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Beilage zu Bo. 85 der Bautzener Nachrichten. Donnerstag, den 14. April 1870. Aus vergangenen Zeiten. Briefe aus und von der Oberlaufitz. Vierter Brief. (Fortsetzung.) Sehr empfindlich war man in alten Zeiten in allen Angelegen- hiiten, welche die Familie und das Familienrecht berührten. Deshalb bestand auch ein strenges Verbot aller heimlichen Eheverlöbniffe. Ein junger Mann, welcher sich verloben wollte, sollte vor Allem die Eltern oder nahen Verwandten der Jungfrau in allen Ehren um ihre Ein- wistigung angehen. Die Töchter oder Mündel sollten fich nur nach dm Mm ihrer Eltern oder Vormünder und Verwandten verheirathen, und um Heirathen zu verhüten, welche in den Augen der Eltern, aus Vermögens- oder andern Rücksichten Mißheirathen gewesen wären, sollte jeder Mann, der sich ohne den Willen der Eltern oder der »Wen Freunde einer Jungfrau mit derselben verlobte, von der Stadt Jahr und Tag verbannt sein und wer dazu Rath und Bei stand gewährte, der sollte „noch hertlicher gestraft und nicht unge- peinigt gelassen werden". So bestimmten es die Görlitzer Stadtgesetzc non 1433. Gleiche Verbote bestanden auch in den andern Scchs- Men, und für das platte Land nach der von den Ständen dcr Oberlausch im Jahre 1551 beschlossenen Landes- und Polizei-Ordnung. An die Stadt Bautzen erließ Kaiser Ferdinand I. am 30. Januar 1548 wegen der heimlichen Verlöbnisse, „so sich ledige, unbescsscne Echllm und andere Personen mit Frauen und Jungfrauen in der Stadt unterstünden, wodurch deren Eltern und Freundschaft betrübt und in Verderb und schwere Unkosten gebracht würden", die Verord nung, daß solche heimliche, „in göttlichen und gebräuchlichen Rechten »erbotene" Verlöbnisse nichts gelten und die Ucbertrctcr und Helfer mit Gcfängniß bestraft und aus der Stadt gewiesen werden sollten. Kam es dennoch zu einer Heirath unter heimlich Verlobten, so sollte nach fernerweiter Bestimmung des Raths zu Bautzen der Ehemann Mjsm Beschränkungen im Genüsse des Vermögens seiner Ehefrau ! und in dem Erbrechte unterworfen sein. Doch wollte der Rath auch j« Seits „auf Anrufen oder Amtshalber ein Einsehen haben", daß I leim Jungfrau gegen ihren Willen zu einer Heirath genöthigt oder I an einer solchen ohne gerechte Ursache verhindert würde. So verständig diese, allerdings erst in die zweite Hälfte des 16. I Zabrhundcrts fallende, auch in den anderen Sechsstädten damals an- I genommene Bestimmung war, so gerechtfertigt waren ohne Zweifel die Tebote, welche von Zeit zu Zeit von den Räthen ergingen, um den ! Ausschreitungen bei Hochzeiten zu begegnen. Ein cigcnthümliches ! Sittenbild entrollt sich, wenn wir die Gebräuche betrachten, welche Inoch im 15. Jahrhundert bei einer'solchen Feier stattfandcn. Wir Ikennen dieselben einigermaßen aus den Gesetzen, welche in Görlitz im .Jahre 1440 und in Zittau vielleicht schon früher wegen der Hoch- Ijnlm bestanden. Eine Hochzeit ansrichtcn nannte man „eine Wirth- Ischafl bestellen." War Küche und Keller gehörig versorgt, waren „Köche, iWnncn, Kellner, Kellnerinnen, Handlanger und Handlangerinnen" Ihnbeigeschafst, so wurde zu den Einladungen verschütten. In Görlitz Wut man sich dazu gewisser Frauen bedient zu haben, welche »„Mutter" genannt wurden und ost von Hau« zu Haus umliefen. Ivarauf wurden von den Geladenen Geschenke in das Hochzeithaus, IchmlS mit Gepränge, ^getragen. Am Tage vor dem Hochzeittage Maud zunächst unter großer Betheiligung von Gästen ein Frühmahl Wer, wie wir es jetzt nennen würden, ein Mittagsmahl statt. Dieser Mdg galt im klebrigen der Feier des Bcilagcrs. Der Bräutigam' er- Mü die „Letze" oder das Ehegeld — ein Gebrauch, welcher aus der Mit herrührte, wo der Mann die Frau von deren Eltern zu kaufen Mgu — des Abends aber wurde die Schmaußerei wieder begonnen U- wenn sie überhaupt aufgehört hatte — und dabei mit Süßig- Wtm Schwelgerei getrieben; denn der Rath zu Görlitz gebot, daß, Mil bei den Bcilagern „in Ueberfluß und sträflich wider gut« und Mdmr Länder und Städte Gewohnheit Gott zu Missebitung und einem gemeinen Gute zu Schaden theuerer Confect, Regal und über« zogcner Zucker verstreut, zerbrochen und ohne Jemandes Frommen zu Nichte gemacht worden sei", dergleichen Sachen von Niemandem mehr gegeben oder vorgesetzt werden sollten. Wollte der Rath das Brautpaar oder dessen Familien ehren, so nahm er an dieser Abendmahlzeit Theil. Uebrigens verstand es sich von selbst, daß die Räthe stets zu den Hochzeiten eingeladen wurden. Am Hochzeitstage selbst wurde vor oder nach dem Kirchgänge das „Brauthuhn" genossen, nach der Rückkehr aus der Kirche eine Mahlzeit eingenommen und der Tag vollends im Jubel, mit Tanz, Essen und Trinken hingcbracht. Ein Hochzeithaus war damals gewöhnlich eine Freistätte für Alle, welche genießen wollten. Auch Ungeladene fanden sich ein. Die Gäste sendeten ihrer Seits Speisen und Getränke von den Tafeln durch ihre Kinder und Gesinde in die Stadt, und wer von der ärmeren Einwohnerschaft dort erschien, wurde mit Trank und Speise versehen Man nannte dies „zum Geschenke gehen". Die Beschränkungen, welche im 15. Jahrhundert wegen des Ucbermaßes bei Hochzeiten cingeführt wurden, waren immer noch mäßig. Zu einer Hochzeit sollten die Einladungen nur von zwei Freunden besorgt und mehr als 24 Personen nicht geladen und diese an zwei Tischen gespeist werden. Das „Brauthuhn" sollte abgeschafft, am Hochzeitstage auch nicht mehr als sechs Gerichte, mit Ausschluß des Nachtisches, vorgesetzt, auch sollten keine schweren Getränke, „wie Romcny, Malmesy (Malvasir), Clarcth, Welschwein, Paßwein, Muskat und dergl", sondern nur geringer und Landwein, sowie Stadtbier gereicht werden. Gewisse Ausnahmen wurden jedoch gestattet, wenn auswärtige Verwandte oder der Rath bei einer Hochzeit zugegen waren. Eine eigene Sitte waren die „Badegänge" oder „die Hochzeit bäder." In älteren Zeiten wurde auf die Pflege des Körpers durch öfteren Gebrauch von Bädern weit mehr als jetzt gehalten. In einigen Privathäuscrn waren Badstubcn eingerichtet; wem dergleichen nicht zu Gebote standen, der begab sich in die Badcreicn, an welchen cs in keiner Stadt fehlte.') Die warmen Bäder waren so ge bräuchlich und wurden für Jedermann so unentbehrlich gehalten, daß selbst Stiftungen für Arme zum uncntgcldlichcn Baden in den Badc- rcicn gemacht wurden. Gewöhnlich wurde solchen Armen nach dem Bade noch ein Brot gereicht. Da man durch dergleichen Stiftungen zugleich das eigene Seelenheil zu befördern glaubte, so nannte man dergleichen Bäder: „Scclbäder". Nach alter Gewohnheit gingen auch Brautpaare vor oder nach der Hochzeit zum Bade; doch war mit solchen Badegängen stets eine Festlichkeit verbunden. Braut und Bräutigam wurden von einer großen Zahl von Männern, Frauen und Jungfrauen in das Bad geleitet, und an das Bad schloß sich eine Lustbarkeit mit Zechen und Tanzen. Nicht immer mögen bei dergleichen Tänzen die Regeln des Anstands beobachtet worden sein; der Nath zu Görlitz gebot 1440, daß, „da vormals die jungen Gesellen nach dem Bade wider gute Sitten in Badekappen und „barschcnkigt" getanzt hätten, fortan Alle, die da tanzen wollten, mit Joppen und Hosen angcthan sein sollten nach anderer Länder und Städte löblicher Gewohnheit". (Forts, folgt.) *) In Bautzen befanden sich die Baderelcn zu alter Zeit i» der Kessel- gaffe. Dieselbe hat ihren Namen (plntea oal.lari») von den in den Bade- reien ausgestellten Kesseln zur Bereitung heißen Wassers. In Bautzen hatte noch im Jahre 149!) Johannes Oertel von BudweiS ein Seelbad für Arme gestiftet. Vermischtes. — Leipzig. (L. N.) In dcm zahlreich bevölkerten preußischen Grenzdorf Radefeld kommt diese Ostern nicht Eines der vic en Schulkinder aus der Schule. Bor 6 Wochen starb das einzige Mäd. chen, welche« die« Jahr confirmirt werden sollte. Die Bewohuer be haupten, « sei seit 100 Jahren der teste Fall, daß hi.r kein Kind die Reif« der Confirmation erlangt hat.