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2878 Festung die erste Parallele. 600 bis 800 Schritt von den feindlichen Werken entfernt, ohne einen Lerlust unsererseits eröffnet: schon in der Nacht vom 31. August auf 1. September wurden die Communi- cationen zur zweiten Parallele und in der folgenden Nacht letztere selbst, 300 bis 400 Schritt vor der Festung, ausgehobeu. In den Nächten vom 9. bis l 1. September wurden die Annäherungen zur dritten Pa rallele und in der Nacht vom 1l. auf den 12. die dritte Parallele selbst großentherls ausgehoben. Mittlerweile war auch der Bau der Belagerungsbatterieen mit größtem Eifer in Angriff genommen und durchgeführt worden, so daß unter dem Schutze derselben am l 5. Sept, die Glaciskrönung vollendet, und am 20. und 22. mit der Besetzung der Lünetten 53 und 52 eine weitere Annäherung an die Hauptenccinte vollzogen werden konnte. Dem Widerstande und der Ausdauer der französischen Besatzung muß vom militairischen Gesichtspunkte aus um- getheilte Anerkennung gezollt werden, obwohl die Stadt selbst unter der Hartnäckigkeit der Verthcidigung leider sehr empfindlich zu leiden hatte. In einer Depesche der „Agence Havas" aus Zchlettstadt 23. September, aus der wir gleichzeitig ersehen, daß am ll. Septbr. in Straßburg die Republik proclamirt, Herr Baersch zum Präfeeten und vr. Ruse zum Maire ernannt wurde, ferner, daß der von der provisorischen Regierung zum Präfeeten des Unterrheins ernannte Hr. Valentin am 19. d. schwimmend in die Festung gekommen war, wird übrigens versichert, daß nur 44 Personen durch das Lombarde ment getödtet worden sein. Ein wichtiger Lortheil, der für die wei-> teren Operationen aus dem Falle von Straßburg entspringt, dürfte auch darin zu erblicken sein, daß nunmehr der große Belagerungspark, der vor Straßburg verwendet worden, für anderweite Zwecke, nament lich für die Belagerung von Paris, disponibel wird. Französischerseits find vom Kriegsschauplatz folgende Nach richten eingegangen: Ein der „Jndependance Beige" aus Ver sailles vom 20. September zugegangener Bericht meldet: „Gestern um 11Z Uhr Morgens kam der neue Maire der Stadt, der ehemalige Anwalt Ranreau, aus der Mairie und bestieg den Brunnen, welcher sich vor dem Gitterthore der Pariser Allee befindet, um den Tert der Vereinbarung zu verlesen, die er mit den Deutschen abgeschlossen hatte. Dieselbe lautet: 1) Das Eigcnthum und die Personen so wie die Monumente und die Kunstgegenstände werden respectirt. 2) Die Deutschen werden alle Ca- scrncn besetzen, aber die Bewohner werden die Offiziere logircn und selbst die Soldaten, wenn die Caserncn nicht genügenden Platz darbicten. 3) Die Nationalgarde wird bewaffnet bleiben und im gemeinschaftlichen Interesse mit der Polizei im Innern der Stadt und mit der Besetzung aller Posten betraut werden. Nur werden die deutschen Truppen die Thore, wie sie cs für gut erachten, besetzen. 4) Es wird keine Kricgssteucr in Geld erhoben werden, aber die Stadt wird 'Alles liefern, was für die durchziehenden Truppen oder für die, welche dort in Garnison liegen, nothwendig ist. 5) Am heutigen Tage werden die Thore von Versailles geöffnet sein, um das fünfte Corps durch die Stadt marschiren zu lassen. Um 12 Uhr 55 Minuten begann das Dcfilü der Deutschen durch die Rue des Chevaliers in Versailles. Es dauerte bis 5 Uhr Abends und noch später. Zugleich trafen die Ambulanzwagen mit den Ver wundeten ein. Die Zahl der Truppen (Infanterie, Cavalerie, Artil lerie u.), welche in Versailles einzogen, mag sich auf 25,000 bis 46,000 Mann belaufen. Viele Truppen verließen wieder die Stadt, andere blieben. Das ganze Fourage-Magozin, welchcS einen Werth von 500,000 Franken hat, wurde von der Stadt abgeliefert. Letzteres sollte zuerst verbrannt werden, die Stadt hatte eS aber in Anbetracht der Ereignisse, welche erwartet wurden, angekaust. Ich bin in tiefster Trauer (der Korrespondent ist ein Franzose) und ich kann mich kaum der Thronen enthalten, besonders tief ergriffen war ich, als ein preu ßisches Regiment, welches in die Stadt einzog, die Marseillaise spielte. Um gerecht und unparteiisch zu sein, muß ich hinzufügen, daß bis jetzt Alles in größter Ordnung vor sich gegangen ist. Hoffen wir, daß dem so sein wird, so lange unsere Stadt von fremden Truppen besetzt ist. Ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß die Intendantur die ge machten Requisitionen bezahlen wird. Was die einzelnen Soldaten nehmen, bezahlen dieselben sofort." — Aus Toulon wird vom 23. September gemeldet, daß die Fregatten „l'Znträpide" und „la Dryade" nach Afrika abgefahren sind mit drei Bataillonen Mobil garden an Bord. — Admiral Fourichon entwickelt in Tours eine rege Thätigkeit. Lom Corps Bazaine's soll ein Corps von 60b Mann entwichen und glücklich in Meziarcs angekommen sein. AuS Lyon wird die Ankunft zahlreicher Soldaten der Mac Mahon'schen Armee gemeldet, die aus der Gefangenschaft entflohen seien. M Orleans wird gemeldet. Bei Neuville aup Bois fand ein Zusam menstoß zwischen der Avantgarde einer Escadron des 6. franzöWi Husaren-Regiments und zwei Pelotons preußischer Cavalerie D. Die Escadron ging bis an die Thore von Pithiviers, zog sich dem aber vor den überlegenen feindlichen Kräften zurück, nachdem sie vier preußische Gefangene gemacht hatte. Ein französischer Offizier WM verwundet, vier Husaren werden vermißt. Im Departement Loire-et-Cher hat der Prüftet, um die Division, sowie der Belagerungs-Artillerie und den technischen Truppen gebildet werden sollte. Zum Kommandeur der gesammten Belagerungs- Artillerie wurde der General-Lieutenant v. Decker, zum Ingenieur en ekek der General-Major v. Mertens ernannt, welcher letzterer durch die Belagerungsarbeiten von Düppel, sowie die Befestigung von Dres den und Kiel bereits rühmlich bekannt war. Am 24. August wurde, nachdem die ersten Belagerungsgeschütze angekommen, und dem Kom mandanten, General Uhrich, unter Ankündigung des Bombardements mehrere erfolglose Aufforderungen zur Kapitulation übersandt waren, mit der Beschießung der Stadt begonnen, welche hauptsächlich auf die Kasernen, Magazine und andere fiscalische Gebäude gerichtet wurde. Am 26., früh 4 Uhr bis 12 Uhr, wurde das Bombardement ein gestellt, um auf das Anerbieten des Bischofs von Straßburg dessen Einwirkung auf die Bürgerschaft abzuwarten. Als diese ohne Erfolg blieb, wurde die Beschießung bis zum 27. August fortgesetzt. In der Nacht vom 29. auf 30. August wurde gegen die Nordwestfront der Ulanen abzuhalten, ähnliche Verwüstungsmaßregeln angeordnet, wie sie um Paris erfolgten: die Straßen werden durchschnitten, das Getreide wird sortgeschafft, Heu und Stroh verbrannt u. s. w. Die delegirte Regierung in Tours ist mit dem Gelde eben so verschwenderisch,'m die in Paris. So hat ihre „Delegation 1er Ausrüstungs-Commisim" an deren Spitze der Exdeputirte von Havre, Le Cesne, steht, che Weiteres die zuerst für diese Commission bewilligten 10 MüliE» auf l6 Millionen erhöht. Bruchstück aus einem soldatenbriefe (Artillerie 12. Arm.-Cps.), den 22. Septbr., Abends 6 Uhr. Je näher wir Paris kommen, desto trauriger wird die Situation. Früher trafen wir t wenigstens noch aus Bewohner, aber jetzt giebt cs überall mir leere Städte und Dörfer, keine Seele ist da; die Häuser, die Zimmer, die Meubel u. s. w., Alles ist vernichtet, zertrümmert, in den Zimmern, in welchen zerschlagene Mahagonymeublcs, zerrissene seidene Betten umherliegen, liegen wir in der Nacht auf Stroh. Bis vor 2 Wochen haben wir die Nächte stets im Divonak zugebracht bei Regen und schauderhafter Witterung. Wir wünschen Alle sehnlichst eine leidige Entscheidung, denn was Jeder während dieser Paar Wochen durch- gemacht und erlebt, ist viel und auch nicht leicht gewesen, hoffentlich mag es nicht noch schlimmer kommen. Wir haben heute schon den 6. Tag kein Brot; Zucker, Tabak, Cigarren haben wir nicht mebr gesehen, seit wir über die Grenze gegangen; Hafer für die Pferde giebt cs manchmal tagelang nicht. Wein, Weintrauben und Obst da gegen giebt es im Uebcrfluß. Man muß sich hüten vor den Leuten in den Dörfern, die meisten sind heimtückisch und roh, wie eine Horde Räuber , stets muß man sie im Auge haben und vorsichtig mit ihnen umgehen. Nun, vielleicht ist bald Alles zu Ende rind wir erleben ein fröhliches, glückliches Wiedersehen rc. Ein aus Neufchatel, 22. Sept., datirter, am 29. «. hier ein getroffener Brief eines Unteroffiziers im 4. königl. sächs. Infanterie- Regiment Nr 103 enthält folgende Mittheilung, für deren Richtigkeit wir natürlich nicht einstehcn können: „Unsere Truppen haben gestern bereits einen Theil der Vorwerke bei Paris gestürmt und genommen, gegen 5000 Gefangene gemacht und 17 Geschütze erobert, und be finden sich nun hinter den Schanzen dicht vor Paris." (Vgl. die fran zösischen Telegramme der „Wiener Ztg") — Uebereinstimmcnd mii anderen Berichten ist die in demselben Briefe ferner ausgesprochene Klage über das Verhalten der dortigen Bevölkerung; cs heißt in dieser Beziehung: „Die Leute gehen hier einher wie Andere, und doch trage» sie nicht selten unter ihren Röcken Dolche, Pistolen, ja selbst Gewehre und überfallen meuchlings die nichts Böses ahnenden Soldaten." Redaction, Druck und Verlag von E. M. Monse in Bautzen.