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nen also, sobald Sie wollen, bei mir eintreten. Da Die eine Zeitlang schon ohne Stelle sind, so ist vielleicht Ihre Kasse schlecht bestellt. Nehmen Sie ein kleines Darlehn an. Ihrer braven Tochter kann ich doch nicht entgelten, was sie mir und meinem Kinde getan. Er legte eine Geldrolle auf den Tisch nnd war ver schwunden, ehe Kramer sich von seinem Staunen erholt hatte. Als bald nachher dessen Frau nach Hause zurückkehrte, und er ihr die Wendung der Dinge inittcilte, sagte diese unter Tränen: „Die Mutter Gottes hat mein Gebet erhört." Sechstes Kapitel. In dem Kasino ging's am Abend dieses Tages laut her. Zum Kasino gehörten, wie wir wissen, die „gebilde ten" Elemente, die Intelligenz der Stadt, das heißt die Beamten, sonstige eingewanderte fremde Elemente und das Hans Israel stellten das größte Kontingent, während sich die Mehrzahl der seßhaften Bürger der Stadt dieser Gesellschaft, ihres ausgesprochen „liberalen" Charakters wegen, wenig sympathisch zeigte. Das Kasino sollte zwar laut Statuten einen politischen Charakter nicht tragen und neutraler Boden sein, allein die Zeitverhältnisse, die iede Halbheit sowohl wie jede Neutralität ansschließen und die Gegensätze mehr und mehr schärfen nnd znspitzen nnd ein „Farbenbekennen" entschieden fordern, bringen es beutzutage einmal so mit sich, daß auch im sozialen Leben die politischen und religiösen Gesinnungen sich scheiden, und so war das Kasino der Boden, auf welchem die „Regie rungsfreundlichen par koreo, die Staatstrenen und Auf geklärten" sich begegneten, während im Piusvcrein die „Römlinge" zusammenkamen. Erfreulich ist eine solche Sonderung zwar nicht, die gähnende Kluft, welche in poli tischer Hinsicht das Land trennt, reißt dadurch auch ins bürgerliche Leben ein: allein in den Zeiten des „Kultur kampfes" bildet sich eine solche Scheidewand allenthalben von selbst aus innerer Notwendigkeit, wenn die Geister nicht jeden Abend aufeinanderplatzen sollen und man in Gemütsruhe, ohne ärgerlichen Disput seine Flasche Wein trinken will. Während in dem großen Spielsaale die Billardkugeln rollten und die Kartenblätter die Tische bedeckten, summte cs in dem Konversationszimmer bunt durcheinander. An einem der Tische saßen die Getreuesten der Staatstrenen. der Redakteur des liberalen Moniteurs, Tr. Blumenfeld, ein Steuerinspektor, zugleich Freimaurer, und ein Schul lehrer, der durch seine Streitigkeiten mit dem Pastor der Pfarre, seine gehässigen Denunziationen nnd seinen ans Lächerliche grenzenden „Knltureifer" eine traurige Be rühmtheit in der Stadt und deren Umgegend erlangt hatte. Sein größtes „Verdienst" war. daß er einer armen Wasch frau und einem armen Schustcrgesellen, welche sich einer Regiernngsbeleidigung schuldig gemacht hatten, zu mehre ren Monaten Gefängnis verhelfen nnd den Pastor in der Schule in Gegenwart aller Kinder insultiert nnd ihm die Türe gewiesen hatte. Herr Linden, so hieß der wackere Biedermann, hoffte Schnlinspektor zu werden, nnd er würde auch vielleicht zu dem Amte befördert worden sein, wenn er nicht durch seine Neigung zur Trunksucht nnd seine sonstige Führung gerechte Bedenken bei der Vorgesetzten Be hörde erregt hätte. „Man behandelt das Pfaffen- nnd Kuttengesindcl noch viel zu gnädig," sagte der Redakteur in „sittlicher Ent rüstung". „Ist cs nicht ein wahrer Hohn, daß die trotzigen Ausgewiesenen immer wieder auf ihre Stellen heimlich zu- rückkehrcn! Man hätte sie nicht aus.weisen, sondern der russischen Negierung ansliefcrn sollen, die sie nach Sibirien transportiert hätte. Das ganze ultramontane VereinS- wesen, welches die Männer zu willigem Stimmvieh dressiert nnd die Weiber in sogenannten Marianischen Kongregatio- nen mit Medaillen, Bildchen und Sprüchlein ködert und verrückt macht, sollte unterdrückt werden. Tenn die Pfaffen sind nur stark durch die Unterröcke. und diese bearbeiten wieder die