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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 25.01.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188401255
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840125
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840125
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-01
- Tag 1884-01-25
-
Monat
1884-01
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 25.01.1884
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<Ubernnitz«r Nr. 21. Freitag. 2b. Januar. Seite 2. weiterer Steuerstufen zu Hilfe gekommen zu sehen, so büßen die in den erwähnten Gesetzentwürfen zum Ausdruck gebrachten Reformvor schläge nach Anschauung der Staatsregierung die Grundlage ein, auf welche sie gebaut sind. Abänderungs vorschläge, welche Einzelheiten der Ausführung und Technik zum Gegenstände haben, werden bereit willige Berücksichtigung finden, an dem Ausgangspunkte derselben muß die Staatsregierung dagegen festhalten, weil sie in der Entlastung der ärmeren Klaffen eine sozialpolitische Nothwendigkeit, eine sittliche Pflicht sieht, deren Erfüllung wohl verzögert aber nicht beseitigt werden kann. — Der vatikanische „Moniteur de Rome- erklärt zu den letzten kirchenpolitischen Debatten, die bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede de» KultuMmsterS v. Goßler beweise, daß die Regiemng weder einen moäM viveacti noch die Herstellung deS früheren Zu standes noch auch eine organische Revision der Maigesetze im Sinne habe, untzl dem entsprechend würden nunmehr der Vatikan wie auch das Centrum handeln. — Durch Äilaß deS Staatssekretärs De. Stephan ist eine Beschränkung und Neuregelung des Post- und Telegraphendienstes an den Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen mit sofortiger Wirkung angeordnet worden. Durch dieselbe wird der Sonntagsschalterdienst bei sämmtlichen Postanstalten des Deutschen Neichspostgebiets um die Stunde von 7 bis 8 Uhr Nachmittags vermindert und demnach wer den Nachmittags die Schalter für den Verkehr mit dem Publikum von jetzt ab nur während der folgenden Stunden geöffnet sein: im Sommer von 7, im Winter von 8 bis 9 Uhr Morgens und von 5 bis 7 Uhr Nachmittags. Bei kleineren Aemtern mit nur einer Stunde Nachmittags, soll von 5 bis 6 Uhr Nachmittags rxpedirt werden. Der Telegraphendienst fällt da, wo nur beschränkter Tagesdienst be steht, mit dem Postdienst zusammen, doch wird überall, um die große Pause zwischen 9 Uhr Morgens und 5 Uhr Nackmittags abzukürzen, ein« dem Telegraphendienst allein gewidmete Dienststunde von 12 bi- 1 Uhr Mittag» wie seither beibehalten. Ferner werden alle FHiügej die nicht auf einen Sonntag fallen (eventuell erster und zweiter Weihnachtstag, zweiter Ostertag und zweiter Pfingsttag, die Bußtage, Neujahr, Charfreitag und Himmelfahrt), und an denen bislang nur während des Gottesdienstes geschloffen war, rücksichtlich Dicnstbeschränkung den Sonntagen völlig gleichgestellt. Was die Land briefbestellung anbetrifft, so werden die einmaligen Sonntagsbestellungen, wo sie bestehen, zwar beibehalten, indessen werden die Packele davon ausgeschloffen und die Landbestellung mht am Charfreitage, Bußtage, «rstckr Oster-, ersten Pfingst-, ersten Weihnachtsfeiertage, Himmelfahrt «üb in katholischen Gegenden am Frohnleichnamsfeste gänzlich Am Geburtstage des Kaisers und eventuell des betreffenden Landesfürsten ruht der Post- und Telegraphendienst wie an Sonn und Festtagen. — Wie da» „D. Tgbl." meldet, hat der unter dem Verdachte d«S Dynamitattentats in Frankfurt verhaftete Schriftsetzer Re ins -orf auch an der anarchistischen Bewegung in Süd-Frankreich theil- genommen und ist dort bestraft worden. — In Oldenburg fand am vergangenen Mittwoch der Pro zeß gegen den Schauspieler Schröder, den Buchdruckereibesitzer Litt mann und den Redakteur Hesse vor der ersten Strafkammer unter großem Andrange deS Publikums statt. Für den nicht anwesenden Major Steinmann waren Rechtsanwalt Dr. Sello aus Berlin und Rechtsanwalt Caesar in Oldenburg erschienen. Zunächst gelangte die Angelegenheit Schröder und Littmann zur Verhandlung. Schröder hat bekanntlich daS „Ochsenlied- versaßt, in dem es unter Anderem heißt: „Er schimpfte hirnverbrannt, beleidigte das Oldenburger Land." Schröder beantragte, Zeugen zu vernehmen, daß schon früher, noch «he Major Steinmann in Oldenburg war, preußische Unteroffiziere die Oldenburger Soldaten Oldenburger Ochsen genannt haben, das Ochsenlied sei auch zu dieser Zeit bereits verfaßt worden. Als er von- der Steimnann'schen Affaire hörte, habe er das Lied drucken lafstn und verbreitet, eine zweite Auflage sei in Hamburg erschienen, nachdem das Lied in Oldenburg konfiszirt war. Das Lied richte sich nicht gegen Major Steinmann, sondern war im Pluralis gehalten und richtete sich gegen alle den Oldenburgern von Fremden angethanen Beleidigungen. Der Gerichtshof lehnte den Beweisantrag ab. Der Staatsanwalt fand in den Worten: „er schimpfte hirnverbrannt" eine Beleidigung im Sinne des §185 des Strafgesetzbuches und bean tragte gegen beide Angeklagte je 50 Mark Geldstrafe. Rechtsanwalt Sello beantragte, eventuell sämmtliche Offiziere uyd Unteroffiziere des Füsilier-Bataillons zu vernehmen, die bekunden würden, daß Major Steinmann niemals den Ausdruck „Oldenburger Ochsen" gebraucht habe; er beantrage, die Angeklagten auf Grund des tz 186 des Strafgesetzbuchs zu bestrafen. Der Gerichtshof erkannte gegen Hesse auf 150 Mk., gegen Schröder auf 100 Mk., gegen Littmann auf )0 Mk. Geldstrafe. Die Verurtheilung geschah auf Grund de» 8 185 des Strafgesetzbuchs. — Au» Konstantinopel wird gemeldet, daß der dortige deutsche Botschafter der Türkei in Bezug auf den Import von Süd früchten (Korinthen, Rosinen re.) nach Deutschland dieselben Zoller- mäßigungen angeboten hat, wie sie Spanien in dem neuerdings abge schlossenen Handelsvertragi gewährleistet worden sind. Die Türkei hat diesen Antrag angenommen. Oesterreich-Ungarn, lieber den Abgeordneten David Starcevic, der in den letzten Tagen infolge der skandalösen Vor gänge im kroatischen Landtage soviel von sich reden machte, läßt sich die „Nat.-Ztg." aus Wien Folgendes berichten: „ES wäre gewiß interessant, über den unheimlichen Mann mehr zu erfahren, der die Rolle eines ngent provoe-rteiir spielt, aber seine Vergangen heit vor 1866 ist in geheimnißvolles Dunkel gehüllt. Seine Ge wohnheitsphrase im Landtage: „Gebt mir Schläge, wenn ich nicht recht habe-, läßt manches errathen Als sicher gilt nur, daß Starcevic an einer österreichischen Hochschule juristische Studien gemacht; angeb lich soll er den Doktortitel erlangt haben. Bekannt wurde der Mann in weiteren Kreisen erst, als er 1866 gegen die Zriny-Feier als eine ungarische Komödie austrat und 1878 eine politische Flugschrift er scheinen ließ: „Woran stehen wir", in welcher er gegen den Pan- slavismus und Rußland und für die katholische Okkupation der Balkanhalbinsel auftrat. Skandale im Landtage hatte er seit fünf zehn Jahren schon inscenirt und sein Sohn löst ihn jetzt in dieser Mission ab; an allen kroatischen Aufständen war er betheiligt, ohne daß sich seine Spur gerichtlich fassen ließ. Der Mann ist dabei nicht etwa ein Radikaler, sondern ein Ultramontaner, führt jeden Augenblick Gott und die heilige Relipion im Munde, während er die Gegner mit Unflath bewirft. Starcevic dürfte heute seinem Anschein nach an sechszig Jahr alt sein. Jeden Versuch, ihn über seine Ver> gangenheit zu interpelliren, lehnt er vorsichtig ab. Vielleicht wird in der nächsten Zeit noch Manches dochungerusen an den Tag kommen." Frankreich. Bezüglich des französisch-chinesischen Streits bringt die „Köln. Ztg." folgende offiziöse Kundgebung aus Berlin: „Die Mittheilung aus China, wonach die chinesische Regierung be absichtigt, den Hafen von Kanton bei der Daane-Jnscl und Whampoa abzusperrcn und unfahrbar zu machen, ist der englischen Regierung amtlich zugegangen. Lord Granville hat darauf Anlaß genommen, sich bei Waddington, dem französischen Botschafter in London zu vergewissern, ob Frankreich auch ferner auf dem Standpunkte verharre, seinerseits Maßregeln zu vermeiden, welche den europäischen Handel stören würden, und keinesfalls die Vertragshäfen anzugreifen, ohne den Mächten eine förmliche Kriegserklärung mitgetheilt zu haben. Darauf hätte Waddington erwidert, daß es nicht in der Absicht Frankreichs liege, irgend einen chinesischen Hafen anzugreifen, so lange die Chinesen sich aller Feindseligkeiten gegen französische Schiff und Unterthanen enthielten. Sollte Frankreich aber durch die Haltung Chinas ge zwungen werden, äußerste Maßregeln zum Schutze der französischen Interessen zu ergreifen, so werde den neutralen Mächten die Kriegs erklärung vorher mitgetheilt werden. Sir Harry Parkes, der englische Gesandte in China, der bereits Schritte gethan hatte, die Schließung des Hafens von Kanton zu verhindern, soll darauf von Lord Granville beauftragt worden sein, die Mittheilungen Waddingtons zur Kenntniß der chinesischen Negierung zu bringen." England. Der Strafprozeß gegen Wilhelm Wolf und Eduard Bendmaud, welche einer gegen das deutsche Botschafterpalais gerichteten Pulververschwörung angeklagt waren, kam am Sonnabend nach fünftägigen Verhandlungen, die absolut nichts Neues zu Tage förderten, zu einem überraschenden vorläufigen Abschluffe. Die Ge schworenen vermochten sich nämlich nicht zu einigen. Elf stimmten bezüglich des Wahrspruchs überein; der Zwölfte dagegen war anderer Meinung, und da keine Aussicht vorhanden war, ihn zur Annahme des von seinen Kollegen gefällten Urtheils zu bewegen, so wurde die Jury entlassen. Der Prozeß muß jetzt von Neucni ausgenommen werden, und wurden die beiden Angeklagten in Haft behalten. — In Irland wurden am Sonnabend wieder mehrere Agrar verbrechen verübt. In Phillamore wurde in das Haus eine» Guts besitzer» geschossen und zugleich ein Feuer angelegt, welches die Wirthschaftsgebäude und einen Lheil der Erntevorräthe zerstörte. In Tullamore wieder wurde auf einen Farmer geschossen, al» er vor dem Kaminfeuer seiner Stube saß, wobei er schwere Verwundungen davontrug. Mehrere Personen, die man im Verdachte hat, diese Verbrechen verübt zu haben, wurden verhaftet. Rustland. Am 28. d. M. wird bei dem Kaiser und der Kaiserin im Winterpalais eine ay>ße Ballfestlichkeit stattfiuden, zu welcher Einladungen an die höheren Beamten, Generäle, zahlreiche Mitglieder des diplomatischen Korps und andere Notabili- täten ergangen find. — Der in diesem Jahre zum ersten Male seit der Krönung , zusammengetretene Moskauer Adelskonvent zur Vornahme der Wahlen des Adels für öffentliche Aemter wurde am Dienstag von , dem Generalgouverneur mit einer Ansprache eröffnet, in welcher der selbe betonte, daß der Moskauer Adel bei der Ausübung öffentlicher Aemter jederzeit eine traditionelle Loyalität für den Thron und da» Vaterland an den Tag gelegt und sich dadurch seine Ehrenstellung unter den übrigen Ständen erworben habe. Wenn auch bei den Wahlen der allgemeinen Stände würdige Mitglieder des Adelstande» zuweilen übergangen worden seien, so beeinträchtige das doch nicht die Berechtigung des Adels, den Angelegenheiten der allgemeinen Stände gegenüber eine hervorragende Stellung einzunehmen. Der Generalgouverneur rief dem Konvente das vom Kaiser dem Adel bei der Krönung ausgedrückte Vertrauen zu dessen erprobter Ergeben heit ins Gedächtniß und erklärte schließlich, er hoffe zuversichtlich, der Adel werde nach wie vor eine Stütze alles Guten zum Nutzen deS Thrones und des Vaterlandes sein sich bei den bevorstehenden Wahlen auf der Höhe der staatlichen Bedeutung des Adelstandes befinden.. Hierauf wurde der Entwurf einer Adresse an den Kaiser abgefaßt- und verlesen, in welchem den Gefühlen der Liebe, der Ergebenheit und des Vertrauens zu dem Monarchen Ausdruck gegeben wird Der Adreßentwurf wurde von den Versammelten mit enthusiastischen Zu rufen begrüßt. — Aus Petersburg wird unterm 23. Januar telegraphirt: Herr Rudolf Sendig aus Schandau in Sachsen wurde heute von der Kaiserin in huldvoller Weise empfangen. Schandau ist zur Hauptstation für die Zwecke des Vereins vom russischen rothen Kreuze bestimmt worden. Herr Sendig überreichte der Kaiserin ein Aquarell, welches das russische Offizier-Kurhaus in Schandau darstellt. Griechenland. Aus Larissa wird geschrieben, daß zahl reiche Agenten der türkischen Regierung die jüngst an Griechenland abgetretenen Gebietstheile durchzögen, um angesichts des im nächsten' Frühjahre eintretenden letzten Termins, an welchem die zurückgebliebenen Muhammedaner für ihr neues Vaterland oder für die Türkei zu optiren haben werden, unter den Muhammedanern zu Gunsten einer Massenauswanderung nach der asiatischen Türkei Stimmung zu machen. Zu diesem Behufe werden allerhand Gerüchte verbreitet und hat diese Propaganda insofern Erfolg, als Namentlich in Larissa viele türkische Familien Vorbereitungen zur Auswanderung treffen. Egypten. Mit der Entsendung Gordon Paschas nach dem Sudan, schreibt die „Nordd. Allg. Zig.", hat das Kadinet von St. James seine egyptische Politik in der öffemlichen Meinung Englands gewissermaßen rehabilitirt. Man hatte sich nur sehr widerwillig in den Verzicht auf die Herrschaft über den Sudan gefügt, und je un günstiger die Nachrichten aus Khartum, Sinkst und Tokar lauteten, um so unbehaglicher wurde die Stimmung, um so entschiedener machte sich das Gefühl geltend, daß eine neue große Katastrophe im eigensten Interesse vermieden werden müsse. Man sah ein, daß selbst die Räumung Khartums sich nicht durch einfaches Nichtsthun bewerkstelligen lasse, unlr man begann zu erwägen, ob es folglich nicht besser sei, Khartum zu halten. Die englische Regierung sah sich deshalb genöthigt. wenigstens etwas zu thun; sie schickte den besten Kenner des Sudans, den General Gordon, der eben im Begriff war, in belgischen Diensten nach dem Congo zu gehen, nach Khartum. Gordon's nächstes Ziel ist Suakim. Dort setzt er sich alsbald mit den Hadendowa- und Bischarin-Stämmen in Verbindung. Mauffa, der Häuptling der elfteren, ist ihm zu besonderem Danke verpflichtet, weil Gordon früher zwei seiner Söhne vor der Rachsucht egyptischer Beamten rettete. Maussas Gebiet mit dem Hauptorte Filik befindet Miß Hlympia Zadriski. Eine platonische Klub- und Liebesgeschichte. Von I. Piorkowska. (Fortsetzung.) Diesmal sagte das Gerücht: Lorenzv. Sturmhose sei wirklich verliebt! Aber in wen, um Gotteswillen?! — Die Liste derjenigen Damen welche nur auf die Ehre Anspruch machen durften: Frau Lorenz v. Sturmhose zu werden, wurde von den bedeutendsten Autoritäten geprüft; dieser oder jener Name wurde einen Moment der näheren Betrachtung unterzogen; dann aber warf man ihn zu den Todten, ohne ein befriedigendes Resultat erzielt zu haben. Und wiederum erhob sich die zischelnde Stimme des Gerüchts, diesmal aber schon ausdrucksvoller im Ton, sicherer, schärfer, energischer Lorenz v. Sturmhose sei verliebt — in eine Schauspielerin! Lorenz v. Sturmhose — er, zu dessen Herstellung in solcher Vollkommenheit ein so kostbares Material an Vorfahren verwendet worden war —: Lorenz v. Sturmhose den Netzen einer Bühnen gauklerin verfallen! Diese Behauptung war so absurd, so unerhört, daß sie alsbald — Jedermann glaubte. Etwa ein Dutzend Mitglieder unseres Klubs entdeckte plötzlich in seinem respektive» Herzen eine bis dahin ungeahnte Leidenschaft für dramatische Kunst. In kleinen Trupps zu dreien und vieren wall- fahrteten sie zu allen Kunsttempeln der Stadt, von der Oper und dem Schauspielhause an „abwärts". Indessen selbst die untergeordnetste „Schmiere", welche das größte Feld zur Nachforschung bot, produzirte absolut nichts in jener Be ziehung Verdächtiges, und gab nicht den geringsten Anlaß zu irgend einer begründeteren Vermuthung. Mehrere Wochen später, als Schnabelweit und meine Wenigkeit eines Abends ein kleines Vorstadttheater besuchten, wo Melpomene mitunler auch auf dem Drahtseil ging und Thalia ihre Leistungen am Trapez vollsührte, glaubten wir Lorenz v. Sturmhose unter dem bunt zusammengewürfelten Auditorium entdeckt zu haben. Schließlich ge wannen wir doch die Ueberzeugung, daß uns nur eine bedeutende Ähnlichkeit getäuscht hatte. Trotz dieser und anderer kleinen Enttäuschungen blieb übrigens Schnabelweit unermüdlich in seinen Nachforschungen. Und ich möchte fast glauben, es spielte bei diesem Eifer auch die Rache eine gewisse Rolle: Fedor von Schnabelweit konnte es Sturmhvse nie verzeihen, daß dieser ihn früher einmal — ob seines Beweihräuchern» der heirathsfähigcn Damenwelt — mit dem Titel Räucherkerzchen bedacht hatte Das energische Dunkel, welches die Herzcnsneigung Lorenz v. Sturmhoses und den Gegenstand derselben umgab, veranlaßte die tollsten Muthmaßungen und Hirngespinnste. Ob „sie" nun eine brünette Melpomene, mit Giftbecher und Dolch, rrder eine Thalia mit lichtem Haar und lachendem Antlitz repräscntirte — darüber hatten wir nur Vermuthungen. Es wurde jedoch ganz allgemein angenommen, daß Lorenz von Sturmhose im Begriff stehe, eine schreckliche Mesalliance zu schließen. Bis dahin hatte Lorenz den Klub wenigstens doch noch hin und wieder besucht; plötzlich aber war er ganz aus demselben verschwunden. Und auch nirgend anderwärts mehr ließ er sich sehen, weder in öffent lichen Lokalen, noch auf den Promenaden, noch in den Häusern, deren regelmäßiger Gast er sonst gewesen. Seine Wohnung war verödet, verschlossen. Er war wie aus der Welt verschwunden; ein leuchtender Stern hatte er am Himmel der sogenannten guten Gesellschaft geglänzt, und nun Plötzlich — Schnuppe! „Wo, um Gotteswillen, blieb Lorenz v. Sturmbose?!" „Wer hat die letzte Spur von Lorenz v. Sturmhose gesehen?" „Wer ist Nachts beim Passiren von Kirchhöfen oder Kreuz wegen wenigstens Lorenz v. Sturmhoses Geist einmal begegnet?!" Schnabelweit blickte vou seiner Zeitung aus und sagte kaltblütig, die Asche von seiner Cigarre streifend: „Lorenz? Er wird sich nächstens vcrheirathen!" Allgemeiner Ausruf des Staunens und der Verwunderung unter den Anwesenden. „Ja, sagt mir nur", brummte Baron Stottersuß, der einzig Gelassene in diesem erregten Kreise, „was Euch eigentlich anficht, daß Ihr seit einiger Zeit in wahrhaft fiebernder Erregung über Sturmhose seid?" „Erlauben Sie, Baron, wenn unsere Freunde plötzlich vor uns in den Erdboden versinken, so hat man doch eine gewisse Berechtigung zu fragen: wohin?!" „Wohin?" erwiderte der Baron, sich mit der Rechten von den« unveränderten Bestand seines geringen Haarbesitzes überzeugend; „na, er ist einfach für einige Zeit zu seiner Mutter auf's Gut gegangen!" „Jetzt, im Februar?" „Meines Wissens verbietet kein Gesetz einem Menschen seine Mutter im Februar zu besuchen — selbst auf einem Gute!" — Baron Stotterfuß und Lorenz v. Sturmhose waren intimste Freunde und wenn irgend Jemand Sturmhoses Vertrauen besaß, so war es Stotterfuß. Selbstverständlich wußte Letzterer ganz genau, welche Gerüchte im Klub über seinen Freund kursirten; aber entweder durfte er unsere Neugier nicht befriedigen, oder er hielt cs nicht der Mühe werth. Denn an diesen mütterlichen Februar-Besuch glaubte natürlich keine Seele. Endlich, nachd-m man sich noch etwa acht Tage lang den Kops über das Verschwinden dieses merkwürdigen Gentleman zerbrochen, tauchte — auf dem Wege der Barbier-Publizität — auf, er habe sich für längere Zeit nach England begeben; und merkwürdigerweise bestätigte sich die Version in der That. Ob der Klub, wen» es ihm nicht gelungen wäre, über die Ur sachen dieses Ereignisses in'L Klare zu kommen, an einer Neugier- Epidemie zu Grunde gegangen wäre — ? Leicht möglich. Aber glück licherweise kam es nicht so weit. Denn nach kaum ferneren acht Tagen war die Geschichte heraus. Ob nun für den Baron Stotterfuß die Last des Geheimnisse» zu schwer geworden, oder ob die Indiskretion einer weiblichen Zunge es an's Licht gebracht — gleichviel! Eines Abends kannte man eben den Hergang der Sache, und der Klub war gerettet. Natürlich handelte cs sich um eine Herzensangelegenheit. Lorenz v. Sturmhose hatte in der That ein tieferes Interesse gefaßt — aber nicht für eine Schauspielerin. Sein edler Geist strebte zu höheren Künsten aus: Miß Olympia Zadriski, deren wirk lich halsbrecherische Heldenthaten aus dem Trapez in der verflossenen Saison die halbe Residenz in Erstaunen gesetzt hatten — sie hatte sich mit einem kecken Salto mortale in Lorenz v. Sturmhoses Herz geschwungen. Daß ein Mann wie Lorenz v. Sturmhose sich auch nur für einen Augenblick von den Reizen einer gewöhnlichen Seiltänzerin blenden lassen könne, erschien eigentlich als ein Ding der Unmöglich keit; aber bekanntlich ereignet sich das Unmögliche am häufigsten. Ueberdies war Miß Olympia allerdings keine gewöhnliche Seil tänzerin. Sie tanzte Goethe und sprang Shakespeare, und war dabei, von einer Lieblichkeit und Grazie in ihrem ganzen Wesen, von einer natürlichen Anmuth, die ihr trotz jener gewagten Kunststücke das Ge präge jungfräulicher Schüchternheit gab. Wenn man die wunderbare Geschicklichkeit und Schmiegsamkeit beobachtete, mit der sie scheinbar ohne jede Anstrengung die unver zeihlich kühnsten Leistungen produzirte, so mußte man eingestehen, daß diese Dame von der Vorsehung für das Seil bestimmt war. Sie be» saß eine staunenswcrthe Art, sich aus eü er anmuthigen Stellung in die andere zu wiegen, und es war entzückend, zu sehen, wie ihre ge schmeidige und doch kräftige Gestalt — ganz griechisch-mythologische Plastik! — jetzt hoch über den Gasflammen in göttlicher Ruhe schwebte, bald, ein schlanker befiederter Pfeil, über den Häuptern der staunenden Menge die Luft durchsauste! Ich beschreibe natürlich Miß Olympia hier so, wie sie Lorenz v Sturmhose's Augen sich darstellte, als er sie gelegentlich eines zu fälligen Besuches in einem kleinen Vorstadnhcater zum ersten Male sah. Mir persönlich erschien sie wie ein Mädchen zwischen achtzehn und zwanzig Jahren (— aber wer will das bei soviel Schminke und Reispuder und bei solcher Entfernung genau bestimmen! - ), schlank^ doch kräftig gebaut, die gewissermaßen auch hübsch zu nennen war, aber in ihrem ganzen Wesen deutlich die Wirkung der erschöpfenden Kraftanstrengungcn erkennen ließ, welche ihr Lebenslauf mit sich brachte. Der Mensch hängt eben nicht ungestraft täglich eine oder ein paar Stunden lang mit dem Kopf nach unten an einem schwankenden Holzgestcll! lFvrqetzung ,olgt.)
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