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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 26.10.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188410266
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18841026
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18841026
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-10
- Tag 1884-10-26
-
Monat
1884-10
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 26.10.1884
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.. -, ---»T-Nfvrc- UntechaltMgs-Nlalt ;«m „Lhemmher Adriger". Nr. 29. - Sonntag, 26. Oktober. Ein Vampyr. Krlmiual-Roman von L. Hackenbroich. BerlagS-Expedition: Alexander Wiede, Buchdruckerei, Chemnitz, Theaterstraße 48 (ehemaliges Bezirksgericht, gegenüber dem Kasino). 1884. — 4. Jahrgang. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Seit dem Bcgriibnißtage hatte er nicht nur Martha nicht mehr gesehen, sondern auch nicht das Geringste mehr von ihr gehört, so daß er nicht einmal wußte, wo sie war. Der Oberst der sich ihm gegenüber plötzlich so verändert benommen und ihm die beglückende Versicherung gegeben hatte, daß er seiner Liebe zu Martha keine Hindernisse mehr bereiten würde, hatte gleichfalls nichts von sich höre» lassen, obgleich derselbe ihm doch eine baldige Einladung in sein Haus in Aussicht gestellt hatte. Tausend Ideen waren ihm in den Kopf gekommen, wo er das geliebte Mädchen suchen sollte, tausend Wege hatte er durchlaufen; Alles vergebens! Eines Nach mittags hatte er sich am Eingänge zu des Obersten Hause befunden, um dort den Vormund selbst zu fragen, wo Martha sei, nd warum «r seinem Versprechen entgegen ihn von ihr ferne halte. Aber recht zeitig fiel ihm seines Prinzipals ernstlicher und dringender Rath ein, daß er niemals allein den Obersten aussuchen solle, ohne v rher Frerix von seinem Vorhaben in Kenntniß gesetzt zu haben, und halb erschreckt ließ er den Klingelzug wieder los, den er eben hatte an- ziehen wollen, und schritt scheu und trübselig weiter. Warum auch fragte er Frerix nicht? Adolf war überzeugt, daß sein Gönner Bescheid wisse, und dennoch wagte er nicht ihn zu fragen, eine un- bezwinxliche Scheu hielt ihn zurück, so oft er im Begriffe stand, an seinem väterlichen Freund die Frage zu richten, wo Martha sei; es war jene jugendliche Befangenheit der ersten Liebe, die ihm die Lippen schloß, die einer naiven unschuldigen Scham entspringt und absolut als Geheimniß für sich zu behalten verlangt, was Bezug auf die heiligtheurcn Gefühle des Herzens hat. Es war ihm der Ge danke gekommen, das Vertrauen eines Dieners aus des Obersten Hause zu erkaufen, um auf diesem Wege etwas über den Aufenthalt Martha's zu erfahren; aber er sagte sich sofort, daß die Dienerschaft schwerlich von ihrem Herrn in seine Geheimnisse eingeweiht sein werde, oder aber, falls der Eine oder Andere Bescheid wisse, es mehr in deren Interesse liege', den Frager ihrem Herrn, als diesen einem Fremden zu verrathen. So bangte er unschlüssig zwischen den ver schiedensten Plänen und keiner der langsam dahin schleichenden Tage brachte ihm die ersehnten Nachrichten und Ausschlüsse. Eben hatte er den Entschluß gefaßt, seinem Gönner und Freunde sich und seinen Kummer anzuvertraucn und ihn um Rath zu bitten, als die Thür aufging und Frerix selbst eintrat Herzlich begrüßten Beide einander und Frerix nahm an seinem Schreibpulte Platz, gerade seinem jungen Schützling gegenüber, den er einige Augenblicke forschend beobachtete. .Du siehst leidend aus, mein Junge." begann er, .ich bemerke es schon seit einigen Tagen; fehlt Dir Etwas?" j Die ersehnte Gelegenheit, seinem Prinzipal sein Herz auszu schütten, bot sich nach dieser Frage schneller, als Adolf erwartet und gehofft hatte. Ene flüchtige Röche verbreitete sich über seine Züge und mit einem klagenden Seufzer entgegnete er: .Ich bin recht unglücklich, Herr Frerix; Sie wissen, daß Oberst Dickson mir versprochen hatte . . ." „Was Oberst Dickfon Dir versprochen hat, hat er Dir noch nicht gehalten." unterbrach ihn lächelnd Frerix, „und Du wirst Dich wohl auch noch ein klein Wenig gedulden müssen, ehe er sich seines Versprechens erinnert. Du hast von Martha keine Nachrichten, seit Du sie zuletzt beim Begräbnisse der Tante Smeesters gesehen?" „Gar keine! Nicht einmal weiß ich, wo sie weilt!" „Nun, das kann ich Dir sage» und morgen oder übermorgen kannst Du selbst Dich davon überzeugen, daß sie ganz Wohl aufge hoben ist und über ihren Aufenthaltsort sich nicht im geringsten zu beklagen hat" Mit einem lauten Freudenruf war der junge Mann von seinem Sitze aufgesprungen und erwartungsvoll hingen seine Augen an seines Freundes L>ppen „Wo? Wo?" fragte er hastig; „bitte, reden Sie, Herr Frerix! Wo ist Martha?" „Gemach, gemach, mein Junge! Sie bewohnt ein hübsches ^ Landhaus, nicht allzusern von Brüssel, und Du kannst sie unbe hindert dort besuchen, jedoch nicht eher, als ich Dir's sage; das wird morgen, längstens übermorgen Nachmittag der Fall sein; so lange wirst Du Deine Sehnsucht auf alle Fälle bezwingen müssen, da ich, ehe ich Dich gehen lassen kann, alle Vorkehrungen getroffen haben will, die ich für Dein und Martha's Wohl für unerläßlich erachte." Der junge Mann sah Frerix fragend an, dessen Worte ihm räthselhaft sein mochten; indeß ahnte er den Jdeengang seines Freundes und fragte: „D.-r Oberst darf nicht davon wissen?" „Fürs Erste durchaus nicht," entgegnete entschieden tFrerix; „ich erwarte übrigens bestimmt, daß Du meinen Rath, jede ,Begeg nung mit dem Oberst zu meiden, genau befolgt hast." „Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit damals, obwohl ich gedacht hatte, er würde mich nach jenem Zusammentreffen zu sehen wünschen und einmal zu sich laden." „Das wird er auch binnen etlichen Tagen thun, mein Sohn; aber auch in dem Falle wirst Du seiner Einladung nicht eher Folge leisten, als bis Du mir Stunde und Ort Deiner Begegnung mit ihm genau mitgetheilt hast. Versprich mir das!" Adolf reichte ihm zum Zeichen des Einverständnisses die Hand. „Und jetzt will ich Dir auch, che Du Martha wiedersichst, eine Mittheilung machen, die bis jetzt mein Geheimniß war. die aber für Dich von größtem Interesse ist. Du hörst mit heutigem Tag- auf, mein Commis zu sein, um eine ganz neue Existenz zu beginnen/ denn Du bist nicht, wie Du bisher stets geglaubt, ein armer, vermögens loser junger Mensch, sondern theilst als entfernter Verwandter und Erbe Jan Vandenbvrghts mit Martha, dessen immense Hivrerlassen- schaft zu gleichen Hälften." Ungläubig und erschreckt starrte Adolf seinen Freund «n, als er diese unerwartete und schier unglaubliche Neuigkeit vernahm. Er fühlte sich nach der Stirn, um sich zu überzeugen, ob er wache und nicht vielleicht in einem tollen aufregenden Traume besangen sei. Aber es war richtig so: er wachte, er träumte nicht; dort saß ruhig hnd zufrieden lächelnd Frerix vor ihm und betrachtete ihn, wie er sich mühte, der eben gehörten Worte Sinn und