Volltext Seite (XML)
D D M W Feierabend W G M Unterhaltungs-Beilage der Sächsischen Volkszeitung Nr. t? Sonntag den 2H. April 1910 ä. Sonntag nach Ostern. Ev.: Der HI. Geist überzeugt die Welt von der Sünde und der Gerechtigkeit und dem Gerichte. Johannes 16, 5—14. Indem uns Gott den Glauben auflegte als unerläß liche Bedingung unseres Seelenheils, mußte auch seine Liebe Sorge tragen, den Glauben leicht zu machen. Darum hat er unserem Willen jene Richtung gegeben, die man die Neigung zu glauben heißen konnte. Ohne Zweifel, wenn inan auf das Aeußere unserer Gesellschaft blickt, möchte man sagen, daß die Gedanken der Menge von dem materiellen Interesse gänzlich beherrscht werden, allein niemand gebe sich deshalb einer Täuschung hin. In jedem Menschen liegt ein geheimer Trieb, der ihn häufig in das Innere seiner Seele führt, der ihn quält und zwingt, über seine Natur, seinen Ursprung und seine Bestimmung nachzudenken. Als dann erscheint der Glaube als ein Bedürfnis, als eine Not wendigkeit. Man kann vom Glauben das sagen, was man vom Gebete gesagt hat, er sei das Atmen der Seele. Um nicht zu glauben, muß man sich Gewalt antun, muß man sich in einen unnatürlichen Zustand versetzen. Gewiß, einige bringen das in ihrer Geistesverwirrung zuwege, wenn auch ihr Unglaube des öfteren zum Aberglauben wird und so kommen diejenigen, die nicht der Religion glauben wollen, schließlich dahin, daß sie an alle möglichen Phan tasiegebilde, an alle möglichen Träumereien glauben. Sie weisen die Geheimnisse der Offenbarung als unbegreiflich zurück nur deshalb, um sich auf andere ebenso unbegreifliche und noch dazu ungereimte zu stürzen. Niemals wird man aber den Glauben aus dem Herzen der Völker ausrotten können, mag man auch törichterweise das Bedürfnis, zu glauben, wegleugnen. Dieser vernünftige Trieb ist so tief in die menschliche Natur hineingesenkt, daß einer, der zum Gebete sich nicht verstehen will, wohl manchmal eine Gottes lästerung im Munde führt, die zugleich einen Glaubensakt zum Ausdrucke bringt. Im übrigen können wir auf das Zeugnis der Jahrhunderte und der Völker verzichten, wenn Plutarch den Gedanken wahrer Weisheit in die berühmten Worte zusammenfaßt: Es ist leichter, eine Stadt ohne Mauern, ohne Gesetze, eine Stadt ohne Theater zu finden, als eine Stadt ohne Gottheit. Da der heilige Paulus Athen besuchte und seine Götterbilder betrachtete, sagte er, dieses Volk, das im Altertums am meisten der Philosophie hul digte, sei religiös bis zum llebermaße gewesen. Und wenn wir in unsere Kathedralen eintreten, um welche mächtige Städte entstanden sind, wenn wir die herrlichen Kirchtürme j Deutschlands betrachten, um die herum sich die Menschen ! angesiedelt haben, sehen wir alsdann nicht, daß kein mensch- ! liches Leben möglich ist ohne Glauben? Der Mensch ist nur ! ein wenig unter die Engel gesetzt, sagt der Psalmist, er ist ! Gottes Ebenbild und sein Werkzeug, eiue himmlische, keine ^ irdische Pflanze. Und gerade deshalb kann er nicht für den ! Körper allein leben, der Körper ist das Werkzeug der j Seele und die Seele ist das Werkzeug Gottes. Es ist darum notwendig, daß dieser Geist, die Seele, nach , unsichtbaren, höheren Regionen strebe, und daß er, möge er ' in den Abgründen des Irrtums oder auf dem Gipfel der Wahrheit weilen, dem eingeschaffenen Bedürfnisse gehorche, das ihn antreibt, zu glauben. Ja. der Mensch hat ein Be dürfnis zu glauben, denn ohne den Glauben erkennt er sich selbst nicht. Ter Mensch hat ein Bedürfnis zu glauben, denn ohne den Glauben vermag seine arme Vernunft sich nur im Irrtum zu gefallen, er hat ein Bedürfnis zu glau ben, denn ohne den Glauben fehlt es seinen Begriffen und somit allem, was er tut, an Erhabenheit und Größe. Wie können auch seine Gedanken richtig, wie seine Handlungen groß, die Entschlüsse seines Geistes edel, wie seine Werke weise sein, wenn sein Glaube ihn nicht in Gott die ewige Wahrheit, jegliche Gerechtigkeit, jegliche Liebe, alle Heilig keit zeigte? Allein der Mensch hat auch ein Bedürfnis zu glauben, weil er ohne den Glauben jenes Glück nicht findet, das er anstrebt. Es gibt in der menschlichen Sprache ein Wort, das mit unwiderstehlicher Gewalt zum Herzen spricht, ein Wort, das das Vorrecht hat, die Seele zu ergreifen, sie zu bewegen, ein Wort, das süß dem Ohre klingt, wie der Name des Vaterlandes dem Ohre des Verbannten, der Name des Vaters dem Ohre des Sohnes, und dieses Wort verfehlt seinen Eindruck ebenso wenig auf das Kind wie auf den Erwachsenen, aus den Gelehrten wie auf den Un wissenden, auf den Armen wie auf den Reichen, auf die Menschen, die in den Wäldern leben, wie auf jene, welche die Städte bevölkern. Und welches ist dieses Wort? Es ist das Glück. In der Tat, der Mensch ist für das Glück ge schaffen, das Glück ist sein Beruf, sein Ziel und Ende. Für dieses wurde er ins Dasein gerufen, nach diesem strebt er mit der ganzen Kraft seiner Seele. Ja, der Mensch ward geschaffen, um glücklich zu sein, wie die Vögel geschaffen wurden, um zu fliegen, die Fische, um im Wasser zu schwim- men. Das Kind verlangt das Glück von seinen Eltern, die Jugend von den reinen Freuden der Familie, wenn sie es nicht in trüben Quellen sucht, der Vater sucht es in den Liebkosungen seiner Kinder, der Großvater in den Liebes- beweisen seiner Enkel. Dies ist also das dem Menschen notwendige Ideal, das Glück. Aber, wie es erreichen? Welches sind die Bedingungen, um zu ihm zu gelangen? Ein Mensch, der seine Jugend in Verirrungen zuge- bracht, aber durch die Erfahrung bekehrt worden war, sagte eines Tages zu seinem Söhnchen, das gerade zur ersten heiligen Kommunion gehen sollte: Mein Kind, die Hand lung, die du vollziehen wirst, ist eine überaus feierliche und vor allein, sie ist entscheidend für deine Zukunft. Wisse, daß cs nur zwei Wege gibt: auf dem einen findest du den Glau ben, auf dem anderen den Unglauben, auf dem ersten wirst du glücklich sein, auf dem anderen nicht. Wenn du den Glauben an die christliche Religion bewahrst, wirst du Prü fungen zu überwinden, Kämpfe zu bestehen haben, allein du wirst glücklich sein, weil der Friede in deinem Gewissen wohnt. Wenn du aber den Glauben verleugnest, wird viel leicht der Erfolg deine Anstrengungen krönen und das Glück dir lächeln, aber du wirst nicht glücklich sein. Fürwahr, eine herrliche Sprache, eine weise Lehre von seiten eines Mannes, den die Welt enttäuscht hatte. Diese Worte sind