitz, Bezirksgericht, gegenüber dem Kasino). 1884. — 4. Jahrgang. Hin Uampyr. Kriminal-Roman von L. Hackenbroich. Fortsetzung. (Nachdruck verboten). „Muth, mein Junge, Muth I* ermunterte ihn Frerix — „Keine Schwäche I" „Ich sehe sie nicht wieder!" entgegnete kleinlaut Adolf. „Du siehst sie wieder, glaube mir's; aber es setzt einen harten Strauß, und ich sehe noch mancherlei Hindernisse vor uns; um die selben zu überwinden, bedarf es Muth und Vertrauen, versprich mir vor allem, nichts zu thun, ohne mich vorerst in Kenntniß zu setzen." Al» sie zu Hause anlangten, war Adolf etwas weniger nieder geschlagen; die Zuversicht seine» an Erfahrungen reichen Freundes hatte ihm neuen Muth und neue Hoffnung eingeflößt; er fühlte sich zwar recht unglücklich, aber doch erleichtert. Kaum hatten sie im Wohnzimmer au einem Tische Platz ge nommen, auf welchem eine Wartefran eben ein Gabelfrühstück für Beide servirt hatte, als es am Bureau läutete Frerix stand ärger lich auf und begab sich hinaus um zu öffnen. Mn bekanntes Ge sicht stand vor ihm, bei dessen Anblick er ein wenig bestürzt ward, da er an diesen Besuch gar nicht gedacht hatte, aber sogleich bezwang er sich, und ohne Zaudern führte er den Besucher vor den Schreib tisch, indem er ihm einen Sessel anbot. „Was führt Sie heute zu mir, Herr Vlybergh?" fragte er den Geheimagenten, der in dem ihm angewiesenen Sessel Platz genommen hatte. „Sie erwarteten mich wohl nicht? fragte dieser sarkastisch dagegen „In diesem Augenblick erwartete ich Niemanden, da es gerade Frühstiickszeit ist," erwiderte Frerix spitz; sonst ist Ihr Besuch mir stet» angenehm." „Daß ich e ne ungelegene Besuchstunde gewählt habe, bedauere ich aufrichtig, indeß wir find Sklaven unserer Zeit," bemerkte der Geheimagent höflich. „Sie wisse», daß Sie vor geraumer Zeit der Polizei versprochen haben, ihr wichtige Aufschlüsse in Sachen der bekannten zwei Morde zu geben; seitdem haben wir nichts von Ihnen erfahren. Sie haben doch die Sache nicht vergessen?" „Welche Frage!" rief Frerix aus. „Sie können also jetzt die versprochenen Mittheilungen machen?" Frerix machte eine zweideutige B.wcgung. „Ja und nein!" erwiderte er; „ich habe seitdem sehr viel be obachtet, viel gesehen und manches erfahren, was nach meiner Ueber- zeugung im direkten Zusammenhang mit den beiden Verbrechen steht; ich weiß sonach vielmehr als damals, als ich mit dem Polizei-Kom missar sprach; aber so nahe ich vor der schließlicheu Lösung deS RäthselS zu stehen glaube, so fehlen mir heute doch noch immer die materiellen Beweise für das, was ich zu wissen glaube." „Können Sie mir denn nicht das, was Sie wissen, anvertrauen?" „Zum Theile ja; daß ich aber mein ganzes Bündel vor Ihnen jjetzt auSpacke, werden Sie wohl schwerlich erwarten und verlangen." „Einverstanden, Herr Frerix I" erklärte Vlybergh sich verbeugend.' „ES ist nicht sehr viel, aber lehrreich; erstens steht es heute für mich fest, daß die beiden Verbrechen, die das ganze Land in Aufregung versetzt, nicht nur von ein und derselben Persönlichkeit vollführt worden sind, sondern auch beide demselben Motive ent sprangen, das darin bestand, die leiblichen Erben de» vor langen Jahren nach Indien ausgewanderten Jan Vandenborght, der dort «in ganz enormes Vermögen erworben hat, von der Erde verschwinden zu lassen und auf irgend eine Weise jene Erbschaft