Tragwei e zu erfassen. „Du bist überrascht, erschreckt, lieber Adolf, durch die gute Bot schaft. Es ist, wie ich sagte: Du bist durch Tesjam nt ernannter Erbe des halben Vermögens Jan Vandenbvrghts,- und die andere Hälfte desselben gehört Martha." ! Adolf hatte sich etwas erholt. / „Weiß Ma Iha das? Weiß es der Oberstx" fragte er, „o, letzt hat es keine Noth mehr, daß ec sich unseren Wünschen widersetzt, wo ich eben so reich bin, wie sein Mündel, wo tr wissen kann, daß es nicht Marthas Reichthum ist, der mich an sie fesselt. O, lassen Sie mich gleich zu ihm gehen, es ihm sagen, wenn er eS noch nicht weiß." / „Er weiß es noch nicht." antwortete mit gleichmüthiger Ruhe Frerix; «alles, was er weiß, ist, daß kraft eines neuen Testamentes deS Onkels Marthas ein zweiter Erbe mit Martha sich in die Schätze Jan Vandenbvrghts theilt; aber we, dieser zweite Glückliche ist, weiß er nicht, soll es auch durchaus nicht durch Dich, sondern erst durch mich selbst erfahren. Hingegen darfst Du es Martha mittheilen, die sich ganz sicher über die Nachricht im höchsten Maße freuen wird, fürs erste hast Du jetzt nichts anderes zu thun, als Dich in Deine neue Lage hineinzuleben, und damit Du keine Zeit verlierst und auf keine Schwierigkeiten stützest, habe ich bereits Vorsorge getroffen und Dir eine Deinen nunmehrigen Verhältnissen entsprechende Wohnung gesucht und dieselbe entsprechend einrichten und mit der erforderlichen Dienerschaft versehen lassen. Du wirst im Stalle ein edles Rasse- Gespann vorfinden und ebenso wird der Wagen Deinen Beifall finden, den ich gekauft habe. Morgen Mittag erwarte ich Dich dann hier, um Dir zu sagen, wann Du zum Besuche Marthas hinausfahren kannst." Adolf war gänzlich betäubt von den märchenhaften Mittheilungen seines bisherigen Prinzipals und er hatte Mühe, seine Gedanken auf einen der vielen Punkte zu konzentriren, die derselbe leuchtenden Funken gleich, vor seinem Geiste hatte vorübcrschwirren lassen. Eine Idee überwog endlich und drängte alles Andere gewaltsam zurück. Martha Wiedersehen, ihr sein Glück verkünden, ihr sagen, wie er doppelt glücklich sei, daß sie nicht durch den Miterben in ihren Ansprüchen und Rechten geschädigt sei, da er ihr, der Geliebten, der er für sein Leben gehören wolle, das wieder zu Füßen legen könne, was der Onkel in überraschender Großmuth ihm hatte zu theil werden lassen. „Zu Martha!" rief jubelnd sein Herz und schon hatte er fortstürzen wollen, als ihm einfiel, daß er ja noch nicht wußte, wo sie war und zugleich ihm beschämend in den Sinn kam, daß da vor ihm ein edler Freund saß und sich seines maßlosen Glückes freute, dem er Dank, heißen Dank schuldete für alle Vatersprge und alle Vaterliebe, die derselbe ihm seit seiner frühen Verlassenheit in reichem Maße zuge- wendet hotte Er trat zu Frerix und sprach ihm in gerührten Worten seinen Dank aus und bat ihn, ihm auch ferner Freund und Rath geber bleiben zu wollen. „Das werde ich Dir mein Leben lang sein, lieber Junge," ant wortete Jener; „übrigens sind die Tage der Noth und der Gefahren jetzt fast gezählt, und nur für wenige Tage noch bedarf es Deines unbedingten Vertrauens in meine Rathschläge und der genauesten Be folgung meiner Weisungen. Für heute thue, was ich Dir gesagt; gehe in Deine neue Wohnung; hier ist der Schlüssel zu Deinem Hause, und hier kannst Du bereits Dei e neue Adresse gedruckt auf Deinen Visitenkarten lesen, die ich für Dich habe anfertigen lassen, lerne Deine neuen Leute und Verhältnisse kennen und morgen kommst Du zu mir, Dich zu erkundigen, wann Du zu Martha fahren kannst." ^ „Ich weiß noch gar nicht, wo st, wohnt, Herr Frerix " „Richtig! eS ist gut, daß Du mich erinnerst; fast hätte ich ver gessen, es Dir zu sagen. Du fährst auf der Antwerpener Landstraße hinaus, ungefähr zwei Meilen weit von Brüssel; dort liegt an der Chaussee das Gasthaus „Zum Weißen Hause," wo Du im vcrgan genen Sommer einmal mit mir gewesen bist; im „Weißen Hause" lässest Du Wagen, Pferde und Kutscher zurück, «nd folgst einem mit jungen Pappeln bepflanzten Privatwege, der sich an dem Garten des Gasthauses ent aug zieht und zu einem kaum fünfhundert Schritt weit entfernten, zwilchen Obstbäumen halb versteckten Landhause führt. Ein eisernes Gitterthor schließ den Vorgarten gegen die Straße ab Dort läutest Du und fragst nach Frau Wiertz, und wenn man Dich zu dieser geführt haben wird, so nennst Du nur Deinen Namen und sagst, Du kommest Deiner Cousine einen Besuch zu machen : Frau Wiertz wird Dich rann ohne weiteres zu Martha führen, die dort Wohnt und H-rrin des Hauses ist. Nur nenne der Frau nicht meinen Namen, falls sie Dich nach mir fragen sollte, und Martha empfiehl an, daß sie nicht aus sich selbst dem Obersten von Deinem Besuche erzählt, falls er kurz hernach mit ihr Zusammentreffen sollte. Und nun lebe wohl! Vielleicht erkundige ich mich heute Abend nach Dir in Deiner Wohnung, sonst sehen wir uns morgen Mittag zwischen zwölf und halb eins hier wieder." (Fortsetzung folgt.) Die Lumpcn-rin;esfi«. Roman von Georg Hartwig. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. „Hier!" sagte Kora, Hand in Hand mit dem erglühenden Mädchen zurückkehrend. „Hier steht sie vor Ihnen, welche allein Anspruch auf Ihre Liebe zu machen hat Lucie", fügte sie lächelnd hinzu und im Tone heiterer Ueberzeugung, „was der tolle Mensch da von mir geträumt hat, wiegt nicht allzuschwer. Er selber hat sein Gefühl für mich eine Piüfung seiner Zuneigung zu Ihnen ge nannt. Wenn er also im Stande sein wird, sich vor Ihrem reinen, treuen Herzen zu entschuldigen, so lenken Sie daran, daß nichts harmloser war als unser Verhältniß. Die Männer können nun einmal nicht anders, als in Einbildungen leben, Georg von Hammerslein zumeist!" Sie küßte das erröt ende Mädchen auf die Stirn, reichte Georg mit vielsagender Schelmerei die Hand und verschwand. Nie standen sich zwei Menschen verwirrter gegenüber. Georg, dessen Gluth für seinen schönen Schützling keineswegs e-loschen war, empfand gleichwohl das Gefühl des Schuldbcwußtseins, der Be schämung, und Lucie, die im Nebenzimmer vergebens nach Fassung gerungen hatte, als sie bemerkte, zu welchem Vorhaben Kora sie her beschieden und die ohne Zweifel entflohen wäre, hätte eine Pforte ihr freien Abzug gewährt, Lucie duldete die Qualen eines irdischen Fegefeuers. Ihr erster Impuls rieth ihr, den Salon zu verlassen, aber die Angst, die Erregung ließen sie gleichsam am Boden festwurzeln. Nicht einmal die Hand konnte sie erheben, die dunkle Schamröthe zu ver bergen. Aber mochte Georg noch so eingenommen von Kora's Reizen sein, so konnte er doch nicht verhindern, daß bei Lucicns Anblick Nachklänge jener stillseligen, wunschlosen Stunden in ihm wieder- tönten und im Vergleich zwischen Kora's sarkastischer Ablehnung und Luciens freudevoller Einwilligung sich langsam gestalteten. Zartgefühl und Ritterlichkeit ließen ihn das erste Wort finden. „Hier müssen wir uns Wiedersehen?" „Ich wußte es nicht", stammelte sie niederschauend. „Ich ahnte nicht, was mir bevorstand." „Sonst wären Sie nie gekommen, hätten nie Ihre ^Einwilligung zu diesem Spiel gegeben", sagte er überzeugt, „denn ein Spiel ist es und ein gewagtes dazu. Kora Rcnard hatte kein Recht, uns dieses Wiedersehen zu bereiten Ich bin tief unglücklich, Sie zum Zeugen dieser letzten Unterredung gehabt zu haben." „Ich hörte nichts, der Vorhang erstickte jedes Wort. Dieser Umstand braucht Sie nicht zu peinigen", sagte sie schnell in ihrer HerzenSgüte. „Im Verein mit dieser unverdienten Güte quält eS mich doppelt, dreifach. Eher möchte ich auf der Herfahrt elend verstümmelt worden sein, als dieses Resultat erzielt zu haben. Ich wiederhole eS, daß ich tief unglücklich bin!" „ES wird vorübergehen I ES muß vorübergehen I Und dann, dann werden wir Frieden haben", sagte das junge Mädchen, ihre Thränen kaum noch bemeisternd, mit leiser, bebender Stimme.)I 8 „Ihnen kann Niemand Helsen als Gott und die Alles lindernde Zeit. Das aber will ich Ihnen nicht vorenthalten, wenn eS über haupt ein Trost noch für Sie sein kann", fuhr sie fester fort und sah zum ersten Mal frei dem Geliebten ins Auge, „daß meine besten Wünsche Ihren ferneren Lebensweg begleiten werden. Seien Sie glücklich und zufrieden fortan!" Sie wandte sich ab und schritt dem AuSgang zu. Vernichtet folgte er ihr. „Haffen sollen Sie mich, nicht bemitleiden! In diesen Worten liegen bitterere Vorwürfe, als in der härtesten Anklage. Ich flehe Sie an, Lucie, hassen Sie mich! Wenn ich jetzt klar zu denken vermöchte, wollte ich Ihnen alle Beweggründe dieses Hasses auf zählen, aber mir ist nur ein dunkles Bewußtsein übrig geblieben. Ich vermag Ihre Wünsche nicht mit mir zu nehmen, sie foltern mich I Auch kein Geständniß, kein Geständniß —" „Leben Sie wohl, Herr von Hammerstein", unterbrach sie ihn ruhig. „Nach deck, was ich erfuhr!" Sie hörte die Worte hinter sich verhallen. Ohne Zögern hatte das junge Mädchen die Schwelle überüeten. Tief aufathmend stand sie in der Sonnenpracht des Junitages, die ihre heißen Wangen schmeichelnd umwehte und die immer von Neuem aufsteigenden Tropfen von den holden Wimpern fortküßte. Einige Stunden später hielt sie einen Briefen der Hand folgen den Inhalts: „Ich kann, was geschehen ist, nicht rückgängig machen, ebenso wenig als ich die blutende Wunde meines Herzens verstopfe» kann mit dem unbegrenzten Gefühl meiner Hochachtung für Sie. Noch weniger bin ich im Stande, diese Mauern, die Zeugen meiner dop pelten Schmach, wiederzusehen. Ich reise. Wenn Sie diese Zeilen erhalten und mit unschuldsvollem Auge darauf weilen, bin ich bereits auf dem Wege. Wohin? Ueberall lieber als daheim! Ihre letzten Worte werden mich begleiten. Nachdem ich ruhiger geworden bin, weise ich sie nicht mehr zurück. Wenn Sie Kora Renard wiederfehen, erwähnen Sie meinen Namen nicht. Sie hat mich zu tief gekränkt. Wollen Sie einen letzten Gruß von mir annehmen, so erwidere ich Ihre edlen Wünsche von ganzem Herzen. Georg von Hammerstein." Der Festabend in den Räumen des AdelSklubs war herbei- gekommen. Die Nimmersatte Bergnügungslust einzelner Ballheroen und Heroinen hatte es durchgesetzt, daß der vorgeschr ttenen Jahreszeit zum Trotz noch einmal die kleidsamen Masken hervorgeholt wurden, Puder, Schminke, Schönheitspflästerchen nebst dem ganzen Arsenal möglicher und unmöglicher Toilettenkünste. Bald nach 9 Uhr entfaltete sich in dem tageshell erleuchteten Saale das kaleidoskopische Farbenspiel der Toiletten, ein schillerndes, rauschendes, knisterndes, murmelndes Chaos, auf dessen Oberfläche Juwelenschätze wie ausgesäete Thautropfen im Sonnenschein funkelten. Es schien, als ob ihre stolzen Trägerinnen, die Nixen gleich vom Strudel verschlungen und wieder emporgetragen wurden, alle Kräfte aufgeboten hätten, diese verspätete Winterfreude allen vorangegangenen Triumphen als Krone aufzusctzen. Unter dem Schmettern der Trompeten rissen Herolde die Thüren auf, einen königlichen Zug hinein «geleiten. Den Pagen und Wappenträgern folgte das dänische Heirscherpaar. Die „schöne Majestät von Dänemark", mit Recht heute Abend so genannt, prangend in ihren königlichen Attributen, schritt am Arme ihre- königlichen Gatten hocherhobenen Hauptes einher. Durch die Halb- matke hindurch spähten ihre Augen prüfend in die Runde. DaS Beisallsgeflüster der Menge schlug kaum an ihr Ohr. Hinter ihr im Zuge, in vollkommen gleich gütiger Haltung, von seinen norwegischen Kriegern umringt, ging der junge Held FortinbraS- Pawlowsky ohne jede Spur von Maskenfrohsinn. V-n seiner Rüstung schienen die Strahlen der Kerzen wie Silbertropsen abzugleiten, der Helmdusch wehte kühn, der Griff seines Schwertes funkelte hell Über der Scheide; niemals hätten die Vorzüge seiner schlanken, vornehmen Gestalt zu wirksamerer Geltung gelangen können. Das Geheimniß seiner Liebe zu Kora Renard war durchsichtig geworden, schon raunte man sich hier und da schadenfroh die ge täuschten Hoffnungen der hocha-üthigen, vielbeneideten Gräfin in's Ohr. Und die Art, wie der Fürst heute seine einmal übernommene Rolle durch führte, lieferte allerdings Beweis genug, daß seine Ge danken weit über jenes gekrönte blonde Haupt hinwegstreiften. „Ich bitte Sie," flüsterte ihm Westerwald zu, als der Zug sich um den Solotanz der Ophelia gruppirte, «geben Sie diese verdrossene Miene auf, Sie beeinträchtigen den schönnen Totaleindruck! Fräulein von Ein elmann, unsere holdselige Hofdame, weiß sich vor Freude kaum noch zu fassen." Der gute Graf lieh nur seiner eigenen boshaften Befriedigung den fremden Namen. Der Fürst zuckte die Achseln. „Ich bat daS Komite, mich aus dem Verbände zu entlassen, man schlug es mir ab und muß nun die Folgen tragen. Sobald die Quadrille ihr Ende erreicht hat, verlasse ich den Saal." Und morgen die Stadt? In der That? Sie werden viel gebrochene Herzen zurücklassen." „Heilen Sie dieselben," lächelte der Fürst. „Ich gebe Ihnen Vollmacht — unumschränkte. Ich habe das bunte Treiben der großen Welt übersatt. Bon nun an —" „Einsiedler?" Der Fürst nickte. „Beinahe, wenigstens " Die Quadrille begann. Nur aufmerksame Zuschauer konnten bemerken, daß die Gräfin einen Gedächtnißiehler über den andern machte, weil ihre Blicke niemals im Kreise der Tanzenden hasteten. Der graue Domino, wollte er sich nicht zeigen? In einer Tour, welche sie an die Seite des Fürsten führte, nahm sie zum ersten Mal Notiz von ihrem Partner. „Ich bedaure Sie aufrichtig, ihre Erwartungen, noch nicht er füllt zu sehen," sagte sie in scharfem Flüsterton. „Es ist in der That hart, auf ein gewagtes Vielleicht angewiesen zu sein, wenn man seine Laune auf das vollendete Faktum fetzte. Aber geben Sie den Muth nicht auf, ich halte Wache!" Casimir Pawlowsky, dem diese Worte absolut unverständlich waren, bewegte sein Schwert spielend in ter Scheide. „Hat die „schöne Majestät von Dänemark" für heute Abend den dunklen Orakelton angenommen?" fragte er rahig.
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