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1 Feierabend. der „Sachs. Volkszeitung". 32. Sonntag, den 8. Mai. 1SV4. »««Del Iftai. « « * Von I. Nitsche. Ein lieblicher Knabe, Der Mai, kommt gegangen, Und wo er mir schreitet, Hebt Glast sich nnd Prangen. O seht, welch Gefolge Den Prinzen geleitet. So prächtig, das; wahrlich Sich jedes dran weidet! Viel schöne Prinzeßchen Die Hände fein regen Und streuen ihm Blüten Z Wo immer er wandelt. Da singen ihm Lieder Gar lustige Sänger Mit buntem Gefieder. In goldigen Wellen Die Locken leicht fliegen, In säuselnden Lüften Sie wonniglich wiegen. Und Rosen gar purpurn Ihm blühn aus den Wangen. So hält er die Herzen Ohn' Zahl auf den Wegen. / Der Menschen gefangen. o -»-L-r Denn alle Schuld röcht sich auf Erden. Roman frei nach dem Italienischen von Erich Friesen. 12. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Als am Nachmittage Orlando seine Braut zur Spazier fahrt abholt, eilt sie ihm ein wenig erregt entgegen. Sie habe heute nacht wieder an Halsschmerzen gelitten nnd deshalb am vormittag abermals Or. Ferraro konsultiert. Da habe sich auch heransgestellt, das; der Doktor, welcher das erste Mal ihren Hals untersuchte, nicht der berühmte Spezialist selbst, sondern sein Assistenzarzt gewesen sei. „Nun? Und lvas sagt Or. Farraro?" fällt Orlando besorgt ein. „ES ist nichts schlimmes, Geliebter. Nur Ruhe, Ruhe muß ich haben. ES komme alles von den Nerven — meint er." Wieder hängt der ernste Blick des jungen Mannes angstvoll an den schönen Zügen seiner Braut. Er kann den Gedanken nicht los werden, daß das herrliche Mädchen da an seiner Seite etwas von der schrecklichen Krankheit der Mutter geerbt habe, das; sie ihm vielleicht auch bald durch den Tod entrissen werde. . . . Freilich — wenn er die gesnndheitsstrotzende Gestalt, die blühenden Wangen, die roten Lippen, die stolze ans rechte Haltung betrachtet, so erscheint es ihm fast unmöglich, daß soviel Jugend nnd Frische den Keim des Todes in sich tragen könne. Und doch . . . nnd doch. . . . Er wendet sich ab. Die Bewegung übermannt ihn. „Orlando!" flüstert es bebend in sein Ohr. „Orlando! Ich möchte dich um etwas bitten." „Ja, mein Lieb? Sprich nur! Was gäbe es auf dieser Welt, was ich nicht für dich täte!" „Ich möchte — ich möchte " Verschämt senkt sie den Kopf. „Nun, mein Herzblatt?" „Ich möchte — so bald wie möglich — heiraten." Glücklich lacht Orlando auf. „Da begegnen sich ja unsere Wünsche, mein Lieb. Ich habe schon Onkel Ernesto gebeten, noch ein paar Rechts anwälte mehr mit der Regulierung deiner Erbschafts angelegenheiten zu betrauen, damit alles so rasch wie möglich abgewickelt wird. Dein Vater besaß so viel Land nnd Diamantminenaktien drunten in Südafrika, so viel bares Geld, welches bei allen möglichen Banken deponiert liegt, daß die Sache gar nicht so einfach ist." „Bin ich denn wirklich so reich. Orlando?" „Unermeßlich reich, mein Lieb. So reich, daß mich dieser Reichtum fast drückt. Ich will nur dich — dich ganz allein, mein einzig geliebtes, teures Mädchen!" Willig, mit einem bebenden Glücksgefühl, erwidert sie seine zärtlichen Küsse. Und der Gedanke zieht durch ihren Kopf: „Wie, wenn ich ihm arm genaht wäre, arm, aber schuldlos? Wenn er mich auch dann lieben gelernt hätte? Wäre ich nicht hundertmal glücklicher gewesen, als jetzt, da die Schwere der Schuld mich jeden Tag aufs neue drückt?" Ha, törichter Gedanke! Nur durch eben diese Schuld war es ihr ja möglich, in Orlandos Nähe zu kommen. Vorwärts also! Vorwärts! Und nicht den Rftrt verlieren! Das Glück winkt, das heißersehnte Glück! Mit einem Ruck rafft sie sich ans. — Eine halbe Stunde später sitzt sie, strahlend vor Frische nnd Schönheit, ein heiteres Lächeln auf den Lippen, neben ihrem Bräutigam in der Karosse und rollt dem Monte Pincio zu, dem Rendezvous-Platz der vornehmen römischen Welt, wo nachmittags zwischen vier und sechs Uhr bei den schmelzenden Weisen einer wohlgeschulten Kapelle, zwischen Orchideen nnd Zypressen, unter Pinien nnd Palmen, die Jugend lacht und scherzt, plaudert und kokettiert, während der heimgchende Sonnenball drunten die ewige Stadt mit ihren Kuppeln, ihren Türmen und Palästen in leuchtenden Purpur taucht. Ja, alles auf dem Monte Pincio lacht und scherzt und glänzt nnd strahlt. . . . Und doch — ob sich nicht hinter dieser Pracht, hinter diesen lächelnden Gesichtern, diesen glänzenden Augen, hinter diesem Gewoge von Samt und Seide, von Dia manten und Spiven, von nickenden Federhüten und leuch tenden Sonnenschirmen, von Blnmenpracht und Lichtreflexen — manch todeswunde Herz verbirgt? Ob nicht manch armes, bemitleidenswertes Geschöpf, welches mit kokettem Augenanfschlag, mit verführerischem Lächeln, mit brennenden Blicken die Huldigungen der Verehrer entgegennimmt — ob es nicht lieber ins einsame Stübchen flüchten möchte, um dort allein zu sein, fern vom Getobe der Welt und zu weinen — zu weinen nnd zu beten? ... Ob nicht mancher Lebemann, der dort, gestiefelt und gespornt, den Hals in einen unglaublich hohen Kragen gepreßt, Kravatte nnd Hemd krause geschmückt mit großen Brillanten, aber das Gesicht fahl vom übersättigten Genuß des Lebens, die Hände zitternd, die Lider schwer und müde von durchschwärmten HlÄchten — ob er nicht im tiefsten verborgenen Innern träumt von einem