unberechtigten Dritten zuzuführen. War Ihnen dies bekannt?" „Jawohl," lautete die kurze Antwort. „Der Verbrecher war mit den verwandtschaftlichen Verhältnissen be» indischen Vandenborght ebensowohl bekannt, wie mit seiner Ver mögenslage, und hat in der Thal bis auf ei» junges Mädchen mit der ganzen Verwandtschaft Bandenborghts aufgeräumt, so daß er fast glatte Bahn vor sich zu haben glaubt, sobald Vandenborgths Tod gemeldet wird." „Ich sehe, Sie haben Ihre Zeit nicht verloren; wir haben dieselben Resultate bisher bei unseren Nachforschungen erzielt. Der Mörder oder seine Komplizen müssen also zum Vorschein kommen, sobald eben die Erbschaft fällig wird." „Und mehr haben Sie nicht in Erfahrung gebracht?" fragte Frerix. Der Geheimagent zauderte eine Sekunde. „Wissen Sie denn mehr?" fragte er, indem er mit dem Auge blinzelte. „Das ist keine Antwort aus meine Frage! Auf diese Weise können wir uns nicht verständigen. Ich wiederhole: Ist das Alles, wa» die Polizei weiß?" „DaS ist Alles!" versicherte Vlybergh. „Nun, dann kann ich ihr noch einige Kleinigkeiten mittheilen." „Nun?" fragte Vlybergh gespannt. „Haben Sie Nachrichten über den indischen Vandenborght?" „Nein; wir haben sie seit längerer Zeit erwartet und die Be hörde hat kürzlich von neuem um Nachrichten über ihn ersucht, es hätten solche schon vor ein paar Monaten eintreffen müssen." „Und wamm kamen sie nicht?" „Schöne Frage, das! Wenn Sie die beantworten könnten, wäre die Behörde Ihnen höchst dankbar." „Dann will ich sie Ihnen beantworten, obwohl ich auf den Dank der Behörde gerne verzichte," erwiderte Frerix mit sarkastischem Lächeln. „Die so lauge schon von Ihnen erwarteten Nachrichten find pünktlich und vor langer Zeit schon mit dem Postdampfer Neptunus von Madras aus hierhier befördert worden; der Postbeutel aber in welchem sich das Ablebezeugniß Jan Vandenborght» befand, war bei Ankunft der Post in Antwerpen ausgeschnitten und gerade jenes Konsularschreiben war daraus entwendet." Der Polizeiagent unterdrückte einen Ausschrei. „Das Konsularschreiben . . Der ausgeschnittene Postbeutel . . Der Neptunus " stammelte er; „wer sagte Ihnen das?" „Ich war dort am Landungsplätze, als der NeplunuS ankam." „Ja, aber der Dieb, der Verbrecher! Kennen Sie ihn? Reden Eie, ums Himmels willen!" Der alte Geschäftsmann schüttelte den Kopf. „Noch kenne ich ihn nicht," sagte er, „aber ich werde ihn bald kennen, ich stehe dafür. Eines nur will ich Ihnen sagen: halten Sie da» Auge offen über dem jungen Mädchen von dem ich eben sprach und das dem Schutze der Polizei vor lange schon empfohlen wurde, und dann — überwachen Sie mich nicht so auffallend!" „Das junge Mädchen scheint in guter Obhut zu sein; ein reicher Vormund hat es in seinem Schutz genommen," erwiederte Vlybergh, indem er Frerix scharf ansah. „Der Oberst Dickson I" warf Frerix leicht hin. „Ganz recht, kennen Sie ihn?" Er ist seit Kurzem hier!" „Ich lernte ihn kennen, als er mit dem Neptunus in Antwerpen emlangte, und reiste mit ihm von dort hierher." „Mit dem Neptunus?" fragte erregt der Geheimagent. „Jawohl!" war die ruhige Antwort. „Und Sie sahen ihn seitdem nicht wieder?" „Bon weitem. Ich denke indeß, ihm in den nächsten Tagen meine Aufwartung zu machen." Die Blicke beider Männer begegneten sich, und ein stilles Ein vernehmen, eine Art BundeSgenossenschaft, schien die Folge zu sein Mit einem kräftigen Händedruck verließ der Polizeiagent den Geschäfts mann, und dieser kehrte zu seinem Frühstücke zurück, da» er, ent- gegen seiner Gewohnheit, schweigsam mit Adolf verzehrte. 