Pantoffelbcüder. O, hier in der Schweiz ist eS noch finster, sehr finster: bei uns im Muttorlande, in Ber lin, da sieht's anders ans. Auch die nltramontane Presse, dieses Schandcrzeugnis der gräßlichsten Intoleranz, des wütendsten Fanatismus und der bodenlosesten Verdum mung, müßte aufgehoben werden: die Berner Herren soll ten einfach die nltramontanen Zeitungen verbieten und ihre Redakteure ans dem Lande jagen! Ist es nicht eine Schmach, daß unser Blatt, das dem Fortschritt der Bildung dient, nur einige Hundert Abonnenten hat, während das gegnerische Organ so viele Tausende zählt I So etwas ist nur hier im verdummten Jura möglich. Die Broschüren, die der patriotische Verein in Bern mit schweren Kosten Herstellen und verbreiten läßt, und für welche wir unser gutes Geld ansgeben, damit der verdummte Mann end lich sieht, was Wahrheit nnd Lüge ist, werden von dem fana- tisierten Volke einfach in den Ofen geworfen! Soll einem da die Galle nicht überlaufen? Der Schweizer Null nicht einmal, daß man ihm die Binde von den Augen reißt, die ihm das Licht verhüllt." Ter Redakteur leerte zornig sein Glas und stellte es fast zu heftig auf den Tisch nieder. Er war ein Berliner Jüngling, in dessen Augen natürlich nur seine Vaterstadt die „Intelligenz" gepachtet hatte. Die Berner Regierung hatte , als ge den Kulturkampf begann, sich nach Berlin um .gesinnungstüchtige" Fabrikanten der „öffentlichen Mei nung" gewandt, und es war ihr Herr Stipp, bisher Arbei ter im Reptilien-Preßbnrean, als eine besonders bewährte Kraft empfohlen worden. Als Herr Stipp nach dem katho- lilchen Jura kam, hatte er sich gewundert und entsetzt, daß die „Pfaffen" es »vagen konnten, in priesterlichen Kleidern, das heip.r im schwarzen Rocke mit langen Schößen über die Straße zu geben. Auffallend war es nur, daß der anfge- klärte Berliner es in dem finsteren, dummen Jura, über den er so weidlich schimpfte, anshalten konnte und sich dort wohl süblte: er hätte doch besser daran getan, das un dankbare Land, das seine Bemühungen um Ausbreitung der „Bildung" nicht würdigte nnd verkannte, zu verlassen nnd den dummen Jurassiern den Rücken zu drehen. Aber cs erging ihm. wie vielen anderen, die ans der Mark, ans Pommern und Ostpreußen nach katholischen Gegenden ver schlagen werden, und. obschon sic tagtäglich über die katho lische Bevölkerung, unter welcher sie leben, schimpfen nnd räsonnicren, doch nicht aus derselben fortznbringen sind, weil sie eben — von deren Fette leben. „Ich erkläre mich mit den Ansichten des Herrn voll kommen einverstanden," fiel ihm Lehrer Linden ins Wort, „aber vor allen Dingen sollte man den Klöstern den Prozeß machen: cs genügt noch lange nickt, daß man die Jesuiten schon im Jabre vertriebe»: hat, alle Klöster ohne Aus nahme müssen allsgehoben werden. Diese Brutstätten der Fanlenzerei und des Müßigganges, der Intoleranz und des Fanatismus, der Unsittlichkeit und Schlemmerei müssen mit Stumpf nnd Stiel ansgerottet werden. Sie sind der eigentliche Herd des Ultramontanismns, die Nester, in denen die schlimmstcn Finsterlinge ausgcbrütet werden, traurige Ueberbleibsel ans dem finsteren Mittelalter. Mönche und Nonnen jage man znm Kuckuck, ans den Klo- stergebäuden mache man Schulen oder Kesernen, — dann lvird's besser im lieben Schweizer Vaterlande." Herr Werner hatte vor einigen Minuten am Tische Platz genommen nnd die letzten Worte Lindcns mit ange- bört: die Zornesader ans der Stirne schivoll ibin. ..Meine . Herreil." sagte er. „Sie schwätzen Blech! Sie wissen, daß ick bisher ebenso dachte wie Sie. und daß ich die Berner Regierung in Ihrem Kampfe gegen Rom nach besten Kräf ten unterstützte: wer sich aber in Zukunft noch einmal er laubt. in meiner Gegenwart über die Klöster zu schimpfen, ! der hat es mit mir zu tun!" Die übrigen vier blickten erstaunt aus und lächelten. > M.'ckte Werner Scherz, oder war er plötzlich ein Römling ' -e: l dr::'.' Er siibr fort: