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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 15.11.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188311154
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18831115
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18831115
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-11
- Tag 1883-11-15
-
Monat
1883-11
-
Jahr
1883
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 15.11.1883
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,D CKemniyer Anzeiger „nd StaLtbote. Nr. 8» Donnerstag, 15 November. Seite 2. Debatte angenommen und verblieb bezüglich des Marinebudgets bei den früheren Beschlüssen. Der bosnische Okkupationskredit wurde nach den Ausschußanträgen genehmigt, nachdem der Reichsfinanz minister v. Kallay die Beschwerde des Delegirten Pflügel über die Vernachlässigung der katholischen Kirche in Bosnien eingehend wider legt hatte. Frankreich. Die Tonkin-Affaire spitzt sich immer mehr zu einem französisch-chinesischen Kriege zu. Sehr pessimistisch lauten die Aeußerungen, welche der Vertreter Chinas in London und Paris, Marquis Tseng, jüngst dem Korrespondenten des „Standart" gegen über gethan hat. Tseng erklärte, daß die Verhandlungen Chinas mit Frankeich abgebrochen seien und nicht eher wieder ausgenommen Werden würden, bis Frankreich die chinesische Note vom 5. November beantwortet haben werde. Der Ausbruch des Krieges sei wahr scheinlich, sobald die Franzosen gegen Bacninh vorgingen; in diesem Falle scheine auch die Sicherheit der Fremden in China bedroht. Die Stadt Bacninh bildet allerdings das nächste Ziel der mili tärische» Operationen der Franzosen in Tonkin und es ist wohl mög lich, daß die Einnahme derselben von der chinesischen Regierung als ein „ensns belli" aufgefaßt wird. Die Sicherheit ihrer in China wohnenden Angehörigen würde dann ein Gegenstand ernster Auf merksamkeit der europäischen Regierungen sein müssen, da die letzte Aeußerung Tseng'S auf große Gefahren hindeutet, welche den Aus ländern in China drohen. Auch auf Madagascar stehen den Franzo sen kriegerische Verwickelungen bevor; in Antanarivo, der Hauptstadt Madagaskars, soll eine Revolution ausgebrochen und der Premier minister sowie die von ihrer europäischen Reise zurückgekehrten mada gassischen Abgeordneten ermordet worden sein. Die Franzosen beab sichtigen daher, die Feindseligkeiten gegen die Howas wieder zu eröffnen. Italien. In Italien steht dem Cabinet Depretis ein neuer Sturm bevor. Die früheren Minister Cairoli, Crispi, Zanardelli, Mcotera und Baccarini sollen sich dahin geeinigt haben, dem Kabinet gemeinsam Opposition zu machen; nur über den Punkt, wo dieselbe einsetzen will, verlautet noch nichts Näheres. Vielleicht will die Oppo sition die Angelegenheit des allgemeinen Stimmrechtes dazu benutzen, dem Ministerium Verlegenheiten zu bereiten; in den letzten Tagen . Haben nämlich in den größeren italienischen Städten Meetings wegen '^Ausdehnung der Wahlfähigkeit bei den administrativen Wahlen statt gefunden, doch find die Versammlungen in vollkommener Ruhe und Ordnung verlaufen. — Der Papst hat, wie die „Germania* berichtet, He Demission des Kardinals Hohenlohe für das Bisthum Albano ^.-wicht angenommen, „da ein stichhaltiger Grund für eine Durchbrechung " der alten kirchlichen Tradition nicht vorlag*. Zugleich soll dem ge nannten Kirchenfürsten, welcher noch in Deutschland Weilt, eine noch malige Aufforderung des Papstes zur ungesäumten Rückkehr nach Nom I. .. ^ ^ ^ , zugegangen sein und ist man gespannt, ob sich der Kardinal beeilen ^ hie erwähnt zu werden verdiene, daß vom Miether -^tvird, dieser Aufforderung nachzukommen. Bulgarien. Fürst Alexander von Bulgarien empfing am Nachrichten aus Chemnitz und Umgegend. —xlr. Der Verein für Chemnitzer Geschichte hält mor gen Freitag Abend 8 Uhr im Börsensaal einen Vortragsabend ab, an welchem Herr Realschuloberlchrer !)>-. Kirchner über: „Ein Chemnitzer Superintendent im Anfang des 17. Jahrhunderts* spricht. Voraussichtlich wird dieser Vortragsabend sehr zahlreich besucht sein. — Die am 7. d. M. stattgefundene Monatsversammlung des Vereins selbstständiger Miether nahm zunächst einige geschäftliche Mittheilungen, sodann ein Referat über „Mißstände im Miethwesen* entgegen. Referent führte u. A. an, daß verschiedene Mißstände durch die Miether selbst geschaffen würden und daß Manches ver bessert, manche Klage beseitigt werden könne, wenn ein festeres Zusammenhalten der Miether, eine gegenseitige Unterstützung der selben bei Wohnungsveränderungen stattfände. So sei mehrfach darüber geklagt worden, daß Miether bei Wohnungswechsel die Be sichtigung der sreiwerdenden Wohnung nicht oder nur theilweise und auch dann noch ungern gestatteten, auf gestellte Fragen über etwa vorhandene Schäden, Defecte und sonst etwa zu bemerken gewesene Unannehmlichkeiten keinen, oder nicht genügenden Aufschluß gegeben und dadurch dem neuen Miether die Möglichkeit, sich vor Schaden zu schützen, verschließen. Als ein fernerer, für den nachfolgenden Miether oft sehr fühlbarer Mißstand sei die unvorsichtige Räumung der Wohnung zu bezeichnen. Es komme leider sehr oft vor, daß die an den Wänden befindlich gewesenen Gegenstände oft nicht mit der nöthigcn > Vorsicht entfernt und dadurch Defecte verursacht, deren Beseitigung wohl dem Wirth zukomme, allgemein aber dem Miether aufgebürdet würde. Hierin Wandel zu schaffen, sei die leicht erfüll bare Aufgabe jeden Miethers. Unterstütze man sich also gegenseitig insofern, als man bei Wohnungsvcränderungen seinem Nachfolger die Besichtigung der freiwerdenden Wohnung gern gestatte und ge nügenden Aufschluß über alles Nöthige gebe, dann würde dem Miether manche Erleichterung geschaffen und manche Klage beseitigt werden. Dadurch könne man auch theilweise der mitunter ungerecht fertigten Erhöhung des Micthzinses entgegentreten, z. B. würde man, wenn der ausziehende Miether seinen Nachfolger über die bisherige Höhe sowie erfolgten Steigerungen des Miethzinses genau unterrichte, nur erst im Nothfalle Wohnung bei solchen Hausbesitzern miethcn, welche die Miethe bei jeder Veranlassung z. B. Trottoirlegung rc. steigern, (obgleich der Miethzins erst kurze Zeit vorher nicht unbe trächtlich in die Höhe geschraubt worden war), ebenso würde map schwerlich ein Logis miethen, dessen Preis von, Besitzer ohne alle Veranlassung erst um ca. 21"/« und nach kurzer Zeit wieder um ca. 5",», also innerhalb eines Jahres um ca. 26»/« erhöht worden sei. Auch bezüglich der vom Miether mitunter zu zahlenden Wassersteuern seien Klagen laut geworden, wovon Sonntag den in Sofia eingetroffenen russischen Obersten Kaulbars in «ahezu vierstündiger Audienz. Ueber das Resultat derselben ist noch «ichts bekannt, doch werden in ihr jedenfalls die jüngsten bekannten Verfügungen der bulgarischen Regierung zur Sprache gekommen sein »nd steht wohl eine Verständigung zwischen Rußland und Bulgarien in der Militärfrage zu erwarten. Nach anderweitigen Mittheilungen soll Oberst Kaulbars zum bulgarischen Kriegsminister designirt sein. Egypten. Die Bestätigung des vor einiger Zeit gemeldeten Sieges des egyptischen Expeditionscorps unter Hicks Pascha über den Mahdi ist endlich in Kairo eingetroffen. Das amtliche arabische Journal „Wakai-el-misige" veröffentlicht zwei Depeschen, welche diese der egyptischen Regierung sehr angenehme Nachricht enthalten. Hicks Pascha ist es unmöglich gewesen, wahrscheinlich wegen der mangelhaften Verbindungen mit der Hauptstadt, der Regierung des Khedive früher Nachrichten über seine Bewegungen zu übermitteln. Die Nihilisten. Historische Novelle nach Jules Lavigne von S. Wtth. (Fortsetzung.) Auf diese Weise überrascht, war die Gräfin unschlüssig, sie fühlte nicht mehr den gleichen Muth. „Wann glaubst Du, daß wir sollten?" „Je früher, je bester, gleich jetzt.* So sprechend machte Parlowna der Unentschlossenheit der Gräfin ein Ende. Diese hatte einen zur Freude gestimmten Tag, wo die Seele, ohne zu wissen weshalb, ruhig, beinahe glücklich ist. „Wir können nicht,* sagte Stasia, „in einem unserer eigenen Wogen zu Serge fahren. O, wie sehr wird er überrascht sein. Wir woü n es folgendermaßen machen. Ich kleide mich in Schwarz und »ebme einen doppelten Schleier vor. Auf dem Prospekt nehmen wir einen Schlitten. Ach, das wird herrlich sein! Wohnt er sehr weit?* „Nein, nicht sehr weit. Somit ist also Alles beschlossen. So Wollen wir gehen!* Vergnügt wie ein Schulmädchen stieg eine Viertelstunde später Stafia in einen Miethschlitten. Erst fand sie es allerliebst, unter ihren Bekannten vorüberzufahren, ohne erkannt zu sein. Wenigstens glaubte sie es; aber sie hatte sich geirrt, wie es die Folge lehren wird. Als man dann die reichen Viertel verließ, um in die weniger bekannten und auch weniger belebten Straßen des Wassili-Ostrow- Quartiers einzubiegen, fürchtete sich die kleine Gräfin ein wenig. „Du bist des Weges ganz sicher," sagte sie zu Parlowna „Irre Dich nur nicht. Wie häßlich sind diese Häuser.* „Sie find häßlich von außen, aber noch viel häßlicher von innen," antwortete Parlowna gelaffen. Endlich sprach die Lehrerin das bekannte stol isvoal-iolc „halt" aus und konnte zu der Gräfin sagen: „Es ist hier * „Wie! hier?" Das Haus hatte wahrlich kein fürstliches Aussehen und konnte nicht mit dem Palast Rostow verglichen werden. Es war einer jener Bauten aus Holz, ziemlich verwahrlost, die man in Frankreich Schweizer- Häuschen nennen würde, wenn die großen Verhältnisse eine solche Be zeichnung zuließen, weil diese sich mehr auf etwas Niedliches, Nettes bezieht. Von außen war das Haus grün angestrichen nach russischer Mode. Ein großer Garten stieß daran, ein Hund der, das Anhalten des Schlittens gehört hatte, fing an zu bellen. „Gehen seine Fenster auf die Straße?" „Nein " sagte Parlowna, „in den Garten." Die kleine Gräfin war bewegt. Sie hatte, ohne sich dessen be wußt zu sein, dem Nihilistensührer einen Altar in ihrem Herzen errichtet, und siehe da, das Haus, in welchem ihr Abgott wohnte, war weit von dem geträumten Tempel entfernt. Die Wirklichkeit bietet manchmal solche Kontraste. Sie faßte sich bald wieder und sagte zu Parlowna: „Laß uns hinaufgehen." In Rußland bleiben die Häuser sich selbst überlasten. Es ist selten, . daß der Schweizer oder der Dwornick sich um das beküm mert, was darin vorgeht. Die beiden Damen stiegen die Treppe hinan, ohne daß sie irgend Jemandem begegneten. Im zweiten Stock las man an einer Thüre des Vorplatzes den mit Bleistift geschriebenen Namen von Serge. Wafsersteuern verlangt werden, ohne daß das betr. Haus mit Wasserleitung versehen sei. Es dürfte jedoch auch nicht verkannt werden, daß seitens der Miether oft mit dem Waffer nicht sparsam genug umgegangen und dadurch dem Besitzer des Hauses eine große Ausgabe an Mehrverbrauch von Waffer verursacht würde. In der sich hieran anschließenden lebhaften Debatte wurde das Vorstehende nicht nur allgemein gebilligt, sondern auch durch Anführung ver schiedener Fälle illustrirt und schließlich die Hoffnung ausgesprochen, daß Vorstehendes allgemeine Nachachtung finden möchte. Die im Fragekasten befindlichen Zettel wurden durch sofortige Beantwortung erledigt. —* Vorgestern Nachmittag ist im Mühlgraben hinter der Becker straße ein bis jetzt unbekannter weiblicher Leichnam aufgefunden und polizeilich aufgehoben worden. Das Alter der Verlebten ließ sich der eingetretenen Verwesung halber nicht genau bestimmen, doch dürfte dieselbe in den 20ger Jahren gestanden haben. Die Verstorbene war bekleidet mit schwarzem Kleid, unten mit zwei Falbeln besetzt, schwarzer Jacke, vom mit zwei Reihen großen Perlmutterknöpfen be setzt, grauem Unterrock, mit rothem gezackten Tuch besetzt, und braunen baumwollenen defcctcn Strümpfen. Der Leichnam hat wegen der vorgeschrittenen Fäulnißcrscheinungen beerdigt werden müssen, die Kleidung wird behufs Recognoscirung der Verstorbenen aufbewahrt. —* Der Ringofen einer an der Uferstraße gelegenen Ziegelei war schon längere Zeit von obdachlosen, betrunkenen und unterkommen losen Individuen als Nachtquartier benutzt worden. Die nächtlichen Gäste hatten sich auch Strohlager darin ganz behaglich eingerichtet. Außerdem diente der Ringofen als Aufbewahrungsort einer Menge Holzböcke, Decken, Schubkarren rc. Gestern Vormittag 11 Uhr be merkte ein Schutzmann, der um den Ringofen einer Visitation zu unterziehen, sich demselben näherte, wie 3 Personen aus demselben herausrannten und entflohen, bei weiterer Annähemng kam noch ein Mann eiligst herausgesprungen und strich sich über Haare und Bart. Letzteren konnte der Beamte festhalten. Beim Zutritt an den Ein gang des Ofens sah nun der Beamte das darin liegende Stroh in Hellen Flammen brennen, gleichzeitig theilte ihm der Festgehaltene mit, daß die 3 entflohenen Personen das Stroh, während er noch ge schlafen habe, angezündet hätten und er, um sich zu retten, durch das Feuer habe rennen müssen, wodurch ihm auch Haar und Bart ver sengt waren. Die herbeigerufene Feuerwehr konnte dem Feuer nicht beikommen und sind sämmtliche darin gelegene Gegenstände verbrannt. Die Brandstifter sind ermittelt und festgenommen worden. —* Gestern Mittag hat sich an hiesiger oberer Hainstraße die 8jährige Tochter eines Handarbeiter- in Abwesenheit der Mutter aus der 4 Treppen hoch gelegenen elterlichen Wohnung in den Hof hinab gestürzt und ist todt aufgehoben worden. Furcht vor Schulstrafe wegen wiederholter böswilliger Schulversäumnisse und kleiner Jahr marktsdiebereien soll der Beweggrund zu der höchst bedauerlichen Handlungsweise gewesen sein. Der Tod ist in Folge Schädelbruches sofort eingetreten. —* Gestern Mittag gelang es einem Schutzmann einen von Leip zig aus wegen Kleiderdiebstahls und Betrugs steckbrieflich verfolgten Laufburschen zu ermitteln und festzunehmen. — Auch Bernsdorf hatte seine Lutherfeier, welche am Sonn abend Vormittag mit einem Schulactus begann, welchem Vertreter de- Gemeinderaths und des Schulvorstands beiwohnten und wobei an die Kinder der 3 obersten Klaffen verschiedene in Anordnung und Inhalt dem Alter der Empfänger angemessene Lutherbiographien vertheilt wurden. Am Sonntag früh betheiligte sich der Gesangverein- Harmonie am großen Festzug in der Stadt und am Festgottesdienst in der Johanniskirche, Abends war Familienabend im Saale des Feldschlößchens; der Saal war überfüllt. Zuerst wurde Meyerbeers Ouvertüre zu den Hugenotten vierhändig am Clavier gespielt, worauf Herr Diaconus Ebeling in einer Ansprache Luthern als einen rechten Volksmann nach dem Herzen Gottes feierte. Danach kamen in bunter Reihe Gesangsvorträge vom Gesangverein Harmonie, Dekla mationen von