10. Kapitel. Oberst Dickson hatte sich nicht sobald wohnlich in dem komfor tabelsten Stadttheile Brüssels niedergelassen, als er auch schon Ver bindungen in den ersten Kreisen avzuknüpfen wußte. Sein äugen fälliger Reichthum, seine Eigenschaft als Oberst in englischen Diensten, seine gesellschaftliche Vielseitigkeit und seine weltmännischen Manieren mußten ihm binnen Kurzem den Zutritt selbst zu den Häusern der vorsichtigsten und zurückhaltendsten Familien eröffnen. Er hielt gast liche» Haus und bald hatten unter den Lebemännern und der Jeunesse doröe der Hauptstadt Oberst Dicksons Küche und Keller einen wohl begründeten Ruf, gerade wie er selbst, als über alle Maaßen ange nehmer Gastherr und Gesellschafter, beliebt wurde. Zudem war er in der Wahl seiner Freunde kritisch; sein Augenmerk richtete er nament lich aus die Bekanntschaften solcher Männer, die nicht nur vermöge ihres Namen» und ihre» Reichthums eine bevorzugte Stellung ein- nahmen, sondern lieber noch näherte er sich den im öffentlichen Leben an hervorragender Stelle stehenden Männern, und so kam es, daß er in den wenigen Monaten seiner Anwesenheit in der belgischen Haupt stadt mit einer großen Anzahl von Depntirten, hohen Staatsbeamten und besonders mit mehreren Mitgliedern der Gerichtsbehörden auf dem freundschaftlichsten Fuße stand. Unter denselben befand sich der junge Baron van Dorteghem, der eben sein Staatsexamen bestanden hatte und als HülfSarbeiter im Parket des Oberprokurators beschäftigt war; van Dorteghem war ein intelligenter junger Mann von lebhafter Phantasie, auf den der um ein beträchtliches ältere Oberst mit seinen lebendig vorgetragenen Schilderungen und Erzählungen aus dem in dischen Wunderlande einen fesselnden Eindruck machte; jede Gelegen heit, den Obersten zu treffen, nahm er mit sichtlichem Vergnügen wahr, und dieser ließ es sich angelegen sein, den sechs- bis sieben- undzwanzigjährigen Baron recht oft zu sich zu laden und diese Freund schaft auf's Eifrigste zu Pflegen; er stellte ihm als guten Reiter seine Pferde zur Verfügung, machte Ausflüge mit ihm in die theilweise sehr schöne Umgegend von Brüssel, erzählte ihm von seinen Kreuz und Querzügen durch daS Land der Hindus, von seincn Kämpfen mit den Bewohnern und mit den Löwen nnd Tigern Bengalens, klärte ihn über die Sitten, Gesetze und Gebräuche der verschiedenen Stämme auf, und konnte überzeugt sein, nirgends einen dankbareren Zuhörer zu finden, als den jungen StaatSanwaltsbeamteu. MneS Tages hatte der Oberst von Madras erzählt und wie von ungefähr die Namen einzelner Freunde in seine Erzählung «ingestreut, als er auch scheinbar flüchtig den Namen Vandenborght erwähnte. „Apropos," unterbrach ihn der Baron» „Sie waren näher be freundet mit Vandenborght, der ja au» Belgien stammt?" „Mein bester Freund!" rief bestätigend der Oberst au»; „in seinem Aufträge reiste ich gerade hierher, um die Vormundschaft über seine Nichte anzutreten, die nach seinem Tode ganz unermeßlich reich sein wird. Ich dachte, Sie wüßten das, da die Behörden sich ja sehr um den Fall der Ermordung der Verwandten Bandenborghts bemühen." „Sie haben recht, werthester