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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 20.05.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188405209
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840520
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840520
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-05
- Tag 1884-05-20
-
Monat
1884-05
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 20.05.1884
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Vk»n nitzer Anzeiger und Stabtdote. Nr. 117. Dienstag, de» 20 Mai 1884 Seite 2. politischen Gesetze mit 168 gegen 116 Stimmen (Zentrum, Polen und 7 Konservative) ab. — Der Reichstag ist, wie bereits mitgetheilt, am vorigen Donnerstag in die Psingstferien gegangen und ist seine nächsic Sitz ung einstweilen noch »»bestimmt. Eine Unterbrechung wird indessen diese Fcrienpause durch die Grundsteinlegung zum neuen Reich-lags- Gebäude erleiden, welche d>m Vernehmen »ach am Psingstsonnabcud vor sich gehen soll und zu welchem feierlichen Akte sich die Reichs boten jedenfalls i» großer Zahl wieder in Berlin einsinden werden. In der Zwischenzeit ist den verschiedenen Kommissionen des Reichs tages Gelegenheit gegeben, ihre Arbeiten fleißig zu fördern und hat cs der Präsident v. Levetzow in der Schlußsitzung an kräftige» Er mahnungen in dieser Richtung nicht fehle» lassen, so daß das Plenum bei seinem Wiederzusammentritt hoffentlich genügenden Arbcilsflosf vorfindet. Was das preußische Abgeordnetenhaus anbelangt, so boten dessen Verhandlungen in der letzten Zeit nichts besonders Erwähnens- wcriheS dar und nur die Debatte vom vorigen Sonnabend über de» Windthorst'schcn Antrag, betr. die Revision der Maigcsetze, dürfte in die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses noch einmal einen leb hafteren Schwung gebracht haben. Da dasselbe mit seinen Arbeiten so ziemlich fertig ist, ausgenommen die Stcncrvorlagcn, die aber für diese Session in den Kommissionen „begraben" bleibe», so wird der Schluß der preußischen Landtagssession in diesen Tagen erfolgen. — Der Jcsuitengencral I>. Beckx hat, wie der „Germania" ans Rom gemeldet wird, wegen seines hohen Alters sei» Amt nicdergclcgt 1'. Beck; steht im neunzigsten Lebensjahre. Sein Nachfolger ist I'. Antonius Anderledy. Ocsterreich-Ilttgarir. In Oesterreich wurden in der ver gangenen Woche die politischen und parlamentarischen Kreise durch den Exodus der liberalen Partei aus dem Abgeordnetenhaus«! in nicht geringe Aufregung versetzt. Das zweitägige Fernbleiben der Linken von den parlamentarischen Verhandlungen charakterisirte sich als ein energischer Protest der Linken gegen de» Vergcwaltigungsversuch, den Präsident Smolka unter Zustimmung der Rechten in Sachen der Ab stimmung über das Meliorationsgesctz gegenüber der deutsch liberalen Minorität versucht hatte. Dieser Protest hatte denn auch die Wirkung, daß Smolka eine halb und halb Abbitte leistende Erklärung abgab, infolgedessen die Linke am Donnerstag wieder vollzählig im Abge ordnetenhause erschien. Mit der protokollarischen Ausnahme der Er klärung deS Präsidenten und einer Gegenerklärung der Linke» war die zweitägige Fehde beendet, welche es den Deutschen liberaler Nich- tun jedenfalls gezeigt hat, wie wenig das Hans ihrer praktischen Mit wirkung entbehren kann. Im