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WWW — 180 — Kinder Gottes, bei welcher wir, weil wir keinen anderen Beweggrund kennen, als die aus dem Glauben geborene Liebe, über dem Gesetz der Knechtschaft stehen und die Fesseln der Sünde tief unter unseren Füßen sehen. Vergänglich. I^oher Wipfel lauschig Dachl Leise rauscht der Miesenbach; Raucht sein alt-eintönig Lied, Nimmer, nimmer Rauschens müd. Reine Ahnung einst'ger Ruh, Linst'gen Aufhörn's hast ja du, Bächlein, wie das Menschenherz, Rennst nicht des Vergehens Schmerz. Earl Theodor Schulz, Dresden. Schloß La Meuniere. Frei nach dem Französischen von Adele Treuenfels. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Der junge Mann hafte meine Gedanken erraten. „Es ist mein heiliger Ernst, liebe Tante. Ich habe gehört, daß in früheren Zeiten eine Verbindung zwischen den beiden Familien bestanden hätte. Es ist mir unbekannt, warum das Bündnis nicht zustande kam. Me dem auch sei, ich fürchtete mich vor der Aussprache mit Dir. Darf ich Dir einen guten Rat geben? Vergesse und vergebe die alten Mißhelligkeiten, das Unrecht, das man Dir zugefügt. Gib uns Deinen Segen. Ich verspreche Dir meinerseits die Liebe und das Vertrauen meiner Braut." Vergeblich hatte ich versucht, meine Kaltblütigkeit wieder zu erlangen. Meine Wangen glühten; ich glaube, meine Augen schossen Blitze. Unruhig ging ich im Zimmer auf und ab; ich konnte nur die Worte hervorstoßen: „Du sollst Adelaide Timon nicht heiraten." „Warum verbietest Du mir das, und von welchem Rechte machst Tu Gebrauch?" „Ich verbiete es Dir als Stellvertreterin Deiner Eltern, Du kannst und darfst den Schritt nickst tun; die Schuld, die auf ihrem Vater lastet, ist zu groß." „Tie Schuld?" wiederholte Eduard ungläubig, „die Schuld? Ich verstehe das nicht." „Ich Nage ihn der Feigheit und des Mordes an," er widerte ich streng. Ter Jüngling erblaßte. „Wie schrecklich: doch bitte, Tante, mir Beweise zu geben, und mir alles zu erzählen." „Beweise verlangst Du, mein Wort genügt Dir also nicht?" „Verzeih, liebe Tante; vielleicht hat man Dich falsch berichtet. Bedenke wohl, mein Glück hängt davon ab." „Die Ehre ist mir mehr wert als das Glück. So ver nehme die traurige Wahrheit: Dieser Elende, Eugen Timon, hat seine Hand mit Blut befleckt; er hat einen Mord auf dem Gewissen; so wisse es denn . . .; er hat . . . Andre, meinen und Deiner Mutter Bruder erstochen." „Wie. auf welche Art?" „Im Duell." Eduard atmete erleichtert auf. „Das ist ein großes Unglück, eine Sünde, aber ein wirklicher Mord ist es nicht." „Ich finde darin keinen Unterschied." „Mein Onkel hat dieselbe Schuld auf sich geladen." Diese Aenßerung brachte mich zur Verzweiflung. Ich weiß nickt, ivas ich antwortete. Ich weiß nur noch, wie ! Eduard sich förmlick vor mir verneigte und sprach: „Adieu Tante; Du ahnst nicht, wie weh Tu mir getan hast." Den ganzen Tag verbrachte ich verstimmt und schleckt > gelaunt. Eduards letzte Antwort beruhigte mick^ hatte ^ ich ihn doch ins Herz getroffen; hatte ich doch eine unüber- ! steigbare Brücke zwischen den beiden Familien errichtet. > Dieser mir verhaßte Name würde mir nie wieder begegnen. ^ Am nächsten Morgen übergab man mir einen Brief; ! zuerst las ich die Unterschrift; niit Entsetzen wurde ich den Namen „Eugen Tinwn" gewahr. Er begann seinen Brief, indem er mich um Verzeihung bat für die Kühnheit, mir