Oberst; haben Sie keine Nachrichten über da» Befinde« Ihres Freundes?" „Er ist ein etwas nachlässiger Korrespondent, Baron; jedenfalls aber befindet er sich sehr wohl auf, da ich sonst bereits von seinem und von meinem Hause Nachrichten hätte. Als ich ihn verließ, erfreute er sich der besten Gesundheit" „Merkwürdig!" sagte nachdenklich der Baron, „wir haben An deutungen erhalten, nach denen er todt sei, nur fehlt uns die längst erwartete amtliche Bestätigung; es wurde sogar schon in den letzten Tagen die Annahme laut, ein vor mehreren Monaten verübter Post diebstahl habe das Verschwinde» der erwarteten Todesnachrichten zum Zwecke gehabt " „Unmöglich! Ich müßte längst im Besitze einer derartigen Privat mittheilung sein! Zudem ließe sich ja sehr bald ein Duplikat de» er wähnten amtlichen Schriftstückes einfordern I" „Das ist in der That bereits geschehen, und die nächste ostin dische Post wird uns jedenfalls nähere Mittheilung unseres Consuls aus Madras bringen, von denen ich nunmehr allerdings nicht zweifeln kann, daß sie ihre Annahme vom Wohlbefinden Ihres Freundes be stätigen werden." Der Oberst hatte seinen Zweck erreicht und wußte, was er zu wissen verlangte; die nächste vstindische Post mußte binnen vierzehn Tag-n eintreffen und es galt, der Justiz zuvorzukommen. Nachdem er noch einige Zeit bei den Gesprächen über die Verbrecyensgeschichte verweilt, ging die Unterhaltung wieder auf andere Dinge über und später trennte sich der Baron von seinem interessanten Freunde in der Ueberzeuguug, niemals einen liebenswürdigeren Menschen kennen gelernt zu haben, als den ostindischen Oberst. Dieser wußte, was er in den nächsten Tagen zu thun hatte, und er verlor seine Zeit nicht; er erfuhr auf allerhand Umwegen, daß alle an das Parket und an das Landgericht «inlaufende Briese am Haupt postamte durch einen Büreauboten in einer verschlossenen r'edertasche abgeholt wurden, zu welcher ein Schlüssel sich auf dem Postamte und ein zweiter Schlüssel auf dem Sekretariate des Landgerichte» befand; der Bote brachte demnach die Tasche stet» so, wie sie ihm vom vürcau- vorsteher übergeben war, zur Post, und von dort zum Gerichte zurück, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, den Inhalt seiner Ledertasche zu berühren, oder auch nur zu sehen. Zudem war der Bote ein höchst zuverlässiger Mann, der diesen Posten von seinem Vater geerbt hatte, nachdem derselbe ihn bis zu seinem Tode, mehr als zwanzig Jahre, zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten versehen hatte. Der Sohn zählte nun gleichfalls schon zehn Dienstjahre und er hatte sich noch nie einen Tadel zugezogen-, er lebte mit seiner Mutter, die er ernährte, in einem Hinterhause einer der Gassen, die gegenüber dem Rathhaus portale sich vom Marke nach den belebtesten Straßen der Stadt hin ziehen. So ehrenhaft der alte Wiertz, so hießen die Leute, und auch sein Sohn waren, so sehr ließ der Ruf der Mutter zu wünschen übrig, die ihrem verstorbenen Manne außer einem hübschen Gesichte ziemlich viel Bedürfnisse an Putz und eine übertriebene Genußsucht mit in die Ehe gebracht und daher dem armen Manne viel bitteres Leid bereitet hatte. Sie zählte jetzt fast fünfzig Jahre und war mit der Zeit weder vernünftiger, noch besser geworden; hinter dem Rücken ihres Sohnes, der ihr all seinen Lohn heimbrachte, knüpfte sie