klebrigen begann im österreichischen Abgeordnetenhaus«: vorige Woche die Generaldebatte über de» sechsten Abschnitt der Gewerbeordnung, die sich zu einer Verhandlung über die soziale Frage im großen Stile gestaltete. Frankreich. Die auswärtige wie die innere Politik des Kabi- nets Ferry hat in der jüngsten Zeit zwei Triumphe gefeiert, hie erheblich zur Befestigung der Stellung des gegenwärtigen französischen Ministeriums beigetragen haben. Für die innere Politik liegt dieser Triumph in dem Ergcbniß der GemciuderathSwahlen; denn cs crgiebt sich jetzt, wo auch die Stichwahlen bekannt sind, daß die übergroße Mehrheit der französischen GeMinderäthe ganz oder theilweise aus Anhängern deS gemäßigten. Republikanismus zusammengesetzt ist, mit welchem Erfolge, die Regierung deS Herrn Ferry wohl zufrieden sein - darf. Dieser Erfolg hat Herrn Ferry bereits ermuthigt, das Projekt der Verfassungs-Revision ernstlich in Angriff zu nehmen, welches seine Spitze zunächst gegen die reaktionären Elemente des Senats richtet In der auswärtigen Politik aber hat der leitende französische Staats mann einen noch größeren Triumph durch den Abschluß des Tientsicn- Vertrages gefeiert, der Frankreich eine fast dominirende Stellung in dem südlichen Ostasien verleiht und seine Wirkung auch auf den andern Gebieten der auswärtige» französische» Politik äußern wird. Es heißt denn auch bereits, daß in den Vorverhandlungen über die Konferenz England einige der französischen Forderungen bewilligt habe, anderseits schreibt jedoch die „Pall-Mnll-Gazette", daß cs wahrschein lich zu keiner Konferenz kommen werde. England. Tie jüngste „egyptischc" Debatte im englischen Unterhaus«: hat zur Klärung der Situation in« Sudan wenig bcige- tragcn. Indessen ließ sich aus den Verhandlungen doch entnehmen, daß cs der englischen Regierung gar nicht einfällt, Khartum durch eine größere Expedition zu entsetzen und verschanzt sie sich hierbei bequemer Weise hinter de» klimatologischcn Hindernisse». „Sieh zu, wie du durchkommst", diesen wohlfeilen Rath gab die englische Re gierung dem General Gordon und ebenso sollen sich die Gouverneure von Dongola und Berber selber helfen — eine nette Politik, dar muß man sagen! Zu erwähnen ist noch, daß Lord Graiwille in der Frcitagssitznng des Oberhauses auf eine Anfrage betreffs Gordons erwiedertc, derselbe habe mehrere glückliche Ausfälle gemacht und be finde sich gesund und wohl; z» was braucht sich also die englische Regierung graue Haare um sein Schicksal wachse» z» lasse»? Aller dings scheint im englischen Kabinet nunmehr endlich bezüglich Egyptens ein Umschwung der Stimmung eingctretcn zu sein. Wie die „Saint- Jamcs-Gazette" ans London meldet, habe das Ministerium be schlossen, zu einer Expedition nach Khartum Vorkehrungen zu treffe» nnd alles Erforderliche sofort in Angriff nehmen z» lassen. Die Truppen solle» abgesandt werden, sobald die Gewässer des Nils das Passiren kleiner Dampfer gestatten, also gegen Ende Juli, bis wohin Khartum freilich längst gefalle» sei» kann. Ans Egypten meldet man, daß der Gouverneur von Dongola sich weigere, den Rückzug anzutrctcn und erklärt habe, er würde den Sudan wieder erobern, wenn er Verstärkungen erhielte. Ein egyptisches Bataillon mit eng lischen Ossizicrcn wird nun doch in dir, nächsten Tagen nach Wady Halsa am oberen Nil abgehcn. Rnftlarrd. Die Grvßjährigkeits Erklärung des Thronfolgers, des 1868 geborene» Großfürsten Nikolaus, ist am Sonntage am Petersburger Hose unter große» Feierlichkeiten erfolgt. Fast sämmt liche größeren Höfe Europas hatten ans diesem Anlässe Vertreter ent sendet, unter denen Prinz Wilhelm von Preußen die hervorragendste Stelle cinnahm. Derselbe überreichte dem Großsürsten-Thronso'gcr den ihm von Kaiser Wilhelm verliehenen hohen Orden vom Schwarze» Adler nnd das Großkrenz des Rothen Adler-Ordens. Skandinavien. Aus Stockholm wird ein Personalwcchscl n dortigen Kabinet gemeldet. Staatsministcr Thyselius ist definitiv von seinem Posten zurückgetretcn und an seiner Stelle der Chef des Finanzdcpartcments, Themptander, zum Staatsministcr nnd Vorsitzen den des schwedischen Ministeriums ernannt worden. Nord-Amerika. Die Börsenpanik in Ncw-Uork beginnt sich allmählich wieder zu legen. Eine Depesche vom Freitag meldet, daß nach der durch da? Fallissement Hcndy verursachten Baisse wieder Beruhigung nnd eine wesentlich gebesserte Tendenz cingetrete» sei. Nachrichten aus Chemnttz und Umgegend. Chemnitz, den 19. Mai 1884. — Wie der „B. B. Ztg." geschrieben wird, ist die Chenvnitzer Werkzcugmaschinenfabrik (vormals Johann Ziminrrmann) in dem mit dem 30. In», ds. I. zu Ende gehenden Geschäftsjahr andauernd zu lohnenden Prellen, gewesen und die jetzt noch vorliegenden - üilkMIW nehmen die volle Arbeitsfähigkeit des Etablissements noch auf mindestens drei Monate hinaus in Anspruch. Die Fakturirnng der gelieferten Maaren stellt sich für die drei ersten Quartale des laufenden Betriebsjahrcs höher als in derselben Zeit des Vorjahres. Eine wesentliche geschäftliche Erweiterung wird das Etablissement dadurch erfahren, daß nach dem neuen Statutencntwurf, über welchen eine außerordentliche Generalversammlung der Aktionäre am 7. Juni d. I. Beschluß fassen soll, neben der Erbauung von Werkzeug-Maschinen die Fabrik auch Motoren und andere Maschinen sowie Maschincntheile aller Art anzusertigen berechtigt sein soll. —t„. Der Maschinensabrikant Herr Michaelis, Zschopaucr- straße 60 wohnhaft, läßt täglich, Nachmittags 5 Uhr, cineStraßen- lokv motivc, behufs Personenbeförderung, bis Alten ha in gehen Entnahme der Billets, sowie Einsteigen findet beim Fabriketablisse ment selbst statt. An Sonn- nnd Festtage» werden außer den ange gebene» noch Fahrten nach Bedarf arrangirck. Die Preise sind: bis Erlcr's Restaurant (Baum> 10 Pf., bis Haase's Gasthaus 15 Pf., bis „Neue Schenken" 25Pf., bis Restaurant „Er holung" 40 Pf. und bis „Gasthof Altcnhain" als letzter Station 50 Pf. Rctonrfahrtcn erfolgen täglich 6 Uhr Nachmittags. Jedenfalls dürste dieser „Dampf-Sport" den Reiz der Neuheit für sich haben. — Der Verein für volkverständlichc Gesundheits pflege und Naturhcilkundc veranstaltet nächsten Mittwoch, Abends 8 Uhr, im Saale der „Linde" für diese Saison seinen letzten Vortragsabend, nnd zwar wird Herr B. Stahringer über „Das Auge, dessen Bau, Krankheit nnd naturgemäße Heilung" sprechen. — Wie wir erfahren haben, erscheint binnen kurzem Heft IV der Mitthcilungen des Vereins sür Chemnitzer Geschichte nnd wird alsdann den Mitgliedern des genannten Vereins gratis zngcstellt werden, währcnd cS im Buchhandel sür 3 Mark käuflich zu haben sein wird. Dieses vierte Hest verspricht eine würdige Fortsetzung der bisherigen Vcrcinspublikationen zu werden und gewiß freuen sich viele darauf, dasselbe ihren Bibliothek,n cinverleiben z» können. Die früher erschienene» Hcste sind übrigens noch zum Preise von je 3 Mark zu haben, ebenso der Ctadtplan von 1761 für 1'/, Mark. Bei dieser Gelegenheit wollen wir jedoch die Bemerkung ansügen, daß neue Mitglieder die letzte Verein-Publikation ebenfalls gratis erhalten. Wenn man nun bedenkt, daß für die billige Vereinsstencr von 3 Mk. pro Jahr wcrlhvolle Gegenleistungen geboten werden, andrerseits aber dadurch ein gemeinnütziges Institut »nsrer Stadt unterstützt wird, so darf wohl angenommen werden, daß infolge dieses Hinweises dem Verein recht viele neue Mitglieder bcitreten. —tt. Seit kurzer Zeit sind drei junge Portugiese» in Chemnitz angclangt und haben Stellung in der Sächsischen Ma schinenfabrik angenommen, um sich hier theoretische nnd praktische Kenntnisse im Maschinenbau anzneigncn. — Alle drei sind der deut schen Sprache noch nicht mächtig; ein Kollege, welcher längere Zeit in Lissabon ge>vcscn ist, vertritt daher bei ihnen in der liebenswür digsten Welse den Dolmetscher und macht sie mit den hiesigen Ver hältnisse/ eingehendst bekannt nnd vertraut. Im alten Schloßt lost er sind gelegentlich der in jüngster orgenvmmenen Bauten fünf Skelette aufgefnndcn worden, unter welchen sich, nach dem Gutachten eines hiesigen Arztes, mich dasjenige er weiblichen Person befand, welcher der Hintcrkopf cingcschlagen mn mußte. Die Lage des Skeletts ließ übrigens mit voller Sicher heit darauf schließen, daß hier seiner Zeit ein Verbrechen verübt worden ist. — o— Die plötzlich so intensiv austrctende Hitze macht augenblicklich namentlich unser» Bücklingshändlern o» xeos sehr viel zu schaffen. So habe» z. B am vergangenen Sonnabende die meisten dieser Engroshändler empfindliche Verluste erlitten, indem sic die Waare meist weit unter dem Einkaufspreise abgeben mußten. In einzelnen Fällen haben sic ihre Waare, nur um dieselbe an den Mann zu bringen, um die Hälfte des Einkaufspreises abgelassen. Bei der herrschenden Gluth reichen eben einige Stunden hin, um derartige Fischwaarcn völlig wcrthlos zu machen. —>«. Das Wetter des gestrigen Sonntags war für das Gesangs- sest, welches in Altchemnitz abgchalten wurde, ein sehr günstiges. Die Einwohner waren schon früh 5 Uhr mit Ehrenpsortcnba» beschäftigt nnd fast über 3 > sind längs der Dorsstraßc errichtet worden. Mehrere auswärtige Bruder-Vereine waren auf Einladung erschienen, und außerdem bcthciligtcn sich noch am Feste selbst die im Orte exiflircn- den Turn- nnd Fcuerwchrvercine. Die Gesangsvorlräge ernteten seitens der Zuhörer allgemeinen Beifall — w. Heute, Montag, früh '/«7 Nhr hat der Blitz auch in Chemnitz zweimal eingeschlagen. Das erste Mal auf der Blanke- nauerstraße, woselbst er drei Telegraphcnstangen beschädigte, von welchen sofort zwei durch neue ergänzt werden müffen. Beim zweiten Mal fuhr der Blitz in den Blitzableiter der 5. Bczirksschnlc am Brühl, ohne jedoch Schaden anzurichten. —Wie völlig es am Platze ist, gegenwärtig in der Saison der sogenannten „grünen S ippen" 'auf eine recht sorgfältige Zube reitung derselben in Betreff der dazu zu verwendenden Kräuter auf merksam zu machen, bewies ein gestern im benachbarten H. vorge- kommencr Fall. Die Familie des Strumpffaktors Z. — aus 7 Köpfen bestehend — wurde nach eingenommenem Mittagsmahle plötzlich von fürchterlichem „Leibschneiden" geplagt nnd da die genossenen Speiser! — das Fleisch und das Gemüse — absolut nicht- enthalten haben haben konnten, was die Leibschmerzen zu verursachen im Stande ge wesen wäre, so verfiel man sofort, und zwar mit völlig begründetem Verdachte, auf die Suppe, zu welcher man Petersilie verwendet hatte. Als man den noch übriggcbliebcnen Theil untersuchte, ergab sich, daß ein großer Theil des gemeinen gefleckten Schierlings sich unter der Petersilie befand, und die betr. Familie hat von großem Glück zu sagen, mit einer im Verhältniß geringen Beschwerde davon gekommen zu sein. Merkwürdig bleibt es, daß bei den älteren Gliedern der bercgten Familie die Leibschmerzen stärker auftraten, als bei den jüngeren Theilnchmern der Mahlzeit, obgleich man ziemlich gleich mäßig von der Suppe genossen hatte. Am MuldenAeui. Romantische Erzählung von Job. Schröder. (Fortsetzung) Nachdruck Verbote» Das Balkonzimmer lag von den bewohnten Räumen der Ober förster» gänzlich geschieden. Nur ein großer, sür gewöhnlich unbcnntzter Speiscsaal vermittelte einen Ausgang, und zwar zu dem Korridor hin. Die Thür zwischen dem letzteren und dem Speiscsaal wurde von Herrn Faller sorgfältig verschlossen, bevor er das Gespräch, in einer Fenster nische des Balkonzimmers seiner Frau gegenüber Platz nehmend, crössnetc. Er holte mit einem leisen Scufzcrzuge tief Athen,. „Liebe Ulrike", begann er, „hast Du gestern irgend etwas davon wahrgenomme», daß zwischen dem Doktor Karden und unsrer Helene sich ein zartes Verhältniß ungebahnt hat Ich gestehe: ich habe nichts bemerkt." Frauenaugen sind in solchen Dingen schärfer als Männcraugcn. Frau Ulrike hatte allerdings etwas gemerkt. Ihr war schon seit gestern nicht wohl dabei zu Mnthe; und als sie vor einer guten Stunde den Kutscher Christian in seinem besten Anzuge hatte daher kommen sehe» und von ihm gehört hatte, daß er ein Briefchen an ihren Gemahl abgeben sollte, hatte ihr eine innere Stimme schon gedeutet, »m was cs sich handelte. So hatte sic sich denn mit banger Spannung darein ergeben, daß Sorge» und Kämpfe uni Helenes Wille» anrückc» würden. Ohne ei» Wort zu spreche», senkte sic nun auf die Frage ihres Ge mahls zur Bejahung das Haupt etwas ti-ser zu ihren gefalteten Händen nieder, nnd ans ihrer Stirn lag ein schmerzliches Sinnen. „So I" nahm der Oberförster auf und maß abermals mit große» Schritte» das Zimmer. „Habe es mir doch gedacht," sagte er, vor seiner Frau stehe» bleibend, „daß cs einmal so komme» müßte. Habe von Anfang an gesagt: wen» wir hierher zum Mulde» ziehen wolle», so müsse» wir dem Kinde auch reine» Wein cinschcnkcn, daß die Grab hügel hier ihre schlafenden Eltern decken. Ein KindeSherz nimmt die schmerzlichen Wahrheiten in seine kleine Hand wie ein Spielzeug, wen» es in, übrigen, wie cs doch bei Helene der Fall war, von liebenden Menschen versorgt wird. Die Gewohnheit des Wissens hätte bei ihr alles geheilt." „Hätte die Gewohnheit des Wissens," wagte Frau Ulrike schüchtern zu frage», „daß sie ihre Elter» in uns nicht zu sehen habe, ihr wohl kindliche Liebe zu »ns ins Herz gepflanzt?" „Liebe Ulrike," erwiedertc ihr Gatte, eine gewisse Gereiztheit unterdrück nd, „wir wolle» de» Faden dieses Themas nicht von neuem abspinne»; cs ist oft genug vor Jahre» zwischen uns «erhandelt worden Ich fühle ganz genau, daß, wenn wir Helene jetzt ansklärcn müssen, wir i» Gefahr stehe», viel mehr von der Liebe zu verlieren, die wir ihr mit der Täuschung über ihre Geburt anerzogcn haben Sentimentalität nicht nachgebcn sollen. Es ist aber leider geschehen, und ich wollte jetzt nur mit Dir berathcn, was wir auf diesen Brief" — er reichte ihr den Brief des Pastors zum Lesen — „zu thnn haben werden." Fra» Ulrike las. Es wurde ihr schwer; den» ihre Augen füllten sich mit Thräncn, nnd ihre Hände vermochten das Blatt nicht still z» halten. Nach dem Lesen gab sie schweigend de» Brief ihrem Gatten zurück „Glaubst Du gewiß zu sein," hob er »ach einer Panse wieder an, „daß Helene bei freier Wahl um des Doktors willen auch auf die Dauer Alfreds Hand ausschlagcn würde?" Wieder nickte sie nur, wortlos bejahend. „Nun dann," fuhr der Oberförster fort, „bin ich mit der einen Hälfte meiner Auseinandersetzungen zu Ende. Ich traue Deinem Scharsblick in dieser Sache und kenne ja selbst die Entschiedenheit in Helenes Charakter hinlänglich, um gar nicht erst zu versuche», ihr ferner, wie bisher, eine Verbindung mit Alfred anzurathcn Uebrigeus möchte ich cs auch nun nicht länger aus Liebe zu dem guten Kinde. Ich habe wirklich bisher geglaubt, hinter der Maske der Abneigung und der spöttelnden Zänkerei, womit sie Alfred gegenüber noch bei seinem letzte» Hiersein eine» so abweisenden Standpunkt behauptete, berge sich heimlich eine gcgcnthciligc Sympathie sür ihn «Frau Ulrike schüttelte de» Kops); wen» cs aber nicht so ist, wenn sic au der Seite des Doktors Karden, dessen Persönlichkeit u»d Wese» mir außerordent lich gefallen hat, ihr Lcbensglück sucht, so wüßte ich nicht, was wir ihr i» de» Weg legen dürften. Alfreds Rittergut zu Liebe können wir doch kein Menschenopfer bringe». Gott sei Dank, daß wir einen solchen Moloch nicht nnbctcn. Auch bi» ich zweifelhaft geworden, ob selbst bei Neigung aus Helenes Seite zu Alfred der letztere im Stande sein würde, sie glücklich zu machen Mir scheint cs immer mehr so, als habe Alfreds Liebe, von der er mir so viel vorgcschwatzt hat, eigentlich die Physiognomie eines einsachcn Rcchencxcmpcls, und zwar aus der Spezies der Multiplikation Ich werde ihm daher heut oder morgen mitthcilcn, daß er sich anderweitig nach einem weiblichen Multiplikator seiner Finanzen nmthnn müsse." Frau Ulrike hatte schweigend diesem langen Sermon ihres Ge mahls zngehört nnd beantwortete denselben, als Falkcr eine Panse machte uud sic mit einem Blicke, welcher den Austausch ihrer Mei nungen erbat, forschend anschautc, nur mit einem verlegenen Seufzer. Er schloß daraus auf eine Mißbilligung der von ihm eingenommenen Stellung zur Sache nnd fragte nun direkt »ach ihrer Ansicht. „O, lieber Bruno," sagte sie nun mit einem vor innerer Be wcqnng zitternden Tone, „ich sehe auch nicht, wie wir anders recht vor Gott thnn könnte», als daß wir Helenes Hand ohne Widerspruch als wir eingcbüßt habe» würden, wenn wir ihr von Anfang an die in die des Doktors Karden lege». Das ist mir schon seit gestern klar, Wahrheit gesagt hätten. Ja, vielleicht hätte» wir im letzte» Falle ^ wo ich sic beide zu beobachten Gelegenheit halte. Aber wenn ich mir vielleicht gar nichts eingcbüßt. — Doch ich beabsichtige nicht, Dir den Schmerz vorstellc, welchem Helene zum Opfer fallen würde Vorwürfe zu mache». Der Vorwurf träfe mich auch eben so weit., wollten wir ihr von ihren Eltern nnd deren «»glücklichem Lebcnsausgang Ich hatte eben meinem geraden Sinne folgen und Deiner damaligen erzählen, und wenn ich an die Erschütterungen denke, welche dann ihre Seele ergreifen müßten, zumal sie dem schändlichen Gerücht halb und halb Glauben geschenkt hat, nach welchem ihr Vater selbst Hand an sein Leben gelegt haben soll, so zuckt eine Angst und rin Wehe durch mein Herz, das ich nicht beschreiben kann." „Und dennoch," fuhr Falkcr fort, „werden wir weder Helene noch uns sür immer den Schmerz ersparen können, der mit der Enthüllung des Geheimnisses verbunden sein wird. Frage Dich doch einmal, liebe Ulrike, ob wir wirklich das Recht habe», einem Kinde mit Mitteln der Täuschung zu wehren, daß es jemals den Tod seiner Eltern beweine." „Mögen wir uns dieses Recht zur Uebcrtäubung der Stimmen, Welche in uns lebe» nnd es uns absprechen, aus noch so edlen Mo tiven der Liebe ableiten: wir haben es trotzdem nicht. Die Kennt nis! welche wir bisher Helenen entzogen haben, ist ein Menschenrecht, welches sür den edelste» Preis dem Kinde von niemand entzogen Werden darf Es kann daher für uns nur die Frage übrig bleiben, ob der Zeitpunkt, wo Helenen Mittheilung geschehen muß, jetzt, wo sie sich verloben soll, erschienen sei oder nicht. Ich meine, daß in ihrer Zukunst sich schwerlich ein günstigerer Augenblick darbielen wird. Jetzt wird die Freude dem Schmerz die Wage halten, wird dadurch zuerst den Jammer mildern und wird, anfänglich zwar selbst gedämpft, doch nach und »ach Helenes Stimmung wieder kläre» und beherrschen. Außerdem aber sind wir dem Doktor Karde» die Aufklärung schuldig. Wie nun, wenn dieser cs für seine Pflicht hält, seine Braut in ihre eigensten Lcbcnsverhältnisse cinznweihcn, deren Kenntniß wir ihr vor- cnthaltcn wollten? „Das ist cs ja eben", knüpfte Frau Faller ihre Einwendung an die letzten Worte ihres Gemahls an, „weshalb ich mit so viel Kummer an eine Verbindung Helenes mit dem Doktor denke. Alfred würde anders handeln." „Das würde er", gab Falkcr zurück. „Anders, aber nicht richtiger. Ich gestehe ja daß ich eine Zcitlang genau wie du dem Gedanken ergebe» gewesen bin, als könnten wir Alfreds Heiralhsabsicht, da er schon längst nm Helenes Abkunft weiß, dazu benutzen, ihr dieselbe noch länger zu verbergen. Ich habe dergleichen auch zu Alfred ge äußert. Seit ich indcß des Pastors Brief gclesi» habe, ist cs mir, als habe Gott z» mir gesprochen: „Ihr Menschen mit eurem Klügeln seid Thoren; ich mache eure krummen Wege z» Nichte; tretet nur getrost ans den geraden Weg; es sind auf ihm zwar Schmerzen nnd Leiden, aber ich wandle sie in Heil und Segen." Frau Falkcr ward durch diese letzte» Worte überwunden. Es war ihr, als fluthete ein Licht großen Trostes in die Seele. Noch mit Thräncn reichte sie ihrem Gatten stnmm die Hand, aber es schimmerte darin schon ein Glanz hoffnungsvoller Freude. Er schloß sie mit Innigkeit wortlos in seine Arme. „Willst d» cs Helenen sagen?" fragte er dann mit bewegtem Tone. Sie schüttelte leise mit dem Haupt. „Ich bin zu schwach dazu, lieber Bruno", sagte sie bittend. „Nun, so mag es meine Pflicht bleiben", schloß er. (Fortsetzung folgt.)
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