Schulkindern, Duette und Solvvorträge rc. Den Haupt punkt des Programms bildete die Aufführung des dramatischen Fest spiels: „Die Wittenbergische Nachtigall", welches der Gesangverein Harmonie recht befriedigend zur Darstellung brachte. So verlies der Luthertag auf's Beste und wird bei allen Bernsdorfern immerfort in angenehmer Erinnerung bleiben. Parlowna klopfte an. „Oeffnet!" Der Schlüffe! steckte wirklich außen; Parlowna und die Gräfin traten ein. Serge lag zu Bett, die Arme über dem Kopf gekreuzt, er las Er drehte sich kaum um, als er Parlowna eintreten sah, die er wie einen Kameraden behandelte. Aber das Rauschen von Stasias Kleide machte ihn aufmerksam. Er erhob den Kopf und schaute nach ihr um: Indem er das liebliche Gesicht Stasia's erblickte, füllten sich seine Augen mit Thränen; er mochte sprechen, vermochte es aber nicht, er legte sein Buch weg und deutete auf einen Stuhl. Die Gräfin setzte sich, auch redete sie nicht; sie war wie ein Kind, das einen Fehler begangen hat und außerdem fand sie sich wirklich ihrer Sphäre, ihrer gewohnten Umgebung entrückt. Parlowna, welche fühlte, daß die Lage etwas Ungewöhnliches, in Verlegenheit Setzendes hatte, brach die Bahn, indem sie mit dem Verwundeten sprach. „Es geht ganz gut." sagte Serge, „in einigen Tagen werde ich wieder auf sein können. Ich versichere Sie, gnädige Frau, der Schritt, den sie thun, wird für mich das beste Heilmittel sein. Sie geben mir heute den größten Beweis der Freundschaft, der sich denken läßt. Bin ich dessen würdig, ich weiß es nicht. Aber das ist sicher, ich fühle den vollen Werth dieses Besuches, niemals, selbst nicht im Traum, hätte ich gewagt, daran zu denken." „Ach!" sagte Stasia, „Sie verdienen wohl meine Dankbarkeit, meine Theilnahme." „Was mir in der ganzen Sache den meisten Kummer machte," antworte Serge, als wenn er einen bestimmten Gedanken verfolgte, „das war, daß ich von nun an darauf verzichten müßte, in dem Palast Rostow zu erscheinen; ich glaubte Sie nie wieder zu sehen, und nun sie selbst kommen . . .* „O, das ist ja ganz natürlich," sagte lächelnd die Gräfin, „es ist ein ganz unvorbereiteter Besuch, nicht wahr, Parlowa . ." „Gewiß, Serge sieht es wohl." „Wir sind so unüberlegt von Hause weggegangen, daß wir nicht einmal irgend einen Gegenstand bringen, der Ihnen nützlich sein könnte. Es ist unverzeihlich." Indem sie so sprach, sah sich Stasia in dem Zimmer um. Es war ganz wohnlich, recht freundlich gelegen mit seinem Fenster nach dem Garten und dem weiten Horizont, an dem man Kirchthürme glänzen sah. An den mit billiger Tapete bekleideten Wänden hingen Por- traits von großen Männern und Familienbilder. „Das ist ja eine gar hübsche junge Dame," sagte die Gräfin, ein verblaßtes Miniaturbildchen bezeichnend. „Es war meine Mutter," antwortete Serge. „Ich glaube, daß ich sie geliebt haben würde" In diesem Moment stand die Gräfin ganz nahe bei Serge: der Kranke faßte ihre Hand, sie wollte sie ihm entziehen, aber trotz der raschen Bewegung konnte er doch einen Kuß darauf drücken. „Verzeihen Sie mir," sagte er, „es ist nach russischer Sitte Es ist ein l'ank. Da Sie mir nichts gebracht haben, lassen Sie mir wenigstens diese Erinnerung." Die Gräfin sah ihn wehmüthig an und zog ihre Hand zurück. Es ist das einzige Zeichen, welches je zwischen zwei Seelen gewechselt wurde, die geschaffen waren, sich zu verstehen, zu lieben. Eine Ver- SächHkfrheA. — Bekanntlich ist vom l. Januar k. I. ab eine nicht unbe deutende Reduction des Personalbestandes einzelner Regiments- resp. Bataillonsmusikkorps geplant. Wie Dresdner Blätter melden, hat sich in dieser Angelegenheit auch der allgemeine deutsche Musiker- Verein mit einer Petition verwendet und soll in Aussicht stehen, daß unser Kaiser für Januar eine Cabinetsordre erlassen wird, wonach sämmtliche Regimentskapellen auf 40 Mann und die Bataillonskorps auf 16 Musiker reducirt werden müssen. Außerdem soll die Aus übung von Ball- und Tanzmusik ganz verboten und die Ausübung kettung trauriger Umstände hatte sie getrennt: wird ihnen die seltene Kraft, die ungewöhnliche Seelengröße fehlen? Werden sich Stasia und Serge lieben? Für die, welche Sie kennen, ist die Antwort nicht zweifelhaft, aber wir wollen die Begebenheiten für uns sprechen lassen. Während dieser Besuch stattfand, während Stasia und Parlowna nach dem Palast Rostow zurückkehrten, ereigneten sich anderwärts wichtigere Dinge. XIII. Ribowski im Gcfängniß. Mittlerweile war Ribowski im Gesängniß. Er wußte nicht, weshalb er auf die Festung gebracht war, er wurde mit Rücksicht behandelt, gut genährt, auch durfte er mit seinen Wärtern sich unter halten, in dem großen Hof spazieren gehen, somit würde er sein Schicksal mit Geduld getragen haben, wenn er irgend wie hätte er- rathen können, welches Loos ihm ferner bestimmt wäre. Mehrmals versuchte er seine Wärter zu bestechen, um sie zum Reden zu bringen, aber er erreichte seinen Zweck nicht und dies aus guten Gründen, die Gefangenwärter kannten eben so wenig wie er selbst den Grund seiner Gefangenschaft, sie hatten ihre speziellen Be fehle und diese vollzogen sie. Die Nihilisten, welche mit ihm arretirt worden waren, erfuhren die gleiche Behandlung. Nichts erbitterte und schwächte diese mehr als die Einzelhaft. Niemanden sehen, nichts von der Außenwelt er fahren, zwischen hohen Mauern eingesperrt sein, hinter welchen ein Leben sich abspiclt, an dem man keinen Antheil mehr hat; schließlich aus die fade Unterhaltung mit den Gefangenwärtern oder ewigen Selbstgesprächen angewiesen sein. Es giebt keine schrecklichere Marter. Das Gcfängniß in der Festung ist schön und geräumig; die Russen und die Fremden, die es schon einmal gesehen haben, stimmen darin überein, ihm einen gewissen Reiz zuzuerkennen, der jedenfalls schwinden würde, wenn sic je darinnen eingesperrt würden. Die Festung beherrscht die Newa und das Centrum der Stadt, welches sie von allen Seilen beschießen kann. In der Mitte erhebt sich eine Kapelle, deren vergoldete Kuppel immerwährend, im Winter unter dem Schnee, im Sommer bei tropischem Sonnenschein glänzt. Mit einem Wort, sie ist ein Staatsgefängniß, wohin nur politische Gefangene gebracht werden. Unter dem Kaiser Nikolaus war die Festung ein wahres Schreckniß. Man erzählte gräßliche Dinge über sie, Scheußlichkeiten, die das Mark in den Gebeinen erfrieren machten. Diese Furcht wurde von dem Despotismus sorgfältig unterhalten. Man sagte, daß die Tyrannei ihre Opfer in den unterirdischem Gewölben einkerkerte, oft dorten vergaß. Berühmte Gefangene waren dort Hungers gestorben, vor Elend und Kummer umgekommen, andere waren während des Steigcns der Newa ertrunken. Anfangs war das Wasser durch Einsickern in die Kerker gedrungen, dann, als die Newa immer mehr stieg, bis über den Rand des Fensters, da war es mit Macht hereingedrungcn und hatte die Gefangenen ertränkt. Vergeblich stellten diese die Tische auf Betten, die Stühle auf die Tische. Der Einbruch des Flusses war ohne Gnade und Barm herzigkeit, sie starben eines fürchterlichen Todes, unter namenlosen Leiden. Ribowski hatte an alles dies gedacht, als er unter Begleitung seines Gendarmen in die Festung cinging, aber er war bald nach dieser Richtung hin beruhigt, als man ihm eine Zelle im ersten Stock anwics. (Fortsetzung folgt.)
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