hier und da Verbindungen im Aufträge junger und alter Lüstlinge mit Mädchen und Frauen an und der ihr au» diesem unehrenhaften Er werbszweige zufließende Gewinn diente einzig ihrer Vergnügungssucht und ihren Anforderungen an einen guten Tisch. Zuweilen kam ihr der Gedanke an'» Sparen für den alten Tag, aber dann pflegte fie sich darauf zu vertrösten, daß ihr sicherlich noch einmal ein ganz un gewöhnliches Glückrloo» zufalleu würde; da- Schicksal schien es irr der That so zu wollen. Eines Nachmittag» erhielt fie den Besuch eine- Fremden, den fie noch nicht in ihrer häufig besuchten Wohnung gesehen hatte; e» war ein hoher, kräftiger Mann mit fast schönem Gesichte und braune« Teint. Da» freie Auftreten desselben bewies ihr sofort, daß derselbe genau wußte, mit wem er zu thun hatte. „Sie sind Frau Wiertz?" fragte er, indem er fie mustert«. „So heiße ich; womit kann ich dem Herrn dienen?" erwiderte fie, indem sie ihn zum Sitzen einlud. „Ich möchte mich gerne eine Weile über eine wichtige Sache mit Ihnen unterhalten, wenn ich sicher sein kann, daß wir ungehört und ungestört reden können." „Das können Sie," war die Antwort, „außer mir bewohnt Niemand da» Hintergebäude, und damit keiner unangemeldet komme» kann, werde ich die Thüre des Vorzimmer» abschließeu." (Fortsetzung folgt). Die Lumpenprinzesfin. Roman von Georg Hartwig. Fortsetzung. (Nachdruck verboten ) Ich habe ein gute» Herz," lächelte der hoffnungsvolle Sohu mit unerhört widerwärtiger Frechheit, indem er seine Mutter um die Taille faßte und drückte, daß sie aufschrie. Mr. Wiggers war nach einem würdevollen Abschied von der Künstlerin und deren Begleitern in sein Heim zurückgekchrt. Sein erstes Geschäft war, die Rouleaux an den Fenstern nieder zulassen, obwohl die Sonne eben nicht hereinschien. Vielleicht au» Haß gegen Kora Renard? Aus Eifersucht etwa? Der letzte Gedanke machte ihn lachen — wenn Jemand daran glauben sollte! „Den „Bettler" gebe ich Dir zurück, übermüthige Schöne!" murmelte er» ich ein GlaS Sherry eingießend. „Doch das hat Zeit! Vorerst das dringende Geschäft erledigt, und dann zur Gräfin Mengen Rach dem Vorfall heut morgen wird fie mich mit glühender Neogier er warten, um den Verlauf der Begegnung vollends zu erfahren." Mr. Wiggers hatte inzwischen sein Portefeuille vorgezogen und darin zu blättem begonnen. „Das verdammte Pferd, wa» kostet e» mich!" murmelte er zwischen den Zähnen. „Aber es mußte sein! Man sieht ja, es fängt bereits au sich zu rentiren. Käme mir nur die Gelegenheit, Alle» auf einen Coup setzen zu können, um Alles auf einmal zu gewinne«! Lukrativ ist diese Niederlage der Gräfin nicht auSzubeuten, «ur mein« Rache ißt sich daran satt. Aber da» Leben, das ich jetzt führe, will ch nicht aufgeben, jetzt wenigsten» nicht" — er lächelte — „so lange die Lord» Westerwald, Herfeld und Konsorten meine Ressourcen flott halten. Vorerst muß ich für alle Fälle eine größere Summe , in der Hand haben!" Tr warf sich bequem jn die Ecke de» SophaS, zün dete eine Zigarre an und ließ sich die Sachen schweigend durch den Kopf gehen. Zuletzt ergriff er eine der vor ihm liegenden Zeitungen und begann darin zu lesen, vermuthlich um sich zu zerstreuen, als er Plötzlich lebhafter, als man seinem sonstigen Phlegma zugetraut hätte, auffpraog und folgende Annonce i« dem Jnseratentheil de» Blattes noch einmal überflog I „Geld wird zu billigsten Preisen auSgeliehen in der Hundsgasse Nr. 101" M. Wigger» holte bedächtig an» seiner Brieftasche eine Karte hervor und verglich die Adresse darauf mit der angegebenen Adresse des Inserate». „Das muß der Halsabschneider sein, so wahr ich lebe. Die Physiognomie verrieth den Gauner. Vortrefflich! Meine Chancen steigen!" ' Er pafft» noch ein paar kräftige Züge in die Luft, dann warf er die Zigarre fort, klingelte dem Diener, vechselte seinen Anzug schnell mit peinlicher Sorgfalt, glättete den vollen ausrafirten Bart und verließ in steifer Haltung das Hau». Durch die Straßen sich langsam fortbewegend, hatte er den An fang der Petersgasse glücklich erreicht, als er vor sich eine Gestalt auf tauchen und im Menschenstrome daherwandeln sah, di« keinem Anderen als besagtem August Schleicher angehören konnte. Sich vergewissernd zog Mr. Wiggers sein weißseidene» Taschentuch hervor und begann sich lebhaft zu räuspern, in geringer Entfernung noch einmal und, als er dicht neben dem Gesuchten stand, zum dritten Male. Diesmal drehte Herr Schleicher sein glattgeschorenes Haupt neu gierig bei Seite. Dir. Wiggers, dem dieses Anstarren unbequem zu sein schien, fixirte ihn darauf hochmüthig, bi» Herr Schleicher, der den reichen Amerikaner erkannte, devot seinen Hut zog. Mr. Wiggers berührte leicht den seinen. „Wenn ich mich nicht täusche", sagte er gebrochen deutsch, „find Sie —" Er sann über den Namen nach. „August Schleicher," lächelte der Andere geschmeidig. „^Voil, 8>> , dlr. Sodloivfter! Die deutsche Namen find nicht» kor mein Gedächtniß, Sir! Wollen Sie mir geben eine Auskunft?" „Mit tausend Freuden!" „Sie sagten damals im Zirkus, daß Sie seien sehr bekannt in der City!" „Durchaus, Mr. Wiggers!" „Können Sie mir solide Geldmakler nennen?" fragte der Ameri kaner ruhig. „Ich brauche eine Summe Geldes, da ich gestern eine ziemlich hohe Wette an einen hiesigen Gentleman verloren habe. Meine Kreditbriefe lassen diesmal länger auf sich warten als sonst!" Herr Schleicher betrachtete ihn erstaunt, angenehm erstaunt. „Sehr verehrter Mr. Wiggers, ich werde es mir zur Ehre rechnen. Ihnen persönlich dienstlich zu sein!" Um keinen Preis hätte er sich den sicheren Profit entgehen lassen. „Ich bin zwar kein reicher Man«, indessen —" «Fünfzehntausend Mark nach Ihrem Gelde," fiel der Amerikaner augenscheinlich gelangweilt ein. „Fünfzehn? Eine beträchtliche Summe!" rief August Schleicher. „Bitte, nennen Sie mir einen anderen Makler." sagte Mr. Wiggers ungeduldig, indem er sein Portefeuille hervorzog und eine Hundert-Dollarnote daraus entnahm. „Ich habe keine Zeit, Sir! Ich werde mir in diesem Laden die» Papier umwechseln. Adieu Sir!" . „O. ich bitte, Mr. Wiggers, ich bitte doch sehr," rief ihm der Wucherer nach, indem er sich beeilte, ihm wieder die linke Seite ab zugewinnen. „Das Geld, ich habe e» nicht zu Hause liegen, aber Sie sollen es haben!" „Auf der Stelle, Sir! Ich warte nicht." „Ja, jawohl! Zu den landesüblichen Zinsen." „Wo!!, Sir! aber ich warte nicht! Herr Schleicher hatte flüchtig nachgedacht. Diese Summe hatte er allerdings momentan daheim nicht flüssig. Er wollte versuchen, sie Herrn Beppert abzulocken, dem er seinen Besuch ja so wie so zu- gedacht. Daneben aber ließ seine Habgier e» nicht zu, den feder-
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