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„Mein Gott, wie ist's mir denir, tr>as ist mit mir ge- schoben?" seufzte die Aermsie. während Heller Sck>n>eiß ans ihrer Stirn- hervorbracb. Kein Zweifel, eS schlummern Ahnungen in der mensck>- lichen Seele, die ans eine geheimnisvolle Weise erweckt, das Herz mahnend oder warnend mit sanftem Flügclfchlage berühren. Im Hause war Tonis Anwesenheit bemerkt worden, denn wie von Geisterhänden geöffnet, ging das Pförtchen auf, und gleichzeitig erschien drüben auf der Freitreppe eine Frauengestalt in Heller Schürze, also irgend eine dienende weibliche Person. Toni lxrttc sich dem Banne, der sie so lange festgehalten, jäh entrasft, sie trat durch das Psörtchm und eilte auf dem breiten, mit rotem Kies bedeckten Ciartemveg dem -Hause zu. Tie betreffende Person, ein junges, sauber gekleidetes Mädchen, schritt ihr entgegen. „Sie kommen wohl von Fräulein Panier?" rief sie ihr schon von weiten: zu. „Ja! Meine Schwester wäre selbst schon längst dage wesen, wenn sie nicht durch einen Unfall sich den Fuß schwer verletzt hätte." „So, so! Tie gnädige Frau hat den ganzen Abend auf Fräulein Panier gewartet. Ich mußte ab und zu Nachsehen, ob sie nicht doch noch kommt. Ta sie die Arbeit geschickt hat. so ist es auch gut. Bitte, geben Sie mir den Karton, ich werde ihn sofort der Frau Kommerzienrat überbringen." „Sehr liebenswürdig — aber ich muß es der Tame persönlich zustellen." „Tann kommen Sie, bitte, rasch." Seite an Seite eilten nun die zwei jungen Mädchen dallin, sprangen die Freitreppe hinauf und betraten eine weite Vorhalle, die durch elektrische Glühlampen fast taghell erleuchtet tuar. Toni fand keine Zeit, den Glanz und die Pracht zu bewundern, die schon hier im Vestibüle sich in aufdringlicher Weise breit machten, von dem immensen Reichtum des glück lichen Besitzers beredtes Zeugnis ablegend. Weiter ging es über eine von Statuen und Blnmenvasen flankierte, mit Plüschläufern bedeckte breite Treppe hinauf nach dem ersten Stockwerk, und hier wurde die Botin veranlaßt, in einen Vorsaal zu treten. Il re Begleiterin verschwand durch eine weitgeöfniete Toppelin r, nachdem sie der Fremden bedeutet, zu warten. Toni, allein zurückgeblieben, bolte tief und schwer Atem. Nicht einmal in, Traume hatte sie bisher so viel Schönes und Herrliches gesehen, woran jetzt ihr Blick in Wirklichkeit sich weiden durste. Wobin sich das Auge auch wandte, überall traf es auf Kostbarkeiten, und dergleichen ungewohnt, wie das Tonis nxrr, wurde es fast geblendet von dem glitzernden Schein, von den strahlenden Lickst- reileren, die allerorts, an Decke und Wänden, an den Kron leuchtern und kostbaren Möbeln spielten. Olga batte ihr niemals erzählt, wie schön es hier lvar. welchen Reichtum an Formen und Farben diese Stätte in sich barg, und selbst darauf bezügliche Fragen liatte die gute Schwester stets nur ausweichend, mit unbestimmten Rede wendungen beantwortet. Warum das? Cs gab daraus nur die eine Antivort: Olga wollte der jüngeren Schwester nickst Anlaß bieten. Vergleiche anzu stellen. aus denen ein Kontrast sich ergeben mußte, der neben dem hier Protzenden lstberslus; die eigene Dürftigkeit riesen groß, Unzufriedenheit weckend, erstehen ließ. Ta lvar Olga, vorstehendes als 'stästig vorausgesetzt, in den Charakter und die Sinnesart ihrer Schwester nicht mit rechtem Verständ nis eingcdrnngen, denn wie sie selbst, batte auch Toni schon früh ent'agen gelernt, batte rechtzeitig anfangen müssen, in der schweren Kunst sich zu üben, das gern und mutig zu entbehren, was nickst zu erreichen wxrr. Ja. dem Sinne Tonis lag fern das Wünschen und Ver langen nach Dingen, die das ewige Geschick ihr vorzuenthal ten besckllossen hatte. Stets zufrieden mit ihrem Lose, hatte sie sich daran gewöhnt, nicht über, sondern unter sich zu blicken, ihre eigene Lage mit der jener zu vergleichen, denen es noch tveit schlimmer und trauriger erging als ihr. Dazu gesellte sich ihre warme Teilnahme für fremdes Leid, für fremde Not, ihr heißes Begehren, anderen zu helfen. Das Armen'chwestercken war überall dort heimisch, wo es galt, Klagen zu stillen. Tränen zu trocknen. Ihre größte.Herzensfreude war es, in die dunklen Tiefen des Daseins, in die finsteren Höhlen des Elends das Licht lie bender Erbarmung zu tragen, und sie tat es einzig und allein in der Absicht, dem zu gefallen, der, ein König ewiger Glorie, auch arm hier.jeden gewandelt, so arm, daß er nicht wußte, tvo er sein Haupt zur Ruhe niederlegen sollte. Toni hatte den Blick gesenkt, nährend eigene Gedanken ihren Sinn beschäftigten. Wie glücklich sind dock) manche Menschen, dachte sie. daß ihnen so reiche Mttel zu Gebote stehen, um vielen Helsen zu können! Ta rauschte und knisterte es vor ihr und aufblickend sab sie eine stattliche Tame in sehr eleganter Kleidung auf sich zukommen. Toni verbeugte sich tief, öffnete dann flink ihren Kar ton und hielt ihn der Tame entgegen. Tabei stammelte sie schüchtern einige Werte der Entschuldigung für rhre Sckevester. Tie schöne Same fiel sofort ein, indem sie ihr Be dauern wegen des Unfalles äußerte, der Olga jetzt, am Vor abend des Pfingstfestes, betroffen. Gleichzeitig entnahm sie der Schachtel die Stickerei, mit der sie an einen Tisch sich begab, über dem ein Kronleuchter brannte. Schon nach wenigen Augenblicken der Prüfung wandte sie sich nach Toni um. „Schön, sehr schön!" sagte sie in freundlichem Tone. „Warten Sie. mein Fräulein, noch ein Weilchen, ich schicke Ihnen gleich das Geld." Damit rauschte dw Frau Komerzienrat hinweg. Durch die Seele des harrenden Mädchens ging ein Jauchzen. Sie würde Geld, das viele Geld bekommen, und damit würde die Möglichkeit geschaffen sein, dem armen, tranken Bruder zu gelfen! Welche Freude, welches Glück! Minuten waren vergangen. Ta vernahm Teni feste, kräftige Tritte, die rasch nahten. Schon tauchte im Salon die schlanke Gestalt eines jungen Mannes aus, der ihr per Distance ein lautes: „Guten Abend, Fräulein Panier!" zuries. Tann näher kommend, sagte er: „Hier schickt Ihnen, Fräulein, meine Mama dreißig Mark eine runde Summe, erstens wegen der sehr ge lungenen Arbeit, zweitens wegen der Fußvcrletzung ihrer Schwester und drittens, weil — weil morgen —" Cr verstummte plötzlich, seine Augen wurden weit und ein erregtes Mienenspiel trat in sein hübsches Gesicht. Doch auch über Toni war eine unbeschreibliche Erregung gekommen; wie im Fluge rvccksclte die Farbe auf ihrem Antlitz. Ta stand ja der innge Mann vor ihr, derselbe, der ihr drüben bei der Parllindc einen Taler geschenkt batte und dem sie nun zum zweiten Male an diesem Abend die geld begierige Hand entgcgcnstrecken mußte. Und wie jetzt seine Finger ihre Hand berührten, sein glühender Blick in den ihrigen sich tauckste, da fühlte sie. wie eine heiße Blutwellc in ihr Antlitz stieg, cs wunderbar verschönend. Jetzt lag das Gcld in ihrer kleinen Hand, zwei blin kende Goldstücke, und sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, allein die Stimme versagte ihr, sie brachte kein Wort, keinen Laut hervor. Mit einer stummen Verbeugung wandte sie sich zum Geben. „Bitte, noch einen Augenblick, mein Fräulein!" rief der junge Mann und trat zu einer mit frischen Blumen gefüllten Vase hin.