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Feierabend. der „Sachs. Volkszcitung". M 8. Sonntag, den 22. November. 1S03. Mur öis zum Kriedhof. Bon Heinr. Helmers. ——— (Nachdruck verboten.) Ob Demantschein die klare Stirne schmücket. Die nie bewölkt der Sorge grause Macht, Ob wandellos das Schicksal dich beglücket Und blumenschön der Lebensweg dir lacht Ob hohe Würden reichlich dir gegeben Und jeden Abgrund überbrückt "ein Steg: Es führet doch nach kurzem Traumcsleben Nur bis zum Friedhof einstens dich dein Weg. Ob wehrhaft du zum höchsten Ziele ringest Und stolzen Sinnes auf den Bruder schaust. Ob du des Ruhmes Moloch Opfer bringest Und aus dein Wissen Riesenpläne baust, Ob du titanenhaft zur Sonne strebest. Daß einen Strahl aus ihrer Wundcrpracht Du götterheer um deinen Scheitel webest: Nur bis zum Friedhof hast du's einst gebracht. Magst du dem Krösus gleich im Golde wühlen. Daß jedes Tor sich öffnet dir bereit. Mag Sklavenhand die heiße Stirn dir kühlen Und jede Lust beflügeln deine Zeit, Mag eine Welt sich dir zu Fügen legen, Die neidisch stets an deine Schätze denkt Und schmeichelnd buhlet um des Mammons Segen: Nur bis zum Friedhof wird dein Schritt "gelenkt. Mag sich dein Machtspruch gleich dem Donner künden, Wo du ein Herrscher ohne Schranken bist, Mag Oual und Angst dein Hirn mit Lust ergründen Und neuen Schmerz ersinnen deine List, Bringt auch dein Tritt Vernichtung schon und Grauen Und zwingest du der Tugend sanfte Wehr Schon durch das leichte Zucken deiner Brauen: Nur bis zum Friedhof führt dein Weg dich her. Mag Fugendpurpur deine Wangen färben Und strahlend leuchten deines Auges Stern, Mag selbst der Schönheit Urbild mit dir werben Und gleichen Preis dir zucrkcnnen gern, Viag deine Gunst erwecken das Verderben, Daß sinnestrnnken Kops und Hand erbebt: Auch alle Schönheit wird verwelkend sterben Und bis zum Friedhof hat sie nur gelebt. Doch magst auch rastlos du im Staube quälen. Zu dem dich nicderbeugt des Lebens Last, Magst du dich selber zu den Aermsten zählen, Die kalt und hart des Schicksals Hand erfaßt. Magst Du vergeblich nach dem Ziele ringen. Wo endlich dir ein Freudenstern erscheint: Auch du wirst es nur bis zum Friedhof bringen, Der dich versöhnend mit den Besten eint. O alle Herzen, die in Oual vergehen, O jede Brust, die nur die Sorge füllt, O alle Augen, die nur Kummer sehen Weil jeder Tag nur neuen Schmerz enthüllt: Fhr werdet einst den HimmelStrost erkennen. Wenn still der Geist der Hülle sich entringt. Daß jeder frei und glücklich ist zu nennen, Der friedevoll es bis zum Friedhof bringt. Des Daseins rechte Lösung aber gibet Des großen Nazareners weises Wort: Wer seinen Nächsten wie sich selber liebet. Der lebt im Licht und in der Wahrheit fort. Nicht ^land und Würden werden einst gemessen, Nur Gott- und Men scheu lieb bestimmet das Gewicht; Wer sie erfüllet bleibet unvergessen Und seine Werke birgt ein Friedhof nicht. Olgas Irrtun». Originalnoeelle von Al ca Ruth. (7. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Dein Plan scheint inir annehmbar", überlegte Detten, „geh', werfe Dich in großen Wichs, mache unten Deine Aufwartung, verabschiede Dich bis auf ein fröhliches Wieder sehen in Berlin und werfe nur so nebenbei hin, daß Py- lades mit Orest geht. Wir setzen unsere Abreise etwas auf fällig in Szene das Wiederkommen fällt inS schützende Dunkel der Nacht." „Für Dich ja; und dann vergiß nicht, Dich in ein entfernteres, womöglich billigeres Hotel einzumieten. Du kennst ja die Parole, und behalte stets im Auge, daß, wenn die Festung nicht mit Gewalt zu nehmen ist. man sie durch Hunger zur Uebergabe zwingt. Von Deinem Hotel aus kannst Du das Terrain in aller Gemütsruhe überschauen und die rechte Stunde abwarten." „Hm; alles gefällt mir, nur nicht das Abwarten." Am anderen Tage hielt ein Reisewagen vor dem Hotel Rohal belge mit zwei Riesenkoffern beladen. Die Freunde nahmen in seinem Innern Platz, der Schlag klappte zu, die Pferde ziehen an. Einen letzten Blick werfen die ^ Freunde nach den Fenstern der kommerzienrätlichen Woh nung hinauf. Da bewegt sich die Gardine, und ein Frauen kopf nähert sich der Spalte, Detten bestand darauf, daß Olga es gewesen, Eichbach beharrte darauf, deutlich Hermine er- ! kannt zu haben. Es war indessen keine von beiden, sondern ! die gnädige Mama Jähneke, die über das Freundespaar ! ein Kreuz schlug. Fünftes Kapitel. Ein Sonntag in Ostende! Wer hat es schon miter lebt, dieses Wogen und Treiben am Strande? Da strömen sie herbei aus Dorf und Stadt, die Schaulustigen und Neugierigen. All die „kleinen Leute" mit knappem Gehalte und viel ungestilltem Sehnen. Das ganze König reich Belgien sendet seine Typen. Ertrazüge langen an, ans den überfüllten Waggons bricht das Heer der Sonntags- ausflügler, die Hotels am Strande sind bis zum kleinsten hinab überfüllt; ewiges Gedränge, Toben und Schreien am Strande, Streit um die Badekarren, an der l'adlo ck'twts rücksichtsloser Kampf um die Schüsseln, im Meere kein Platz, auf der Digue noch weniger! Stühle und Bänke ringsum sind beladen und belagert, die geöffneten Fenster der Badehotels bis zum letzten Platze beschlagnahmt! Ein Wirrwarr von Tönen dringt aus den Villen und Hotels, fleißige Hände rühren das Klavier, oder wie Eichbach sich auszudrücken beliebt „kitzeln die Kommode". Durch die wogende, lachende, jauchzende Menge drängen sich die heim kehrenden Krabbenfischer mit den schmutzigen Kitteln und den langen Stangen mit den Netzen daran über der Schulter; Karren, Pferde, Reiter fliegen dahin in dem lauten Chaos, Kravatten- und Muschelverkäufer, Zeitungs- rufer und „fliegende Holländer" durchkreuzen nach allen Richtungen den Menschenstrom, und ihr eintöniges Rufen übertönt weithin das Stimmengewirr am Strande. Flach und eben liegt das sandige User da, ein Tummel platz für Große und Kleine! Für letztere ist der Sand