zu schreiben. Aber er empfände ein Bedürfnis, das zu wiederholen, was er schon nach den: Tode Andres meinem Vater mitgeteilt habe. Es kam mir nun in Erinnerung, daß ich zu jener Zeit einen Brief, an meinen Vater adressiert, vorfand, der die Schriftzüge meines ehemaligen Geliebten aufwies. Von Zorn erfüllt, nahm ich damals das Kuvert und warf es un- eröffnet ins Feuer. Eugen beschrieb hierauf den Streit und Kampf der beiden Freunde. Er erzählte, Andre sei außer sich vor Mit gewesen. Er selber habe zu verschiedenen Malen versucht, den Freund zu schonen, doch sei dieser in seiner Heftigkeit so weit gegangen, daß er sich freiwillig in die Waffe des Gegners gestürzt hätte. Mr. Timon rief Gott als Zeugen an, daß sich die Sache so verhalten habe. Er schloß, indem er um Verzeihung bat. Ter Himmel hätte ihn hart für seine Sünde bestraft. Seine Gattin, drei hoffnungsvolle Kinder seien ihm durch den Tod entrissen worden. An der Schwelle des Grabes angelangt, hätte er gedacht, die Zukunft und das Glück seines einzigen Kindes zu sichern durch eine Verbindung mit Eduard de Tombes. Wenn ich ihm nicht verzeihen wolle, möchte ich doch Mitleiden haben mit seiner Tochter, die ein wahrer Engel sei. Er schrieb mir so rührend, so demütig; er fand Ausdrücke, die mich in der tiefsten Seele ergriffen. Und doch, ich vergessen, vergeben? Nie, nimmermehr! — Was er sagte, konnte wahr sein, ich kannte ja nur zu gut das leidenschaftliche Temperament meines Bruders. Diese Annahme verminderte nicht meinen Haß, nein, diese Feindschaft war schon zu sehr mit meinem Innersten verwachsen. Es war mir nicht mehr möglich, sie herauszureißen. Eduard kam nochmals; er beschrieb den Schmerz von Mr. Timon, wiederholte dessen Beteuerungen, berichtete von der engelgleichen Reinheit seiner Braut. Ich blieb hartherzig, wollte ihm kein Gehör schenken. Er verließ mich, heftig erregt; ich wußte nun, er würde auch ohne meine Einwilligung heiraten. Am nächsten Sonntage im Hochamte vernahm ich das Aufgebot meines Neffen mit Adelaide Timon. Mir dünkte, ein spöttisches Geflüster unter den An wesenden zu hören, die Kinder stießen sich an, wiesen mit den Fingern auf mich und lachten. O ja, sie hatten Grund zu lachen über den machtlosen Zorn einer alten Jungfer. So hatte ich denn umsonst gekämpft! Mein Todfeind hatte dennoch gesiegt! Eduard war von der Stunde an ein Fremder für mich; ich sage ein Fremder, nein, er war mehr, manchmal haßt ' ich ihn. Eugen Timon starb l^ld darauf. Er verlangte noch, mich zu seben, aber ick verweigerte ihm die Erhörung seiner letzten Bitte. Von dem Tage an, wo Tn hier wohntest, liebes Kind ist es besser geworden. Tie Wunde hat sich vernarbt. Meine Gefühle sind nickt mehr dieselben. Ich weiß nicht, woher es kommt, daß ich weicher, sanfter, großmütiger geworden bin. Tu weißt nun alles, Johanna. Bete für deine Tante, und bedenke, daß, wenn sie oft schroff und streng ist, sie viel, sehr viel gelitten hat." Nack einem kühlen, regnerischen Frühjahre war der Sommer wieder ins Land gezogen. Ter Himmel war blau: die Luft uvrin, überall Tust und Leben. Johanna konnte wieder ihre gewohnten Spaziergänge nach La Tombes unternehmen. Sie kommt viel mit der Cousine zusammen. Sonst ist ihre Stimmung trübe und ernst. Tie Ver söhnung mit der Tante schreitet nicht vorwärts. Mißmutig ergreift sie die Feder und schreibt darüber an den Bruder: